Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




August Graf von Platen
(1796-1835)



Allein im stillen völlig sich beglücken
Und sich verstehn, wenn Tausende zugegen,
Vorüber an einander sich bewegen,
Und so verstohlen sich die Hand zu drücken:

Dann mit den Blicken weilen voll Entzücken,
Wo tausend Reize drängen sich entgegen,
Auf Stirn und Aug und Lippen, die sich regen,
Und auf des schönen Wuchses Meisterstücken:

Nicht schnöd von Durst nach Liebe hingerissen,
Vielmehr der Gunst versichert, wechselseitig,
Umfassen sich mit ruhigem Gewissen;

Um nichts Besorgnis hegen anderweitig,
Und hoffen, nie was man gewann zu missen:
Dies Glück ist mein, das macht mir Keiner streitig!
(S. 413-414)
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Als ich gesehn das erste Mal dich habe,
Schienst du mir schön, wiewohl von Stolz befangen,
Die Stimmen tönten und die Gläser klangen,
Und bald verschwandst du wieder, schöner Knabe!

Indessen griff ich nach dem Wanderstabe,
Doch blieb ein leiser Wunsch im Herzen hangen,
Und Schneelawinen gleichet das Verlangen,
Es wächst und wächst, damit es uns begrabe.

Dann ward ich, als ich wieder dich gefunden,
Und mehr und mehr gelernt, dich treu zu lieben,
Aufs neu getrennt von dir und neu verbunden.

So hat das Glück uns hin und her getrieben
Im Wechseltrug der wandelvollen Stunden,
Und nur dein Stolz und deine Schönheit blieben.
(S. 412)
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XL.
Auch du betrügst mich, da von allen Seiten
Ich mich betrogen weiß und hintergangen,
Du füllst mein Herz mit brennendem Verlangen,
Und meinen Gaumen an mit Bitterkeiten.

Was nur dem Feinde mag der Feind bereiten,
Hab ich von dir als Freundeslohn empfangen,
Ich aber lasse deinen Namen prangen,
Und überliefre dich dem Lob der Zeiten.

Bei diesem Tau, der mir im Auge flimmert,
Noch geb ich deine Liebe nicht verloren,
Wie sehr dein Herz sich gegen mich verschlimmert!

Dich hat zum Spiegel sich der Lenz erkoren,
Die Jugend lacht auf deiner Stirn und schimmert,
Wie ein Gemisch von Sonnen und Auroren!
(S. 388-389)
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XLIX.
Bewunderung, die Muse des Gesanges,
Gebeut mir stets, daß ich das Höchste preise.
Drum rühmt ich Künstler, Fürsten, Fraun und Weise,
Dem Zuge folgend eines großen Hanges.

Dich nenn ich nun die Seele dieses Dranges,
Den sonn'gen Gipfel meiner Lebensreise,
Den Mittelpunkt, um den ich lobend kreise,
Bestrickt vom Schwindel des Planetenganges.

Doch wenn vor Liebe deine Worte beben,
O so verleihst du, Freund! mir mehr in diesen,
Als meiner Kunst beschieden ist zu geben.

Zwar hat auch dir die Welt sich hold erwiesen;
Denn schöner stirbt ein solcher, den im Leben
Ein unvergänglicher Gesang gepriesen.
(S. 393)
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Da kaum ich je an deine Locken streife,
So deucht die stolze Mütze, die dich schmücket,
Die deine krausen Haare niederdrücket,
Beneidenswerter mir als goldne Reife.

Und so beneid ich diese leid'ge Pfeife,
Die deiner Lippen ew'ger Kuß beglücket:
Doch ihrem Rauch, der stets sich uns entrücket,
Gleicht deine Gunst, nach der umsonst ich greife.

Des Stolzes schäme dich, des allzuschroffen,
Und nie mißgönne mir die lock'gen Ringe,
Die du vergönnest jenen toten Stoffen!

Und laß mich, schein ich nicht dir zu geringe,
An dieses Rohres Platz zu treten hoffen:
Dein Sklave bin ich unter dem Bedinge.
(S. 413)
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Daß ich dich liebe, hast du nie vermutet,
Nie konnten's Menschen um uns her beachten:
Mein ganzes Sein ist nur ein stilles Trachten,
Und leise pocht das Herz mir, weil es blutet.

