Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Karl Kraus
(1874-1936)



Das zweite Sonett der Louise Labe

O schöne Augen, Blicke abgewendet,
o Seufzer, Klagen, o vergossne Thränen,
o dunkle Nächte, die durchwacht mein Wähnen,
o lichter Tag, vergebens mir verendet!

O Trauer du, da Sehnsucht stets verweilt,
o alle Übel wider mich bereitet,
o tausend Tode rings um mich gebreitet,
o Ewigkeit der Qual, da Zeit enteilt!

O Geigenton des Leids, Musik im Schmerz,
o Lächeln, Stirn und Haar, o edle Hand -
zu viele Flammen für ein armes Herz!

Weh dir, der alle diese Feuer trägt,
daß du sie an mein Leben hast gelegt,
und bleibst von jedem Funken unverbrannt!
(S. 242)

Nach dem Original und einer vorhandenen Übertragung.

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Dank

Was weiß die Welt, wie Weiber sich erwärmen!
Mit seinem Maß nur mag der Mann sie messen,
was drüber ist, verachten und vergessen,
und was darunter, minniglich umschwärmen.

Moral des Mangels will die Lust verhärmen
und bindet sie an Normen und Intressen;
läßt sie sich ins Prokrustesbett nicht pressen
fängt jener ob der Größe an zu lärmen.

O Welt, die niemals zu der Quelle dringt,
durch die sie lebt - an jedem Tage neuer
empfängt der Geist sie und das Werk gelingt!

Dich Gnadenvolle fühl' ich ungeheuer,
der meine Seele in Äonen singt.
Ich stürze mich in deine Abenteuer!
(S. 348)
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Du bist so sonderbar in eins gefügt

Du bist so sonderbar in eins gefügt
aus allem, was an allen mir behagte.
Du hast etwas von einer, die belügt,
und von der andern, die die Wahrheit sagte.

Du hast den Blick, der mir zum Glück genügt,
die Stimme, die es fühlte und nicht sagte;
begrenzt wie die, an die der Wunsch sich wagte,
unendlich an Erfüllung angeschmiegt.

Die Züge der Besiegten, die besiegt,
sind Spiegel aller Wonne, die mich plagte
und allen Zwistes, der am Herzen nagte,

und daß ich mich vergnügte und verzagte,
und wie ich im Gewinn Verlust beklagte
von Federleichtem, das ein Leben wiegt.
(S. 446)
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Und liebst doch alle, liebt dich einer so

So brauchst du niemand außer dir zu lieben
und liebst doch alle, liebt dich einer so.
Und länger weilt der Augenblick, wo hüben
dein Auge blickt, der Ewigkeiten froh.

Und Freudenfeuer brannten lichterloh,
als ich aus jenes Zweikampfs Kräftemessen
in deine unbesiegte Ohnmacht floh,
und Wissen sank in seliges Vergessen.

Sag mir die Landschaft, die dein Auge sah,
da du dir nichts und alles ließt gefallen,
und welcher Himmelskörper war dir nah?

Und welche Sphäre hörtest du erschallen?
Denn außer dir war nichts zur Liebe da,
und sie war nicht von einem, nur von allen.
(S. 448)
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Aus: Karl Kraus Worte in Versen
Siebenter Band der Werke von Karl Kraus
Herausgegeben von Heinrich Fischer
Kösel Verlag München 1959


 

 

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