Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Luise von Ploennies
(1803-1872)



Sonette
Aus der ungedruckten Novelle Clementine

1.
Als Fels im Meer seh' ich dich einsam ragen,
Den unruhvoll die Wellen rings umziehen,
Die an sein Herz bald angstvoll stürmisch fliehen,
Bald ihn umwogen mit der Sehnsucht Klagen.

Doch, ob bewegt an seine Brust sie schlagen,
Ob schwellend in der Liebe Melodieen,
Ob, sanft erfüllt von Sehnsuchtsharmonieen,
Sie ihre Perlen ihm zu Füßenb tragen;

Der Fels bleibt unerschüttert, steinern immer,
Blickt starr hinab in's Wellenleben,
Sieht, wie sie sterbend in dem Sturm erbeben;

Von seinem Leuchtthurm nur fließt heller Schimmer,
Und kalt und klar die Strahlen niederschweben,
Beleuchten still die Brandung und die Trümmer.


2.
Ich bin die Fluth, von inner'n Drang getrieben,
Rastlos den starren Felsen zu umspülen,
Im ew'gen Streit mit Pflichten und Gefühlen
Ist Ebb' und Fluth mein Wollen und mein Lieben.

So in dem Kampf der Beiden, aufgerieben,
Zum Fels getrieben von der Fluth, der schwülen,
Zurück geworfen von der Ebb', der kühlen,
Ist nichts als rastlos Sehnen mir geblieben.

Muß ich zurück zum Oceane wallen,
Dann seufz' ich auf, gleich wie in Todesstöhnen,
Und meiner Liebe blutig rothe Thränen

Versteinen sich zu purpurnen Corallen;
Doch wenn sie sanfter, stiller niederfallen,
Verklärt zu lichten Perlen sie mein Sehnen.


3.
Sie haben meines Lebensstromes Wogen
Gewaltsam einen andern Weg geleitet,
Daß traurig der gefangne Strom nun gleitet,
Der einst so stolz, so froh dahin gezogen.

Er muß nun tragen schwerer Brücken Bogen;
Und ob sein tiefstes Sein dagegen streitet,
Er zürnend hin in seinen Fesseln streitet,
Es wird ihm schwerer Joch nur zugewogen.

Er, der geschaffen, daß in seinen Wellen
Der klare Himmel nur sich leuchtend male,
Daß Sonn' und Mond in's reine Herz ihm strahle

Und alle Himmelssterne ihn erhellen:
Muß nun im Innersten zerrissen schwellen,
Daß Menschenwitz mit seinem Jammer prahle.


4.
Wohl liebst du mich, doch so nur wie der Weise,
Der seltne Blumen siehet fern erblühen,
Oder im Westen Abendpurpur glühen,
Er staunt sie an, und lächelt in sich leise;

Er zieht nicht sehnend sie in seine Kreise,
Will sich nicht drum aus allen Kräften mühen,
Erscheinungen sind's ihm der Lebensreise,
Und ruhig läßt er sie vorüberziehen.

So liebst du mich! Nicht mit dem heißen Herzen,
Nicht mit den selig wunderbaren Schmerzen,
Die meine Lebensflamme rasch verzehren;

Denn will dein Herz auch glühend wohl begehren,
Kalt lehrt dich der Verstand den Wunsch verschmerzen,
Auf starren Marmor fallen meine Zähren.


5.
Seitdem dein Lieben Leben mir gegeben,
Vergeß ich oft, daß schon mein Lenz entschwunden,
Hat meine Seele ihn doch erst gefunden,
Seitdem er meinen Tagen mußt' entschweben.

Da will ein Bangen manchmal mich durchbeben,
Daß, wenn der Reiz, der sparsam mich umwunden,
Verblichen ganz in nicht mehr fernen Stunden,
Auch bleichen könne deiner Liebe Leben.

Laß deinen Blick, den liebevollen, klaren,
An mir die finst're Spur der Zeit verschmerzen;
Du ahnst den Glanz der ew'gen Himmelskerzen,

Wenn sie in Schleiern auch sich offenbaren:
So wirst du auch an mir den Lenz gewahren,
Ich trag' ihn, wie die Erde, tief im Herzen.
 

6.
Auf jene Welt hast du mich angewiesen,
Um mein zu sein durch ew'ge Liebesbande,
Die segnen soll der große Unbekannte,
In seinen ungeschauten Paradiesen.

Ach, einst trug mich der Flug empor zu diesen,
Dem Vogel gleich, der vom beeisten Strande
Voll Sehnsucht fliegt zu einem schönern Lande,
Ob unter ihm die Meereswellen fließen.

Doch jetzt, ermattet sind der Seele Schwingen,
Nicht von der Erde hebt sie mehr das Sehnen,
Mein Blick sieht endlos sich die Wüste dehnen,

Kann nicht durch Staub und durch Sirocco dringen,
So sehr mein Geist strebt, nach dem Ziel zu ringen,
Des Himmels Bild umhüllen Erdenthränen.


7.
Du sagtest einst, daß von dem Staub der Erde
Erblichen sei der Glanz von meinen Schwingen;
Daß, ob sie Kraft noch hätten aufzuschwingen,
Sie doch die Spuren trügen der Beschwerde.

Wahr ist's, die grelle Gluth an meinem Heerde,
Der Sturm, mit dem sie oftmals mußten ringen,
Der Druck von schwerer Fesseln Eisenringen,
Sie streiften ab den Glanz, der sie verklärte.

Drum will hinab ich ihren Flug jetzt lenken
Zu eines tiefen Stromes stillen Fluthen,
Darin zu kühlen die Zerstörungsgluthen,

Darin die schweren Fesseln zu versenken;
Wenn dann die heißen Wunden nicht mehr bluten,
Wird neuen Glanz der Herr den Schwingen schenken.


8.
Noch schwerer ist mein Loos, als das des Sklaven,
Den Last der Ketten fesselnd hält umwunden;
Den, wenn der Hüter müßig ihn gefunden,
Wohl seiner Peitsche schwere Hiebe trafen.

Denn stöhnt am Abend er nach harten Strafen,
Kommt leis' sein Lieb und heilet seine Wunden,
Küßt sanft den Arm, der blutet und geschunden,
Und süß darf er an ihrem Herzen schlafen.

Doch meiner Eisenkette schwere Bande,
Sie drücken mir das glüh'nde Herz zusammen,
Daß ihm empört entzucken helle Flammen,

Die manchmal sengend drohen dem Verstande.
Ihr armen Sklaven in dem fernen Lande,
Sagt, möchtet ihr von solcher Freiheit flammen?

Aus: Gedichte von Louise von Ploennies
Darmstadt Druck und Verlag von Carl Wilhelm Leske 1844
(S. 33-40)
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Abälard und Heloise
Ein Sonettenkranz

Heloise an Abälard
An den Geliebtesten, der sie durch diese
Sternlose Nacht geleiten soll als Vater,
An ihren Gatten, Bruder, Freund, Berather,
An Abälard die Seine, Heloise.

Der Wahn, dass deine Seele mich verließe,
Die du geweiht zur Dolorosa Mater,
Sollt' ewig fern mir bleiben, aber naht' er,
Ist mir's, als ob der Heiland mich verstieße.

Ich hab' den Brief an deinen Freund gelesen,
Er hat das Innerste mir neu zerrissen,
Nun fehlt der Trost mir, d'ran ich mag genesen.

Ich bin allein in tiefen Finsternissen,
O du! der Sonne meinem Lenz gewesen,
Laß mich den Strahl in meiner Nacht nicht missen!


Heloise an Abälard
O schreibe mir, du, dessen Wort den Schwingen
Der bangen Seele leihet neue Kraft,
Wenn sie auf ihrem steilen Flug erschlafft,
Wenn alle Himmelsträume ihr zergingen.

O du! den diese Arme einst umfingen
Im Zauberbanne glüh'nder Leidenschaft,
Verzeih', verzeih', wenn ich der süßen Haft
So sel'gen Traumes nicht mich kann entringen.

Du Einziger! mit dem ich wonnetrunken
Durch alle Himmel flog im Glutverein,
Als Stern um Stern an meine Brust gesunken;

Du Göttlicher, in deiner Liebesfülle! -
Welch kalter Schauer rinnt durch mein Gebein,
Ich beuge stumm mein Haupt, das ich verhülle.
 

Abälard an Heloise
An sie, die in der Welt mir Gattin ward,
Die nun die Braut des höchsten Gottes ist,
Geliebte Schwester mir in Jesu Christ,
An Heloise schreibt ihr Abälard.

Nicht wähnt' ich, dass auf ird'sche Zeichen harrt
Die Gottesbraut, die dieser Welt vergisst,
Daß sie die Trennung nach dem Raume mißt,
Genossenschaft nach ird'scher Gegenwart.

Nicht wähnt' ich zaghaft, der die Kraft gegeben,
Kleinmüthig nicht, der Großes ward vertraut,
Die stärken, trösten, leiten soll, erheben:

So lebst du mir im Geiste, Gottesbraut,
Drum aus dem Zagen laß es dich erheben,
Daß Abälard als Heilige dich schaut.
 

Heloise an Abälard
Du Einziger! nach langem, langem Schweigen
Bin ich umweht von deines Geistes Grüßen,
Und lieg' in Andacht betend dir zu Füßen,
Dir, dem sich muß mein tiefstes Wesen neigen.

Du Einziger weißt, wie ich ganz dein eigen,
Wie nicht das Herz mich hält in Klosterhallen,
Wie meine Hymnen, die gen Himmel wallen,
Aus einer heißen Seelenwunde steigen.

Dich fleh' ich an, bei meiner wunden Seele,
Zu den Gesunden zähle nicht die Kranke,
Daß nicht die einz'ge Arzenei mir fehle;

Bei dieser Sehnsucht, drin ich mich verzehre,
Für stark nicht halte du die schwache Ranke,
Daß sie in dir nicht ihren Stab entbehre.
 

Heloise an Abälard
Gott weiß, ich hab' nach Anderm nie getrachtet,
Als einzig nur nach dir, o du mein Leben!
Nicht wollt ich mich durch Glück und Rang erheben,
Nach deinem süßen Selbst hab' ich geschmachtet.

Nicht was die Menge groß und herrlich achtet,
Ersehnt' ich, meines Herzens heißes Streben
War einzig, ganz mich dir dahin zu geben,
Würd' ich darum von aller Welt verachtet.

Und hätt' Augustus mir die Kaiserkrone
Geboten, dass ich auf dem Herrscherstuhle
Der Welt als stolze Gattin mit ihm throne,

So ruf ich Gott den Ewigen zum Zeugen,
Daß es mir größer schien, als deine Buhle
Mein Haupt in Schmach und Niedrigkeit zu beugen.
 

Heloise an Abälard
Und ich war glücklich, konnt' in allen Reichen
Von Sonnenaufgang bis zum Niedergang,
So weit der Liebe Lebensruf erklang,
Ein glücklich Weib dem Deinen sich vergleichen?

Der Edelste ja selber musste weichen
Dem Einzigen, den dieser Arm umschlang,
Der wie das Sonnenlicht die Welt durchdrang
Mit seinem Geist, dem klaren, lebensreichen.

Und er, den alle Stimmen jubelnd priesen,
Den sein Jahrhundert sich als Stern erkor,
Der Tausenden den Weg zum Heil gewiesen,

Hob mich an sein begeistert Herz empor.
Da war ich Gottesbraut, als Heloisen
Ihr Abälard erschloß des Himmels Thor.
 

Heloise an Abälard
Wenn ich als Quelle deines Leids verdamme
Mein Herz, dann droht das Uebermaas der Wehen
Es zu zersprengen; Frieden zu erflehen,
Werf ich danieder mich am Kreuzesstamme.

Dann ringt sich manchmal himmelan die Flamme,
Wie Jephta's Tochter fühl' ich mich durchwehen
Vom heil'gen Stolz, dass du mich ausersehen,
Du Einziger! zu deinem Opferlamme.

Das ist das Heil in diesem Trank, dem bittern,
Daß ihn die Liebe weiht; das wird erheben
Mich einst als Trost im letzten Herzenszittern:

Daß ich den vollen Kranz vom reichen Leben,
Ohn' in Entblätterung ihn zu zersplittern,
Für eine große Liebe hingegeben.
 

Heloise an Abälard
Schon lange hört' ich deinen Ruhm erschallen,
Wie du, von seltner Geisteskraft durchdrungen,
Dem hohen Bild der Wahrheit nachgerungen,
Der Edelste, der Weiseste von Allen.

Wie in des Wissens hochgewölbten Hallen
Du dich so früh, so ernst emporgeschwungen,
Wie deinem starken Wort der Sieg gelungen
Ob Finsterlingen, die der Nacht Vasallen.

Dein Wort, es sei der göttlichen Gedanken
Harmonisch lichtdurchflossenes Gewand,
Durchwoben von lebend'gen Blumenranken;

Es sei ein blitzend Schwert in deiner Hand,
Vor dem vernichtet deine Gegner sanken,
Um das der Ruhm den grünen Lorbeer wand.
 

Heloise an Abälard
Und wie ich nun in's schöne Aug' dir schaute,
Dein Ton erklang in meinem stillen Zimmer,
Da war mir's klar im Herzen, dass ich nimmer
Empfunden solchen Blick und solche Laute.

Warm, wie ein Frühlingsperlenschauer, thaute
Dein Wort in's Herz mir, reicher, heller immer;
Dein Blick durchstrahlte es mit Sonnenschimmer,
Bis sich in mir der Wunderbogen baute.

Und ich, bedrängt vom innern Glanze, sah
Nach dir, der unterm kühn geschwungnen Bogen
Stand wie ein Sieger, heiter lächelnd da;

Da schlug des Innern Fülle starke Wogen,
Ein selig Klingen tönte fern und nah,
Und dir zu Füßen fühlt' ich mich gezogen.
 

Heloise an Abälard
Gelernet hatt' ich nach dem Schulgebrauche,
Denn heiß war nach Erkenntniß mein Verlangen,
Ich ließ mein Aug' an starren Lettern hangen,
Daß ihrer Nacht die Weisheit hell enttauche.

Jetzt las ich sie in deinem schönen Auge;
Die ernst und streng an mir dahin gegangen,
Erschien als Grazie vom Reiz umfangen
Mir in der Liebe duft'gem Rosenstrauche.

Wie aus dem tiefen See zum Licht der Sonnen
Die Ballisneria steigt aus grünen Ranken,
Den Kelch erschließend in dem Drang der Wonnen:

So, wenn ins Herz mir deine Strahlen sanken,
Erhoben aus der Nacht, die sie umsponnen,
In's Reich des Lichts sich blühend die Gedanken.
 

Heloise an Abälard
Wenn sich zwei Herzen aneinander pressen,
Vom Himmel selbst ersehn zum Liebesbunde,
Wie kann mit solcher lebensglühnden Stunde
Der kalte Traum des Ruhmes je sich messen?

Wir hatten Erbe, Gram und Tod vergessen,
Mein Lebenshauch ging aus von deinem Munde,
Die höchste Lust, die quoll dem Erdenrunde,
Wir hatten eins durch's andre sie besessen.

Denn deines ganzen Wesens keusche Flammen,
Und meines tiefsten Lebens reine Triebe,
Sie strömten unaufhaltsam stark zusammen;

Kein Blatt im Kelch, das unerschlossen bliebe,
Der süßen Rosen, die aus Eden stammen,
Der Geist und Sinn bewält'gend sel'gen Liebe.
 

Heloise an Abälard
Und wenn wir dann in Götterfrieden ruhten,
Ward unser Auge zum verstärkten Spiegel,
Und unsre Lippen drückten stumm das Siegel
Auf unseres Glücks geheimnißvolle Gluten.

O wunderbare, göttliche Minuten!
Erinnrung sprengt des Schicksals ehrne Riegel,
Und meine Sehnsucht schlägt mit wundem Flügel
Bang an die Pforte, heiß sich zu verbluten.

Erinn'rung, Sehnsucht, Reue, Grauen, Zagen,
Verzehren mich, doch treibt mich das Verlangen,
Statt der Gebete dieses Wort zu sagen:

Glücksel'ger Mund, an dem sein Glück gehangen,
Glückselig Herz, an dem sein Herz geschlagen,
Glückselig Weib, das liebend er umfangen.
 

Heloise an Abälard
Ich leb' so ganz in jenen Lenzestagen
Mit meiner Seele und mit allen Sinnen,
Daß alle Tropfen, die zum Herzen rinnen,
Die Gluten ihrer Sonnen in sich tragen.

So Tag und Nacht, bei starkem Herzensschlagen
Such' ich im Kreise frommer Beterinnen
Umsonst der Seele Frieden zu gewinnen,
Ach alle Hymnen werden Sehnsuchtsklagen.

Oft hingesunken vor der Jungfrau Bilde
Fleh' ich umsonst zu ihrer heil'gen Milde,
Sie blickt auf mich hernieder streng und kalt;

Sind denn die Gluten, die mein Sein verzehren,
Nicht auch ein Funken jener Lieb', der hehren,
Die einst am Kreuze himmelan gewallt?
 

Heloise an Abälard
Wird, von der Liebe heil'gem Geist durchdrungen,
Nicht jedes Weib der Erde zur Madonne,
Nicht jedes Kind ein Heiland und in Wonne
Auf's neu der alte Feind, der Haß bezwungen?

So wähn ich oft, im Traum von dir umschlungen,
Des künft'gen Lebens Himmel schon gewonnen,
Von einem Strahl der ew'gen Liebessonnen
Den neuen Leib in Seligkeit durchdrungen.

Ja, Mann und Weib sind Träger jener Flammen
Die schöpferisch das weite All durchglühen,
Drum strömen sehnsuchtsinnig sie zusammen.

Wenn alle Kräfte ihres Seins zur Klarheit
Gelangt, als Krone ihres Bunds erblühen,
Dann giebt sich kund des Bundes inn're Wahrheit.
 

Heloise an Abälard
Der Stunde denk' ich, der geheimnißvollen,
Als sich mit feuchtem Glanz dein Auge schmückte,
Als das vom Uebermaß des Glücks bedrückte
Ließ auf mich nieder seine Thränen rollen.

In meinem Geiste hört' ich Reichbeglückte
Die Lieder, die durch alle Lande schollen,
Vom Nachhall unsres Glückes schon umquollen,
Als noch des Glückes Fülle mich entzückte.

O diese Lieder, die wie Nachtigallen
Entzündet vom melod'schen Liederbrand,
Sich schwangen durch des Lenzes grüne Hallen!

O diese Rosen aus dem Paradiese,
Die mit dem Dufte durch das Vaterland
Den Namen trugen deiner Heloise!
 

Heloise an Abälard
Glückselig, die geliebt von einem Dichter,
Mit ihm entrückt dem Treiben dieser Welt,
Ruht träumend aus im ros'gen Wolkenzelt,
Drin er entzündet seine Gnadenlichter.

In leisen, süßen Zauberworten spricht er,
Von feiner'n Wonnen ist sein Herz geschwellt,
Sein Aug' von sel'gem Gottesglanz erhellt,
Und ihr in's Haar statt Blumen Sterne flicht er.

Zerronnen! Dicht umhüllt von Trauerflören,
Im Kreuzgang knieend auf den kalten Steinen,
Bin ich umwallt von schwarzen Schattenchören.

Erloschen! Grabeskerzen seh' ich scheinen,
Nur Grabgesänge darf die Nonne hören,
Nur heiße Thränen auf die Gräber weinen.
 

Abälard an Heloise
Geliebte Braut in Christo, sei gegrüßt!
Und er verleihe dir den heil'gen Frieden,
Der alle Trauer, alle Qual hienieden
Mit seinem sanften Himmelstrost versüßt.

Und glaube mir, die Welt ist öd' und wüst,
Die du nach meinem Wunsche früh gemieden,
Und jeder Seele wird das Heil beschieden,
Die selbstvergessen für die Liebe büßt.

Laß fest in dir den Glauben Wurzel schlagen,
Dann sprieset lebendig in dir auf das Hoffen,
Als Krone werden sie die Liebe tragen.

Wo Glaube, Liebe, Hoffnung sich getroffen,
Erstarkt die Seele bald zu kühnem Wagen,
Und edler That sind neue Bahnen offen.
 

Abälard an Heloise
Du weißt, daß hohe Segenswunder schafft
Die Liebe, wenn sie stark empor sich schwinget
Zu solcher Höhe, daß sie sich entringet
Im Himmelsflug der Ichheit enger Haft.

Sie wird zum Helden, der, ob blutig klafft
Die heiße Wunde, stark die That vollbringet;
Zum Heiland, der am Kreuz die Welt umschlinget,
Und segnend stirbt als Gott durch ihre Kraft.

Was in der Liebe irdisch war, zerrinne,
Wir aber schließen heiliger und freier
Ein Liebesband hoch überm Reiz der Sinne.

Du Priesterin der höchsten Liebesfeier,
Zünd' an die Kerzen unsrer ew'gen Minne,
Und laß mich ruh'n in deinem weißen Schleier.
 

Abälard an Heloise
Die nur vom Erdenreize stammt, die Liebe,
Gleicht unsres Lenzes wonnevoller Rose,
Ein Kind der Erde, theilt sie Erdenloose,
Geboren, daß sie mit dem Lenz zerstiebe.

Blind folgend der Natur gewalt'gem Triebe,
Bleibt ihrem Bunde fern das Ew'ge, Große,
Sie ist die reizende, doch willenlose,
Nichts lebt in ihr, das nach dem Lenz noch bliebe.

Doch unsre Liebe, die erstarkt zur Tugend,
Ist ihrer tiefen Wahrheit sich bewußt;
Enttaucht dem heißen Wonnerausch der Jugend,

Dringt sie in Tiefen der verwandten Brust;
Das Unvergängliche in Trümmern suchend,
Ahnt sie im Tod des ew'gen Lebens Lust.
 

Abälard an Heloise
Der höchste Schritt ist's zur Vollkommenheit,
Wenn zwei in hoher Liebe überwinden,
Wenn, die erst Fessel war, den Geist zu binden,
Zur Schwinge wird, die rettend ihn befreit.

Und das wird sein die höchste Seligkeit,
Wenn wir dereinst in Gott uns wieder finden,
In ihm, den ahnend wir in uns empfinden,
Vermählt zu sein für alle Ewigkeit.

Die über Klippen einst gestürzt, die Welle,
Sie ströme nun, vom starken Drang gereinigt,
Dem Meer entgegen silberklar und helle;

Nicht ferner durch der Trennung Qual gepeinigt,
Bedenke, daß uns bald der Liebe Quelle,
Die endlich Alles in sich eint, vereinigt.
 

Heloise an Abälard
O Liebster, könnt' ich jetzt bei dir erscheinen,
In heil'ger Ruh zu deinen Füßen liegen,
Wie ein beschwichtigt Kind an's Herz dir schmiegen
Mein sinnend Haupt und leise, leise weinen!

Wie tief und heilig fühl' ich dich den meinen!
Jetzt wird mein Geist, der nah dem Unterliegen,
Durch deine Kraft den heißen Schmerz besiegen,
Um nachzustreben deinem Flug, dem reinen.