Ob's ruhig in mir, oder ob es flutet,
Teilnehmend wolltest du das nie betrachten,
Und daß die Deinen mich für wenig achten,
Das hat mich oft geschmerzt, doch oft ermutet.

Denn meine Seele strebte warm nach oben,
Und was mir freundlich, feindlich trat entgegen,
Ein Traum erschien mir's, der mich rings umwoben.

Und also will ich auch der Liebe pflegen,
Mit einer Sinnesart, die nicht zu loben,
Doch, die zu schelten, mich bedünkt verwegen.
(S. 409)
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Des Glückes Gunst wird nur durch dich vergeben,
Schön ist die Rose nur, von dir gebrochen,
Und ein Gedicht nur schön, von dir gesprochen.
Tot ist die Welt, du bist allein am Leben.

In diesen Lauben, die sich hold verweben,
Wird ohne dich mir jeder Tag zu Wochen,
Und dieser Wein, den warme Sonnen kochen,
Kann nur aus deiner Hand ein Herz beleben.

Von dir geschieden, trenn ich mich vom Glücke,
Das Schönste dient mir nur, mich zu zerstreuen,
Das Größte füllt mir kaum des Innern Lücke.

Doch drückst du mich an deine Brust, den Treuen,
Dann kehrt die Welt in meine Brust zurücke,
Und am Geringsten kann ich mich erfreuen.
(S. 375)
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XV.
Dich oft zu sehen, ist mir nicht beschieden,
Und ganz versagt ist mir, zu dir zu kommen,
Dir selten zu begegnen und beklommen
Dich anzuschaun, das ist mein Los hienieden.

Doch von dir träumen, dichten, Plane schmieden,
Um dir zu nahn, das ist mir unbenommen,
Das soll, so lang es frommen will, mir frommen,
Und mit so Wen'gem stell ich mich zufrieden.

Denn ach! ich habe Schlimmeres ertragen,
Als dieses Schlimme jetzt, und duld ergeben,
Statt heft'ger Qual, ein süßes Mißbehagen.

Mein Wunsch, bei Andern, zeugte Widerstreben:
Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen
Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!
(S. 376)
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LVI.
Die Liebe scheint der zarteste der Triebe,
Das wissen selbst die Blinden und die Tauben,
Ich aber weiß, was wen'ge Menschen glauben,
Daß wahre Freundschaft zarter ist als Liebe.

Die Liebe wird mit feurigem Betriebe
Sich in sich selber zu verzehren schnauben;
Doch meines Freundes kann mich nichts berauben,
Bis nicht ich selbst in leichten Staub zerstiebe.

Er zeigt mir Kälte nur und Übelwollen,
Er spottet mein, er hat mich längst vergessen,
Doch dacht ich nie daran, mit ihm zu grollen.

Nie wird er meine Hand in seine pressen,
Stets aber werd ich neues Lob ihm zollen,
Und was man lobt, hat man im Geist besessen.
(S. 396-397)
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Die Wälder hab ich wieder liebgewonnen,
Seit ich dein Bild in meinem Busen trage:
Wie schön ist's, auszuatmen leise Klage,
Von hoher Schatten grünem Netz umsponnen!

Es leiht mir Einsamkeit erneute Wonnen,
Die eingebüßt ich diese vor'gen Tage;
Denn wessen Leben ohne Liebesplage,
Der lebt's im Schwarm der Menschen unbesonnen.

Nun hab ich satt dies Hinundwiederlaufen,
Denn, wahrlich, leise nur von dir zu träumen,
Ist mehr als handeln mit dem großen Haufen!

O könnt ich erst, anstatt in schatt'gen Räumen
Zu wandeln dein gedenk, das Glück erkaufen,
Mit dir zu ruhen unter diesen Bäumen!
(S. 415)
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XLII.
Du liebst und schweigst - O hätt ich auch geschwiegen,
Und meine Blicke nur an dich verschwendet!
O hätt ich nie ein Wort dir zugewendet,
So müßt ich keinen Kränkungen erliegen!

Doch diese Liebe möcht ich nie besiegen,
Und weh dem Tag, an dem sie frostig endet!
Sie ward aus jenen Räumen uns gesendet,
Wo selig Engel sich an Engel schmiegen.

Drum laß des Wahns mich, daß du liebst, mich freuen,
Damit die Seele nicht mir ganz veröde,
Und meinen Glauben möge nichts zerstreuen!

O Glück, verweigre nicht mir allzuschnöde
Den Tag, an welchem seinem Vielgetreuen
Die ganze Seele zeigt der schöne Spröde!
(S. 389-390)
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LII.
Du prüfst mich allzuhart. Von deiner Senne
Kommt Pfeil auf Pfeil in meine Brust geflogen:
Du hast mir mehr als Einen vorgezogen,
Den ich als Körper ohne Seele kenne.

Doch während ich in deiner Flamme brenne,
Bekämpf ich stets in mir die stürm'schen Wogen,
Damit ich zürnend nicht und oft betrogen
Mit einem bittern Namen dich benenne!

O nein, Geliebter! Keine Klage schände,
Von schwarzem Unmut weibisch hingerissen,
Den liebenswürdigsten der Gegenstände!

Wenn meiner Freundschaft nie du dich beflissen,
War mein die Schuld: man beut ja nicht die Hände
Zum Bunde bloß, man muß zu fesseln wissen.
(S. 394-395)
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LI.
Entschuldigungen wirst du kaum bedürfen,
Wenn du mich liebst; es kann dich nicht erniedern:
Verlieren würden in der Gunst der Biedern,
Die meine Gunst mir vor die Füße würfen.

Ich würde viele Freunde zählen dürfen,
Wenn ich die Freundschaft aller könnt erwidern,
Auch der Entfernten, welche bloß aus Liedern
Die ganze Flamme meiner Seele schlürfen.

Ein warmes Herz, und wenn auch du mit herben,
Gehässigen Geschossen nach ihm zielest,
Muß doch sich manchen warmen Freund erwerben!

Du aber, der du jetzt den Harten spielest,
Laß einst mich nur an deinem Busen sterben,
Und schließ ein Auge, dem du wohlgefielest!
(S. 394)
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XLVII.
Es sei gesegnet wer die Welt verachtet,
Denn falscher ist sie, als es Worte malen:
Sie sammelt grausam unsern Schmerz in Schalen,
Und reicht zum Trunk sie, wenn wir halb verschmachtet.

Mir, den als Werkzeug immer sie betrachtet,
Mir preßt Gesang sie aus mit tausend Qualen,
Läßt ihn vielleicht durch ferne Zeiten strahlen,
Ich aber werd als Opfertier geschlachtet.

O ihr, die ihr beneidetet mein Leben,
Und meinen glücklichen Beruf erhobet,
Wie könnt in Irrtum ihr so lange schweben?

Hätt ich nicht jedes Gift der Welt erprobet,
Nie hätt ich ganz dem Himmel mich ergeben,
Und nie vollendet, was ihr liebt und lobet.
(S. 392)
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Glaub mir, noch denk ich jener Stunden stündlich,
Wo ich zum erstenmale dir das zarte
Geheimnis deines Sieges offenbarte,
Im Liede kühn, allein verlegen mündlich.

Dein jetz'ger Wille scheint mir unergründlich:
Weil jene Schüchternheit sie nicht bewahrte,
Hör ich dich klagen, unsre Lieb entarte,
Und ihr Verlangen nennst du keck und sündlich.

O daß die Blume nicht umsonst verdüfte,
Laß Wang an Wange hier uns ruhn im Düstern,
Und Brust an Brust gedrängt und Hüft an Hüfte.

Horch! wie es säuselt in den alten Rüstern!
Durchschwärmt vielleicht ein Elfenchor die Lüfte,
Wollüstig weichen Brautgesang zu flüstern?
(S. 405-406)
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Ich liebe dich, wie jener Formen eine,
Die hier in Bildern uns Venedig zeiget:
Wie sehr das Herz sich auch nach ihnen neiget,
Wir ziehn davon, und wir besitzen keine.

Wohl bist du gleich dem schöngeformten Steine,
Der aber nie dem Piedestal entsteiget,
Der selbst Pygmalions Begierden schweiget,
Doch sei's darum, ich bleibe stets der Deine.

Dich aber hat Venedig auferzogen,
Du bleibst zurück in diesem Himmelreiche,
Von allen Engeln Gian Bellins umflogen:

Ich fühle mich, indem ich weiter schleiche,
Um eine Welt von Herrlichkeit betrogen,
Die ich den Träumen einer Nacht vergleiche.
(S. 402-403)
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LV.
Ich möchte, wenn ich sterbe, wie die lichten
Gestirne schnell und unbewußt erbleichen,
Erliegen möcht ich einst des Todes Streichen,
Wie Sagen uns vom Pindaros berichten.

