Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Max Schaffrath
(1813-1877)



Trennung

Von dir entfernt, wie mag ich da noch leben
Im Trennungsschmerz, der meine Brust umnachtet
Und unbesiegbar jeden Trost verachtet,
Den ihm Natur, den Freundeswort ihm geben!

Doch nein, ich lebe nicht! - Ist das ein Leben,
Wenn man das Herz, das tief im Grame schmachtet
Und kalt und fühllos nicht mehr ringt und trachtet,
Kaum noch gewahrt an seines Schlages Beben?

Wohl starb ich schon! Das war mein Todesstreit,
Als ich mich blutend deinem Kuß entwand,
Und Leib und Seele sind seitdem geschieden.

Den Leib nur schleppt' ich fort in bittrem Leid,
Die Seele blieb an deinen Blick gebannt
Und sonnt sich still in deinem Himmelsfrieden!
(S. 23)
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Versicherung

Und ob du scheidest, nie vergess' ich dein!
Dein süßes Bild, mir tief ins Herz geschrieben,
Erlischt ja nie, mag auch dies Herz zerstieben;
Denn ewig wird's in meiner Seele sein.

Und wirst du treulos, mein doch bleibst du, mein!
Nichts kann ich mehr, als dich unendlich lieben!
Nur dies Gefühl ist einzig mir geblieben,
In ihm nur leb' und athm' ich noch allein.

Gott, was verbrach ich, daß du mir versagst
Ihr Leben ganz dem meinen zu verbinden,
Dem reinsten Glück den eignen Heerd zu gründen?

Sei still, mein Herz! Vergebens, daß du fragst.
Kein ungetrübtes Glück gedeiht auf Erden,
Du aber würdest hier schon selig werden.
(S. 139)
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Ein Traum

Zu meinem Todtenbett mit schwanken Schritten
Tratst du heran - ich sah's im nächt'gen Traume -
Du warst allein im matterhellten Raume,
Ein bleiches Bild der Qual, die du gelitten.

"Zieh' bald mich nach!" - so hört' ich leis dich bitten -
"Wer schützt die Ranke, losgelöst vom Baume?"
Du bogst dich vor, und von der Wimpern Saume
Mild auf mein Herz viel warme Tropfen glitten.

Und wie dein Mund nun auf dem meinen ruhte
In langem Kuß, begann mein Herz zu schlagen
So ungestüm, daß ich darob erwachte.

Da war so seltsam traurig mir zu Muthe:
Mein eignes Leben wollt' ich schier verklagen,
Das diesen Traum zur kurzen Täuschung machte.
(S. 140)
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Unenthüllte Liebe

1.
Ich liebe dich und darf es nicht gestehen!
Ach, ein Geständniß würde mir nicht frommen
Und machte nur dein friedlich Herz beklommen,
Dies sanfte Herz - es kann nicht leiden sehen!

Frei dir zu nahn, so laß es fort geschehen:
Dir stumm zu huld'gen, sei mir unbenommen.
O fürchte nicht! Gelassen will ich kommen
Und, stillbeseligt, still von dannen gehen.

In deiner Augen Himmel laß mich blicken,
Dem süßen Wohllaut deiner Lippe lauschen:
Gern will ich dann den kühnern Wunsch bemeistern.

In meiner Einsamkeit wird's mich erquicken,
An deinem Bild die Seele zu berauschen,
Und mich zu hohem Liedesflug begeistern.
(S. 141)


2.
Du bist so gut als schön. Ach, jede Tugend
Und jeden Reiz hat dir Natur verliehen,
Mit seltner Wahl in volle Harmonieen
Zum schönsten Bau die schönsten Steine fugend!

Dein Geist ist klar wie eine Götterjugend,
Ein reines Licht, vor dem die Schatten fliehen,
Ein steter Lenz voll süßer Melodieen
Und unerschöpft aus frischen Knospen lugend.

Nie sahn so hohe Schönheit meine Blicke.
Wann du erscheinst, erfaßt mich neue Wonne,
Und unbewußt muß ich die Hände falten

Und heimlich flehn zum Lenker der Geschicke:
"O woll' im Strahle deiner Gnadensonne
Sie immerfort so schön und gut erhalten!"
(S. 141-142)


3.
O möchtest du ins tiefste Herz mir sehen,
Wie drin für dich die reinste Liebe waltet!
Zum schönsten Einklang Alles umgestaltet -
Ein stilles Wunder ist an mir geschehen.

Nicht wollt' ich dann um deine Liebe flehen;
Ich weiß es ja, wie streng das Schicksal schaltet!
Die Blüthen nur, die du in mir entfaltet,
Sie sollten dich mit ihrem Duft umwehen.

Und stauntest du ob all dem reichen Segen,
Den deine Huld mir unbewußt beschieden,
Möcht' ich mit heitrem Wort dir Dank bezeigen.

Doch fürcht' ich stets, es könnte dich erregen
Und leise Wehmuth mischen in den Frieden,
Der dich beseelt. - So muß ich ewig schweigen.
(S. 142)


4.
Mir ist zu Muth, als wenn dein Geist mich triebe,
Als sei vor dir mein Innres aufgeschlagen,
Und all mein Thun aus längst verklungnen Tagen
Dir anvertraut, daß nichts verborgen bliebe.

Sonst war ich ungestüm, doch nun verschiebe
Ich oft die That, mich sorglich erst zu fragen:
"Ist's gut und recht? Was würde sie wohl sagen,
Wenn du mit ihr verbunden wärst in Liebe?"

Wie nach der Elemente wilder Gährung
Ein heitrer Tag sich breitet aufs Gefilde,
So ward auch mir nach Stürmen Ruh beschieden.

Und fehlt mir auch des höchsten Glücks Gewährung:
Ich bin getrost; mein Sinn ist still und milde,
Und mit der ganzen Menschheit hab' ich Frieden.
(S. 142-143)
_____



Sonette an Agnes

Dichterherz darf nicht verzagen:
Auch das Leid muß Früchte tragen

1.
Erschrick nicht, süßes Kind, wenn diese Sänge
Dir unversehens kommen zu Gesichte!
Du wähnst vielleicht, weil ich an dich sie richte,
Daß mein Geschick zu bittern Klagen dränge.

Allein was frommt's, wenn ich der lauten Menge
Gereimt enthülle meines Leids Geschichte?
In jener Flut pomphafter Klaggedichte
Verrännen leicht die ungezierten Klänge.

Den lichten Strahl, in meine Brust gesendet,
Ihn will ich frei und freudig offenbaren,
Und dankbar weih' ich dir, was du gespendet.

Der tiefsten Seele soll dein Bild entsteigen;
Was mir du bist, du sollst es treu erfahren -
So ist dies Lied ja ganz und gar dein eigen!
(S. 143-144)


2.
An jenem Tag, als ich zuerst dich schaute
Und zitternd dastand, wunderbar beklommen,
Als sei das Ideal herabgekommen,
Wie mir zuvor mein kühnster Traum vertraute:

Da hab' ich gleich dein Bild, das huldbethaute,
Mit seinem Blick, dem milden, engelfrommen,
Ins tiefe Herz ehrfürchtig aufgenommen,
Daß sich ihm dort ein reiner Altar baute.

Und wie seitdem das Leben mich bestürmte
Mit der Verführung und des Trugs Gewalten
Und meiner Bahn Hemmniss' entgegenthürmte:

Jedwede Macht zerrann vor meinem Lieben;
An deinem Bilde hab' ich festgehalten,
Und dir verdank' ich, daß ich rein geblieben.
(S. 144)


3.
Umkränzt mit Lichtern schaut vom Hochaltare
Die hehre Jungfrau niederwärts, die reine;
Inbrünstig fleht die knieende Gemeine,
Daß sie der Gottgeweihten Huld erfahre.

Die Menge kommt und geht, die wandelbare,
Schon mancher Beter schweigt im Todtenschreine;
Die Heil'ge nur, sie bleibt die ewig Eine
Und unberührt im stillen Lauf der Jahre.

So thronest du in meinem treuen Herzen
Unwandelbar, nur rings in klarer Milde
Umglühn Gefühle dich wie Opferkerzen;

Und wie Gedanken wechselnd sich gestalten,
Gleich frommen Betern nahn sie deinem Bilde,
Von deiner Huld erst Weihe zu erhalten.
(S. 144-145)


4.
Ja, eine Kirch' ist nun mein Herz geworden!
Es flüstert leis von innigen Gebeten,
Kein Ungeweihtes darf ins Innere treten,
Das Heiligthum beschirmt ein strenger Orden.

Es schwillt der Klang in mächtigen Akkorden
Geheimnißvoll zum Hohenlied, dem steten;
Vom Morgen währt die Feier, bis der späten
Gestirne Schaar bekränzt des Himmels Borden.

An ihrem Schein entzünden sich die Flammen;
Das Kirchlein steht in wunderbarer Helle,
Und Erd' und Himmel feiern still zusammen.

Da steigt das Lied zum höchsten Lichtgefilde,
Daß es sich kühn Unsterblichem geselle -:
Die ew'ge Leuchte strahlt vor deinem Bilde.
(S. 145)


5.
Du heil'ge Jungfrau! Klarer Liebesbronnen!
Daß sie von dir die reinste Liebe lerne,
Wie senkt die stille Seele sich so gerne
In dein Beschaun, dem Erdentand entronnen!

Doch darf sie nur in deinem Glanz sich sonnen:
So nah zugleich und unerreichbar ferne
Strahlst du hernieder gleich dem Morgensterne,
Der uns verheißt erneuten Tages Wonnen.

Wenn Himmlischem ein Erdenloos vergleichbar,
So ist's mein Lieben, das ins dunkle Leben
Ein Glück hineinstrahlt, hoch und unerreichbar.

Ich darf ein süßes Bild im Herzen tragen,
An seiner Schöne meinen Geist erheben;
Doch dem Besitze muß ich stets entsagen.
(S. 146)


6.
Und blieb auch fruchtlos mein getreues Ringen,
Darf nie mein Arm den süßen Leib umfangen:
Wenn ungestillt, wird geistig das Verlangen
Und muß verklärt die reinste Blüthe bringen.

Wofern dem Geiste Höchstes soll gelingen,
So darf er nicht an Wandelbarem hangen;
Siegreich erlöst von Erdenlust und Bangen,
Enthüllt er ganz die ätherleichten Schwingen.

Drum klag' ich nicht. Du warst mir Preis des Lebens:
Nun kann ich leicht mich Irdischem entwöhnen;
Wer dich geliebt, den lockt die Welt vergebens.

So, fesselfrei, geläutert und erneuert,
Streb' ich empor ins Reich des Ewigschönen,
Zu Geistesthaten durch dein Bild befeuert.
(S. 146-147)


7.
Was ist Besitz? Ein wesenloses Scheinen,
Ein Sinnentrug von ungewisser Dauer!
Den kurzen Wahn bedroht nur größre Trauer,
Wenn wir den luft'gen Schatz gesichert meinen.

Denn nichts vermagst du deinem Selbst zu einen.
Beschaust der Dinge Wesen du genauer:
Unübersteiglich ragt der Scheidung Mauer,
Den kecken Wunsch für immer zu verneinen.

Von jedem Glück, wie schön es aufgegangen,
Was bleibt als Kern bei unbefangner Sichtung?
Einzig der Eindruck ist's, den du empfangen.

Nur wenn er ganz die Seele dir durchdrungen,
Ihr würd'gen Schwung zu leihn und hohe Richtung:
Dann hast du wahres Eigenthum errungen.
(S. 147)


8.
So bist du mein! Unlöslich eingewoben
In meine Seele, klärend und gestaltend,
Die stillen Knospen wunderbar entfaltend,
Ein Stern des Segens gleich der Sonne droben!

Fest steht mein Glück in wilder Stürme Toben,
Im stetem Wechsel reinste Treue haltend,
Voll ungeschwächter Schöne, nie veraltend,
Kühn über Zeit und Raum emporgehoben.

