Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ida Klokow
(1850-1912)



Ein Sonettenkranz
Tönende Weisen, der Liebe gesungen,
Blüten, zum Kranze harmonisch verschlungen.


I.
Wenn sich ein Herz dem Herzen engverbunden,
Welch hohes Glück! In Himmelsregionen,
Ins Paradies, wo ew'ge Götter thronen,
Hebt Liebe den empor zu süßen Stunden,

Der ihre Macht in tiefster Brust empfunden.
Aus Wunderblüten luft'ger Illusionen,
Lichtglanzerfüllt, die herrlichste der Kronen
Wird ihm ums Haupt von Feenhand gewunden.

Er träumt von Glück, von Wonne, nicht zu schildern,
Träumt, daß ihn sanft der weiche Arm umschlinge
Der Liebsten, die ihm liebevoll ergeben.

Gefesselt hält er sie mit gold'nem Ringe,
Er träumt's, und in des Traumes holden Bildern
Gewinnet höhern, neuen Wert das Leben.


II.
Gewinnet höhern, neuen Wert das Leben
In Phantasieen nur des Traumes immer?!
Ich hör's und staune d'rob und glaub' es nimmer;
All unser Glück, all unser frohes Streben

Der Nichtigkeit wär's dann ja hingegeben! -
Fürwahr, das war nicht eitlen Traums Geflimmer,
Als wir uns sah'n und lichter Seelen Schimmer
Durchs Auge blitzte bei des Herzens Beben.

Der Wange glühend heißes Übergießen
Wie fühl' ich's noch! Und wie, mir leise drückend
Die Hand, Du sprachst von Deinem reichen Leben,

Von Freud' und Leid, wie war's so herzbeglückend,
Ein Seelen sel'ges Ineinanderfließen,
Ein ziellos frommbefriedetes Ergeben.


III.
Ein ziellos frommbefriedetes Ergeben,
Nicht lange Zeit vermocht' es zwar zu dauern;
Der Pflicht Bewußtsein weckt aus Wonneschauern
Den Geist. Nicht in die Lüfte sollt' er schweben,

Nicht über Weltgesetze weg sich heben;
Urmächte, die in Liebesgluten lauern,
Erzeugen oft auch schwertmutsvolles Trauern,
Indem sie uns mit Freude noch umweben.

Wir trennten uns, doch in der stillen Weise
Sympath'scher Kräfte eilten zu umranken -
Ob auch das Aug' dem Auge war entschwunden -

Mit haucheszarten Fäden uns Gedanken.
Und darum doppelt ich die Liebe preise:
Ein himmlisch Glück, dem Götterreich entwunden.


IV.
Ein himmlisch Glück, dem Götterreich entwunden,
O, wie empfanden wir's, als endlich wieder
Wir dann uns sahn! Durch unsre Glieder
Zuckt's wie ein Blitz. "Wir haben uns gefunden!" -

Gedenkst Du noch der jubelfrohen Stunden,
Wo Du die Worte riefst, indes ich nieder,
Verwirrt von Deinem Blicke, schlug die Lider
Der Augen, die Du fragend wolltst erkunden?

Da quoll all unser Glück, erlauscht mit Bangen,
Aus Deiner Frag', ob Dich kein Wahn bethöre,
Wenn Du gehofft, daß, wie Du mir verbunden,

Auch ich mit ganzer Seele Dir gehöre?
O süß Gewähren, süßestes Verlangen,
O Liebe, Born zu heilen, zu gesunden.


V.
O Liebe, Born zu heilen, zu gesunden,
Von Leiden, die das Schicksal gab zu tragen,
Und die der Brust entringen bittre Klagen,
Wie bist so mächtig immer Du befunden!

Und doch, o Liebe, Du auch schlugst schon Wunden,
Und manchen gabst Du preis schon dem Verzagen,
Obwohl umsonst er mocht' die Gottheit fragen,
Warum für ihn das Glück dahin geschwunden;

Warum denn er aus keinem Feuerkusse
Der Minne durfte süßen Nektar schlürfen,
Da selbst dem Wurm im Staube ward im Leben

Die Wohlthat, laben unbeschränkt zu dürfen
Sich, wie er mag, im Liebesfrohgenusse,
Von Göttergunst der Sterblichkeit gegeben.


VI.
Von Göttergunst der Sterblichkeit gegeben
Und mir in hohen Gnaden zugeführet
Erschienest, als mich Deine Wahl erküret,
Du mir, geliebt' Idol, geliebtes Leben.

Und gläubig lauscht' ich ohne Widerstreben,
Wenn Du mit Lob und Preis, der nur gebühret
Den Göttern, mich beehrtest, tiefgerühret
Vom Schmeichelwort, das mich sucht' zu erheben.

Ja, ich wie Du, das hab' ich längst erfahren,
Wir schwelgen froh in süßem Selbstentzücken,
Indem wir uns mit Glorienschein umweben,

Indem einander wir mit Reizen schmücken.
So ich wie Du, laß stets den Trug uns wahren:
Hienieden gibt's nichts Besseres daneben.


VII.
Hienieden gibt's nichts Besseres daneben! -
Welch eitler Wahn! - Da sieh heran sie schleichen,
Die gift'ge Otter; bald uns zu erreichen
Ist sie bemüht und wehe; sieh, soeben

Will sie das Haupt zu raschem Bisse heben!
Vor solcher Tücke schützet kein Entweichen;
In der geschmeid'gen Windung ohne Gleichen
Naht sie und macht die Seele tief erbeben.

Zu spät sehn wir den Schlangenblick, der lüstern
Auf uns gerichtet. Eilend ist gespitzet
Die Zunge, und aus tiefen Herzenswunden

Das Blut, ein lebenswarmer Strom entspritzet.
Den Schlangenbiß, der bösen Zungen Flüstern,
Du, schmerzenswunde Brust, Du hast's empfunden.


VIII.
Du, schmerzenswunde Brust, Du hast's empfunden,
Wie bitter kleinlich eifersücht'ge Seelen
Zu kränken wissen, wie, um den zu quälen,
Der glücklich scheint, sie nie zu schlecht befunden,

Ein Mittel, einen Weg. Die schönen Stunden -
Wie böse war's, als man, sie uns zu schmälen,
Viel Lügenmärchen wußte zu erzählen. -
Wie Balsamhauch entströmend allen Munden -

Balsam? - Betäubend Gift! und überquellend
Der Falschen Herz von ihm, uns zu bethören
Den Sinn, gelang es fast für alle Zeiten.

Du schienst oft mir, ich Dir nicht zu gehören;
Wohin wir sahn, kein Stern, die Nacht erhellend,
Um zu ersehntem Ziel uns zu geleiten.


IX.
Um zu ersehntem Ziel uns zu geleiten,
Das Schicksal fragt' ich unter heißen Thränen,
Gibt's nichts? Muß ins Unendliche sich dehnen
Der Pfad des Trübsals, den dahin wir schreiten?

Und Gleiches fragtest Du, aus Seligkeiten
Des Himmels stürzend, schaudernd vor dem Gähnen
Des Abgrunds noch, d'rin alle Lust zu wähnen
Versunken, man Dir wollt' das Los bereiten.

Allein ob wogte noch so angstbeklommen
Die Brust, und Hoffnung drohte zu verblühen,
Wir fühlten doch an unsres Herzens Schlägen:

Auch unter Asche werde fort sie glühen
Die Flamme, sollten gleich wir nimmer kommen
Durch Prüfungen zu unserm Heil und Segen.


X.
Durch Prüfungen zu unserm Heil und Segen!
O Menschenherz, wie eitel ist Dein Sinnen,
Ein thöricht Sorgen, thöricht Plänespinnen,
Der Weltenlenker zeigt's Dir allerwege.

Frohlächelnd gehst Du einem Tag entgegen,
Der Dir des Glückes Sonne führt von hinnen,
Und traurig magst den andern Du beginnen,
Der Dir Dein Bestes in den Schoß wird legen.

Mit mutbeseelter Brust nur mußt Du zücken
Dein Schwert im Lebenskampf, willst Du's erzwingen,
Daß keines Dämons tück'sche Lust Dir schade.

Oft, eh' die Siegespalme wir erringen,
Ja oft, um höher uns noch zu beglücken,
Bedient das Schicksal sich verschlung'ner Pfade.


XI.
Bedient das Schicksal sich verschlung'ner Pfade,
So gleicht die Liebe einem Rettungslichte,
Das stets durchdringt der Wolken dunkle Schichte
Und führt das Schiff ans sichere Gestade.

Wie einst bei Theseus' Labyrinthprom'nade
Erzählen in der griechischen Geschichte
Vom Faden Ariadnes die Berichte,
Kommt man ans Ziel durch holde Herzensgnade;

Kommt wohl ans Ziel durch tausend Wunderdinge,
Nach manchem Weh, das schwer die Brust betroffen,
Kommt an das Ziel auf wirr verstrickten Wegen.

Ans Ziel, ans Ziel! o laß uns harrend hoffen;
Strebt immer nur empor der Seele Schwingen:
Nach Sturmgebraus lacht doch uns Licht entgegen.


XII.
Nach Sturmgebraus lacht doch uns Licht entgegen,
Hell wird's ringsum! Schon als ich auf den Knieen
In dem Gebet, dem Worte kaum geliehen
Mein übervolles Herz, vor Gott gelegen,

Fühlt' seiner Gnad' und reichen Güte Segen
So mild besänft'gend in das Herz ich ziehen;
Im Hauch verwehet schienen zu entfliehen
Die Sorg' und Qual, und Hoffnung mußt ich hegen.

Der Wunsch beseelt allein mich, könnt ich senken
In Deinen Geist, Geliebter, meine Seele;
Wie müßt es Glück und Wonne uns bereiten,

Wenn sich bewußt so Sinn mit Sinn vermähle,
Voll Harmonie im Fühlen nur und Denken,
Auf Erden schon des Himmels Seligkeiten.


XIII.
Auf Erden schon des Himmels Seligkeiten
Sind Liebenden selbst in den Höllenleiden
Der Sehnsucht, der Gedanken an das Scheiden,
In Thränen, die vom Aug' herniedergleiten.

Unglücklich Lieben, mächt'ges Widerstreiten
Von Lust und Schmerz, ein Gift d'ran sich zu weiden,
In Selbstqual, nimmer wird die Seele meiden,
Bis Todesengel mild den Schleier breiten.

Und glücklich Lieben?! Gift vielleicht auch dieses,
Doch während jenes in der Hölle sproßte,
Im peinerfüllten wilden Flammenbade,

Entsteiget dies dem süßesten der Moste,
Und tötet's auch das Gift des Paradieses,
Habt, Götter, Dank in hehrer Ambrosiade.


XIV.
Habt, Götter, Dank in hehrer Ambrosiade,
Im Lobgesang, der Euch zu ehren steiget
Zur Höh' empor, wenn huldvoll Ihr gezeiget
Euch Euren Kindern. Ohne Eure Gnade,

Wie wär' das Dasein, ach, so trüb und fade!
Ihr war't dem Baum, der grünet, blüht und zweiget,
Im Perlentau, im Sonnengold geneiget
Und wollt auch nicht, daß uns ein Gram belade.

Zu schaffen Weh lag nie in Eurem Sinne;
Strebt doch die Liebe immer zu vereinen,
So fügtet Ihr's. Ja, endlich überwunden

Wird jede Kluft, mocht's auch unmöglich scheinen,
Und goldig winkt das hohe Glück der Minne
Wenn sich ein Herz dem Herzen engverbunden.


XV.
(Meistersonett)
Wenn sich ein Herz dem Herzen engverbunden,
Gewinnet höher'n neuen Wert das Leben.
Ein ziellos frommbefriedetes Ergeben,
Ein himmlisch Glück, dem Götterreich entwunden!

O Liebe - Born, zu heilen, zu gesunden,
Von Göttergunst der Sterblichkeit gegeben -
Hienieden gibt's nichts Besseres daneben,
Du, schmerzenswunde Brust, Du hast's empfunden!

Um zu ersehntem Ziel uns zu geleiten,
Durch Prüfungen zu unserm Heil und Segen,
Bedient das Schicksal sich verschlung'ner Pfade.

Nach Sturmgebraus' lacht doch uns Licht entgegen,
Auf Erden schon des Himmels Seligkeiten -
Habt, Götter, Dank in hehrer Ambrosiade!

Aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885 (S. 343-347)
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