Ich will ja nicht im Leben oder Dichten
Den großen Unerreichlichen erreichen,
Ich möcht, o Freund, ihm nur im Tode gleichen;
Doch höre nun die schönste der Geschichten!

Er saß im Schauspiel, vom Gesang beweget,
Und hatte, der ermüdet war, die Wangen
Auf seines Lieblings schönes Knie geleget:

Als nun der Chöre Melodien verklangen,
Will wecken ihn, der ihn so sanft geheget,
Doch zu den Göttern war er heimgegangen.
(S. 396)
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LIII.
Man schilt mich stolz, doch hat mich's nie verdrossen,
Daß ich so wenig dir gefallen habe;
Denn deine blonde Jugend, süßer Knabe,
Verschmäht den melancholischen Genossen.

So will in Scherz ich mich ergehn, in Possen,
Anstatt ich jetzt mich bloß an Tränen labe,
Und um der Fröhlichkeit mir fremde Gabe
Hab ich den Himmel anzuflehn beschlossen.

Zwar dank ich viel dem wohlgelaunten Glücke,
Von dem ich mehr, als ich verdient, empfangen,
Doch nichts, wodurch ich meinen Freund entzücke:

Wer aber gäbe mir die vollen Wangen
Der ersten Jugend und den Glanz zurücke,
Woran allein der Menschen Blicke hangen?
(S. 395)
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XVI.
Nicht aus Begier und aus Genuß gewoben
War unsre Liebe, nicht in Staub versunken:
Nur deiner Schönheit bebt ich wonnetrunken,
Und gütig warst du, gleich den Engeln oben.

Du hattest mich zu dir emporgehoben,
In deinem Auge schwamm ein lichter Funken,
Der Farben schuf, den Pinsel drein zu tunken,
Den reine Dichterhände Gott geloben.

Nun, da ich fern von dir den Tag verbringe,
Erscheinst du der Bewunderung noch reiner,
Je mehr im Geist ich deinen Wert durchdringe.

Ja, immer sehnsuchtsvoller denk ich deiner,
Und legt die Welt mir auch so manche Schlinge,
Du sollst mich nie gefangen sehn in einer.
(S. 376-377)
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XXI.
Nun hab ich diesen Taumel überwunden,
Und irre nicht mehr hier und dort ins Weite,
Mein Geist gewann ein sicheres Geleite,
Seitdem er endlich einen Freund gefunden.

Dir nun, o Freund, gehören meine Stunden,
Du gabst ein Ziel mir nun, wonach ich schreite,
Nach dieser eil ich oder jener Seite,
Wo ich, dich anzutreffen, kann erkunden.

Du winkst mir zu von manchem Weihaltare,
Dein Geist ist ein harmonisches Bestreben,
Und deine sanfte Seele liebt das Wahre.

O welch ein Glück, sich ganz dir hinzugeben,
Und, wenn es möglich wäre, Jahr um Jahre
Mit deinen Engeln, Gian Bellin, zu leben!
(S. 379)
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XLIV.
O süßer Lenz, beflügle deine Schritte,
Komm früher diesmal, als du pflegst zu kommen!
Du bist ein Arzt, wenn unsre Brust beklommen,
Ein milder Arzt von immer sanfter Sitte!

O könnt ich schon in deiner Blumen Mitte,
Wann kaum der Tag am Horizont entglommen,
Bis er ins Abendrot zuletzt verschwommen,
Von Tränen leben, ohne Wunsch und Bitte!

Wann deine helle Sonne flammt im Blauen,
Würd ich, ins Gras gestreckt, nach oben blicken,
Und würde glauben meinen Freund zu schauen!

Geblendet würde dann mein Auge nicken,
Ich würde schlummern, bis die Sterne tauen,
Und mich im Schlaf an seinem Bild erquicken!
(S. 390-391)
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XLVIII.
Qualvolle Stunden hast du mir bereitet,
Die aber nie an dir der Himmel räche,
Sonst müßten fließen deine Tränenbäche,
Wenn von der Lippe dir mein Name gleitet.

Doch bis Gewißheit jeden Wahn bestreitet,
Will gern ich dich, und tät ich es aus Schwäche,
Verteid'gen, Freund! von auf der Oberfläche
Geschöpften Zufallsgründen nie verleitet.

Zwar würd ich kaum dir zum Verteid'ger taugen,
Doch stets bedienst du dich als deiner beiden
Fürsprecher listig meiner beiden Augen:

So lang sie sich an deinem Blicke weiden,
So müssen Liebe sie aus ihm sich saugen,
Du aber lies in ihrem Blick mein Leiden!
(S. 392-393)
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XLVI.
Schön wie der Tag und lieblich wie der Morgen,
Mit edler Stirn, mit Augen voll von Treue,
An Jahren jung und reizend wie das Neue,
So fand ich dich, so fand ich meine Sorgen.

O wär ich schon an deiner Brust geborgen,
Wo ich mich sammle, wenn ich mich zerstreue!
O wäre schon bezwungen diese Scheue,
Die unsern Bund vertagt von heut auf morgen!

Was fliehst du mich? Vermagst du mich zu hassen?
Was quälst du so durch deiner Huld Verschweigung
Den Liebevollen, der sich fühlt verlassen?

Beim ersten Zeichen deiner künft'gen Neigung
Wird eine bange Wonne mich erfassen,
Wie einen Fürsten bei der Thronbesteigung.
(S. 391-392)
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XLV.
Um meinen Schmerz im Stillen zu verwinden,
Such ich nach günst'gem Ort und günst'ger Stunde;
Doch schwebt dein Bild mir stets im Hintergrunde,
Indes die nähern Dinge schnell verschwinden.

Geselligkeit vermag mich nicht zu binden,
Und Einsamkeit ertragen bloß Gesunde:
Denk ich, so schärft des Denkens Pfeil die Wunde,
Und schweif ich müßig, klag ich es den Winden.

Und soll ich je von dieser Pein genesen,
So werde mir, so zeige dich gewogen,
Denn du nur fehlst dem Herzen, teures Wesen!

Ich liebte manchen Freund und ward betrogen;
Doch mag die Welt in diesen Blättern lesen,
Daß ich dich allen Andern vorgezogen.
(S. 391)
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XXXIX.
Wann werd ich dieses Bangen überwinden,
Das mich befällt in deiner lieben Nähe?
Wohin ich geh und mit den Blicken spähe,
Da hoff ich dich und fürchte dich zu finden.

Wie kann ich Furcht vor dir, o Freund, empfinden,
Den ich so gern an meinem Busen sähe?
Erkläre du mir, was so schnell und jähe
Das Blut mir hemmt, den Geist vermag zu binden?

Ist es die Sorge, daß dein Herz mir schweiget,
Daß ich an Klippen deines Stolzes strande,
Der als der Liebe größter Feind sich zeiget?

Ist es die Göttlichkeit so süßer Bande,
Da stets die Liebe, wie vor Gott, sich neiget
Mit heil'ger Furcht vor ihrem Gegenstande?
(S. 388)
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XII.
Was kann die Welt für unser Glück empfinden,
Die kalte Welt mit ihrem falschen Treiben?
Kann sie es fesseln oder es vertreiben?
Kann sie uns trennen oder uns verbinden?

Wir sehn die Dinge rings um uns verschwinden,
Als Dinge, die die Liebe nur umschreiben;
Verborgen muß die wahre Liebe bleiben,
Kein Dritter darf zu dir und mir sich finden.

Sie, die uns wandeln sehn im bunten Schwarme,
Nicht ahnen sollen sie, daß in der Stille
Wir uns verzehren im verliebten Harme.

Vergessen will ich jede fremde Grille,
Wenn dich umschlingen meine frohen Arme,
Und dir allein beugt sich mein Eigenwille.
(S. 374-375)
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IX.
Was will ich mehr, als flüchtig dich erblicken?
Was wär ich, trüg ich heißeres Verlangen?
In welche Netze würd ich, wenn ich hangen
An deinem Auge bliebe, mich verstricken!

Was will ich mehr noch, als ein eilig Nicken?
Es würden deine Worte mich befangen:
Vom Schützen wird ein Vogel rasch umgangen,
Wenn mehr er will, als an der Kirsche picken.

Wohl mögen Reize, die so ganz dein eigen,
Den Wunsch der Sehnsucht in den Andern wecken
Sich dir zu nahn und dir ein Herz zu zeigen.

Ich werde nur, wenn jene sich entdecken,
Vor deiner Schönheit huldigend mich neigen,
Nicht Eine Silbe soll dein Ohr erschrecken!
(S. 373)
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XXX.
Weil da, wo Schönheit waltet, Liebe waltet,
So dürfte Keiner sich verwundert zeigen,
Wenn ich nicht ganz vermöchte zu verschweigen,
Wie deine Liebe mir die Seele spaltet.

Ich weiß, daß nie mir dies Gefühl veraltet,
Denn mit Venedig wird sich's eng verzweigen:
Stets wird ein Seufzer meiner Brust entsteigen
Nach einem Lenz, der sich nur halb entfaltet.

Wie soll der Fremdling eine Gunst dir danken,
Selbst wenn dein Herz ihn zu beglücken dächte,
Begegnend ihm in zärtlichen Gedanken?

Kein Mittel giebt's, das mich dir näher brächte,
Und einsam siehst du meine Tritte wanken
Den Markus auf und nieder alle Nächte.
(S. 383-384)
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Wem Leben Leiden ist und Leiden Leben,
Der mag nach mir, was ich empfand, empfinden;
Wer jedes Glück sah augenblicks verschwinden,
Sobald er nur begann, darnach zu streben;

Wer je sich in ein Labyrinth begeben,
Aus dem der Ausweg nimmermehr zu finden,
Wen Liebe darum nur gesucht zu binden,
Um der Verzweiflung dann ihn hinzugeben;

Wer jeden Blitz beschwor, ihn zu zerstören,
Und jeden Strom, daß er hinweg ihn spüle
Mit allen Qualen, die sein Herz empören;

Und wer den Toten ihre harten Pfühle
Mißgönnt, wo Liebe nicht mehr kann betören:
Der kennt mich ganz und fühlet, was ich fühle.
(S. 410)
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XLI.
Wenn auch getrennt die Körper sind, zu dringen
Vermag zum Geist der Geist, indem er denket;
Wenn meine Seele sich in dich versenket,
So mein ich, müßt es dir im Ohre klingen.

Besäße nicht der Gott der Liebe Schwingen,
Er hätte nie zum Himmel sie gelenket,
Und wenn dein Herz er mir im Traume schenket,
Von wem als dir vermag er mir's zu bringen?

Wenn du mich liebst, so will ich gern ertragen,
Dir fern zu sein, weil ich zu gut verstehe,
Was unsre Seelen ohne Laut sich klagen.

Allein so lang ich noch in Zweifel stehe,
Und gerne möchte deine Blicke fragen,
Acht ich Entfernung als das größte Wehe.
(S. 389)
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XLIII.
Wenn einen Freund du suchst fürs ganze Leben,
Der dich durch Freude soll und Schmerz geleiten,
So wähle mich, du findest keinen zweiten,
Und keinen fähigern, sich hinzugeben.

Zwar kann er nicht, wie du, ein Wonnebeben
Durch seine Schönheit um sich her verbreiten;
Doch alle horchen gern den Lieblichkeiten,
Die ihm begeistert auf der Lippe schweben.

Ich fürchte nur, es möchte dich erbittern,
Wenn ich mir selbst so hohes Lob verstatte,
Bloß um vor dir in falschem Glanz zu flittern;

Sonst würd ich sagen, daß auf diese glatte,
Noch junge Stirn, mit ungewissem Zittern,
Der Schatten fällt von einem Lorbeerblatte.
(S. 390)
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L.
Wenn ich so viele Kälte dir verzeihe,
Geschieht's, indem ich bei mir selber sage:
Er weiß ja nicht, wie sehr ich meiner Tage
Zufriedenheit an seinen Namen reihe!

Er weiß ja nicht, wie sehr ich ihm verleihe,
Was Liebevolles ich im Herzen trage,
Was gerne teilt des Lebens Lust und Plage,
Ja, was dem Leben giebt die höchste Weihe!

Du weißt es nicht, und soll ich dir's beschwören?
O nein! ich wage kaum, mit dir zu sprechen,
Um nicht den Traum, der mich beglückt, zu stören.

Wie sehr mich Schönheit auch und Reiz bestechen,
So fürcht ich doch, sie könnten mich betören,
Es könnte doch an Liebe dir gebrechen!
(S. 393-394)
_______


LIV.
Wenn unsre Neider auch sich schlau vereinen,
Um uns zu hindern und getrennt zu halten,
Noch zähl ich nicht dich zum Geschlecht der Kalten,
Noch geht ein Weg von deinem Blick in meinen.

Doch allzuselten seh ich dich erscheinen,
Und wenn ich rings das Auge lasse walten,
Vermiß ich stets die liebste der Gestalten,
Die liebsten Züge fehlen stets, die deinen!

Ermanne dich, und lege nicht die Zäume
Der Liebe furchtsam in die Hand des Neides,
Der gern uns schiede durch entlegne Räume!

Sei ganz du selbst, dann wird die Zeit des Leides
Verronnen sein, dann werden unsre Träume
Verkörpert werden. Wir verdienen beides.
(S. 395-396)
_______


X.
Wer hätte nie von deiner Macht erfahren?
Wer hätte je dich anzuschaun bereuet?
Wie viele Reize liegen hingestreuet
Auf diesen Wangen, diesen schönen Haaren!

Du bist so zart, du bist so jung an Jahren,
Durch jede Huldigung des Glücks erfreuet;
Doch wer die List in deinem Busen scheuet,
Der mag vor dir sich Tag und Nacht bewahren!

Noch prahlt ein Baum mit manchem frischen Aste,
Die Blätter bilden noch geräum'ge Lauben,
Da schon Zerstörung wütet unterm Baste.

Doch soll mir frostige Betrachtung rauben
Den süßen Schatten, unter dem ich raste?
Nein, deine Schönheit fodert blinden Glauben!
(S. 373-374)
_______


XIV.
Wer in der Brust ein wachsendes Verlangen
Nach schönen Augen fühlt und schönen Haaren,
Den mahn ich ab, der nur zu viel erfahren
Von Schmerz und Qual durch eitles Unterfangen.

Dem jähen Abgrund nur mit Not entgangen,
Was blieb mir aus unendlichen Gefahren?
Im Aug die Spur von hingeweinten Jahren,
Und in der Brust ein ungeheures Bangen.

Naht nicht der jähen Tiefe, junge Herzen!
Des Ufers Liljen glühn von falschem Feuer,
Denn ach, sie locken in das Meer der Schmerzen!

Nur jenen ist das Leben schön und teuer,
Die frank und ungefesselt mit ihm scherzen,
Und ihnen ruft ein Gott: Die Welt ist euer.
(S. 375-376)
_______



Wie ein Verlorner an verlaßner Küste
Seh ich verzweifelnd um mich her und weine:
Wo ist ein Blick, der glänzte wie der deine?
Wo ist ein Mund, der wie der deine küßte?

Und wenn ich hoffte selbst, und wenn ich wüßte,
Daß günstig lächelte mir mehr als eine,
Ich blickte kaum nach ihr empor zum Scheine
Mit Augen, wie die Augen einer Büste.

Wenn bis ans Ziel des irdischen Bestrebens
Nie deines Anblicks wieder ich mich freue,
Noch der Erwidrung meines Liebelebens,

Sei ohne Sorgen wegen meiner Treue:
Mich lockt ein neuer Liebesreiz vergebens,
Die ew'ge Schönheit ist das ewig Neue.
(S. 406)
_______


XI.
Wie schwillt das Herz von seligem Genügen,
Sobald ein Blick, der lange trüb umnachtet,
Verächtlich uns und blinzelnd nur betrachtet,
Zuletzt voll Milde ruht auf unsern Zügen!

Wär's Zufall, oder willst du mich betrügen?
Hast du vielleicht mich deiner wert erachtet?
Wenn, Augen, ihr mir nicktet oder lachtet,
Dann wollt ich stets mich euch als Sklave fügen!

O gib Gewißheit, wo nur Zweifel waltet,
Laß länger nicht mich hin und wieder schwanken,
Weil oft im Zweifel das Gemüt erkaltet!

Nicht schwer zu helfen ist gewissen Kranken:
Ein einz'ger Wink, ein Händedruck entfaltet
Uns Millionen liebende Gedanken.
(S. 374)
_______

Aus: August von Platen Werke in zwei Bänden
Band I Lyrik Hrsg. von Kurt Wölfel und Jürgen Link;
Band I: Nach der Ausgabe letzter Hand
und der historisch-kritischen Ausgabe. Winkler Verlag München 1982



 

 

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