Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Eduard Mörike
(1804-1875)



Am Walde

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase liegen;
Er scheint das Tal gemächlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.

Da ist mir wohl, und meine schlimmste Plage,
Den Fratzen der Gesellschaft mich zu fügen,
Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,
Wo ich auf eigne Weise mich behage.

Und wenn die feinen Leute nur erst dächten,
Wie schön Poeten ihre Zeit verschwenden,
Sie würden mich zuletzt noch gar beneiden.

Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten
Sich wie von selber unter meinen Händen,
Indes die Augen in der Ferne weiden.
(S. 122)
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Zu viel

Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.

Am Dorfeshang, dort bei der luftgen Fichte,
Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen -
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!

Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!

Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!
Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.
(S. 123)
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An Luise

Ich sehe dich mit rein bewußtem Willen
Gelassen dich in deinem Kreis bewegen,
Noch sanft durchglüht vom letzten Vatersegen,
Mit Heiterkeit des Tages Pflicht erfüllen.

Du magst so gerne unbelauscht im stillen
Die zarten Blüten deines Geistes pflegen
Und kindlich, um das höchste Wort verlegen,
Den Reichtum deiner tiefern Brust verhüllen.

Wer so dich kennet, ja, der glaubt aufs neue,
Daß Unschuld, Wahrheit, Demut, fromme Treue
Noch immer nicht von dieser Erde schieden.

Doch wenn es wahr ist, daß ein göttlich Walten
Den schönsten Kranz der Tugend vorbehalten -
Wer wäre würdig, dir ihn darzubieten?
(S. 260-261)
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Nur zu!

Schön prangt im Silbertau die junge Rose,
Den ihr der Morgen in den Busen rollte,
Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,
Sie ahnet nichts vom letzten Blumenlose.

Der Adler strebt hinan ins Grenzenlose,
Sein Auge trinkt sich voll von sprühndem Golde;
Er ist der Tor nicht, daß er fragen sollte,
Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.

Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,
Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich;
Wer will zu früh so süßem Trug entsagen?

Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?
Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,
Denn all ihr Glück, was ists? - ein endlos Wagen!
(S. 123-124)
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[An Luise]

Wahr ists, mein Kind, wo ich bei dir nicht bin,
Geleitet Sehnsucht alle meine Wege,
Zu Berg und Wald, durch einsame Gehege
Treibt mich ein irrer, ungeduldger Sinn.

In deinem Arm! o seliger Gewinn!
Doch wird auch hier die alte Wehmut rege,
Ich schwindle trunken auf dem Himmelsstege,
Die Gegenwart flieht taumelnd vor mir hin.

So denk ich oft: dies schnell bewegte Herz,
Vom Überglück der Liebe stets beklommen,
Wird wohl auf Erden nie zur Ruhe kommen;

Im ewgen Lichte löst sich jeder Schmerz,
Und all die schwülen Leidenschaften fließen
Wie rosge Wolken, träumend, uns zu Füßen!
(S. 245)
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Liebesglück

Wenn Dichter oft in warmen Phantasien,
Von Liebesglück und schmerzlichem Vergnügen,
Sich oder uns, nach ihrer Art, belügen,
So sei dies Spielwerk ihnen gern verziehen.

Mir aber hat ein gütger Gott verliehen,
Den Himmel, den sie träumen, zu durchfliegen,
Ich sah die Anmut mir im Arm sich schmiegen,
Der Unschuld Blick von raschem Feuer glühen.

Auch ich trug einst der Liebe Müh und Lasten,
Verschmähte nicht den herben Kelch zu trinken,
Damit ich seine Lust nun ganz empfinde.

Und dennoch gleich ich jenen Erzphantasten:
Mir will mein Glück so unermeßlich dünken,
Daß ich mir oft im wachen Traum verschwinde.
(S. 122-123)
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An die Geliebte

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.
(S. 124)
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Aus: Eduard Mörike Sämtliche Werke in vier Bänden.
Erster Band: Gedichte. Carl Hanser Verlag München 1981
(Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Herbert G. Göpfert)


 

 

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