Marie Madeleine (1881-1944) - Liebesgedichte


 

Marie Madeleine
(Marie von Puttkamer geb. Günther)
(1881-1944)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 





Champagne frappé!

Aus der eisesstarrenden Hülle
springen in goldenschäumenden Gluten
in ihrer sinnenberauschenden Fülle
heiss empor die Champagner-Fluten.

Willst du so recht das Rechte fühlen,
musst aus dem Eis du das Feuer genießen: -
Jene Frau'n, die die Heiligen spielen,
musst du in deine Arme schließen.

Glaub's! In den ruhig blickenden Weibern
zucken die allerwildesten Triebe,
und am tollsten lodert die Liebe
in den weißen Madonnenleibern.

Und aus den überschlanken Gestalten
sprüht es in lodernden Flammenbächen
gleichwie aus Islands Gletscherspalten
schäumend die glühenden Quellen brechen.

Flammen, die dich züngelnd umspielen,
die sich in Leib und Seele dir giessen! - -
Willst du so recht das Rechte fühlen,
musst aus dem Eis du das Feuer geniessen!

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 14-15)

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Vergieb!

Ob sie wohl jemals – wohl jemals – erfährt,
wie glühend ich ihren Herzliebsten begehrt?
Und als ich trat in das stille Gemach,
sah sie träumend hinaus in den scheidenden Tag.
Und es waren in dem sterbenden Licht
ihre Augen so gross in dem blassen Gesicht.
So seltsam gross und so seltsam starr
unter dem schimmernden Märchenhaar,
das in hochgetürmter Lockenfrisur
Krönt ihre schlanke Lacertenfigur.

- Sing mir ein Lied! – Und mit wildem Hasten
griff sie nervös in die klingenden Tasten.
Und sie sang ein lustig' feuriges Lied,
aus dem es wie knisternde Funken sprüht,
ein Lied von der brennenden Liebe - - -
von taumelnder Lust und des Sommers Glanz,
und plötzlich grell eine Dissonanz
wie ein wildes Tier, das um Hilfe schreit. - -

Ihr Körper zittert in schlummerndem Leid,
und meine Arme umklammern sie fest,
und ich hab' meinen Mund in ihr Haar gepresst,
in ihr duftendes Haar, und dann, wie ein Schrei:
"Vergieb! Vergieb! Er blieb dir ja treu!

Die Luft war so heiss – und mein Blut ist so toll,
und die Klänge waren so sehnsuchtsvoll.
Die Walzermelodieen zumal
überfluteten wogend den Saal,
und das strömende Licht die Wände entlang.
Das war wie ein Meer, in dem ich versank.
Das war wie ein Meer!

Mein Gesicht war von Begierde erblasst,
und er hat nicht einmal meine Hand gefasst,
und er hat nicht einmal meinen Mund geküsst.
Eine Laune war's, die gestorben ist.
Eine Laune! Ein Reiz! Ich hab ihn begehrt,
weil ich wusste, dass er nur dir gehört!
Vergieb!"

Ein Lächeln in ihrem Gesicht.
Ein solches Lächeln sah ich noch nicht,
und ich möchte lieber in's Wasser gehn,
eh' solch ein Lächeln noch einmal sehn.
Und von meinen Lippen in dumpfer Qual:
"Er blieb dir ja treu!" Und noch einmal:
"Er blieb dir ja treu!"

Da lächelt sie müd. -
Der letzte Schein des Tages verblüht,
und eine stille Dämmerung sinkt
auf den Raum, durch den ihr Schluchzen klingt.

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 16-18)

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Bohême

Nun lösche mir die fiebernde Glut,
die dein gieriges Küssen in mir entfacht.
Mein brennendes, rotes Zigeunerblut
ist sturmgepeitscht wie die rasende Flut.
Nimm' dich in Acht!

Ich liebe dich nicht. Mein Herz gehört
meinem blonden Liebsten im fernen Land.
Ich liebe dich nicht! Doch es begehrt
dich die qualvolle Sehnsucht, die mich verzehrt
wie Flammenbrand.

Ich bin so jung, und ich bin so heiss,
und ich sehne mich nach der einen Nacht.
Ich werde kommen auf dein Geheiss,
o du! Und wie ich zu hassen weiss - - -
Nimm dich in Acht!


Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 21-22)

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Ich sah dein Bild die ganze Nacht,
und in mir stöhnte dumpf das Tier,
und mein Sehnsucht schrie nach dir
die ganze Nacht – die ganze Nacht.

Nach dir und deiner jungen Kraft,
die meiner Launen Trotz bezwungen,
O, wie du knieend mich umschlungen
in deiner tollen Leidenschaft.

Ich sehnte mich so sehr nach dir,
nach deiner Zimmer schwülen Düften,
nach deinen götterschlanken Hüften,
nach deiner Ringe goldner Zier.

Du lächelst stolz: "Ich hab's gewusst",
und weisst doch nicht, wie ich mich sehne,
zu graben meine Raubtierzähne
in deine nackte Jünglingsbrust.


Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 23-24)

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Ich träumte von dir. – Eine Sommernacht,
fahlblau und zitternd über dem Sund,
in deines Goldhaar's lockige Pracht
hineingewühlt mein brennender Mund.

Alle Nordlandklippen sind nicht so weiss
wie deine leuchtende Schlankheit,
und kein Feuer der Hölle brennt so heiss
wie meines Herzens Krankheit.

All meine Gluten nur dir! nur dir!
Deine bösen Augen schienen
zwei abgrundleuchtende Fjorde mir - -
meine Seele versank in ihnen.

Mein schwarzumschattetes Augenpaar
soll dir entgegengluten,
und es soll mein wildes dunkles Haar
über deine Schultern fluten.

Mit meinem weichen, wollüstigen Mund
will ich dein Herzblut trinken
in der Sommernacht, in der Mitternachtsstund,
wenn die Wellen singen und winken.

Das wahnsinnbringende Mondenlicht
mit seiner kranken Blässe
überleuchtet totenhaft dein Gesicht,
indess ich mich an dich presse.

Ich träumte ja nur. – Ich sah einen Baum,
so jugendüppig, so frühlingsstark,
und ich sah eine Tropenblume im Traum,
die sich um ihn wand, und sie trank sein Mark.

Sie war sehr weiss. Und seltsam erschlafft
im Sonnenhauch einer fremden Flur.
Und sie trank sein Blut und trank seine Kraft.
Da verdorrte der Baum. – Ich träumte ja nur.

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 25-27)

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Sommernacht

Viel Stimmen rauschen und flüstern
und raunen so zärtlich sacht
im sterndurchleuchteten Düstern
duftflutender Sommernacht.

Es steigt der süssen Sünden
wollüstig zitternder Chor
aus den quellenrauschenden Gründen
sehnsüchtig zum Himmel empor.

Johanniskäfer durchschwirren
das Thal mit zuckendem Schein.
Am Himmel die Wolken irren
und hüllen die Sterne ein.

An allen Büschen und Bäumen
quellen die Knospen mit Macht.
Ich kann nicht ruhen und träumen
in der seligen Sommernacht.

Ich wollte, du kämest geschritten
zu mir in den stillen Grund
und legtest die kühlen Lippen
auf meinen brennenden Mund.

Ich weiss, mein zitterndes Sehnen,
das stürbe heimlich und sacht,
erstickt von Küssen und Thränen
in der seligen Sommernacht.

Es wuchern viel wilde Triebe,
und die schwüle Luft ist schwer
von all' der brennenden Liebe
und dem leuchtenden Duft umher.


Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 103-105)

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Ich war so wild und hab' so viel geküsst
und wusste doch nicht, was die Liebe ist.

Und seit mein Mund auf deinen Lippen lag,
bist meine Sehnsucht du bei Nacht und Tag.

