Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Alexander Rydenius
(1800-1823)



Sonett

Der Lenz erwacht, und aus umeisten Grüften,
Wo starrer Schlaf das Leben hielt gefangen,
Drängt es sich heiß hervor in frischem Prangen,
Sich kühlend in des Aethers Balsamdüften.

Und Liebe lächelt hell auf Berg und Triften,
Allüberall erglüht ein neu Verlangen,
Der Himmel will die Erde süß umfangen
Und Liebesgruß tönt schmeichelnd aus den Lüften.

Auch mir erblühet wohl ein neues Leben,
Es ruft mich fort durch Wald und Feld zu schweifen,
Und tönend in der Saiten Gold zu greifen.

Doch ach! der Liebe heimlich süßes Leben
Erwacht mir nur in Phantasiegebilden,
Und einsam wall' ich auf den Lenzgefilden.
(S. 14)
_____



Vergangenheit und Gegenwart
Zwei Sonette

1.
Schwer war gedrückt die Flur vom Wintereise,
Und von dem weithin finstern Himmelsbogen
Kam sturmgepeitscht der Schnee herabgeflogen,
Verschüttend ganz des Waldwegs enge Gleise.

So ging durch Nacht und Nebel meine Reise,
Doch Muth und Frohsinn freundlich mit mir zogen;
Es schwebte Phantasie auf lichten Wogen,
Und Hoffnung zog um mich die Zauberkreise.

Und als ich anlangt' in der Heimath Zonen,
Da kam die Liebe, herrlich mir zu lohnen,
Und ließ mich ganz in ihrem Tempel wohnen.

Da blühte mir der Mai im Rosenglanze,
Die Horen schwebten mir im schönen Tanze
Vorbei, geschmückt mit immer neuem Kranze.


2.
Jetzt lacht der Lenz aus lichtbegrünten Zweigen,
Das volle Leben drängt sich heiß hervor,
Es tönt der Waldessänger froher Chor,
Der Himmel will sich liebend niederbeugen.

Doch ob rings heit're Klänge aufwärts steigen,
Obgleich mir wieder stiller Heimath Thor
Sich gastlich öffnet - finstrer Trauerflor
Umhüllt mich doch, und grambeklommnes Schweigen.

Wohl grüßen rings mich holdbekannte Züge,
Die heil'ge Stätte, meiner Liebe Wiege,
Auch die hab' ich wohl endlich wiederfunden.

Doch sie, die erst das lichte Frühlingsleben
Mir und der trauten Heimath konnte geben,
Die Einzige, Geliebte ist entschwunden!
(S. 19-20)
_____


Aus: Auswahl aus Alexander Rydenius
poetischem Nachlaß und Bruchstücke
aus seinem Reise-Tagebuche
Herausgegeben von einem seiner Freunde
Reval 1826 Gedruckt bei Carl Dullo


 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite