Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Friedrich Rückert
(1788-1866)



Amara, bittre, was du tust, ist bitter,
Wie du die Füße rührst, die Arme lenkest,
Wie du die Augen hebst, wie du sie senkest,
Die Lippen auftust oder zu, ist bitter.

Ein jeder Gruß ist, den du schenkest, bitter,
Bitter ein jeder Kuß, den du nicht schenkest,
Bitter ist, was du sprichst und was du denkest,
Und was du hast und was du bist, ist bitter.

Voraus kommt eine Bitterkeit gegangen,
Zwo Bitterkeiten gehn dir zu den Seiten,
Und eine folgt den Spuren deiner Füße.

O du mit Bitterkeiten rings umfangen,
Wer dächte, daß mit all den Bitterkeiten
Du doch mir bist im innern Kern so süße!
(S. 273)
_______



Auf, Südwind, komm heran zu mir und schaue,
Wie hier, erblüht in schönsten Farbentinten,
Im Winterfenster stehn drei Hyazinten,
Rot eine, eine weiß' und eine blaue.

Schüttl' ihre duft'gen Glocken und trag laue
Gewürze hin zu meiner Kaltgesinnten,
Dort, wo sie schläft, in ihrer Kammer hinten,
Rühr' ihr bereiftes Fenster an, und taue.

Tau' dich hinein bis hin zu ihrem Schlafe,
Und findest du ihr Herz, wie es umstricket
Ein Band von Eis, so sprenge du die Kruste,

Und hauch' ihr duftend in den Mund: zur Strafe,
Daß du ihm Winterkälte schickest, schicket
Er Odem dir aus glühendem Auguste.
(S. 287)
_______



Dein Leben war mir schmucklos vorgekommen,
ich glaubte mich berufen, es zu schmücken.
Erst schien der schöne Schmuck dich zu beglücken,
dann kam mir's vor, als mach' er dich beklommen.

So sei der Schmuck dir wieder abgenommen;
was soll er deinen zarten Busen drücken?
Und unbarmherzig will ich ihn zerstücken;
dient er dir nicht, wozu könnt' er mir frommen?

Doch du erholst dich schon von deinem Zagen,
du fühlst dich stark, den Himmel meiner Lieder
nun auf dem Atlas deiner Brust zu tragen.

Die Sonnen, die Plejaden zieh' ich nieder,
und schmiegen will sich auch mit Wohlbehagen
der Mond als Spang' um deine süßen Glieder.
(S. 305)
_______



Drum wenn du nun, wie du mit jedem Blicke,
Mit jedem Laut es giebst mir zu erkennen,
Gern dieses Handels Fäden möchtest trennen,
So thu's, du kannst es ja im Augenblicke.

Sag' nur dem Aug' einmal, daß sanft es blicke,
Laß deinen Mund einmal nur sanft mich nennen,
Der Lippen Kuß nur einmal sanft mir brennen,
So fällt das Band von selbst mir vom Genicke.

Denn da die Zauber, die mich halten, Dorne
Nur sind des Stolzes, und des Trotzes Nesseln;
Laß Stolz und Trotz, so fliehn die Zaubereien:

Du müßtest denn, so wie mit Groll und Zorne,
Mit Huld und Lächeln auch verstehn zu fesseln,
Dann kann dich weder Zorn noch Huld befreien.
(S. 272)
_______



Du bist nicht schön, kann ich dir redlich sagen,
Du bist nicht schön, ob rot gleich ist die Wange,
Und blau das Aug' und braun das Haar, das lange,
Viel schön're sah ich schon in meinen Tagen.

Und daß ich so in Wohl- und Wehbehagen
Nicht zu, nicht abwärts könnend, an dir hange,
Nicht deine Schönheit ist die gold'ne Spange;
Die eherne, die ich muß küssend nagen,

Dein Trotz ist es, dein starrer Sinn und steifer,
Rauh, dornig, wild, verhöhnend die Bezwinger,
Wie Wälder von - du kennst es nicht -Hyrkanien.

Das hält mich fest an dir mit Toreneifer,
Dem Knaben gleich, der klaubt mit wundem Finger
Die Stachelfrucht des Baumes der Kastanien.
(S. 272)
_______



Du standst in dich verhüllt gleich einem jungen
Frühlinge, der sich selbst noch nicht empfunden;
Ich kam und brachte deines Lenztums Kunden
Dir erst durch meiner Blicke Flammenzungen.

Aufwachtest du aus deinen Dämmerungen,
Und stehest jetzt, in freier Blüt' entbunden,
Siegatmend da. Was hab' ich Lohn gefunden,
Daß ich zuerst den Lenz dir angesungen?

Die Lerche darf ins Saatfeld, wo sie schwirrte,
Die Nachtigall ins Buschwerk, wo sie lockte,
Die Schwalbe, wo sie sang, ans Dach von Moose

Ihr Nest sich baun. O du, um die ich girrte,
Mir Dach und Busch und Saatfeld, o verstockte,
Wo soll ich nisten als in deinem Schoße?
(S. 273)
_______



Du ziehst, nicht sag' ich's, zum wievielten Male,
O Mond, am Himmel deine alten Kreise,
Derweil mich selber hier im alten Gleise
Du ziehen siehst durch diese süßen Thale.

Das Fenster aber dort, das blinkt, das schmale,
Ist noch vergittert nach der alten Weise;
Und kannst du, Freund, die Gitter mir nicht leise
Zerbrechen, ach, mit einem deiner Strahle?

Kannst du, wie ohne Widerstand die Scheiben
Du selbst durchdringst, nicht mich auch werden lassen,
Hinein zu dringen, ganz in Licht zergangen?

Umsonst! ich muß am dunklen Boden bleiben;
Du gehst allein, Freund, Feind, den ich muß hassen,
Hin, wo du bleich willst ruhn auf roten Wangen.
(S. 277-278)
_______



Ich hatte dich in Sammet und in Seide
Gehüllt, dich angethan mit Purpurzonen;
Ich hatte dir aufs Haupt gesetzet Kronen,
Dir um die Brust geleget Goldgeschmeide.

Thu von dir den geborgten Schmuck, entkleide
Der fremden Pracht dich, steige von den Thronen
Zu denen nieder, die im Dunkel wohnen,
Und treibe nackt die Lämmer auf die Weide.

Ich hatte dich mit Himmelstau gewaschen,
Ich hatte dich gesalbt mit Götterschmincke,
Ich hatte Manna dir zur Kost erlesen.

Geh, schmincke wieder dich mit Staub und Aschen,
Geh wieder hin an deinen Bach und trinke,
Und sag' es niemand, daß du mein gewesen.
(S. 282)
_______



Ich kleide dich mit einem schönen Kleide,
darin du sollst wie eine Fürstin prangen;
Lieb' ist das Kleid, das rings dich soll umfangen;
wen Liebe schmückt, bedarf der Gold und Seide?

Ich schmücke dich mit köstlichem Geschmeide,
das um dich soll in goldner Windung hangen;
das Goldgeschmeid' ist Hoffnung und Verlangen,
sie sind der Liebe goldne Kettlein beide.

Ich bau' dir eine sanftgewölbte Hütte,
verschlungen aus dem Schatten dreier Äste,
die drei sind Treue, G'nügsamkeit und Sitte.

Und wenn du mit mir willst zum stillen Feste
einziehn und wohnen in des Hüttleins Mitte,
so wird es uns zum schönsten der Paläste.
(S. 268)
_______



Ich träumt, ich wär' ein Vögelein und flöge
Hinaus zu ihr mit einer Schar von Ammern,
Die draußen jetzt vor ihrem Fenster jammern,
Bis sie mit Lächeln ihnen füllt die Tröge.

Und wenn der Schwarm gesättigt weiterzöge,
Blieb' ich, um an ihr Kleid mich anzuklammern,
Bis sie, sich mein erbarmend, in die Kammern
Mich mit sich nähme und mich drinnen pflöge.

Dann tät' ich so erfroren und erstarret,
Daß sie aus Mitleid in den Busen nieder
Mit Haut und Haar mich schöb‘, um zu erwarmen.

Dann, wenn ich erst ein Weilchen so verharret,
Besänn' ich mich auf meine Menschenglieder,
Um sie, statt zu umflügeln, zu umarmen.
(S. 288)
_______



Ich will den Sonnstrahl mit der Hand zerbrechen,
Ich will den Lufthauch bei dem Fittich fangen,
Eh' dieser kalt dir rühren soll die Wangen,
Eh' jener heiß die Stirne dir soll stechen.

Die Vögel will ich zauberisch besprechen,
Daß sie dir singen nichts als dein Verlangen,
Die Büsche, daß sie, wo du kommst gegangen,
Zu dir von nichts als deiner Schönheit sprechen;

Die Bienen, daß sie dir auf deine Lippen
Den Honig tragen, Blumen an die Hände
Dir blühn, und Tauben brüten dir im Schoße;

Ja, daß dir sei die Erde ohne Klippen,
Der Himmel ohne Wolken, ohne Ende
Der Lenz, und ohne Dornen jede Rose.
(S. 279)
_______



Ich wollte, daß ich wär'- o süßes Neiden!
Dein Spiegel mit dem blanken Angesichte;
So würd' ich doch an deines Auges Lichte
Viel öfter mich als jetzo können weiden.

Ich wollte, daß ich wär'- o bittres Leiden!
Dein Schatten, der vor deinem Glanz zunichte
Nie wird; so würd' ich, gleich dem dunklen Wichte,
Von deinem Leibe brauchen nie zu scheiden.

Ich wollte, daß ich nur dein Lämmchen wäre,
So würd' ich doch nicht sehen, daß du bangtest
Und flöhst vor mir wie vor dem Wolf, nicht besser.

So gäb' ich dir die Wolle, wenn die Schere
Du führetest, und, ob du es verlangtest,
Das Leben, wenn du führetest das Messer.
(S. 279)
_______



Mein Kind, ein seltsam Spiel hast du begonnen
Hier mit dem wehrlos ausgestreckten Linnen;
Und wahrlich, wenn es hätte Menschensinnen,
Müßt's ihm ein Spiel sein recht zu Weh und Wonnen;

Wie du ihm bald gebietest, sich zu sonnen,
Bald kalte Fluten drüber lässest rinnen,
Bald wieder sonnst das Flutennaß von hinnen,
Bald wieder tilgst die Glut mit neuen Bronnen.

Mein Kind, wenn Sonnen gleich sind deine Blicke
Und deines Mundes Grüße gleich den Fluten
So weiß ich, daß ich selbst dem Linnen gleiche;

Da du mich sonnend glühst auf Augenblicke,
Dann ach, durch kaltes Wort mir kühlst die Gluten,
So daß, wie jenes bleicht, ich selbst erbleiche.
(S. 277)
_______



Nun steht sie drinnen in der Hexenküche,
Und bläst mit ihres Odems falschem Hauche
Die Kohlen an, daß von dem Zauberrauche
Bis hieher mich umwittern die Gerüche.

Aufschichtet sie geknickte Reisigbrüche
Am Herde kreuzweis nach gelerntem Brauche;
Und murmelt über dem Wacholderstrauche,
Der in der Lohe knistert, ihre Sprüche.

Sie rasselt mit dem aufgehängten Kessel,
Sie klappert mit den aufgespülten Schalen,
Sie rührt mit raschem Quirl für mich im Topfe;

Sie rückt für mich im Kämmerchen den Sessel,
Und weiß die Stunde schon genau in Zahlen,
Wo ich muß kommen, und ans Thürchen klopfe.
(S. 289)
_______



O Blumen, die ihr, weil Winter schauert,
Schnee auf der Au und Eis liegt auf dem Bronne,
An eines Ofens Wärm' anstatt der Sonne
Euch müßt erschließen, o wie ihr mich dauert;

Die ihr vergebens auf Erlösung lauert,
Wie hinterm Klostergitter eine Nonne;
Dürft' ich euch pflücken, euch wie mir zu Wonne
An einem Busen stürbt ihr unbetrauert.

Nichts sind die Ding', es ist die Lieb' in ihnen;
Um Liebe drehen sich der Sterne Reihen,
Um Liebe wälzen sich des Himmels Achsen.

Und kann die Blume nicht der Liebe dienen,
Und kann das Herz sich nicht der Liebe weihen,
So ist so Blum' als Herz umsonst gewachsen.
(S. 287)
_______



O du mein gar zu fleiß'ges Spinnenmädchen,
Im schönen selbst gesponnenen Gewändchen,
Die rührig mit dem Füßchen und dem Händchen
Du sitzest Tag und Nacht am Spinnenrädchen.

Wieviel gesponnen hast du feine Fädchen,
Und ausgesponnen sie zu festen Bändchen;
O wieviel hast du angesponnen Ständchen
Am Thürchen oft und oft an Fensterlädchen.

O wieviel haben Betterchen und Bäschen
Verworrene Gespinste dir ins Häuschen
Getragen, mit umsponnen dich beim Tänzchen.

Dann hat sich oft aus Hälmchen und aus Gräschen
Entsponnen zwischen uns ein Hadersträußchen,
Doch oftmals auch gewebt ein Liebeskränzchen.
(S. 287-288)
_______



O Wonneschau, Lustanblick, Augenweide!
So hab' ich sie, die Schönste, denn gesehen
Vor meinen Blicken so verschönert stehen,
Wie's nur die Schönheit werden kann vom Kleide.

O schmeichelhaftes Kleid! Ich sah die Seide
Von ihrem Busen mir entgegenwehen,
Und sah die Blumen dort nach mir sich drehen,
Die Seid' und Blumen, meine Gaben beide.

So sieht der Frühlingstag mit Morgenstrahlen
Herab auf der geliebten Erde Glieder,
Die er mit seinen Farben sieht geschmücket,

Fühlt schauend Lust, und fühlt auch schon die Qualen,
Daß er an Abend muß vom Himmel nieder,
Und ihm die Nacht entzieht, was ihn entzücket.
(S. 276)
_______



Thessalierin, obgleich mit keinem Laute
Du von Thessalien je gehört im Traume;
Thessalierin! von welchem Zauberbaume,
Von welcher Zauberwurzel, Zauberkraute,

Nahm deine Hand die Stoffe, draus sie braute
Das bittere Getränk, in dessen Schaume
Verborgen ist, was je vom Wolkensaume
Der Mitternächte Gift'ges niedertaute?

Daß Gift es ist, muß ich ja wohl erkennen
Daraus, weil du aus den gefüllten Scherben,
Wie sehr ich flehe, nicht zuvor willst nippen.

Drum, statt zu löschen, macht es Durst entbrennen,
Und weh! wenn du nicht bald mir statt des Herben
Das Süße reichst im Becher deiner Lippen.
(S. 267)
_______



Wann still die Nacht auf dunkeln Pfaden schreitet,
Die unterm Mantel trägt die goldnen Sterne,
Und im Gewölk gleich heimlicher Laterne
Der Mond sein wachsend Silberlicht bereitet;

Denk' ich, und meines Auges Thräne gleitet,
Zurück in jener Nächte schöne Ferne,
Wo er mit seinem lieberglühten Kerne
Auf meinen Liebesgängen mich geleitet.

Wozu, o Mond, mit deinem Strahlenschimmer
Hat dich ein Gott in Lüften aufgehangen,
Als daß die Lieb' in deinem Licht soll wallen?

Die Liebe wallt in deinem Lichte nimmer,
Der Docht in deiner Lamp' ist ausgegangen,
Und deine Scherben laß vom Himmel fallen.
(S. 285)
_______



Wenn ich dir könnte, wie ich möchte, geben
Die Schätz' aus meiner Liebe vollem Schreine,
So wär' auf Erden und im Himmel keine
Geschmückt wie du, o du mein süßes Leben!

"Wie war das?" Hör' es recht, mein süßes Leben!
Geschmückt in Erd' und Himmel wäre keine
Wie du, wenn dir aus meiner Liebe Schreine
Die Schätz' ich, wie ich möchte, könnte geben.

Geschmückt wärst du mit mehr als Königsglanze,
Und wenn du schöner dann zu prangen wähntest,
Würdest du schöner doch als jetzt nicht prangen. -

Das ward gesprochen abends unterm Tanze,
Als du, nicht tanzend, sanft dich an mich lehntest,
Und littest, daß mein Arm dich hielt umfangen.
(S. 277)
_______



Wer bist du, der du anklopfst gar nicht leise
An meine Fenster mit dem Flügelschlage,
O ungestümer Nachtdurchwandler, sage,
Der du die Locken mir behaucht mit Eise?

"Ein Nordwind bin ich, und bin auf der Reise;
Ein Gruß an dich ist, was ich mit mir trage,
Den mir dein Liebchen auftrug, als am Tage
Ich draußen um ihr Haus zog meine Kreise."

Weh mir, das Blut erstarrt in meinen Adern.
Kann sie mir keinen andern Boten senden,
Als einen, dessen rauhe Grüße morden?

"Mein Freund, da mußt du mit dem Himmel hadern,
Der eure Häuser legt' an solche Enden,
Gen Süden deins und ihres gegen Norden."
(S. 286-287)
_______



Aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1


 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite