Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Louise Otto
(1819-1895)



Sonette

I.
Du weißt, wie ich in meiner Kindheit Tagen,
Die wie ein Märchen traumdurchwebt verronnen,
Ein hohes Bild den Dichtern abgewonnen,
Die mich erquickt mit ihren Heldensagen.

Ein Ritter, der die Laute bald geschlagen,
Und bald das Schwert geführt, kühn und besonnen,
Mit goldnem Haar und blauer Augen Bronnen -
Es war Dein Bild, das ich in mir getragen!

Wie ich Dich sah - da stand es vor mir wieder,
Verwirklicht waren die Heroen-Lieder,
Die ich als Spiel der Phantasie verklagt.

Fast sank die stolze Jungfrau vor Dir nieder,
Und daß Du selbst ihr Deine Lieb' gesagt,
Das hatte sie zu denken nie gewagt!


II.
Entsetzt lag ich vor Deinen Eisengittern,
Weil ich umsonst gestrebt Dich zu erretten,
Indes sie Dich auf hartem Pfühle betten.
Trank ich den Kelch der Leiden still, den bittern.

Doch hört ich auf zu bangen und zu zittern,
Wallfahrend zog ich zu den Kerkerstätten,
Und Liebes-Rosen wandt ich in die Ketten,
Und Sonnenaufgang folgte den Gewittern.

Ein neuer Himmelsruf war mir ergangen:
Den Heldenkämpfer, der so lang gefangen.
Empor ob allem irdschen Leid zu heben,

Ich durft ihn aus dem Kerker nicht befreien,
Ich durfte mehr: den Kerker selber weihen,
Dem Dichtergeiste neue Schwingen geben.


III.
Mir ist so froh, mir ist so leicht zu Sinnen,
Und doch trennt uns des strengen Kerkers Gitter,
Und zeigt mir ganz, wie das Geschick so bitter,
Das mich nach kurzem Gruße treibt von hinnen.

Das ist die Macht im selig süßem Minnen,
Wie es mit Dir mich eint, mein holder Ritter!
Da wird der Schmerz zum fliehenden Gewitter
Von dem die Fluren Segen nur gewinnen!

Der Himmel über uns er bleibt uns offen,
Die Sonne bleibt in ihrem Glanze thronen,
Und Märzenluft, die kündet Frühlingszeit!

Drum laß nicht ab vom Gottvertraun und Hoffen:
Der Liebe schönste Paradieseszonen
Erwarten uns noch so viel Qual und Leid!


IV.
O sage nicht, daß draußen Lenz und Leben
Und Glück und Freiheit ihr Panier entfalten,
Ich sah die Welt sich anders ganz gestalten
Seit diese Kerkermauern Dich umgeben!

Laß mich auf Flügeln an Dein Gitter schweben -
Die Menschheit ist was wir von ihr gehalten;
Hoch ob uns allen herrscht des Schöpfers Walten,
Der heute stürzt und morgen kann erheben!

Doch über allen Hader unermessen,
Der noch die Welt zerwühlt mit spitzen Waffen
Vom Sonnenaufgang bis zum Niedergange:

Ward doch das ew'ge Werde nicht vergessen,
Das jedem Herzen seine Welt erschaffen.
"Ich liebe Dich!" spricht es im Jubelklange.
(S. 156-158)
_____


Dem Befreiten. 1856

I.
Ich hatte keine Thaten, nur Gebete,
Ich war nur groß im Dulden und Ertragen,
Ich wußt' es nur: ich durfte nicht verzagen,
Gott war mit uns, zu dem ich brünstig flehte.

Da kam ein Tag, an dem sein Odem wehte,
Der Freiheit Himmelsstunde ließ er schlagen,
Daß wir einander Herz am Herzen lagen
Und Jubelseufzer waren unsre Rede.

O süße Wonne! seliges Genießen
Nach treuem Harren, Dulden und Entbehren -
Welch Triumphieren, daß wir nie uns ließen!

Wie könnten wir den Freudenthränen wehren,
Die Aug' in Aug' beseligt niederfließen
Und so die Macht, die uns beschützt, verehren?


II.
Wir werden, Herz an Herz, Gedichte leben,
Wenn dieser Trennung herbe Qual bezwungen!
So hofften wir, da wir im Leid gerungen,
Uns nur begrüßt, getrennt von Eisenstäben.

Sonette leben! o die Reime weben,
Sich ja von selbst, so bald wir uns umschlungen,
Um in der Liebe süßen Huldigungen,
Wie Reim um Reim, uns Kuß um Kuß zu geben.

Vor Kerkerthüren hab' ich sonst gestanden,
Auf Deinen Anblick harrend voller Bangen,
Zerdrückte Thränen auf den bleichen Wangen.

Heut aber bin ich selbst in Deinen Banden,
Mit starken Armen hältst Du mich umfangen,
Und nach der Freiheit trag' ich kein Verlangen!


III.
Am Geburtstag 4. März
Die erste Lerche hört' ich draußen singen
Wohl manchmal schon an diesem Weihetage,
Und immer war's, als ob sie selbst noch frage:
Werd' ich schon jetzt den schönen Frühling bringen.

Und immer war's, als ob auf ihren Schwingen
Sie nähme meinem Herzen jede Klage,
Und weit hinweg in alle Lüfte trage,
Als Jubelhymnus nur zurück zu klingen!

Doch anders heut - als ich ihr Lied vernommen
Erklang es gleich als jauchzender Päan:
Nun ist der Lenz schon wirklich angekommen.

