Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Gottfried Kinkel
(1815-1882)



Zehn Sonette an Johanna
(Februar 1840)

1.
Still war mein Knabenleben, eng und klein;
Drum gruben sich auf meines Herzens Grund
Nur wenig Bilder, aber farbenbunt
Mit unzerstörbar tiefen Zügen ein.

Eins blieb mir, du! O weißt du, dort am Rhein -
Ein Kind fast warst du noch, froh, hell, gesund,
Und blicktest heiter in das Weltenrund,
Als wären all die schönen Wunder dein.

Ich kam des Weges auch mit stillem Schritt:
Da standst du dunkel vor dem Abendlicht,
Das mächtig wiederglänzte von der Flut.

Ich sah dich, hellverklärt das Angesicht,
Von meiner Schwester Arme traut umruht -
Ich schwieg und nahm dieß Bild in's Leben mit.
(S. 165)


2.
Die Stille schwand! der Cirkus that sich auf,
Der Herold winkte: hei die Renner fliegen!
Gilt es zu siegen? männlich zu erliegen?
Frisch! Tod und Leben, beide stehn zu Kauf.

Und dich verlor ich in dem raschen Lauf:
Wer kann in weichem Kindheitstraum sich wiegen,
So lang die Kraft er spannen muß zu siegen,
Der Gegner Schaar ihn noch umringt zu Hauf?

Umflogen ist die Bahn! Stolz blickt' ich um,
Langsamern Lauf nun gönnend dem Gespanne;
Nah ist das Ziel, die Gegner all zurück.

Doch jauchzen kann ich nicht: ich denke stumm,
Daß mich der Kampf gereift zum ernsten Manne,
Auch hinter mir liegt fern der Jugend Glück!
(S. 165-166)


3.
Da trittst du mir zum zweitenmal entgegen,
Das jugendliche Haupt im Witwenschleier:
Des Mannes feste Brust darf kühner, freier,
Als einst des Knaben, dir sich zubewegen.

Noch hältst du mich mit deinem Zaubersegen;
Mein Herz ist vollbesaitet deine Leier;
Du nimmst es, wie du willst! Zur ernsten Feier
Zum leichten Scherz kannst wechselnd du's erregen.

Du singst den Psalm: da klingen Melodien
Im Busen mir von Jugendandachtgluten;
In stiller Kirche möcht' ich wieder knien.

Du malst im Klang die Nacht - wie tief es dunkelt!
Du hebst den Mond herauf aus schwarzen Fluten:
Und träumend bin vom Sternglanz ich umfunkelt.
(S. 166-167)


4.
Wo führst du hin mich, Mächtige? Laß ab!
Längst schläft die Jugendzeit mir todtenkalt,
Was übt dein Wort so magische Gewalt,
Was schwingst du ob der Gruft den Geisterstab?

Den Garten seh' ich, der mich eng umgab,
Der Mutter ernste mächtige Gestalt,
Des Vaters Haupt von weißem Haar umwallt,
Sie steigen lebend aus dem dunkeln Grab!

Die Schwester zeigst du mir im Mädchenkleide,
Die nun ein fremder Herd von mir entfernt,
Genossin einst an Jubel wie an Leide.

Du weckst mir Jauchzen und du weckst mir Thränen -
O Lust der Thränen, die ich lang verlernt!
Es schmilzt mein Erz in wonnig weiches Sehnen.
(S. 167)


5.
Und wer dich schaut' - du bist so jung geblieben!
So harmlos bist du, wie nur Kinder sind;
Rasch tanzt dein Geist, ein flüchtiger Wirbelwind,
Und deines Witzes glühe Funken stieben.

Der neckische Scherz steht auf der Stirn geschrieben:
Mir ist, als wärst du noch das leichte Kind,
Umspielt von Frühlingshauchen weich und lind,
Als läge vor dir noch ein erstes Lieben!

Doch weh, dein Mund ist plötzlich schmerzverbittert
Die hohe Stirn deckt sich mit Finsterniß,
Drauf zuckt's, wie wenn im Westen es gewittert.

"Durch all mein Leben klafft ein solcher Riß,
Daß es nur noch dem Tod entgegenzittert -"
Elend auch du? du nickst - es ist gewiß!
(S. 168)


6.
"Die Nacht ist schrecklich, finster, kalt und bang,
Doch lieb' ich sie; sie ist des Todes Schein;
Unendlich einsam bin ich und allein;
Wie draußen, schweigt im Innern jeder Klang.

Da streck' ich mich wie Leichen, starr und lang;
Die müden Hände faltend, dämmr' ich ein -
So träum' ich mich in meinen Todtenschrein,
Und über mir hallt dumpf der Priester Sang.