Ich liebe deiner Stimme müden Ton;
mir ist, ich suchte dich so lange schon.

Mir ist, ich suchte dich mein Leben lang
wie eines Liedes halbvergess'nen Klang,

Der sehnsuchtsvoll durch meine Seele bebt,
ein Leben kündend, das ich einst gelebt.


Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 106)

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Untreu

Komm! Drück' mich fester an deine Brust!
Wie bald! – Und das heisse Leben verklingt.
Lass mich ertrinken in Wogen der Lust.
Hörst du, wie stöhnend der Nachtwind singt!

Musst deinen Mund auf die Kehle mir pressen,
sollst mich besiegen in heisser Schlacht.
Ich werde in deinen Armen vergessen
den Einen, der mich so toll gemacht.

Du! Der hat mich niemals geliebt.
Er trieb mich hinaus in den Sturm und die Nacht,
und es lagen drei Rosen auf seinem Tisch.
Drei Rosen hatt' ich ihm gebracht.

Er jagte mich fort wie einen Hund,
und ich ging durch die Nacht, und ich ward so müd',
und ich dachte an seinen weichen Mund,
der so oft auf meinen Lippen geglüht!

Und an seinen mitleidzitternden Ton,
wenn er mir sagte: "Mein armes Kind!"
Und ich dachte an seinen bösen Hohn. - -
Ach Gott, warum schluchzt der Frühlingswind?

Warum schluchzt der Wind und stöhnt und stöhnt
wie damals? – Da musste ich zu ihm gehn.
Ich hatte mich so nach ihm gesehnt.
Ich hatt' ihn so lange nicht gesehn.

Und als ich in seinen Armen lag,
war mein Glück wie ein Meer, so tief, - so tief -
Ich hört' meines Herzens rasenden Schlag,
durch die Stille, in der das Zimmer schlief.

Und unten rasten die Züge vorbei,
wie gehetzt und gepeitscht von dämonischer Lust.
Der Lokomotive gellender Schrei
liess mich erschauern an seiner Brust.

Am Himmel blühte der Sternenschein
wie Totenlampen. Die brennen so matt.
Kühl kam durch's Fenster die Nachtluft herein,
und ferne das Branden der grossen Stadt.

Da waren verloschen und waren tot
meine Lüste, die aus der Hölle sind.
Als ich meinen jungen Leib ihm bot,
da war ich nichts als ein müdes Kind.

Ein müdes Kind, das sein Leben lang
so einsam war und so einsam blieb,
ein müdes Kind, das ihn zitternd umschlang
und bittet und bittet: Habe mich lieb! - - -

Weisst du, ich kannte einmal ein Lied,
ein seltsames Lied. Es lässt mich nicht frei.
So zärtlich war es, so sehnsuchtsmüd'.
Dann brach es ab. – Das war wie ein Schrei.

Eine Dissonanz! – Und klang wie ein Schrei,
und mein Herz schrie auf wie ein wildes Tier!
Wie stöhnt der Wind! Vorbei - - vorbei!
Vorbei!

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 113-116)

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Von Kypros nach Golgatha

Es rissen aus der Nacht empor
mich meines Dämons Riesenflügel,
und meiner Leidenschaften Chor,
der stürmte vorwärts ohne Zügel,
gleich Hengsten, die im Morgendunst
mit flatternd hochgeschwung'nen Mähnen
vorüberstürmen, toll vor Brunst,
und wiehernd ihre Nüstern dehnen.

Und nieder riss der wilde Hauf'
mich in das tiefe Thal der Sünde.
O! Meine Sinne blühten auf
wie Feuersglut im Morgenwinde.
Es war der jungen Leiber Pracht
weiss wie der Glanz der üpp'gen Rosen,
die in der sel'gen Sommernacht
mit Mondlichtflammenwellen kosen.

Ich ward wie voll des jungen Weins;
vor meinen Augen tanzten Funken,
und jede Faser meines Seins
erzitterte, vor Wollust trunken!
Und meine bebende Begier
entloderte in wilden Flammen;
die zuckten auf, und über mir,
da schlugen knisternd sie zusammen.

Sie haben mir das Herz verbrannt.
Als ich verliess den Venushügel,
schritt müd' ich durch den grauen Sand.
Gebrochen waren meine Flügel.
Und langsam stiegen sie empor,
die immer höher, höher schwellen,
die immer kühner dringen vor -
des Ekels träge, schwere Wellen.

Ich ging so lang im Sündenthal;
der Riesenblüten schwüle Dünste
betäubten mich mit Abgrundsqual,
mit purpurrotem Truggespinste.
Der Fledermäuse Chor umschlang
mein müdes Haupt in tollem Fluge,
und dunklen Giftes Tropfen trank
mein Mund mit jedem Atemzuge.

Und dass der Höhe ich so fern,
mein Liebster, wär' es denn gekommen,
wenn nicht mein Stern, mein einz'ger Stern
in blassem Nebel wär' verglommen,
wenn deine Liebe nicht erstarb
wie eines Irrlichts fahles Leuchten!
O, dass du nie die Thränen sah'st,
die nächtlich meine Wimpern feuchten!

Der hoffnungslosen Sehnsucht Macht
wirst du vielleicht erschauernd fühlen,
wenn meinen toten Körper sacht
die Wellen an das Ufer spülen.
Ich bin so müd', so bitter müd'.
All' meine Schlösser wurden Scherben!
Durch meine Seele klingt das Lied
von jenen, die im Frühling sterben!

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 117-120)

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Glaubst du, dass ich dich lassen werd',
glaubst du, ich werd' voll Frieden ruhn
tief unten in der nassen Erd',
wenn du nicht bei mir liegst?

Meine Sehnsucht, die du nie erfüllt,
wird heissen Atems noch dich küssen,
wenn mir der Tod den Durst gestillt,
der meines Lebens Inhalt war.

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 121)

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Glaubensbekenntnis

Ich liebe die Begierde,
die deine Erfüllung kennt.
Ich liebe die rote Flamme,
die meine Seele verbrennt.

Die zitternden, zitternden Töne
auf des Lebens Saitenspiel. - -
Ich liebe die große Sehnsucht,
die Sehnsucht ohne Ziel.

Ich liebe die tiefen Schmerzen
und die Qual, die mich geküsst.
Ich liebe die Entsagung,
weil sie die Wollust ist!

Aus: Auf Kypros Von Marie-Madeleine
sechsundfünfzigste Auflage
Est-Est-Verlag Berlin-Charlottenburg (o. J.; um 1910) (S. 126-127)

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Nocturno

Es hat Dich meine Liebe
Umsponnen mit tausend Ranken,
An denen Rosen schwanken,
Die rot wie mein Herzblut sind.

Rot wie die schweren Tropfen,
Die von meinen Lippen gedrungen,
Wenn mich Deine Arme umschlungen,
Wenn mich Dein Mund geküßt!

Wie schmerzlich schöne Blumen
Blühn diese roten Tropfen,
Wenn meines Herzens Klopfen
Laut ist wie Hammerschlag.

Wenn aus halbgebrochenen Augen
Die Höllenwonne mir leuchtet,
Wenn meine Stirne sich feuchtet
Und naß wird von Todesschweiß.

Die Liebe ist wie das Sterben. - -
Laß mich in seligen Qualen
Vergehen in Deinen Strahlen,
Du Sonne meiner Nächte!

Aus: An der Liebe Narrenseil
Gedichte von Marie Madeleine
Zweite Auflage Berlin 1902 (S. 45-46)

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Ein Traum

Und ob Du mich niemals hast begehrt,
Und ob Du niemals an mich gedacht, -
Wie auch Dein stählerner Trotz sich wehrt, -
Du bist doch mein Eigen im Traum der Nacht.

Wenn der Abend über der Erde ruht,
Zittert mein Herz in dumpfem Verlangen.
Es blühen empor in zarter Glut
Die Fieberrosen auf meinen Wangen.

Und mit bebenden Händen lös' ich mein Haar;
Das stürzt hernieder in schweren Garben
Über mein üppiges Schulterpaar
Mit seinen märchenblassen Farben.

Und seidenrauschend gleiten dann sacht
Meine Hüllen nieder zur Erde.
Ich will mich schmücken für diese Nacht,
Weil ich Dir angehören werde . . .

Eine siebenreihige Perlenschnur
Soll mit mattem Glanz meinen Hals umkosen.
Für meine Haare will ich nur
Die schwülen, duftenden Tuberrosen.

Und über mein Lager sinke ich hin
Mit geballten Händen, mit brechenden Knien.
So sehnsuchtstoll war noch nie mein Sinn;
So heiß war noch nie meiner Lippen Glühn.

Und ich stöhne: "Komm!" - - - Und Du kommst zu mir
Durch die regenfeuchten, dunklen Gassen,
Durch die stille Herbstnacht kommst Du zu mir.
Du, - laß mich Deinen Hals umfassen.

Du, - laß mich Deine Augen küssen,
- Ich sterbe an Deinen blauen Augen; -
Meine Lippen werden verdursten müssen,
Wenn sie nicht an den Deinen saugen.

Ich hab' Dich und halt' Dich mit Jugendkraft,
Und kein Erbarmen und kein Erretten!
Es schmiedet uns keuchende Leidenschaft
Zusammen mit diamantenen Ketten.

Und ich habe Dich, und Du bist mein Eigen!
Du, - ich will Dich nicht von mir lassen,
Bis über die Fichtenbäume steigen
Die Morgennebel, die totenblassen.

Bis ich aus meinem Traum mich gerungen. -
Wohl mag das gut zusammen taugen:
Perlen um meinen Hals geschlungen,
Und Thränenperlen in meinen Augen. . . .

Aus: An der Liebe Narrenseil
Gedichte von Marie Madeleine
Zweite Auflage Berlin 1902 (S. 80-82)

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Die Lippen, die man vergebens begehrt …

Es ist des Genusses Märchenduft
In schweren, berauschenden Wogen
Durch die sonnengetränkte Frühlingsluft
Über mich hingezogen

Und hat mich geküßt mit trunkestem Kuß. -
Welch Dämon hat mich getrieben,
Daß an den Einen ich denken muß,
Der mir versagt geblieben!

Was ich gewünscht und was ich gewollt,
Fiel mühelos stets mir zu:
Ruhm und Liebe, - Genuß und Gold! -
Nur Du nicht, Schatz, - nur Du! - - -

Und hast Du Dich mir auch spröde verwehrt, -
Ich lass' es mir lächelnd gefallen. -
Die Lippen, die man vergebens begehrt,
Sind die süßesten von allen! . . . 

Aus: An der Liebe Narrenseil
Gedichte von Marie Madeleine
Zweite Auflage Berlin 1902 (S. 95-96)

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Ein Totenkranz

I.
Die letzte Lüge
Ich weiß, wie oft ich gelogen hab',
Damit mir lächle dein süßer Mund, -
O liebe Lügen, die ich dir gab
Bis an die bittere Abschiedsstund'!

Ich lag vor dir in den Staub gestreckt,
Und meine Seele wand sich vor Qual
Wie ein Tier, das in seinem Jammer verreckt, - -
Da mußte ich lügen . . . zum letztenmal . . .

"Ich sehe alles in dämmerndem Schein,"
Flüsterten deine Lippen so matt.
""Mein Liebling, das wird das Zeichen sein,
Daß es sich zum Guten gewendet hat.""

"Wie schlägt mein Herz so fieberhaft -
Und schlug doch sonst so stark und still - -"
""Das ist die lebendige, neue Kraft,
Weil es jetzt wieder genesen will.""

"Was sind denn deine Wangen so blaß,
Und deine Augen so tränenschwer?" -
""Die Tränen des höchsten Glückes sind das, -
Bald schreitest du stolz wie sonst einher.""

"Und ist es . . . vor Glück . . ., daß du so weinst?" -
Da küßt' ich sein heiliges, heiliges Haupt, -
""Liebster, du sollst mir glauben wie einst, -
Liebster, du hast mir immer geglaubt!""

Und seine Augen, verlöschend und blind,
Die wurden noch einmal leuchtend klar: -
"Ich glaubte dir immer, geliebtes Kind,
Auch wenn ich wußte, es sei nicht wahr - - -"

""So glaub' mir wie sonst – so glaube mir heut!""
Und über sein sterbendes Angesicht
Hab' ich die schimmernden Lügen gestreut
Wie Rosenblätter . . ., wie Rosenlicht . . .

Ich sprach von der Zukunft lächelndem Land,
Funkelnd umflossen von goldenem Schein,
In das wir so schreiten Hand in Hand,
Mitten in all das Glück hinein! - - - - -

Da schwand von seinem Antlitz das Leid, -
Da schwand des Abschieds bitteres Weh; -
Seine Lippen hauchten in Seligkeit:
"Ich glaube dir . . . glaube dir heute wie je . . ."
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

O all ihr Lügen, die ich beschwor,
Ihr heiligen Lügen, die ich ihm gab,
Ihr wart ein schimmernder Rosenflor
Für Leben und Sterben, . . . für Bett und Grab! . . .


II.
Der Kranz
Ich hab' die laute Welt verlassen,
Durch die das Leben lärmend trieb,
Und lautlos geh' ich durch die Gassen
Zu deinem Grab, mein totes Lieb.

Nun will ich einen Kranz dir winden,
Doch meine arme Seele schreit:
Wo soll ich Blumen dafür finden
In dieser kalten Winterszeit?

Ich weiß, . . .  ich weiß . . ., und voll Verlangen
Geb' ich dir hin in aller Hast
Die Rosenblüte meiner Wangen,
Die du so oft gestreichelt hast.

Und dann mein Mund, der für dich glühte, -
Ja, meines Mundes roten Glanz
Geb' ich wie eine Purpurblüte
In deinen dunklen Totenkranz.

Nimm hin! . . . Nimm alles, was ich habe, -
Nimm alles, was da brennt und lodert, -
Nimm diese letzte . . . letzte . . . Gabe,
Daß sie verwelkt und dorrt und modert!

Und wenn mich dann die Leute fragen,
Wo all mein Jugendreiz wohl blieb,
Will ich getreulich Antwort sagen:
Ich gab ihn meinem toten Lieb. - -


III.
An der Pforte
Ich bin so weit gegangen,
Mühselig schritt ich empor, -
Nun will ich dich endlich umfangen,
Nun öffne du mir das Tor.

Sieh du mein Herzblut tropfen, -
Ach, öffne die Tür weit, -
Ich will nun klopfen und klopfen, -
An der Pforte zur Ewigkeit.

Bin durch den Staub geschritten,
Verfemt, . . . in Bann und Acht, . . .
Jetzt will ich flehen und bitten
Bis du mir aufgemacht.

Mit Giften, wilden und bösen,
Hab' ich mein Herz zerstört, -
Du aber wirst es erlösen,
Weil es nur dir gehört!

Hab' kein Vergessen gefunden
In Taumel und Sinnenglut; -
Ich habe es nicht verwunden,
Wer tief im Grabe ruht,

So tief, . . . so ganz verlassen,
So hilflos vom Tod besiegt, -
Daß meine Wangen erblassen,
Wenn ich denke, wer drunten liegt.

Wann wird wie du gebettet
Mein schluchzendes Herzeleid? . . .
Wer ist es der mir entkettet
Die Pforte zur Ewigkeit . . . ?

