Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Wolf Graf von Kalckreuth
(1887-1906)



Die Zeit, da Lippe sich an Lippe preßt,
Daß schmerzend vor den Zähnen sie erblassen . . .
Ich will sie nie aus meinem Herzen lassen.
Ich halte sie in allen Stürmen fest.

Es schwindet des Erinnerns letzter Rest
Wie Abendschein in dunklen Wolkenmassen,
Doch wird das stolze Glück mich nicht verlassen,
Bis mich des Lebens letzter Hauch verläßt.

O nicht der Stahl der schwankenden Gefechte
Und nicht das Meer der blauen Sternennächte
Bleibt so wie jener Kuß in unsrer Brust.

Du fühltest zwischen Wellenzug und Scheitern,
Wie der verbrannten Wunden qualvoll Eitern,
Was du getan und was du tragen mußt.
(S. 95)
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Verbanne träumend jeglichen Gedanken
Und neige schlummerstill dein liebes Haupt,
Daß keine Sehnsucht dir die Ruhe raubt
Im Schattenland der Blätter und der Ranken.

Kein Kuß soll auf den müden Lippen kranken,
Der täuschungssüß an neues Leben glaubt.
Das sinkende Gezweig ist reich belaubt.
Es ruht der Winde und der Wolken Schwanken.

Und aus den Wäldern und dem dichten Rohr
Quillt wie gedämpft ein lauer Hauch hervor,
Der unsre Seele von Vergangnem reinigt.

Und ein Empfinden, das ich fremd gewähnt,
Erhebt sich unerfüllbar, kaum ersehnt:
Ich stürbe gar zu gern mit dir vereinigt.
(Im Garten in Stuttgart, Sommer 1905) (S. 102)
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Trennung

Wann einst die Stunde kommt, da wir uns trennen,
So laß uns ungebeugt den Kampf bestehn.
Bald sterben in der Zeiten eis'gem Wehn
Die Herzen, die in bittrer Sehnsucht brennen.

Wer mag die Keime schauen und erkennen,
Die im zerstörten Busen untergehn?
Wer mag dem letzten Sturm entgegensehn?
Ich fühl ihn nicht! Ich wag ihn nicht zu nennen!

Ich bin Soldat im Herzen, und ich werde
Es wahrhaft sein, trotz Trübsal und Gefährde,
Wann sich der Schatten künft'ger Dinge naht.

Der Fels in all den Wellen, die zerstäuben,
Vergessenheit, Errettung, Sieg, Betäuben -
Die Krone unsres Lebens ist die Tat.
(Sommer 1906) (S. 110-111)
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Fragment

O nie versinken können im Gelüste,
Das in vergessend Meer uns niederzieht!
Nie hören mehr das trunkne Siegeslied
Der Wangen und des Nackens und der Brüste!

Kaum jener Lippen ferne Blumenküste,
Lockt einen Hauch, der wie ein Kuß entflieht!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

O daß zum Himmel bleich und gramverschwiegen
Von dem verkohlten, trauernden Gebreit
Glutrote Flammen glüh'nder Liebe stiegen!

Vergällt ist Zukunft und Vergangenheit . . .
Die Gegenwart bleibt stumm und arm an Siegen -
Ja, besser sterben als dies ew'ge Leid!
(S. 111)
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Ich fahre hin auf fahlen Meereswogen,
Bald auf den Gipfel blinden Glücks gejagt,
Bald niederstürzend finster und verzagt,
Vom Wirbel in die tiefste Nacht gezogen.

Die Hoffnung auf den Tod hat mich betrogen,
Das Sterben bleibt den Leidenden versagt,
Kein Felsriff, das aus öden Wassern ragt -
Doch auch kein Stern am dunklen Himmelsbogen.

Ich glaube, ich bin krank und schwach und lahm.
Mein Leben siech - mein Herz verzehrt der Gram -
Als ob ein Wrack sich am Geklipp zerriebe . . .

Und wenige erschaust du sicherlich
Verlogner und verächtlicher als mich -
Und dennoch sag ich dir, daß ich dich liebe!
(S. 113)
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Was könnte je ich diesem milden Ruhn,
Was dieser linden Schattenrast vergleichen?
Ein abendliches Wehn in Wellenreichen,
Die Freude der Geliebten wohlzutun.

Und wie dem Halbertrunknen im Taifun
Des Lebens Bilder nicht vom Herzen weichen,
So seh ich über Winterfrost und Leichen
Erfüllend Hoffnung nahn für einst und nun.

Und weil ich weiß, daß alles wesenlos,
Erscheint mir doppelt schön und doppelt groß,
Mir Träume zu gestalten und zu bilden -

Die tiefste Schwäche und das letzte Blut.
Und doch es klingt so süß und fühlt sich gut . . .
Ein blauer Himmel über Schneegefilden.
(S. 113-114)
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Gesegnet seist du, die mein Herz erwärmt
Mit spätem Lächeln milder Abendsonnen!
Mein hoffend Leben ist in Sand zerronnen.
Mein Mut ward in verlorner Glut verschwärmt.

Nun gleitet still von eis'ger Flut umlärmt
Das Fahrzeug hin, das froh die Fahrt begonnen.
Ich habe viel gehofft und nichts gewonnen,
Und um Vergangnes endlos mich gehärmt.

Ich möcht es nicht zum zweiten Male fühlen,
Wie Meer und Seewind uns das Herz durchwühlen.
Doch lieb ich jenen milden Sternenschein,

Der in dem Äther aufglimmt, freundlich blinkend.
Auf den verlornen Schwimmer niedersinkend,
So, Liebste, soll mir dein Gedächtnis sein.
(S. 115)
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Gleichklang

In späten Jahren angenahter Reife
Will einst ich schmale, lichte Reime bauen -
Voll Süßigkeit und zärtlichem Vertrauen,
Wenn ich dich recht erfühle und begreife.

Daß dich ein letztes Dämmerleuchten streife
Aus meines Himmels müdem Abendgrauen,
Will ich dein dunkles Haar umgeben schauen
Von roten Blüten und metallnem Reife.

Die Sterne sind ins tiefe Blau getreten,
Die sich im blassen Äther flimmernd drehten,
Und ruhn wie Silberstaub auf fernstem Raum.

Bald liegt der Nachen in dem stummen Hafen -
Ach unsres Daseins Preis ist Schlafen, Schlafen!
Und unsres Fühlens Tiefe ist der Traum!

(Sommer 1906) (S. 117-118)

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Wie tief der Duft der Ähren alles tränkt!
Das dunkelnde Gefilde überweht er,
Die Luft erfüllt, durch Herz und Sinne geht er,
Nun sich der Sommerabend näher senkt.

Still ist die Seele, die an dich nur denkt,
Denn alles Leid bringt früher oder später
Mein Herz zurück dem unbewußten Äther,
Der meine Sehnsucht zu dir, Fernen, lenkt.

Von kaltem Selbstbeschaun verzehrt im Leben
Empfand mein Herz, das stumm und liebeleer,
Ein dämmerhaftes, heimliches Bestreben.

Da kamst du lächelnd deines Weges her
Und gabst ein Glück, das keine mir gegeben . . .
Seitdem vergesse ich dich nimmermehr.
(Hoeckricht, Sommer 1906) (S. 118)
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Erinnerung

Für immer wird mein Herz an dich gedenken,
Im Nebelmeer, das auf den Wiesen schwimmt,
Im letzten Abend, der in Nacht verglimmt,
Wann sich die roten Sonnen schweigend senken.

Und wie die Silberquellen, die uns tränken,
Ein Antlitz spiegeln kühl und gleichgesinnt,
So soll mein Lied, das dich zum Bild sich nimmt,
Mit eigner Schönheit Abglanz dich beschenken.

Ist nicht das Dämmern blauer Ozeane,
Da Luft und See sich eint in müdem Wahne,
Ein Zeichen, daß die Zukunft uns verwischt?

Doch soll dein Name das Gestad erhellen
Im Lichtgewoge leiser Abendwellen,
Das murmelnd an dem ew'gen Strande lischt.

(Sommer 1906) (S. 119-120)

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Die Sonne ist ein roter Feuerball,
Im blauen Dunst der Wälder mählich schwindend.
Die harten Farbentöne sanft verbindend
Gießt Dämmerung sich durch das blasse All.

Schon halt ich auf dem gelben Höhenwall,
Den Kummer langer Nächte überwindend.
Doch schau ich, nichts als Bitterkeit empfindend,
Im Sieg den Gram, im Schimmer den Zerfall.

Die Luft erbebt von nahen Finsternissen,
Mein Mut ist lahm, mein Herz ist mir entrissen,
Und regungslos schau ich dem Unheil zu.

Der Kraft beraubt, als ich zu siegen wähnte . . .
Welch Irrtum, daß ich Fremdes je ersehnte,
All meines Lebens Süße bist nur du!
(Hoeckricht, 17. Juli 1906) (S. 120)
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Im goldnen Duft des reichen Honigs ruht
Die Heide, sich dem Sommer zärtlich neigend.
Wie so der blasse Himmel klar und schweigend
Hinabschaut auf der Blüten ros'ge Flut!

Was glänzt dies süße längstvergeßne Gut
Aus grauem Nebel, ferne Tage zeigend?
O jene Freude, licht vom Äther steigend,
O jener frühen Liebe zarte Glut!

Glück, Sommer, Liebe, engvereinte Dreiheit . . .
Jetzt liebe ich den Tod in seiner Freiheit,
Der lautlos durch die schwarzen Nächte schwebt.

Doch hindern mag ich nicht, daß mir im Innern
Vergangner Tage Hoffen und Erinnern
Mit stiller Wärme durch die Seele bebt.
(Herbst 1906) (S. 121)
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Die Gärten in dem Schoß der großen Wüste,
Weit hinter fahlem Sand und Wellenblauen,
Wo Sommerwolken duftig niedertauen:
Sie sind die Heimat meiner Sehnsucht, Süßte.

Die Schar der Träume, die mich leuchtend grüßte,
Wann ich entschlief im leisen Abendgrauen,
Sie ließen jenes holde Land mich schauen,
Und Sonnenlicht - das zärtlichste und frühste.

Durch den Jasmin verrieseln klare Quellen,
Und blaue Winden spiegeln in den Wellen,
Die um die Lauben rinnen lautren Scheins.

Und wie die Liebe sorglich uns geleitet,
Stand im Gefild ich, das sich prangend breitet -
Und du und jene Gärten waren Eins.
(Wahrscheinlich 1906) (S. 121-122)
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Für Sie (1)

Nach all den Tränen, all dem schweren Bangen,
Nach all der Gier und dem verhaltnen Groll
Fühl ich mich wieder still und ruhevoll,
Nun da dein Arm so sanft mein Herz umfangen.

So süß bist du zur Seiten mir gegangen,
Da meine Brust von Bitternissen schwoll -
Jetzt eint ein Band, das niemand lösen soll,
Mich dir, von der ich all dies Glück empfangen.

Gleich einem Kind, das fiebernd und ermattet
In Schlummer sinkt, umdämmert all mein Tun
Dein Lächeln, das der kranken Seele schattet.

Nach deiner Güte Maß laß ewig nun
Auf mir, der Glück und Furcht im Grab bestattet,
Den Blick der mütterlichen Süße ruhn.
(S. 122)
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Für Sie (2)
1. Fassung

Von jenem Schimmer, der auf Kindern ruht,
Blieb nichts mir übrig als ein leises Weinen.
Was, Liebste, sollt ich anders dir erscheinen!
Das Herz befleckt, den Blick getrübt vom Blut!

Doch weckst du, Zarte, ferngeglaubte Glut,
Und wie ein Kind neigt sich mein Geist dem deinen!
Wie scheu, sich solcher Süße zu vereinen,
Voll Staunen tastend nach so lichtem Gut.

Und wahrlich, meine Adern gössen besser
Das Leben aus, das du zum Dank empfingst,
Durchschnitten von dem oft gezückten Messer,

Und tropften, wann du nicht mein Herz mehr zwingst,
Ihr Rot hin wie versiegendes Gewässer,
Eh du, Geliebte, mir verloren gingst!
(S. 123)
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Für Sie (2)
2. Fassung

Von jenem Schimmer, der auf Kindern ruht,
Blieb nichts mir übrig als ein leises Weinen.
Was, Liebste, sollt ich anders dir erscheinen!
Das Herz befleckt, die Augen trüb vom Blut.

Doch weckst du, Zarte, ferngeglaubte Glut,
Und wie ein Kind neigt sich mein Geist dem deinen;
Wie scheu, sich solcher Süße zu vereinen,
Voll Staunen tastend nach so lichtem Gut.

Und wahrlich, meine Adern gössen besser
Das Leben aus, das du zum Dank empfingst,
Durchschnitten von dem unbarmherz'gen Messer . . .

Und tropften, wann du nicht mein Herz mehr zwingst,
Das rote Naß wie ein verstreut Gewässer,
Eh du, Geliebte, mir verloren gingst!
(September 1906) (S. 124)
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Für Sie (3)

Und wie du selbst im Traume mein gedacht,
So denk ich dein, wie an beglänztem Hafen,
Wo traumgewiegt die wunden Nachen schlafen,
Im Sterngefunkel blauenthauchter Nacht.

Und ob mein Herz zu neuem Tag erwacht,
Bereit, daß es die Stürme Lügen strafen,
Noch weh von allen Peinen, die es trafen -
Ob mir der Dämmerabend schmerzlich lacht . . .

Du bist mir nah - ich strecke meine Hand,
Ich spähe, wo ein Pfad dem Fuße bliebe,
Empor an glattem Hang, an schroffer Wand,

Voll Furcht, daß mir dein teures Bild zerstiebe,
Und Tagesglut verweht der Träume Land,
Und dich mit ihm, du Einzge, die ich liebe!
(S. 124-125)
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Die Glut der Liebe, die vergiftet ist
Von jener Öde, die das Herz umfangen,
Sie brennt wie scharfer Frost auf zarten Wangen
Und weist dir, daß du ganz verloren bist.

Das sind die Farben, die man nie vergißt!
Den Mund umspielt ein spöttisches Verlangen
Und zittert mit verzehrend leisem Bangen
Im Herzen, dessen Qual kein Mensch ermißt.

Ein Abgrund tief, wie selbstzerfreßnes Höhnen,
Ruht in dem Auge der verkommnen Schönen,
Wo ein verstohlnes blaues Flimmern tanzt;

Das ist die bleiche Stunde, die verkündigt,
Daß du dich an der Freude selbst versündigt . . .
Doch fühlst du, daß du nie bereuen kannst.
(Um Weihnacht 1905) (S. 332-333)
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Aus: Wolf Graf Kalckreuth Gedichte
Erweiterte Ausgabe 1921
Leipzig Insel Verlag


 

 

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