Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ilse von Stach
(1879-1941)



Drei Sonette

I.
Laß mich dein holdes Angesicht betrachten! -
Was für ein Wort! Halb zärtlich, halb vermessen,
als hätte ich der Jahre Zahl vergessen,
die aus dem holden Knaben einen Menschen machten.

Die in sein Antlitz tausend Zeichen brachten,
weil er doch wißbegierig unterdessen
als Gast und Wirt an jenem Tisch gesessen,
da man die Früchte speist aus Sphären und aus Schachten.

Ernst sein ist alles, sagt dein Angesicht.
Und schimmert doch durch Reife und durch Strenge
das Holdsein wie ein unbesiegtes Licht,

treibt Wissensforderung aus ihrer Enge, -
bis sich ein Kranz um die gelehrte Stirne flicht -
und über Thesen siegen Bilder und Gesänge.


II.
Ich aber will in jene Tiefe steigen,
in jenen Wesensgrund, darin die Treue wohnt.
Die Lebenstreue, die auf heil'ger Insel thront,
umbraust, umbrandet, angespie'n von einem Reigen

widriger Geister, die ja niemals schweigen,
wenn irgendwo ein Genius bettelt: Schont
in mir den Auftrieb, - wenn ihr auch nicht lohnt ...
nur deine Treue schonte, lohnte Sinken oder Steigen.

Als Dichterin und Mutter hab ich sie gewogen.
Welch ein Gewicht war dies. Und als Geliebte.
Hast du aus diesem ewgen Quell die Kraft gesogen,

daß täglich sie aufs Neue Wurf und Anwurf siebte,
bis sie Versuchung wiederum in Treue umgebogen ...?
O Liebster. Daß ich je genug dich liebte!


III.
An den Gestirnen hat die Flamme sich entzündet.
Gott, der allweise Lenker der Gestirne
und Herzen - lenkte die Herzen über Tal und Firne,
also daß Wassermann und Steinbock sich verbündet.

Also daß Wassermann, der stets den Morgen kündet,
Steinbock den Zögernden mitreißt in Blut und Hirne.
Dann aber ist es Steinbock, der die ewige Geisterdirne
einfängt, bis sich ihr Tanz zur Orgelfuge ründet.

So ist denn eins dem andern zugesellt.
So schlagen sie als Allieerte ihre Geistesschlachten,
stürzen durch Raum und Zeit und schöne Welt

auf ihrer Seele weit gespannten Yachten.
Nur manchmal, wenn nach Tag und Traum der Abend fällt,
will Wassermann des Steinbocks holdes Angesicht betrachten.


Aus: Ilse von Stach "Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 47-48)

_____


 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite