Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




August Wilhelm von Schlegel
(1767-1845)



Leda von Michel Angelo

Der Vogel Zeus, der Träger mächt'ger Blitze,
Als ihn sein Fürst zum Raub auf Ida sandte,
Hielt er den Knaben, der sich zagend wandte,
Behutsam, daß ihn nicht die Klaue ritze.

Doch über Reiz und Anmuth rollt' in Hitze
Sein Auge hin; auch keinen Kuß entwandte
Der Schnabel, der nur blut'ge Thaten kannte:
So trug er rasch ihn zum olymp'schen Sitze.

Du aber, holder Schwan, du weißt die Gaben
Der Lieb' in hoher Schönheit Schooß zu pflücken,
Du willst nicht im Gesang, im Kuße sterben.

Nicht sterben, nein, nur lebend dich begraben
Im Wollusttaumel, und durch dieß Entzücken
Unsterblichkeit, wenn sie nicht dein, erwerben.
(S. 329)
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Zum Andenken

Du nahtest nur, uns wieder zu verlaßen,
Dein rascher Weg hat dich vorbeigetragen!
Von deiner Gegenwart beglückten Tagen
Sah ich zu bald den heitern Strahl erblaßen.

Dieß kleine Blatt, das du zurückgelaßen,
Es soll dir meine Wünsche, meine Klagen,
Dein Bild in mir, dein Angedenken sagen:
Wie könnt' es so viel große Dinge faßen?

Drum dieß nur: wird's in deiner Nähe wohnen,
Wird manchmal seinen Sinn dein Blick entsiegeln,
So neid' ich ihm sein glückliches Gelingen.

O möcht' ein Täubchen dir es überbringen,
Und nähmest du's ihm schmeichelnd von den Flügeln,
Und möcht' ein Kuß die kleine Botin lohnen!
(S. 327)
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Die furchtbare Nähe

Es zogen Heere, donnerten Geschütze
Fernab, die starke Veste zu bestürmen,
Daß sich ihr Strom mit Leichen mußte thürmen;
Die Sommernacht erhellten Kriegesblitze.

Da wußt', im engen Thal, auf schatt'gen Sitze,
Vor allen andern als der Freude Stürmen
Mich und die Liebste Liebe zu beschirmen,
Vereinigt wie die Reb' und ihre Stütze.

Dieß deutet frohe Zukunft unserm Bunde.
Wie sollt' er nicht, von freundlichen Gestirnen
Selbst im Gewitter angelacht, bestehen?

Doch donnert, uns auch, der Verheerung Stunde,
So laß uns, achtlos um der Götter Zürnen,
Im Schooß der Liebe selig untergehen.
(S. 324)
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Todten-Opfer für Augusta Böhmer

II.
Auf der Reise
Von ferne kommt zu mir die trübe Kunde.
Es trennt mich ein Gebirg mit Wald und Klüften,
Blau dämmernd in des Horizontes Düften,
Von dort, wo ich erlitt die Todeswunde.

Da mach' ich auf die Wandrung mich zur Stunde:
Wo Bäche stürzend rauschen in den Schlüften,
Wo Felsen sich gewölbt zu dunkeln Grüften,
Da ist der Pfad mit meinem Sinn im Bunde.

Hier reif'te jüngst hindurch, die ich betraure,
Nicht achtend auf des schroffen Wegs Beschwerde;
Zur heitern Landschaft südlich hingezogen.

Mai war's, nun heißt es Sommer, und ich schaure
Von kaltem Sturm; ihr ward zum Grab die Erde:
Der Lenz hat Allen, Jugend ihr gelogen.


III.
Der Gesundbrunnen
Der Himmel lacht, es wehen warme Lüfte,
Die Gauen blüh'n ringsum mit Wein und Korne.
Hier schirmen Hügel vor des Nordwinds Zorne
Ein kleines Thal voll frischer Wiesendüfte.

Und es ergießt der Schooß der kühlen Klüfte
Heilsamen Trank in ewig regem Borne.
Da fällt mich die unheimliche, verworrne
Vorahndung an: hier sind auch Todtengrüfte.

Kannst du dich so, Natur, mit Mord besudeln?
Wie, oder war dir jede Kraft und Tugend
Vom unerbittlichsten Gestirn gebunden?

Ja, hier, wo selbst die Quellen Leben sprudeln,
Hat, in der Rosenhülle froher Jugend,
Mein süßes Leben seinen Tod gefunden.


IV.
Der erste Besuch am Grabe
Schon Wochen sind es, seit sie hier versenket
Den süßen Leib, von aller Huld umfloßen,
Der das geliebte Wesen eingeschloßen,
Zu dem umsonst mein Sehnen nun sich lenket.

Welk ist der Kranz, dem Grabe frisch geschenket,
Und nicht ein Halm dem Hügel noch entsproßen;
Die Sonne zielt mit glühenden Geschoßen,
Noch Thau noch Regen hat den Staub getränket.

Auch werd' ich dazu nicht des Himmels brauchen.
Kehr' dich nur weg, fühlloses Weltenauge!
Ihr Wolken mögt euch anderswo ergießen.

Nur meine Thränen, heil'ger Boden, sauge!
Bei warmem Liebesblick und kühlem Hauchen
Der Seufzer sollen Wunderblumen sprießen.


V.
Geliebte Spuren
Dich sollt' ich haßen, und ich muß dich lieben,
Ort! der mein Kleinod geizig wollte haben,
Nicht um sich sein zu freun, es zu vergraben;
Selbst reicher nicht, indeß ich arm geblieben.

Hier sind noch ihre Spuren eingeschrieben:
Auf diesen Wiesen saß sie; Schatten gaben
Ihr Busch und Baum, und Früchte, sie zu laben;
Die Blumenlust ließ Au und Feld sie üben.

Hier sang sie noch dem Echo muntre Lieder;
Jungfräulich wandelnd im Cyanenkranze
Ließ sie das goldne Haar anmuthig flattern.

Bald aber sank sie, ach! entseelt danieder,
Wie den Gespielen weggerafft im Tanze
Eurydice vom Stiche falscher Nattern.


VI.
Das Schwanenlied
Oft, wenn sich ihre reine Stimm' erschwungen,
Schüchtern und kühn, und Saiten drein gerauschet,
Hab' ich das unbewußte Herz belauschet,
Das aus der Brust melodisch vorgedrungen.

Vom Becher, den die Wellen eingedrungen,
Als aus dem Pfand, das Lieb' und Treu getauschet,
Der alte König sterbend sich berauschet,
Das war das letzte Lied, so sie gesungen.

Wohl ziemt sich's, daß der lebensmüde Zecher,
Wenn dunkle Fluten still sein Ufer küßen,
In ihren Schooß dahingiebt all sein Sehnen.

Mir ward aus liebevoller Hand gerißen,
Schlank, golden, süßgefüllt, bekränzt, der Becher;
Und mir zu Füßen braus't ein Meer von Thränen.


VII.
Die himmlische Mutter
Der Himmel, sagt man, kann Gewalt erleiden.
O drängen meiner Blicke Liebespfeile
Die Wolken durch, daß ich an deinem Heile,
Geliebtes Kind, mein Herz doch möchte weiden!

Du mußtest von der treuen Mutter scheiden:
Ward eine Mutter droben dir zu Theile?
Wer sagt dir Tröstung, die dein Mitleid heile,
Wenn du so fern herabschaust auf uns beiden?

Ein heil'ges Wort hat Botschaft ja gesendet,
Dort walt' ein weiblich Bild der Muttertriebe,
Das Herz der Welt, in ewigem Umarmen.

O, wenn von ernster Glorie Strahl geblendet,
Die zarte Seele flieht zum Schooß der Liebe:
Birg du, Maria, sie in deinen Armen.
(S. 127-135)
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Licht und Liebe

Nicht bloß spielt aus des Sonnenstrahles Reine
Die ganze Farbenwelt; die glüh'nde Helle
Wird auch auf Erden hoher Farben Quelle,
Die sie hervorruft, gleich als Widerscheine.

Da brennen Blumen, regt durch goldne Haine
Sich des Gefieders tausendfärb'ge Welle,
Das Raubthier schleicht in buntgestreiftem Felle;
Und in der Tiefe funkeln edle Steine.

So reift der Liebe Glut und heiß Erröthen,
Wie Sonnenkraft die irdischen Naturen,
Zum Farbenglanz der Phantasie Gebilde.

Ihr ebnen sich smaragdner die Gefilde,
Ihr wölbt der Himmel voller Azuren,
Wo schöner zuckend auch die Blitze tödten.
(S. 349)
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Die Flucht der Stunden

O daß ihr stille stündet, sel'ge Stunden!
Weil ihr verdient zu weilen, müßt ihr eilen,
Was euch vervielfacht, scheint euch zu zertheilen:
Endlos Entzücken macht euch zu Sekunden.

"Was klagst du? Wie gefunden, so verschwunden.
"Befiedert trugen wir mit Amors Pfeilen
"Dir Lust herbei, und süße Gunst, zu heilen
"Die Wunden, die dein Herz kaum überwunden."

So seid denn, Stunden, meiner Wonne Musen!
Lehrt mich, von eurem Flug nicht fortgerißen,
Ruhig die holde Gegenwart zu saugen.

"Lausch dem Sekundenschlag am schönsten Busen,
"Und zähle jeden Odemzug nach Küßen;
"Ein Augenblick blitzt manchen Blick der Augen."
(S. 336)
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An Bürger

Süßer Sänger, willst du mir vertrauen,
Wo sie wohnt, die dein Gesang erhebt?
Wo sie wandelt, wo ihr Odem webt,
Muß Gedeihn und Lust die Flur bethauen.

Wie? du winkst mir, da hinauf zu schauen,
Wo der Feiertanz der Sterne schwebt?
Die im Liede lieblich blüht und lebt,
Weilt sie schon auf Paradieses-Auen?

Sänger, deine Müh wird doch belohnt.
Einsam klagst du nicht am Grabeshügel,
Jedem Laute gabst du Seraphsflügel.

Wo bei Laura deine Molly wohnt,
Hören beide, zart, wie Tauben girren,
Durch die Amaranthenlaub' ihn irren.
(S. 352)
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Deutung

Was ist die Liebe? Les't es, zart geschrieben,
Im Laut des Worts: es ist ein innig Leben;
Und Leben ein im Leib gefeßelt Streben,
Ein sinnlich Bild von ewig geist'gen Trieben.

Der Mensch nur liebt: doch ist sein erstes Lieben
Der Lieblichkeit des Leibes hingegeben.
Will sich, als Leibes Gast, der Geist erheben,
So wird von Willkür die Begier vertrieben.

Doch unauflöslich Leib und Geist verweben
Ist das Geheimniß aller Lust und Liebe;
Leiblich und geistig wird sie Quell des Lebens.

Im Manne waltet die Gewalt des Strebens;
Des Weibes Füll' umhüllet stille Triebe:
Wo Liebe lebt und labt, ist lieb das Leben.
(S. 355)
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Gesang und Kuß

Wenn fremde Blicke wachsam uns umgeben,
Und unsre tiefe Sehnsucht, ungestillt,
Sich in der Heiterkeit Geberde hüllt,
Und leise kaum den Busen wagt zu heben:

Dann ist nur eins, o mein geliebtes Leben!
Was mein Gemüth mit Wonn' und Ahndung füllt:
Die Melodie, so deinem Mund' entquillt,
Der seelenvollen Töne sanftes Schweben.

Wie Liebesodem fühl' ich den Gesang
Auf diesen Lippen, die vergebens glühen;
Zum Kuße wird mir jeder zarte Klang.

Und nenne dieß nicht eitle Phantasieen.
Vernehm' ich nicht im schweigenden Umfang
Auch deines Herzens schöne Harmonieen?
(S. 333)
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An Doris

Wenn gern die Cither deiner Finger Schlägen
Gehorcht, und Lieder deinem Mund' entgleiten,
Scheint Wohllaut so mit Schönheit wettzustreiten,
Daß ich nicht weiß, was mächt'ger kann bewegen.

Blind wie das Recht, müßt' ich die Stimme wägen,
Auf daß die Augen nicht das Ohr mißleiten.
Doch deine Töne locken schon vom weiten
Des Hörers Blicke deinem Blick entgegen.

Beglücktes Holz, das dir im Arme weilend,
Von dir berührt, von deinem Reiz beseelet,
Beredt erwiedernd, Laut mit Laut vermählet!

Doch glücklicher, wer, dem Gesang voreilend,
Den Hauch all dieser lieblichen Accente
Auf deinen Rosenlippen suchen könnte!
(S. 334)
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Auf die Arme der Geliebten

Wie reiche Schöne ward euch schönen Armen!
Nur müßt ihr euch mit anmuthsvollem Regen
Nicht bloß zur Rede, selbst beredt, bewegen:
Die Arme sind gemacht, um zu umarmen.

Verbannt aus eurem Reich, muß ich verarmen;
Doch wollt ihr mich in enge Bande legen,
So lös't ihr mich: wer könnte Harm wohl hegen,
Gehegt in Armen, die von Lieb' erwarmen?

So zart geründet von den Schultern nieder
Ihr Grübchen spielet an den Ellenbogen,
Dann, lind geschweift, euch zu der Hand verenget,

Seid ihr doch mächtig wie des Atlas Glieder:
Ihn hat des Himmels Bürde tief gebogen,
Den ihr so leicht in eure Mitte dränget.
(S. 335)
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Aus: August Wilhelm von Schlegel's Poetische Werke
Herausgegeben von Eduard Böcking Dritte, sehr vermehrte Ausgabe
Erster Theil. 1. - 3. Buch. Vermischte Gedichte, Lieder, Romanzen und Sonette.
Leipzig Weidmann'sche Buchhandlung 1846


 

 

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