Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Richard Oehring
(1891-1940)



Insel der Kalypso

Einsame Brücken schreiten stumm und schwer
hinaus und brechen ab im Ungewissen.
Der nackte Strand stürzt fahl sich in das Meer.
Die Möven schreien in den Finsternissen.

Auswandrerschiffe tosen durch die Nacht.
Ein dumpfer Fernesang. Ein Abschiedslallen.
Ein wirrer Trupp stürmt rasend wie zur Schlacht
ins Meer, aus dem noch seine Lieder schallen.

- So weh tut deiner bangen Lügen Qual.
Um Augen, die zermartert sehen müssen,
wirfst wie im Spiele du mir deinen Schal.

Halt mich. Ich bin so krank und ohne Wehr.
Verdammt und fort - ersticke mich in Küssen.
Hör doch - es brüllt nach mir das kalte Meer.

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
Nr. 48 Jahrgang 1912 (S. 1518)
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Verwandlung

Wie Himmelsschlüssel blühten die Laternen -
wie war es leicht, dem Kindlichen, zu schwärmen,
Fontänen sangen laut durch alles Lärmen,
die silbern schwebten, klingende Cisternen.

Nah waren alle sich wie Liebespaare,
Wie kranke Kinder waren die Kokotten.
In Strassen ging ich wie in Strahlengrotten
und grüsste gläubig alles Wunderbare.

Ich wills nicht fassen: alles ist zerstört.
Ich trage kaum noch meine Erdenschwere.
Ich fühle dumpf: Du hast mich nicht erhört.

Die sanften Abende sind nun entthront.
Zum Himmel schleudern Türme freche Speere.
Aus tiefen Wunden rinnt der rote Mond.

Aus: Die Aktion Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur
Herausgegeben von Franz Pfemfert
Nr. 48 Jahrgang 1912 (S. 1518)
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