Aus: Marie Madeleine Taumel
Wilhelm Borngräber Verlag Berlin 1920 (S. 19-25)

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Der Goldhelm

Weißt du, warum wie im Sturm meine Gier dir entgegenfliegt,
Weißt du, warum meine Sehnsucht sich bäumt? -
Weil wie ein Helm von Gold das Haar um den Kopf dir liegt, -
Leuchtender als ich es je geträumt.

Weißt du, warum mein Herz mir schlägt in verlangender Qual,
Zitternder als ich es je geglaubt?
Weil deine Augen blau sind wie gehämmerter Stahl
Unter dem Goldhelm auf deinem Haupt.

Und deines Gliederbaus drohende, strotzende Kraft,
Weißestes, blendendes Marmorbild!
Ach, wie du leuchten mußt im Dunkel der Liebesnacht,
Wenn der Sprudel der Lüste quillt.

Allzulange schon lechze ich. Jetzt ist des Sehnens genug.
Still' mir den Durst, du, und mache mich satt.
Sieh, mein Verlangen umstürmt dich wie brausender Adlersflug, -
Goldhelmträger, komm auf die Lagerstatt! - -


Aus: Marie Madeleine Taumel
Wilhelm Borngräber Verlag Berlin 1920 (S. 37-38)

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Baldur

Das war an einem frühen Frühlingstag, -
Die Bäume standen noch so kahl und nüchtern,
Und nur ein erster, grüner Schimmer lag
Auf ihnen wie ein Schleier zart und schüchtern.

Wir atmeten die kühle Frühlingsluft
Und haben beide bis ins Mark gefühlt:
Es lag verhaltne Sehnsucht in dem Duft
Der Erde, die der Pflug so tief durchwühlt.

Die Erde lag still und erwartungsvoll,
Lag hingestreckt und sehnte sich nach Samen,
Indeß hoch in der Luft der Lockruf scholl
Der Schwalbenschwärme, die zur Heimat kamen.

Es lag der Strom in silberblasser Ruh', -
Wie lautlos seine grauen Wellen gleiten, -
Und lautlos mir zur Seite gingest du
Mit deinem göttlich anmutsvollen Schreiten.

Der Jünglingsreiz auf herbgeschloßnem Mund, -
Die schlanke Grazie über deinen Gliedern, -
Und deine Sehnsucht tief im Herzensgrund,
Und meine Sinne, die sie wild erwidern . . .

Ein blonder Frühlingsgott, der lächelnd segnet,
So schrittest du durchs knospende Gelände,
Und unsre Lippen haben sich begegnet,
Und schauernd fühl ich deine schönen Hände.

Da starb in meiner Seele Trotz und Spott,
Da hab' ich nicht gezagt und nichts bereut, -
O du mein scheuer, junger Frühlingsgott,
Der der geliebten Erde Samen streut! - - -

Aus: Marie Madeleine Taumel
Wilhelm Borngräber Verlag Berlin 1920 (S. 52-53)

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Allerseelen

Der Wagen, dessen Fahrt uns durchgerüttelt,
Fuhr vorwärts, daß die starke Deichsel kracht, -
Und alle Bäume waren sturmgeschüttelt
Im Urweltbrausen der Novembernacht.

Den ganzen Weg entlang im tiefen Dunkel
Der paar Laternen rotverwischtes Schwelen . . .,
Und seltsam blaß, . . . unnennbar . . . ein Gefunkel, . . .
Ich weiß: heut ist der Tag der armen Seelen. - -

Schlag' auf die Pferde los! Wir müssen eilen,
Daß er nicht näher kommt der blasse Schwarm
Von jenen, die nicht mehr auf Erden weilen . . ., -
Noch fester drück' ich mich in deinen Arm!

Mein heißes Lieb, - wir lieben und wir leben, -
Ich seh' das Bett, das aufgetan uns winkt,
Und du wirst strömende Erfüllung geben
Für alles, was mir wild im Blute singt.

Die Peitsche auf die abgetriebnen Pferde! . . .
Und wenn du sie zu Tode hetzen mußt! . . .
Bald sitzen beid' geborgen wir am Herde
Und freuen uns des Lebens roter Lust.

Und freuen uns der Liebe süß vereint
Und sicher kommt es mir dann aus dem Sinn,
Daß eine arme Seele heute weint,
Weil ich so warm bei dir gebettet bin . . .

Aus: Marie Madeleine Taumel
Wilhelm Borngräber Verlag Berlin 1920 (S. 75-76)

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Edelsteine

I.
Der Haarschmuck
Du sollst mir die Libelle schenken,
Die aus Smaragden und Saphir, -
Sieh der Brillantenflügel Senken
Und ihrer Fühler goldne Zier.

In meines Haares nächt'gem Dunkel,
Tief in die Locken hingeschmiegt,
Siehst du das brennende Gefunkel,
Wenn dir mein Haupt am Herzen liegt.

Und meine Sehnsucht will ich breiten
Wie die Libellenflügel tun,
Die ruhelos die Luft durchgleiten
Bis sie im Blütenkelche ruhn.

Die flatterhaft und schillernd werben
In ihrem grün und goldnen Kleid
Bis ihre Liebeswünsche sterben
In der Erfüllung Seligkeit. - -


II.
Die Armspangen
Ich will dir die Arme entgegenhalten,
Du sollst sie mit leuchtenden Spangen schmücken.
Der Edelsteine dunkle Gewalten
Sollen mich wieder schauernd berücken.

Die beiden Spangen aus blauen Saphiren,
Geholt aus Indiens glühenden Fernen,
Und träumend soll sich mein Blick verlieren
In ihren rätselhaft strahlenden Sternen.

Sie bringen so unerfaßliche Kunde
Von Tiefen, die wir nicht sehn noch erkennen.
Siehst du in ihrem schimmernden Grunde
Sechsstrahlig den Stern,  das weiße Brennen . . .?

Weiß brennende Glut! . . . Ich will sie kühlen, -
Es löscht dies Blau die wildeste Gier.
Ich will die mächtigen Wogen fühlen
Im tiefen Strome von Sternsaphir.

Laß mich in deinen Armen bleiben
Und – ineinander gebettet sacht -
Wollen wir so hinuntertreiben
Den blauen Strom in die blaue Nacht . . .

Siehst du in unermessenen Weiten
Weißbrennende Sterne vom Himmel sinken? . . .
Und sie vergehen wie ich und vergleiten
Im Abgrundsblau, in dem wir ertrinken . . .


III.
Der Ring
Du hast mir einen Ring geschenkt,
Und ich weiß keinen andern Schmuck,
An dem mein Herz so glühend hängt!
Stets fühl' ich seinen harten Druck.

Wie er mir fest am Finger sitzt,
An meiner allzu weißen Hand, -
Ich seh' so gerne, wie er blitzt,
Der riesenhafte Diamant.

Es schmiedete der Juwelier
Seltsame Fassung um ihn her, -
Da ist Email und goldne Zier
Und ist so schön und lastet schwer.

So deutlich ist die tiefe Kerbung,
Und das Email ist rosig-matt, -
Die Muschel ist's in Form und Färbung,
Die eben sich geöffnet hat . . .

Und eines nur, das gern ich wüßt':
Was bist du denn so zitternd, sag', -
Wenn du mir so verlangend küßt
Den Ring, den ich am Finger trag'.


IV.
Das Halsband
Du sagtest mir, mein heißgeliebter Schatz,
Daß nichts auf Erden dir so herrlich schien
Als dieser schneidend grelle Gegensatz:
Auf meiner weißen Haut der Blutrubin.

Das Halsband mit den sieben Blutrubinen,
Wie sieben Todessünden aufgeflammt,
Die ewiger Verdammnis Qual verdienen
Statt diesen Pfühl von weißem Seidensamt.

Ist nicht die Haut zu schön für diese Sünden?
Für dieses blutige und heiße Rot,
Das, aufgeblüht aus tiefsten Höllenschlünden
Wie Taumeltanz und Marterqualen droht!

Ist nicht die Haut zu kühl für diese Brände?
Die kühle Haut, die blasser noch erblich,
Wenn kaum das Kosen deiner schönen Hände
So zart wie Frühlingswehen drüber strich.

So zart wie duftumwobne Schmetterlinge, -
So überirdisch zart wie hingeträumt, - -
So leis, als ob ein Windhauch sich verfinge
Im leichten Schilfgras, das das Ufer säumt. - -

Und nun die Steine, diese roten, schweren, -
Auf meiner bangen Brust erdrückend fast. - -
Siehst du denn nicht, wie sehr sie mich versehren, -
Wie ich erschaure unter ihrer Last? . . .

Wie sie zu harter Kette sich verbünden, -
Das atlasweiche Polster ist zu schad'! - -
Wenn du sie liebst die sieben Todessünden,
Dann hab' auch Mut! – Dann kenne keine Gnad'!

Bedecke mich mit roten Liebesmalen,
Die tiefe Spuren in den Atlas ziehn, -
Daß alle meine Wunden röter strahlen
Als dieser Todesglanz vom Blutrubin! - -


V.
Die Krone
In meines Lebens Glückestagen,
In meiner Nächte sel'ger Schar
Hab' ich ein Diadem getragen,
Das schön wie eine Sonne war.

Wer ist es, der den Sieg mir raubt?!
Und in der Krone Funkelscheine
Trug ich so stolz mein junges Haupt
Wie keine andre mehr, - wie keine!

Zeig' mir noch einmal nur Brillanten,
Die so in Freudenfeuern glühn,
Die so in Strahlenfarben brannten
Wie meines Wesens Funkensprühn!

Und dann . . . dann ist das Leid gekommen.
Die sonnenhelle Glut verbleicht, -
Und hat den Kronreif mir genommen
Und hat mir tief das Haupt geneigt.

Und hat mir einen Reif gegeben,
Von zack'gen Steinen übervoll, -
Der schnitt mir tief hinein ins Leben,
Daß Blut mir von den Schläfen quoll.

Die Blutrubinen, - Perlentränen, -
Die scharfgeschliffne Last der Qual, -
Und nervgepeitschtes Traumeswähnen
Im Wahnsinnsschimmer des Opal. - - -

Das ist die Antwort auf die Frage,
Die traurig aus dem Aug' dir glänzt,
Warum ich nicht wie früher trage
Das stolze Haupt, vom Sieg umkränzt.

Nun ward mir anderes zum Lohne, -
Sei still, mein Lieb, du sollst nicht weinen, - -
Ich beug' das Haupt, weil diese Krone,
Noch schwerer ist von Edelsteinen! . . .


Aus: Marie Madeleine Taumel
Wilhelm Borngräber Verlag Berlin 1920 (S. 105-116)

_____



Mein Herz ist brünstig vor Frühling . . .

Mein Herz ist brünstig vor Frühling
Wie am Weidenbaume die tollen,
Die weichen Weidenkätzchen es sind,
Die sprossen und blühen wollen.

In ihren grauen Pelzchen
Sitzen sie auf den Bäumen
Und recken die schmalen Hälschen
Und treiben und blühen und keimen.

Die Bäume starren zum Himmel,
Winterlich kahl und unbelaubt, -
Nur der Weidenkätzchen Getümmel
Ist von gelbem Golde schon überstaubt.

Sie blühen - und zittern - und blühen
Und halten der Sonne so selig still. - -
Mein Herz ist brünstig vor Frühling,
Als ob es blühen will. - - -

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 83-84)

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Auch Dich!

Mich hält keine Kette, - mich fesselt kein Bann,
Und mein Herz weint bitterlich:
O daß ich so leicht vergessen kann, -
Auch Dich! - - Auch Dich! - -

- "Auf ewig!" schwur ich Dir manchesmal,
Ich weiß noch, ich weiß, -
Doch es gibt zu viele Blüten im Tal,
Und das Leben schäumt zu heiß.

Und die Nacht ist so lang, die Sommernacht,
Da küßt es sich viel zu gut,
Wenn eines schwellenden Körpers Pracht
In meinen Armen ruht.

Dann ist mein Blut in Zauber und Bann, -
Doch mein Herz weint bitterlich:
O daß ich so leicht vergessen kann,
Auch Dich, - - auch Dich! - -


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 85-86)

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Im Vorübergehn

Ich kann Dir nicht Glück noch Liebe geben,
Aber mit tödlich sicherer Hand
Schleud're ich einen Fackenbrand
Lodernd hinein in Dein stilles Leben.

Einen Fackelbrand, einen flackernden Schimmer, -
Ich kann Dir nicht Ernten noch Früchte bieten;
Nur eine Handvoll Frühlingsblüten
Werf' ich Dir lachend hinein in's Zimmer.

Ich geige Dir keinen Festgesang
Auf meiner Seele zitternder Fiedel, -
Nur ein leichsinniges Walzerliedel, - -
Und vergiß nicht, Schatz, wie süß das klang! -


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 87-88)

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Einer Verschwenderin

1.
Ich weiß, daß Du aus seinen Armen kamst, -
Der Abendhimmel stand in Glanz und Flor, -
Und daß Du seine letzte Kraft ihm nahmst,
Und daß Du blühtest wie noch nie zuvor.

Ja, Herzogin, nie warst Du schön wie heute,
Und nie erschienst Du mir so kühl und keusch
Wie jetzt, wo Deiner Wünsche wilde Meute
Sich ausgetobt, - gesättigt sich an Fleisch.

Maßlos gesättigt! - Nein, gesättigt kaum!
Denn, ob Dein Lippenpaar auch matt und satt, -
Man lehnt sich nicht an einen Blütenbaum,
Wenn man nicht einen Traum im Herzen hat!

Und alle Zweige bebten Dir entgegen,
Als Du die Arme hobst - empor! - empor!
Und lautlos rieselte der Blütenregen;
Der Abendhimmel stand in Glanz und Flor.

Und in Dein Haar sank schimmernd Blatt um Blatt;
Du aber lehntest regungslos am Baum,
Das rote Lippenpaar so satt und matt -
Und tief im Herzen schon ein neuer Traum!


2.
Mit lachendem Mund verschenkst Du
Die Gaben sonder Zahl.
Ich glaube, niemals denkst Du:
Man wird älter und ärmer einmal.

Du gibst Deine lächelnden Gnaden
Wohl allen weit und breit,
Wie ein Baum, der blütenbeladen
Seine leuchtenden Blätter streut.

Mich packte es wie ein Entrüsten
Vor Deinen vornehmen Händen,
Den viel zu oft geküßten, -
Die viel zu gern verschwenden.

Mich packt es wie ein Bangen
Vor Deinen Lippen, den roten,
Die viel zu heiß verlangen, -
Die sich zu vielen boten.

Mich faßt es oft wie ein Schauern,
Wie Du Deine Gaben verwendest, -
Ein brennendes Bedauern,
Wie Du maßlos und sinnlos verschwendest! -

Und doch hat mich durchzittert
Zutiefst eine Freude dabei,
Daß Du mich so erschüttert,
Du Blütenbaum im Mai!


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 89-92)

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Und doch!

Und hat er auch eine Minute kaum,
Nur eine Minute gewährt,
Du hast ihn doch geträumt, den Traum:
Du hast mich doch begehrt!

Und ob Du leugnest mit aller Kraft,
Ob Trotz und Stolz Dich umfängt, -
Es hat meine glimmende Leidenschaft
Dir doch die Lippen versengt!

Und wenn Dein hochgeschwungener Mund
Sich jetzt auch zürnend regt, -
Er hat ja doch in süßester Stund'
Sich weich auf den meinen gelegt.

Und hat auch eine Minute kaum
Dir Liebe im Herzen geschäumt, -
Du wirst ihn nicht vergessen, den Traum,
Den wir nicht zu Ende geträumt!

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 93-94)

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Ihr Lachen

So frech und toll sind Deine Lieder,
Doch Deine Seele ist so krank,
Und Deine halbgereiften Glieder
So überzart und überschlank.

Und aufwärts von den weißen Knieen,
Die manch ein heißer Mund geküßt,
Ein tolles Durcheinanderblühen
Von seid'nen Spitzen und Batist.

Wie fieberhaft die Stirn Dir glühte,
Als leise Du mein Haar gestreichelt,
Als Deines Mundes rote Blüte
Um Gold, um rotes Gold geschmeichelt.

Dein Atem brannte so verzehrend,
Als Du mich batest ohne Ende,
Und als sich mir so heiß begehrend
Entgegenstreckten Deine Hände. -

Ach Ihr! - - Ihr schwachen Kinderhände,
Wie habt Ihr so voll Gier und Eil'
Ergriffen jene gold'ne Spende,
Als wär's das ew'ge Seelenheil! - - -

Du Rose, die man aufgerissen,
Noch ehe sie zum Blühen kam, -
Ich glaub', Du wirst es kaum noch wissen,
Wer Dir die Kinderunschuld nahm!

Du bist so schlecht, - so frühverdorben!
Ich aber schließ die Augen sacht . . .
Mir ist ein süßes Lieb gestorben, -
Das hat so hell wie Du gelacht!

So frühlingsfrisch, - so jung, - so schallend,
So wild hat sie gelacht wie Du, -
So silbertönig . . ., süß verhallend . . . .
Lach doch! - - Ich schließ die Augen zu . . .

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 95-97)

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Goldfuchs

Deine Haare leuchten im Düstern,
Du schöne Frau, die ich hasse! -
Dir beben die rosigen Nüstern
Wie einem Pferde von Rasse.

Goldfuchs, schüttel' die Mähne
Frei von Fessel und Band!
Eine leuchtende Strähne
Schling' ich mir um die Hand.

An Deinen eigenen Haaren
Zwing' ich Dich niederwärts;
Jetzt sollst Du zitternd erfahren:
Ich liebe nicht Spiel noch Scherz.

Du Schöne und Stolze und Blasse, - -
Du, die ich nie geliebt, -
Ich küsse gut, wenn ich hasse, -
Ich nehme, wenn man nicht giebt!

Jetzt hilft kein Sträuben und Schämen,
Weil ich Dich haben will. - - - -
Goldfuchs, ich werde Dich zähmen!
Halt' still!

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 98-99)

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Die Favoritin

Mit ihren verträumten Augen
Unter den düsteren Brauen,
War sie die allerschönste
Von des Sultans hundert Frauen.

Mit leuchtenden Raubtierzähnen
Lacht sie ihr seliges Lachen, -
Das Lachen der Allerschönsten
Von des Sultans hundert Frauen.

Mit ihren weißen Händen
Nahm sie drei Rosenblätter,
Drei rote Rosenblätter,
So rot wie Glut und Blut.

Und in des Kleides Ausschnitt
An ihrem schimmernden Halse,
Warf sie drei Rosenblätter, - - - -
"Jetzt such' sie, Heidenhund!" - - -
- - - - - - - - - - - - - -

Und das allerletzte, das dritte,
Das dritte der Rosenblätter
Fand ich im Paradiese,
Du allerschönste Frau!

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 100-101)

_____



Der schwarze Pierrot

Manchmal, wenn der Mond so trübe scheint,
Hinter einem wirren Wolkenflor,
Und der Frühlingsregen niederweint,
Oeffnet leis' sich meines Hauses Tor. - -
Huscht die Trepp' herauf,
Türe tut sich auf, -
Sieh', es ist der schwarze Pierrot.

Sieh', wie er sich auf den Schreibtisch schwingt,
Und er baumelt mit den schlanken Beinen.
Seine schöne, leise Stimme klingt
Wie des Frühlingsregens müdes Weinen. - -
Er ist übernächtig,
Lasterhaft und schmächtig
Wie ein früh verderbtes, krankes Kind.

Seine Augen gleichen den Opalen,
Bläulichen Opalen, todbetrübt, -
Und er spricht zu mir in süßen Qualen
Von dem blonden Herzog, den er liebt! -
Regen rieselt sacht. - - - -
In der Frühlingsnacht
Kommt mein Freund, der schwarze Pierrot.


I.
Der schwarze Pierrot spricht:
"Der junge Herzog ist so blond,
Er ist von solch brutaler Rasse,
Vom Liebesglück so übersonnt, -
Du weißt es nicht, wie ich ihn hasse!

Er hat so kindische Gedanken! - -
Mitunter ist er ganz verloren
In die Betrachtung seiner blanken
Lackstiefel mit den Silbersporen.

Mitunter küßt er sich die Hände
Und sagt - zum Spiegel hingewendet -
Daß er auf Erden nimmer fände
Ein Händepaar, das so vollendet!

Er kokettiert zu jeder Stunde
Mit seinem blonden Pagenhaar,
Mit seinem purpurroten Munde,
Mit seinem dunklen Augenpaar, -

Mit seinen wunderschönen Beinen,
Mit seiner tadellosen Rasse, -
Mit seines Mundes weißen Edelsteinen - -,
Du weißt es nicht, wie ich ihn hasse!"


II.
Pierrot spricht:
"Der blonde Herzog, das törichte Kind,
Dessen weiches Gesicht noch unbehaart ist,
Hat Lippen, die gleich den Wesen sind,
In welchen Blume und Tier gepaart ist.

Kennst Du die Blumen, die still verträumten,
Mit den großen Blüten, den leuchtenden, heißen,
Aus denen sich plötzlich Fangarme bäumten,
Die an sich ziehn und saugend zerreißen? - - -

Die Lippen träumen so glückverheißend
In des Herzogs trotzigem Knabengesicht,
Laß sie nur träumen! - - sie küssen zerreißend,
Sie können vernichten! - - Wecke sie nicht!"


III.
Pierrot spricht:
"Des Herzogs schmale Hände
Haben nach meinem Herzen gefaßt, -
Des Herzogs schmale Hände
Hielten auf meinem Herzen Rast.

Einen Augenblick, einen Herzschlag lang
Haben sie mir auf der Brust gelegen
Wie ein Paar von weißen Schmetterlingen,
Die ihre leuchtenden Flügel regen.

So leicht wie Schmetterlinge, - -
Und waren doch Feuerbrände - -
Und haben mir doch das Herz verbrannt,
Des Herzogs schmale Hände."


IV.
Pierrot spricht:
"Heute Abend zur siebenten Stund',
Als der Dämmerung Schleier niederfiel,
Küßte der Herzog mich auf den Mund, -
Und nicht aus Liebe und nur zum Spiel!

Jetzt brandet mein krankes Blut so sehr,
Daß ich mit der Hand nach dem Herzen greif',
Des Herzogs Lippen sind schon so schwer,
Seine Lippen sind schon so schwer und reif.

Wie junge Früchte voll Saft und Kraft,
Die lastend niederzufallen droh'n, -
Er küßte mich nicht aus Leidenschaft,
Er küßte mich nur aus Scherz und Hohn.

O, - nimmer hätt' ich den Kuß erlaubt
Dem blonden Herzog, dem törichten Kind,
Hätt' ich geahnt und hätt' ich geglaubt,
Daß seine Lippen so schwer schon sind!"


V.
Pierrot spricht:
Der Herzog hat mich umfangen
Einen einzigen Augenblick,
Dann ist er von mir gegangen
Und sah nicht einmal zurück!

Er ist von mir gegangen, -
Und es blühen jetzt anderwärts
Seine heißen, roten Lippen
Und sein kühles, rotes Herz

Und seine prahlende Jugend
Und sein brutales Gebiß, - -
Mein Herzog, mein blonder Herzog,
Ich blieb in der Finsternis.

Ich bin allein geblieben,
Allein mit meinen Gedanken,
Die mir gleich Schlinggewächsen -
Tötend die Seele umranken.

Der Mond hat so fahlen Schimmer
Und ist von Wolken verdeckt.
Die Kelche meiner Blumen
Sind wie mit Blut befleckt. -

Du gingst in Süden und Sonne;
Ich aber friere hier so!
Ich bin ja nur solch ein schmächtiger,
Solch ein schmächtiger Pierrot!

O Herzog, mein blonder Herzog!"
- - - - - - - - - - - 

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 102-114)

_____



Nie mehr

Manchmal lausch' ich in der Frühlingsnacht, -
Hör'! - Die Regentropfen singen so, -
In den Ulmenbäumen rauscht es sacht,
Aber niemals mehr kommt Pierrot.
Pierrot in Schmerzen,
Mit dem heißen Herzen,
Das so tief ist wie der Hölle Schlund.

Und ich denke an sein leises Weinen.
O wie klang so still und wunderbar
Seiner Stimme Klang. - Mir will es scheinen,
Daß es eine Frauenstimme war.
War es denn ein Weib?
Steckt ein Mädchenleib
In dem schwarzen, seidenen Trikot?

Bei der Regentropfen Niedergleiten
Ist nie mehr der Pierrot mein Gast
Und erzählt nie mehr in Zärtlichkeiten
Von dem blonden Herzog, den er haßt!
Von dem eleganten,
Töricht arroganten,
Schönen - -  schönsten! - Herzog, den er liebt!

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 115-116)

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Einer Reiterin

Du rittest daher, daß die Funken stoben! -
So fein gegliedert, so jugendhold, -
Und Dein liebes Haupt war ganz umstoben
Von Frühlingsatem und Sonnengold.

So wirst Du wohl noch nach langer Frist
Vor meinen träumenden Augen ragen:
Zu Pferd! In der Bluse von rosa Batist
Mit dem hohen, weißen Kragen.

Leichtherzig, leichtsinnig, jung und nervös,
Sprühend vor Lachen und Launen, -
Gertenschlank und lässig graziös
Auf Deinem rassigen Braunen.

Sporen den Gaul zu rasendsten Ritt,
Reite doch! - Reit' nur zu!
Meine Sehnsucht, die reitet mit
Und reitet noch schneller als Du!

Du weißt nicht, wie schnell meine Sehnsucht ist, -
Sie schwingt sich zu Dir auf's Pferd,
Und ehe Du noch gerüstet bist,
Nimmt sie sich lächelnd, was Du verwehrt!

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 117-118)

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Mitleid

Ich weiß, Dein Leben ist so bitterarm
Und schmerzhaft ist's, gleich einer roten Wunde.
Viel Dornensträucher stehen in der Runde
Und zeigen Dir den Weg nach Golgatha.

Mich packt es manchmal fast wie ein Erbarmen
Mit all der Glut, die ungenutzt verlodert,
Mit all dem Hoffen, das verdorrt, - vermodert, -
Mit Deinem Körper und mit Deiner Seele.

Vielleicht kommt einst ein Tag und eine Stunde,
Da nehm' ich Deine blassen, kühlen Hände
Und nehme Dich aus Mitleid an mein Herz.

Und gebe Dir . . und schenke . . und verschwende
Und hülle Dich in Liebe, . .  Du . . . in Liebe,
Bis Deine Dornensträucher Rosen tragen!


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 119-120)

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Auf der Heide

"auf der Heide, unter der Linden,
wo unser beider Bette war" - -
(Walther von der Vogelweide)

Sommersonne und Sommerfreude
Leuchtend über dem Land Tirol, -
Herr Walther, Du von der Vogelweide,
Noch nie verstand Dich mein Herz so wohl!

Rosen, - Rosen, rote und weiße,
Stehen düfteschwer in der Rund'; -
Zwei süße Lippen, schwellende, heiße,
Liegen brennend auf meinem Mund.

Und es klingt ein Lied im Juniwinde, -
Lockend klingt es und wunderbar:
"Auf der Heiden, unter der Linde,
Wo unser beider Bette war."

Wie wir taumelnd niedergesunken, -
Tief im Walde der heimliche Platz, -
Liebesbrände und Sonnenfunken, -
Weißt Du's noch, mein blonder Schatz?

Weiches Moos unter Weidenbäumen, -
Mückenschwirren und Mittagsglut, -
Und uns'rer Sehnsucht Ueberschäumen,
Weißt Du es noch, Du leichtes Blut?

Ach, ich glaube, uns allen beiden
Klingt es im Ohr noch manches Jahr:
- "Unter der Linde, auf der Heiden,
Wo unser beider Bette war." - -

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 121-123)

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Sommertrauer

Leise will es durch's Herz mir ziehn,
Leise - wie Sommertrauer, -
Schwellende Rosen und Jasmin
Nicken schon über die Mauer.

Es ist so viel rote Sonne hier
Ueber allen Gärten und Lauben,
Und schwer vom stämmigen Weinspalier
Hängen die reifenden Trauben.

O, daß der Frühling mußte verglühn
Mit seinem Knospenschauer, -
Leise will es durch's Herz mir ziehn,
Leise - wie Sommertrauer.

Und auch bei Dir, Du schöne Frau,
Will es jetzt Sommer werden, -
Leuchtender wird Deiner Augen Blau, -
Lockender Deine Gebärden.

Schwellender wird Deiner Glieder Rund,
Rosiger blühen die Wangen Dir,
Und es lastet Dein reifer Mund
Schwer wie die Trauben am Weinspalier.

Und ob Du mich noch so brennend geküßt,
Ich neige das Haupt voll Gram; -
O, daß der Frühling gegangen ist,
O, daß der Sommer kam - -!


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 124-125)

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Die Furche

Ich sah den Dampfer, den schlanken, weißen,
Wie wußte er seine Bahn so gut! -
Und ich sah ihn eine Furche reißen
Tief in des Bergsees blaue Flut.

Und als er längst schon vorbeigezogen, -
Hinein in Ferne und Dämmernis, -
Zitterte in den stillen Wogen
Noch immer die Furche, die er riß. - - -

So bist Du in mein Leben gekommen
Wie ein stolzes, weißes, schlankes Schiff
Und hast so sicher den Weg genommen
Mitten durch zwischen Felsen und Riff.

Und sachte bist Du vorübergeglitten,
Hinein in Sterben und Dämmernis; - -
Da hat mein Herz zu sehr gelitten,
"Du törichtes Herz, - vergiß! - vergiß! -

Ich will Dir ein and'res Spielzeug geben,
Ein schönes Spielzeug, - aber vergiß!"
Da sprach das Herz: "In Deinem Leben
Bleibt die Furche, die Deine Liebe riß!

Und Dein Herz kann es nicht vergessen,
Wie sie so lachend und leuchtend kam, -
Und Dein Herz kann es nicht vergessen,
Daß sie die Sonne mit sich nahm!" - - -

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 126-128)

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Ihr Herz

Manchesmal, wenn die Abendglut
Versank am Horizont,
Starb meiner Liebsten der Uebermut,
Der sie am Tage durchsonnt.

Dann zuckten nicht mehr in Spott und Scherz
Die trotzigen Lippen ihr, -
Dann sah ich ihr zuckendes, trotziges Herz,
Und ihr Herz, das sprach zu mir:

"Ich wollt', Du tränkest all mein Sein und Leben
In Dich hinein wie einen Zaubertrank;
Der wird Dir soviel Kraft und Jugend geben;
Mein schlankes Lieb, dann bist Du nicht mehr krank.

