Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Heinrich Leuthold
(1827-1879)



Aus Genua

II.
Denkst du des Abends noch, des zauberischen,
Der uns so süß vergieng und ach! so flüchtig
In jener Kirche, wo uns eifersüchtig
Die Heiligen ansah'n aus ihren Nischen?

Und als du später wiederkehrtest zwischen
Den lästigen Verwandten, ernst und züchtig,
Wie eilt' ich, mich, dein rauschend Kleid nur flüchtig
Zu streifen, mit den Betenden zu mischen!

Doch, o des Glücks! da, täuschend die Begleiter,
Du mir die süßen Zeilen zugeschoben
Und Andacht heuchelnd langsam schrittest weiter.

Die Töne stiegen von dem Chore droben
Herab, wie Engel auf der Himmelsleiter; -
Doch meine Seele flog entzückt nach Oben.
(S. 143-144)
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Dämmerung

Wie lieb' ich jene Zeit, wenn schwach und schwächer
Der Tag verhallt mit seinen lauten Stimmen,
Und wenn im Grau der Dämmerung verschwimmen
Bastei und Aquaedukt und flache Dächer! -

Denn, wenn die Nacht ausspannt den dunkeln Fächer,
Darin der Sterne Diamanten glimmen,
Wenn Nachtigallen zum Gesange stimmen,
Dann, scheuen Schritts, verläßt du die Gemächer.

Ich aber harre dein, wo unter düstern
Weinranken, die die laue Nachluft würzen,
Mich Marmorsphynxen anseh'n weiß und lüstern,

Bis du dich nah'st, in meinen Arm zu stürzen,
Und fester nur mit deinem süßen Flüstern
Des eig'nen Lebens Räthsel mir zu schürzen.
(S. 145)
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An -.

Einst hab' ich fest an meine Kraft geglaubt.
Wie hat der Ehrgeiz diese Brust durchwühlt!
Die Schläfe hab' ich pochen oft gefühlt,
Als wäre sie von einem Kranz umlaubt.

Der grüne Baum der Hoffnung ist entlaubt.
Die Liebe ist's, die jetzt die Ruh' mir stiehlt,
Wenn deine weiße Hand die Stirn mir kühlt
Und in dem Schooß dir liegt mein krankes Haupt.

Wohl fahr' ich wie im Traume oft empor:
"Verträumt die Jugendzeit, die hinter mir -
Wie weit das Ziel, das ich mir einst erkor!"

Doch schau' ich in dein lieblich Auge dir,
Dann miss' ich gern die Welt, die ich verlor; -
Ich habe dich, den Himmel ja dafür!
(S. 151)
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Ein Wort

Ein ganzer Himmel war mir einst beschieden,
Als deinen schönen Leib mein Arm umfangen;
Der Frühling blühte und die Lerchen sangen,
Und in dies heiße Herz ergoß sich Frieden.

Ein einzig Wort, - o hättest du's vermieden! -
Du sprachst es aus und alle Bande sprangen,
Die liebend uns're Seelen einst umschlangen,
Und ach! - auf ewig sind wir nun geschieden.

Zwar wird auf mich, den fürder Nimmerfrohen,
Noch manche Qual der heißen Sehnsucht lauern,
Bis dein geliebtes Bild mir ganz entflohen.

Einsam, verwaist wird meine Seele trauern,
Vergleichbar jenen Blumen, die beim rohen
Berühren in sich selbst zusammenschauern.
(S. 153)
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An -.

Wie in den Abgrund sieht ein Kind mit Zagen,
So sieh' dies Herz, zerrissen und voll Wunden,
Ein Herz, das einst das höchste Glück empfunden;
Komm', sieh'! und lern' dein eigen Leid ertragen.

Sieh' diesen Geist, der einst in schönern Tagen
So hoch gestrebt, so stolz und ungebunden,
Im Staube nun, vom Schicksal überwunden,
Wie eine Eiche, die der Blitz erschlagen. -

Und wirst du einst in spätern Zeiten dich,
Ausruhend an des Glückes klaren Quellen,
Entsinnen meiner, der dir längst verblich:

Dann, wie um Leichensteine Immortellen,
Dann werden zur Erinnerung an mich
Sich Thränen deines Mitleids wohl gesellen. -
(S. 154)
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Aus: Gedichte von Heinrich Leuthold
Dritte vermehrte Auflage
Frauenfeld Verlag von J. Huber 1884


 

 

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