So zuversichtlich ist mir heut zu Sinnen,
Daß diese Lenzverkündigung kein Wahn,
Daß er schon kam und daß ich mitten drinnen.
(S. 159-161)
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Was ist die Liebe denn?

I. Frage
"Was ist die Liebe denn?" - "Was ist das Leben?"
Mag es zurück als Gegenfrage hallen -
So lang kein Liebesstrahl darauf gefallen,
Ist's eines Chaos nebelhaftes Weben.

Siehst Du die Sonne leuchtend sich erheben
Und alle Nebel schwindend niederwallen?
Hörst Du der Lerche Morgensang erschallen
Und siehst sie jubelvoll gen Himmel schweben?

Willst Du ihr folgen in das Licht der Sonnen?
Willst Dich mit ihr im blauen Aether wiegen,
Bis Deinem Blick die Erde ganz zerronnen?

Wohl ist die Lieb' solch jubelnd Aufwärtsfliegen,
Doch - daß der Himmel für das Herz gewonnen:
Das ist der Gottheit Zeichen, drinn wir siegen!


II. Antwort
Weil nun die Lieb' mir alle, alle Poren
Des Herzens füllt, weil sie mich ganz durchdrungen
Fragst Du: ob ich noch gern wie sonst gesungen,
Da ich alleinzig mich der Kunst verschworen?

Die Liebe, die mich also ganz erkoren,
Wähnst Du, hab' wie ein starker Geist bezwungen
Den guten Genius mit Feuerzungen,
Der früher einzog zu der Seele Thoren?

Ein Engel ist sie, der vom Himmel kommen,
Die sel'ge Offenbarung mir zu bringen:
Lieb' und Gesang sind ewig eins geblieben.

Und einer Täuschung hat er mich entnommen:
Sonst wußte ich von Liebe nur zu singen,
Jetzt sing' ich, weil ich innig weiß zu lieben.
(S. 232-233)
_____



Ich bin bereit
(Geschrieben zur Zeit einer Epidemie 1871)

I.
Ich bin bereit! willst Du hinweg mich rufen
Von dieser Erde, nimm, mein Gott, mich hin.
Der Tod ist meiner Seele nur Gewinn:
Er führt empor zu neuen Lebensstufen.

Die mächt'gen Schöpferworte, die mich schufen,
Die mich erfüllt mit selbstbewußtem Sinn -
Sie werden seit der Welten Anbeginn
In einem ew'gen Echo fortgerufen.

Sie tönen, wirken fort ohn' End', ohn' Ende,
Rings in dem Riesenpulsschlag der Natur,
Als immer neuverjüngte Lebensspende.

Und über mir, im himmlischen Azur,
Dort, wo auch meines Geistes Sonnenwende,
Kann nicht verwehen ihre heil'ge Spur.


II.
Ich bin bereit! - wohl war es schön hienieden,
Als mir bei Veilchenduft und Lerchenschlag,
An manchen sonnenhaften Frühlingstag
Ein innig Lied zu singen selbst beschieden.

Und schön auch, wenn nach Stürmen, nie gemieden,
Nach einem Wetter, das in Blitzen sprach,
Hervor ein bunter Regenbogen brach,
Verkündend einen neuen Sabbatfrieden.

Schön war's, wenn bei des Mondes mildem Leuchten,
Und bei der Nachtigallen süßem Sang,
In tiefer Sehnsucht sich die Augen feuchten.

Und schöner, wenn in der Begeistrung Drang
Sich Herz und Seel' dem Ew'gen nahe deuchten -
Doch - wenn dies sterbend nun erst ganz gelang?


III.
O schönes Leben, das der Liebe Bande
Um mich mit allen ihren Zaubern wob!
Ein trauter Arm mich in den Himmel hob
Und Herz an Herz im süßen Feuer brannte.

Ja! Liebe wird zum Himmels Unterpfande!
Ob Sturm und Blitz die Myrthe auch umtob,
Ob auch die schönste Rose noch zerstob -:
Die Liebe ist des Ew'gen Abgesandte.

Wenn Seel' und Seele sich verwandt erkennen?
Ob wir es Freundschaft, ob wir's Liebe nennen,
Es ist ein Zeichen unsrer Göttlichkeit.

Und wenn die Geister sich vom Ird'schen trennen -
Wo ist für rechte Liebe denn das Leid?
Dort ist der Liebe Reich - ich bin bereit!


IV.
Ein Ziel, ein hohes, hatt' ich mir erkoren,
Ihm weiht ich mich mit allem was ich bin:
Die Freiheit nahm mich auf als Priesterin,
In ihrem Dienst hielt ich, was ich geschworen.

Und war's ein Spott, den Klugen wie den Thoren,
Ehrt' in der Frau ich auch die Bürgerin:
Klar blieb und fest und unbeirrt mein Sinn,
Nie hab' ich mich von meinem Weg verloren.

Das Ewige, sich hier schon offenbarend
In Lenz und Liebe und im Freiheitsdrang,
Bis in den Tod in meiner Brust bewahrend.

Und wie ich oft schon ahnend auf mich schwang,
Nicht Müh' und Not noch jähen Sturz befahrend,
Bin ich bereit zu meinem letzten Gang!
(S. 270-272)
_____

Aus: Louise Otto Mein Lebensgang:
Gedichte aus fünf Jahrzehnten. Leipzig: Schäfer 1893



 

 

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