Und also lieg' ich, bis im wirren Hirn
Des Lebens letzter Funke mild verglimmt,
Und Eiseskälte mir bedeckt die Stirn.

Dann spür' ich Ruhe - Tod und Grab und Nacht,
Gefühl und Denken, Lust und Noth verschwimmt,
Und ob mir waltet der Vernichtung Macht."
(S. 168-169)


7.
So strömt denn hin um Sie, ihr bangen Klagen,
Ach um dieß starke Herz, das muthlos bricht!
Ein Geist - ihn beugten lohe Blitze nicht,
Zerstört sich selbst durch zweifelndes Verzagen!

Sie sucht Genuß, um müde sich zu jagen,
Sie strahlt ihr Leben aus im bunten Licht,
Sie schwärmt im Ton und jauchzet im Gedicht,
Sie stürmt, die zarte Harfe zu zerschlagen.

Sie schlürft begierig mit Vernichtungswonne
Als gährend Gift des Lebens heißen Wein,
Sie treibt die Pulse, daß sie wild zerspringen!

Furchtbarer Wahnsinn, von dem Licht der Sonne,
Das jedes Herz verklärt mit Hoffnungschein,
Freiwillig nach dem Tode hinzuringen!
(S. 169-170)


8.
Am Fenster steh' ich in des Morgens Schauern:
Im Osten flammt Gewölk mit goldnem Prangen:
Der Frühhauch löscht die heißerglühten Wangen,
Die von dem Kummer dieser Nacht noch trauern.

Die Seele hebt sich aus den Klostermauern,
In denen sie der dumpfe Gram gefangen:
Denn der Entschluß ist hell ihr aufgegangen:
Sie retten muß ich, statt sie zu bedauern!

Auch ich war elend und von Gott verlassen;
Auch ich begrüßte jauchzend mächt'ge Töne
Im fremden Land einst, die mir Tod verhießen -

Nun dennoch glücklich! Kann ich's auch nicht fassen,
Für sie weiß ich den Weg zur ew'gen Schöne,
Die voll uns tränkt mit ruhigem Genießen!
(S. 170)


9.
Ich ging durch stille Abenddämmerungen:
Die stumme Flur entschlummerte schon mählig;
Die Vögel hatten, da sie tausendkehlig
Die Sonn' im Scheiden grüßten, ausgesungen.

Da hat ein hoher Klang sich aufgeschwungen
Von Abendglocken rings im Land vielzählig;
Da fühlt' ich mich im tiefsten Herzen selig,
Und Thränen sind in's Auge mir gedrungen.

O Glockenton, wie du an Gott zu denken
Uns aufrufst durch den trüben Erdenabend,
Will sich der Geist so ganz in Andacht senken.

Ein Ton nur klingt durch's öde Weltgetriebe,
Das sehnsuchtmüde Herz noch süßer labend:
O klinge fort, du Ruf der ewigen Liebe!
(S. 171)


10.
Es stöhnt das müde Herz nach Frieden! Frieden!
Der Friede kommt - doch langsam ist sein Gang.
An Jugendüberfülle sind wir krank,
Gesundheit ist dem Alter nur beschieden.

So lange wild des Lebens Fluten sieden,
Ist diesem stillen Gast bei uns zu bang;
Es kommt die Frucht erst wenn die Blüte sank -
Nie eint sich Stille mit der Kraft hienieden.

Du hoffe still! Ich hoffe auch für dich!
Der Tag kommt, wo ich dich versöhnt
In weiten Weltraum freudig schauend sehe.

Geb' es ein Gott uns beiden dann, daß ich,
Wenn vollharmonisch deine Seele tönt,
Ein Greis, wie dort ein Knabe, bei dir stehe!
(S. 172)

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
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Sonett

Ja, sie war hier! O sage dir es wieder
Und immer wieder, frohbewegte Brust!
Empfinde ganz sie, der Erinn'rung Lust,
Ergieße sie im Jubelklang der Lieder.

Es bringt der Tag auf hellem Lichtgefieder
Der scheuen Lieb' Entbehrung und Verlust;
Ihr Recht ergreift sie kühn und selbstbewußt,
Senkt sich die milde Nacht zur Erde nieder!

Nun ist geweihet, wo sie stand, die Stelle,
Und jeder Abend bringt die Huldgestalt
Mir wieder bei der Kerzen Dämmerhelle.

Von ihrem Odem fühl' ich mich umwallt -
Leis rauscht ihr Kleid dann über meine Schwelle,
Und fern des Fußes leichter Tritt verhallt!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857 (S. 207)

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