Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Rudolf Marggraff
(1805-1880)


Der Todten Bitte

Auf blasse Lilie in der Blumen Mitte
Rann heiß und schwer der Augen Thränenquelle,
Die Trauersprache meiner Herzenszelle
Zerschellt' an der Geliebten welker Hütte.

Da tönt' zu mir der Todten holde Bitte:
"Du, Weiner, sprich, was rinnt der Thränen Welle,
Unaufgehalten, auf des Sarges Schwelle?
Die Thränen rinnen nicht nach Himmelssitte!

Noch lieb' ich dich, wie sonst, nur innig reiner,
Dich mild umschwebend im erneuten Hoffen
Und in Erinn'rung liebender Begrüßung.

Die Thrän' entehrt dich, schmerzumhüllter Weiner;
Das heit're Auge sieht den Himmel offen,
Sucht in Erinn'rung heil'ger Trauer Büßung!"
(S. 100)
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Der Liebe Wundergaben

Der Liebe Macht und zauberisches Walten
Hatt' mir des Lebens Heiligthum erschlossen;
Da sah ich Blüten unverwelklich sprossen,
Wie auch Natur mocht' winterlich veralten.

Des Geistes Fülle, der Tugend Lustentfalten,
Verständ'ger Ernst, von Liebesreiz umflossen,
Muth und Vertraun, des eignen Werths Genossen,
Der Frömmigkeit verklärende Gewalten:

Das sind die Blüten, die Erinn'rung breitet
Auf trüber Gegenwart erblich'ne Fluren; -
Der Blumengarten liegt schon längst begraben.

Schon seh' die Blüten ich zur Frucht bereitet,
Zu Thaten werden der Erinnrung Spuren, -
Das sind der Liebe reiche Wundergaben!
(S. 103)
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Vergebliches Suchen

Ich fragt' den Baum mit seinen Düfteblüten,
Ich rief den Wolken dort im Nachtgewande,
Hin zu der Rose ich die Klagen sandte,
Und Wolken, Baum und Rose mich erriethen.

Im Thränenguß die Blüten niedersprühten,
Die Wolken netzten trauernd alle Lande,
Des Thaues Tropfen an der Rose Rande
Mitleidig lindern sie des Herzens Wüthen.

Das Reh, gefragt, wollt' mir nicht Antwort geben;
Die Nachtigall ergoß die bittern Klagen,
Der Schwan zog seufzend durch des Sees  Fluthen.

Wo weilst du, Heißgeliebte, du, mein Leben,
Um die so Pflanz als Thiere Kummer tragen?
Komm' und vertilg' der Sehnsucht Feuergluthen!
(S. 125-126)
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Aus: Gedichte von Rudolf und Hermann Marggraff
Zerbst 1830 Gedruckt und in Commission
bei Gustav Adolph Kummer




 

 

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