Was künft'ges Schicksal mag mit dir beginnen,
Bannt's dich für immer fort in dunkle Ferne,
Mag fremde Liebe gar dein Herz gewinnen:

Mir kannst du nun und nimmer dich entreißen!
In meine Nacht strahlst du, wie ew'ge Sterne
Tiefgläub'gem Sinn Unsterblichkeit verheißen!
(S. 147-148)


9.
Wohl bist du schön! In einer seltnen Stunde
Hat die Natur dies Meisterwerk gedichtet,
Auf dein Erblühn den steten Blick gerichtet,
Daß sich an dir, was sie vermag, bekunde.

Wie schmiegt sich Leib an Geist im schönsten Bunde!
Wie ist vom Geist die reine Form durchlichtet!
So strahlt im Bache, spiegelklar geschlichtet,
Der Sonne Bild herauf vom tiefen Grunde.

Wer so dich schaut in höchster Schönheitsfülle,
Dem naht der Wunsch, daß ewig möge währen,
Der Seele gleich nie ändernd, ihre Hülle.

Ach, solchen Reiz auch wird die Zeit verwehen!
Soll sich der Geist zum freisten Sein verklären,
So muß die Form, die ihn beschränkt, vergehen.
(S. 148)


10.
Was leiht dir solche Huld vor andern Frauen?
Dies Ebenmaß, gepaart mit Wohlbewegung?
Die Seel' allein, die durch der Hüll' Umhegung
In jedem Zuge läßt ihr Walten schauen!

Dein Aug' ist formschön unter sanften Brauen;
Doch schöner durch des reinen Sinns Ausprägung,
Der, fromme Weih' anhauchend jeder Regung,
Den Blick beseelt mit Mild' und Gottvertrauen.

Des Weibes Liebreiz quillt aus keuscher Sitte,
Aus Geistesanmuth, durch die Form ergossen,
Die Wonnen weckt, wohin du lenkst die Tritte.

O wahre stets die engelreine Tugend,
Dies reiche Herz, dem Schönen aufgeschlossen:
Dann blüht dir unverwelklich Reiz und Jugend!
(S. 148-149)


11.
Wie, wenn ein Lichtstrahl dringt durch Felsenspalten,
Krystall' und Erze leuchtend sich entzünden;
Wie maienregenfrisch in Thal und Gründen
Sich tausend Blüthen über Nacht entfalten:

So wunderreich in mir gedieh dein Walten!
Ein neues Leben will den Segen künden,
Der Liebe mild die Poesie verbünden
Und jeden Eindruck als ein Lied gestalten.

O habe Dank! Dein Zauber wirkt in Weite;
Denn, auch entfernt, nie lässest du mich einsam,
Als Genius mir stets zur Seite

Nur Ein Gedank' an dich, da strömen Lieder;
Drum sind sie wahrhaft dir und mir gemeinsam:
Du hauchst sie ein, ich töne treu sie wieder.
(S. 149)


12.
So lebe wohl! Mein Lied hat ausgeklungen.
Mir ist so still und feierlich zu Sinne,
Wie Einem, der zu reinster Gottesminne
Nach schwerem Kampfe froh sich aufgeschwungen.

Ein schöner Sieg, er ist auch mir gelungen:
Entsagung wandelt nun sich zum Gewinne;
Des reichsten Seelenfriedens werd' ich inne,
Und ungetrübt aufblühn Erinnerungen.

Nur geist'ge Liebe dauert unvergänglich,
Weil sie des Lebens Wechsel bleibt enthoben,
Und lohnt mit Wonnen still, doch überschwenglich.

O schau hinauf, wo ew'ge Sterne funkeln!
Sie kann Gewölk, vom Winde leicht zerstoben,
Dem Blick entziehn, doch nimmermehr verdunkeln.
(S. 150)
_____


Aus: Dichtungen von Max Schaffrath
Düsseldorf Verlag von Breidenbach & Comp. 1875


 

 

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