Und Deine Augen, die so müde blicken,
Voll stumpfer Traurigkeit und voll Verachten, -
Die werden dann mit innigem Entzücken
Die Wunder dieser Gotteswelt betrachten

Und werden aufwärts schauen zu den Sternen,
Wie sie so lang - so lang - nicht mehr getan,
Und Deinem Leben winken neue Fernen,
Und Deinem Streben eine neue Bahn.

Ich möcht' in Deine blassen Adern gießen
Mein Herzensblut in Schmerzen und in Wonnen,
Das wird so heiß durch Deinen Körper fließen,
So wundertätig wie ein Jugendbronnen.

Wie heil'ge Glut ist's über mich gekommen,
Wie Opfersehnsucht fühl' ich's in mir beben; -
Mein Lieb, ich habe Dir so viel genommen, -
Laß mich Dir geben, jetzt, - laß mich Dir geben!" - -

Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 129-130)

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Erinnerung

Ich weiß es noch wie heut. - Der graue Duft
Der Abenddämmerung lag auf Luzern.
Wie Traum und Traurigkeit lag's in der Luft, -
Und halbverwehter Glockenklang von fern.

An jenem regenschweren Sommertag,
Den uns das Schicksal voll Erbarmen gönnte,
Da stockte plötzlich meines Herzens Schlag;
Sie sprach: "Ob uns're Liebe sterben könnte?"

Das war wie eine unheilvolle Mahnung
Von bösen Mächten, die verborgen schliefen;
Das war wie eine todesbitt're Ahnung
Aus unergründet dunklen Seelentiefen. -

Nein! Uns're Liebe brennt so wild wie je,
So heiß wie immer! - Hast ja nur geträumt
Sie aber sprach zu mir: "Was soll das Weh,
Das sich so schmerzhaft mir im Herzen bäumt!

Und lieber wollte ich, Du wärst begraben,
Als daß sie käm', die fluchbelad'ne Stunde,
Wo Deine Lippen es vergessen haben,
Wie brennend sie geruht auf meinem Munde.

Und lieber wär' ich selber todumfangen,
Und lieber wär' ich wie ein Tier verreckt,
Als daß ich nicht mehr bebe vor Verlangen,
Wenn Du Dich mir zur Seite hingestreckt.

Komm! Halte Du mich fest in Deinen Armen,
Durchdringe mich mit Deinem Liebeswerben
So - heiß - wie - immer! Und dann hab' Erbarmen
Und lüge mir: die Liebe kann nicht sterben!" -


Aus: Marie Madeleine In Seligkeit und Sünden
Continent Vlg. Berlin 1905 (S. 131-133)

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Biographie:
Marie Madeleine (* 4. April 1881 in Eydtkuhnen/Ostpreußen; † 27. September 1944 in Katzenelnbogen; eigentlich Marie Madeleine Baronin von Puttkamer, geborene Günther) war eine deutsche Schriftstellerin und Lyrikerin. Schlagartig bekannt wurde sie durch die Sammlung erotischer Lyrik Auf Kypros (1900). Einen Teil der darin veröffentlichten Gedichte hatte sie bereits als 15- und 16-Jährige geschrieben.

Sie war die Tochter des Kaufmanns Karl Günther und seiner Frau Emmy Siemssen. Die als dunkelhaarige und dunkeläugige Schönheit beschriebene junge Frau heiratete im Alter von 19 Jahren am 2. August 1900 den 35 Jahre älteren General Heinrich Georg Ludwig Baron von Puttkamer (* 1846, † 25. August 1918), der aus einer alten baltischen Familie stammte, deren Geschichte bis ins 12. Jahrhundert zurück geht und die große Ländereien in Pommern besaß. Das Ehepaar lebte nach der Hochzeit in einer prächtigen Villa in Berlin-Grunewald. 1903 wurde ihr Sohn Jesco Günther Heinrich geboren, der früh zur Ausbildung in die Kadettenschule gegeben wurde, die schon sein Vater besucht hatte. Marie Madeleine kümmerte sich fortan kaum um ihr Kind. Sie führte einen extravaganten Lebensstil, den ihr das das vom Ehemann hinterlassene Vermögen ermöglichte. Sie liebte das Reisen - nach dem Tod ihres Mannes in Begleitung eines Herrn von Cramster -, trug die neueste Pariser Mode und war bekannt für auffällige Hüte. In der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre verlor sie das Vermögen. Ein Teil dessen schwand auch durch ihre 30 Jahre währende Morphiumsucht. Sie experimentierte ebenso mit Kokain. 1942 oder 1943 wurde sie in eine private Klinik in Katzenelnbogen eingeliefert. Dort starb sie 1944 unter nicht geklärten Umständen. Ihrem Sohn, der Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen war und erst 1951 aus der Kriegsgefangenschaft freikam, gelang es nicht, die genauen Umstände ihres Todes in Erfahrung zu bringen. Er glaubte, dass Nazi-Ärzte ihre Drogensucht und ihren schlechten Gesundheitszustand nutzten, um sie in den Tod zu bringen.
Die Familie ihres Mannes reagierte empört auf ihre erotischen Veröffentlichungen, die sie als obszön ansah. Ihr Ehemann stellte sich hinter sie und verließ demonstrativ die Traditionsvereinigung der Familie.

Unter dem Pseudonym Marie Madeleine schrieb die Generalsfrau Lyrik, Erzählungen und Dramen. Aufsehen erregte sie im Jahr 1900 mit ihrer erotischen Lyrik-Sammlung Auf Kypros, die 1910 bereits in der 37. Auflage erschien. Letztere erfreute sich besonders großer Beliebtheit in den Salons der höheren Gesellschaft. Literarisch gebildetere Zeitgenossen wie der Kritiker Willy Haas freilich "lachten (sich) scheckig über soviel parfümierte literarische Brunst". Haas bezeichnete die lyrischen Ergüsse der Marie Madeleine als Paradebeispiele des Victorianismus im geschnürten Mieder, das schon aus allen Nähten kracht und stellte sie damit immerhin in eine Reihe mit Frühwerken der späteren "Genies" Richard Dehmel und Edvard Munch.


Werke:
Auf Kypros. (Gedichte) Vita Vlg., Berlin 1900
Das bisschen Liebe. (Schauspiel in 4 Akten) Continent Vlg., Berlin 1900
Die drei Nächte. (Liebeslieder) Sklarek, Berlin 1901
Aus faulem Holze. (Novellen) ca. 1902
Krabben. (Seebadgeschichten) Continent Vlg., Berlin 1903
Arme Ritter! (Roman) Continent Vlg., Berlin 1904
In Seligkeit und Sünden. (Gedichte) Continent Vlg., Berlin 1905
Der rote Champion. Moeser, Leipzig 1906
Die Kleider der Herzogin. (Roman) Continent Vlg., Berlin 1906
Die letzte Hürde. (Skizzen) Grethlein, Leipzig 1907
Die Stelle, wo sie sterblich sind ... (Novellen) Grethlein, Leipzig 1908
Die Wegweiserin. (Roman) Berlin 1908
Brennende Liebe. (Novellen) Elischer, Leipzig 1910
Katzen. Continent Vlg., Berlin 1910
Die heiligsten Güter. (Novellen) Elischer, Leipzig 1911
Die rote Rose Leidenschaft. Elischer, Leipzig 1912
Pantherkätzchen. (Roman) Ullstein, Berlin 1913
Der süße Rausch. Elischer, Leipzig 1916
Taumel. (Gedichte) Borngräber, Berlin 1920
Die Töchter des Prometheus. (Novelle) Paetel, Berlin 1926
Ihr schlechter Ruf. (Roman) Munz, Leipzig 1928

Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Madeleine_von_Puttkamer
 

 

 


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