O führ' mich, Einziger, o führ' mich weiter!
An deiner Hand erklimm' ich Stuf' um Stufe
Der steilen, mühevollen Himmelsleiter.

Gieß Strahl auf Strahl von deinem hellen Lichte
Mir aus, mein Stern, zu dem ich flehend rufe,
Zu dem ich sehnend Herz und Blicke richte!
 

Heloise an Abälard
Erfülle mich mit deines Glanzes Pracht,
Laß meine Seele deinen Geist umfangen;
Wie einst mein Auge deinen Blick empfangen,
So schenke Klarheit meiner Seele Nacht.

Denn mancher Zweifel ist in mir erwacht,
Nicht kann ich blind an meinem Glauben hangen,
Drum laß des Lichtes auch zu mir gelangen,
Das deine Weisheit unsrer Zeit entfacht.

Du hast die heil'ge Wohnung uns gegründet;
Hier, wo die Wälder das Geheul, das wilde,
Des Raubthiers einst durchdrungen, uns verbündet;

Hast vor der Liebe himmlisch reinem Bilde
Die ew'ge Lampe unsres Diensts entzündet,
So spende jetzt das Oel durch deine Milde.
 

Heloise an Abälard
Wir, deine Töchter, wollen darum einen
Uns alle jetzt in flehentlicher Bitte,
Du wollest ordnen unsres Klosters Sitte,
Und dadurch ganz uns weihen zu den Deinen.

Doch laß dir sagen, daß mir unnütz scheinen
Will aller Zwang, darin der Körper litte;
Erlaß uns Qualen, die mein Geist bestritte,
Der gern im Großen opfert, nicht im Kleinen.

Auch sei es uns durch dich, o Herr, verkündet,
Woher den Ursprung unser Stand gewonnen,
Worauf sich unser streng Gelübde gründet.

Wo bliebe noch der heil'gen Ehe Segen,
Wenn nach dem Himmel Mönche nur und Nonnen
Hinwandelten auf einzig rechten Wegen?
 

Heloise an Abälard
Was ich nach deinem Wunsch begonnen habe,
Das will ich ganz und deiner werth vollenden,
Doch laß mich die getrübten Blicke wenden
Nur stets nach dir, nach meiner einz'gen Labe.

Mein glühend Herz kann noch nicht über'm Grabe
Daheim sein, wie die Frommen der Legenden;
Du mußt die Kraft mir zur Entsagung spenden,
Empor mich richten an der Liebe Stabe.

Du hießest aufwärts diese Mauern steigen,
Hast diesen Thürmen ihre luft'gen Bahnen
Geboten, daß sie frei gen Himmel steigen;

Führ' nun die Geister himmelan zur Klarheit,
Daß alle dich in ihrem Aufschwung ahnen,
Daß Form und Wesen sei harmon'sche Wahrheit.
 

Abälard an Heloise
Geliebte Braut in Christo, seine Gnade
Sei heut' mit dir und mir und mit euch Allen,
Auf daß wir fest und reinen Herzens wallen
Die schmalen aber sichern Lebenspfade.

Der Heiland kam und sprach: Euch Alle lade
Ich ein in meines Reiches lichte Hallen,
Doch fordr' ich keine irdische Vasallen,
Die Schätze suchen an der Welt Gestade.

Und wer mir folgen will aus reinem Triebe
Der lasse hinter sich das Gut der Erde,
Und solches nur erstrebe seine Liebe:

Triumph der Seele, Niedrigkeit der Hülle,
Dem Geiste Wonne und dem Leib Beschwerde,
Lust in Entsagung, in der Armuth Fülle.
 

Abälard an Heloise
Und Allen, denen noch im Herzen glühte
Von Gottes Schöpferglut ein Liebesfunken,
Sie waren ihm zu Füßen hingesunken,
Und folgten ihm mit gläubigem Gemüthe.

Vor Allen aber in der Frau entblühte
Der Liebe Seelenknospe gottestrunken;
Der Strahl, der ihr aus seinem Aug' gewunken,
Vermählte sich der eingebornen Güte.

Bei ihm kein strenges Richten, kein Verdammen;
Wie eine Mutter trug er sanft am Herzen
Den todtbedrohten Liebling aus den Flammen.

Der Sünde dunkle Flecken auszumerzen,
Bewies er, dass vom ew'gen Lichte stammen
Tugend und Lieb', in heißen Todesschmerzen.
 

Abälard an Heloise
So hob er aus den Flammen Magdalenen,
Und trug sie in der Liebe Heimathland,
Und löschte ihrer Sünden Todesbrand,
Mit seines Gottesauges heil'gen Thränen.

Und immer war's der Frauen reines Sehnen,
Das tief den Weg zu seinem Herzen fand,
Und sie auch sah man treu am Grabesrand,
Gleich Marmorbildern tiefer Trauer lehnen.

Und als die Gruft gesprengt, da durften Frauen
Den Lebensengel in den Lichtgewanden
Zuerst mit den verweinten Augen schauen;

Vor Allen sie, die Schuld durch Lieb' gebüßet,
Denn zu ihr trat der Gott, der auferstanden,
Und sprach mit sanftem Tone: Sei gegrüßet!
 

Abälard an Heloise
Und als nun Christus sich emporgeschwungen,
Ließ als Vermächtniß er zurück die Liebe,
Und daß sein Wort der Welt lebendig bliebe,
Ward eine Schaar vom heil'gen Geist durchdrungen.

Daß der lebend'ge Schatz, den sie errungen,
Mit ihrem Tode fruchtlos nicht zestiebe,
So zogen sie hinaus in's Weltgetriebe
Und predigten den Herrn in allen Zungen.

Und andre schlossen einen Bund der Geister;
In tiefer Stille, fern dem Reiz der Erde,
Erstrebten sie, gleich ihrem hohen Meister,

Triumph der Seele, Niedrigkeit der Hülle,
Dem Geiste Wonne und dem Leib Beschwerde,
Lust in Entsagung, in der Armuth Fülle.
 

Abälard an Heloise
Der Becher, der geprangt im stolzen Saale,
Erfüllt vom Feuerwein der Jugendglut,
Der Minnelust und tollen Uebermut
Und Sang und Klang geweckt im Kerzenstrahle;

Ward nun geweiht zur heil'gen Opferschale,
Daraus des Welterlösers göttlich Blut
Symbolisch quoll als heiße Liebesflut,
Wie aus dem goldnen Kelch beim Abendmahle.

So läuterte in Paulus starker Brust
Im glüh'nden Strahl der ew'gen Liebessonne
Zu reinem Geist sich wilde Sinnenlust;

So weihte heilige Begeisterung
Maria Magdalena ein zur Nonne,
Zum Kelche göttlicher Erinnerung.
 

Abälard an Heloise
Nun ich willfahret einem Theil der Bitte,
So gut ich es vermochte, will ich eilen,
Zu ordnen und zu regeln ohne Weilen
Dein Klosterleben nach bestimmter Sitte.

So werd' ich ewig sein in eurer Mitte,
So werden unsrer Trennung Wunden heilen,
Im Geiste werd ich eure Feier theilen,
Ob Zeit und Raum mir dieses Glück bestritte.

Wie eines Tempels inner'n Raum zu schmücken,
Der Maler Zeuxis nach den schönsten Frauen
Gemälde schuf, das Auge zu entzücken;

So schmück ich eures geist'gen Tempels Wände,
Mit höher'm Bild die Seele zu erbauen,
Ihr aber fleht, daß ich's mit Gott vollende.
 

Heloise an Abälard
Dank deiner Hand, die rettend mich ergriffen,
Zum Licht mich führt, aus diesen Nebelmassen;
Mußt' auch der Erdenfreude Schein erblassen,
Ich darf mit dir zu sel'gen Inseln schiffen.

Nicht irret in der Zweifel schroffen Rissen
Die Seele ferner einsam und verlassen,
Du lehrtest sie die ew'ge Wahrheit fassen,
Giebst Klarheit ihren dämmernden Begriffen.

Trag' mich hinan zum höchsten Ziel des Strebens
Laß mich erschau'n den Gottesquell des Lebens,
Der sich ergießt in dreifach heil'gem Strom;

Daß ich wie du erfüllt von seinem Lichte,
Ihn schau von Angesicht zu Angesichte,
Mit dir vermählt in der Erkenntniß Dom.
 

Abälard an Heloise
Gar manche heiße Pein hab' ich ertragen
Durch fremde Bosheit und durch eigne Fehle,
Denn schwer gekränkt ward ich an Leib und Seele
In voller Kraft von meinen Lebenstagen.

Ich ward geweiht dem schmerzlichsten Entsagen,
Daß sich die Kraft zu höh'rem Werke stähle,
Dann auf des Hasses und des Neids Befehle
Mußt' ich mein eignes Buch in's Feuer tragen.

Doch leicht kann ich das schwere Leid verschmerzen,
Weil mir durch Gott die höh're Kraft geblieben,
Ihn zu verkünden deinem tiefen Herzen.

Und seine Weisheit wird mich nicht verlassen,
Wird es vergönnen meinem reinen Lieben
Sein Wesen dreifach eins für dich zu fassen.
 

Abälard an Heloise
Als Weltendichter hab ich mir gedacht
Den höchsten Gott, der Alles wirkt und schafft,
Der aus dem unerschöpften Born der Kraft
Unendlich zeugt in gränzenloser Macht.

Durch Weisheit stets zum Schönsten angefacht,
War, um die Welt zu lösen aus der Haft
Des Todes und der sünd'gen Leidenschaft,
In ihm der Liebe heilig Werk erwacht.

Daß Leben neu entkeime der Vernichtung,
Vermählte seine Weisheit er der Erde
In seines heil'gen Geistes Liebesdichtung.

Die Weisheit sprach: Der Mensch sei auserkoren!
Die Allmacht rief herab ihr göttlich: Werde!
Da ward der Geist der Lieb' im Wort geboren.
 

Abälard an Heloise
Drum dich, die ich geliebt, will ich bitten,
Du wollest mit den Schwestern, den Geweihten,
Die Schwingen des Gebetes schützend breiten
Ob ihm, der steht in der Gefahren Mitten.

Und fall' ich, der so ruhelos gestritten,
Dann senkt mich ein zu des Altares Seiten,
An dessen Stufen ihr zu allen Zeiten
Frieden erfleht ihm, der so viel gelitten.

Wie einst Maria Lazarum erworben,
Dem Christi Thräne ward zum Lebensfunken
Für's Erdenleben, - so wenn ich gestorben,

Laß du für mich empor dein Flehen dringen,
Daß ruhen darf der Leib in Staub versunken,
Der Geist sich frei zum Quell des Lichtes schwingen.
 

Heloise an Abälard
Dein Brief, o Theurer, den mit heißem Sehnen
Ich mit den Schwestern bang erwartet habe,
Daß er in schwüler Pilgerschaft uns labe,
Hat uns versenkt in Trauer und in Thränen.

Wie aber kannst, mein Einziger, du wähnen,
Daß wir, getrennt von unserm einz'gen Stabe,
Noch wandeln könnten über deinem Grabe,
Die wir von dir nur unser Sein entlehnen?

O sprich, wo sollten all die bangen Herzen,
Die du gerettet aus dem Drang der Wellen,
Sich bergen vor dem Sturme solcher Schmerzen?

Du, der allein mit deinem heil'gen Auge
Entzündest unsrer Liebe fromme Kerzen,
Und unsre Hymnen schwellst mit deinem Hauche.
 

Heloise an Abälard
O vor dem Tode nimm uns nicht das Leben,
Gieb uns nicht das, was ärger als der Tod!
Seit der Gedanke unser Herz bedroht,
Verwandeln die Gebete sich in Beben.

An dir ist es, Geliebter, zu erheben
Dein Fleh'n für uns in unser letzten Noth;
Wenn es empor von unserm Grabe loht,
Wird unser Geist mit ihm gen Himmel schweben.

O sende den Betrübten bald ein Wort,
Das Freudeschwingen leihe unsern Chören,
Du unser Heil, du unser Seele Hort!

Du unser Heiliger, bei dem wir schwören,
Den ich erfasse einzig hier und dort,
Ach laß mich bald dein Wort des Lebens hören!
 

Heloise
Viel kann das schwache Menschenherz ertragen,
Die Wogen schlagen über ihm zusammen,
Es lebt, ein Salamander, in den Flammen,
Berührt vom Tod muß es noch bebend schlagen.

Mein Leben sah ich todt im Sarge tragen,
Sah, also todt, zum Leben mich verdammen;
Den Schlag, dem diese Schmerzen all' entstammen,
Ersehn' ich nun als Ende meiner Klagen.

Bei ihm ist meine Seele, nicht da drunten
Im dunklen Sarge, denn sonst müßte ja
So nah dem Todten, dieses Herz gesunden.

Ich weilte Tag und Nacht dem Grabe nah,
Doch immer heißer brennen meine Wunden,
Mein Leben, meine Seele sind nicht da.
 

Heloise
Den meine Seele liebt, hat sie gefunden;
Als mit den Schwestern ich wie er geboten,
Das Requiem sang dem geliebten Todten,
Hab' ich die Nähe Abälards empfunden.

Es hatte sich mein Geist dem Schmerz entwunden,
Als himmelan die hellen Töne lohten;
Ich sah verklärt in ew'gen Morgenrothen
Im Geiste ihn, der mir im Raum entschwunden.

Jetzt weiß ich, daß mein Heil da droben wohnet,
Nicht mehr verzweifelnd blick' ich dort hinab,
Und ohne Buße werd' ich jetzt belohnet.

Frei darf mein Geist zu dem Geliebten schweben,
Die letzte Thräne wein' ich auf sein Grab,
Denn unsrer Liebe quillt unsterblich Leben.

Aus: Neue Gedichte von Luise von Ploennies
Darmstadt 1851 (S. 235-274)
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