Minna von Mädler (1804-1891) - Liebesgedichte

 


Minna von Mädler
(1804-1891)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:



 

Herz und Laute

An der Wand hängt eine Laute
Einsam harmonieenleer;
Seit ich ihr mein Lied vertraute,
Ist sie stumm und tönt nicht mehr.

Seufzend durch die schlaffen Saiten
Zieht wohl noch der Abendwind,
Doch er klagt von andern Zeiten,
Die dahingegangen sind.

Hatt' in Herzen tief getragen
Stets ein Bild – nun ist's erbleicht -
Und mein Herz fährt fort zu schlagen
Und zu pochen – doch es schweigt.

Herz, und kannst, und kannst du sprechen
Freud- und lieb- und wonneleer? -
Herz und Laute, mögt zerbrechen,
Denn euch rührt ja Keiner mehr! –
(S. 101)
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Nachtigall und Rose

Auf des Wohllauts Silberwogen
Kommt ein süßer Liebesklang
Durch die Frühlingsluft gezogen:
Nachtigallen-Lenzgesang.

Und die Knospen, dicht umwunden,
Zittern auf voll Seligkeit,
Und das Herz, das nie empfunden,
Träumt von Liebeslust und Leid.

Auch die Rose hat vernommen
Die geliebte Nachtigall,
Und so sprengt sie, süß beklommen,
Ihre grünen Banden all'.

Doch kaum hat in ihrer Schöne
Sich die herrliche gezeigt,
Sterben alle Sehnsuchtstöne,
Bülbül sieht und liebt und – schweigt.

Schaut, entfernt vom Weltgetriebe,
Sich im Reich des Herzens um:
Hohe Wonne, heil'ge Liebe,
Ach, und tiefer Schmerz sind stumm! –
(S. 165-166)
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Sonett XXXI.

Die Mondnacht hüllt mit feierlichem Schweigen
In ihren Silberschleier Flur und Hain,
Und tausend Elfen schlingen zart und klein
Um Gräser ihren bunten Zauberreigen.

Ein grüner Baum mit seinen Blüthenzweigen
Schaut süß durchschauert in die Nacht hinein,
Er scheint von Düften ganz berauscht zu sein,
Die ihm, vermischt mit Harmonie'n, entsteigen.

Und kann er auch den holden Wechsel fassen?
In Nordes Weh'n, bedeckt mit Eis und Schnee,
Stand einsam er, entblättert und verlassen:

Da ziehen Monde spielend auf und nieder,
Da küßt ihm Zephyr ab das starre Weh,
Und sein sind wieder Blätter, Düft' und Lieder. –
(S. 289)
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Schweigen

Eh' ich den Schmerz gekannt, sang ich von Schmerzen,
So still die Brust und doch so ahnungsschwer:
Da barg der Kummer sich in meinem Herzen;
- Ich singe nicht von meinen Schmerzen mehr!

Eh' Lieb ich kannte, sang ich wohl von Lieben,
Das Herz so leicht und doch so wonneleer;
Jetzt ist der Pfeil darin zurückgeblieben:
- Ich singe nicht von meiner Liebe mehr!

Ich sang vom Glück, noch eh' das Glück ich kannte,
Ein Paradies erträumt' ich, licht und hehr,
Bis daß ein ganzes Eden mein ich nannte:
- Ich singe nicht von meinem Glücke mehr!

Still liegt die Fluth; in ihres Spiegels Helle
Trägt sie den Mond, der Sterne goldnes Heer;
Da bricht bewegt im Sturm sich Well' auf Welle,
- Und ihres Innern Bild zeigt keine mehr! –
(S. 215)
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Sonett XXX.

Ich grüße dich, du Schönster unter Schönen,
Ich grüße dich in deinen Feierhallen!
Umringt von deinen jubelnden Vasallen,
Will ich, dich preisend, meinem Drange fröhnen.

Du lachst in Blüthen und du sprichst in Tönen,
Dein Seufzen ist Gesang der Nachtigallen,
Dein Athem Duft, und deiner Locken Wallen
Ein Halmenmeer, das Diamanten krönen.

Wie lieblich ist es, nach den Stürmen allen
An deinen milden Scepter sich gewöhnen,
Von dessen Lobe laut die Fluren schallen.

Du Herrlichster von allen Göttersöhnen,
Laß dir die bunte Huldigung gefallen
Von Blumen, Vögeln, Quellen und Kamönen! –
(S. 288)
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Dolores

In den Straßen, welch' ein Wogen!
Wohin drängt das Volk in Eile?
Aus der Fremde hergezogen
Tanzen Gaukler auf dem Seile.

Wie die kühnen Sprünge glücken!
Bravo! schallt's aus jedem Munde,
Und gefüllt mit blanken Stücken
Kreis't der Teller in der Runde.

Reife fliegen, Leitern schweben,
Trommeln klappern, Pfeifen gellen,
Und es rührt mit lust'gem Streben
Arlechino seine Schellen.

Doch nur eine kurze Weile
Läßt er seine Laune blitzen,
Dann beseitigt straffe Seile
Er an zweier Häuser Spitzen.

Und das Volk erfaßt ein Grauen,
Mancher will den Blick bedecken,
Zagend nicht hinauf zu schauen
Nach dem Schwindelpfad voll Schrecken.

Plötzlich fliegt es bang und leise,
Wie bei'm ängstlichen Erkennen,
Durch die dichtgedrängten Kreise,
Und "Dolores" hört man nennen.

Und ein wunderholdes Wesen,
Florbeschwingt, im Rosenkranze,
Wie zum Opfer auserlesen,
Schwebt heraus im leichten Tanze.

Wandelt dann die grause Brücke
Still, ein bleicher Engel, nieder,
Weilt zwei kurze Augenblicke,
Kehrt dann, schmerzlich lächelnd, wieder.

Und das Volk zu ihren Füßen
Bricht mit Jubel jetzt das Schweigen,
Und Dolores will es grüßen,
Blickt hinab mit sanftem Neigen.

Blickt in zweier Augen Flammen
Weit, in bangem Grausen, offen,
Zitternd fährt sie da zusammen,
Wie von Blitzesstrahl getroffen.

All' ihr Lieben, all' ihr Leiden,
Alle hoffnungslosen Schmerzen,
Glückes Lächeln und sein Scheiden
Dämmern auf in ihrem Herzen.

Dunkel wird's vor ihren Augen,
Wo sich Erd' und Lüfte drehen;
Trost vom Himmel einzusaugen
Blickt sie auf mit stillem Flehen.

Doch der hat sich schwarz umwoben,
Schaudernd hält sie an die Schritte;
Unten Tod, Verderbniß oben,
Schwankt sie auf des Seiles Mitte.

Hört des Volkes murmelnd Tosen
Und des Mitleids laute Regung,
Da entfallen ihr die Rosen
Bei der stärkeren Bewegung.

Und sie sieht die Blumen schweben,
Sieht sie flatternd niederwallen,
Läßt aus ihrer Hand im Beben
Dann die Balanciere fallen.

Und noch einmal blickt sie nieder,
Wie von neuem Muth bemeistert,
Sieht die theuren Augen wieder,
Hebt empor sich, hochbegeistert.

Hebt empor sich, laut zu sagen:
"Einz'ger, den je zu bekennen
Niemals meine Lippen wagen,
Eine Kluft wird stets uns trennen.

Laß mich sterbend sie durchfliegen,
Laß mich sterbend Dich begrüßen!" -
Und man sieht entseelt sie liegen
Zu des Heißgeliebten Füßen. –
(S. 97-100)
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Stumme Liebe

Kennst du dies hohe, himmlische Empfinden,
Den Geistergruß aus unsichtbarer Welt?
Die Seligkeit, der alle Gränzen schwinden,
Die Lust, die Menschen neben Götter stellt?
Den süßen Schmerz, das hoffnungsvolle Bangen,
Die still gepflegte, liebgewordne Pein,
Dies unruhvolle, sehnende Verlangen,
Den flücht'gen Zorn, das schönere Verzeih'n?

Kennst du die Liebe, war sie dir bekannt,
So hast du nie bei'm Namen sie genannt! -

Nein, wahre Lieb' hüllt sich in tiefes Schweigen,
Selbst lichtgeboren, scheut sie doch das Licht,
Die weite Welt, der Himmel ist ihr Eigen,
Doch das Asyl des Herzens läßt sie nicht.
Mit ihren Klagen flieht verschämt die Sonne
Die süßbewegte, holde Nachtigall;
Im Dunkel nur weilt sicher Glück und Wonne
Und im Geheimniß ruht der Zauber all.

Kennst du die Liebe, war sie dir bekannt,
So hast du nie bei'm Namen sie genannt! -

Sie ruht so still, umwogt von Lust und Sorgen,
So treu von der Gedanken Schaar bewacht,
In tiefer Seele, jedem Blick verborgen,
Wie laut'res Gold im unbefahrnen Schacht.
Wag' beiden nicht den Stempel aufzudrücken,
Sie geh'n von Hand zu Hand, von Mund zu Mund,
Ach, und dein reines, heiliges Entzücken
Wird, ausgeprägt, der kalten Menge kund.

Kennst du die Liebe, war sie dir bekannt,
So hast du nie bei'm Namen sie genannt! -

Und will die lang verhalt'ne Flamme dringen
Aus ihrem Zwange siegend himmelwärts,
Und möchte laut von deiner Liebe singen
Dein froher Mund, dein hochentzücktes Herz:
So juble sie hinauf die Weltenbahnen,
Leih' andern Sternen deiner Sonne Glanz,
Doch wer sie selber ist, darf man nur ahnen,
Denn wahres Glück hüllt sich in Schweigen ganz.

Kennst du die Liebe, war sie dir bekannt,
So hast du nie bei'm Namen sie genannt! –
(S. 93-95)
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Koit und Aemmarik
(Morgenroth und Abendroth)
Eine esthnische Volkssage, bearbeitet nach einer Mittheilung des
Herrn Dr. Fr. Faehlmann
 

Eine kurze Wonnezeit, die lieder- und blumenreiche der kürzesten Nächte, entschädigt die Bewohner unseres Nordens für die langen Drangsale des rauhen Winters. In dieser Feierzeit der nördlichen Natur, wo Abendroth und Morgenroth einander die Hand reichen, erzählte ein Greis den versammelten Enkeln die nachfolgende Liebesgeschichte Koits und Aemmariks.


Kennst du in Allvaters Hallen,
Kennst du jene Leuchte nicht?
Siehe, Purpurstrahlen wallen,
Wo erlosch ihr goldnes Licht.

Eben kaum zur Ruh' gegangen,
Lächelnd noch im Widerschein,
Tritt sie schon mit vollem Prangen
In das Thor des Ostens ein.

Weißt du, wessen Hand die Sonne
Aufnimmt und zur Ruhe bringt,
Wenn nach ihrem Lauf der Wonne
Sie ermüdet niedersinkt?

Weißt du, wessen Hand entzündet
Wieder ihr erlosch'nes Licht,
Daß ihr Himmelsgang verkündet
Von der treubewahrten Pflicht?

- Dient' Allvatern still ergeben
Einstmals ein getreues Paar
Vom Geschlecht, dem Jugendleben,
Ewiges, verliehen war.

Als der erste Tag vollendet
Und den letzten Strahlenblick
Ihm die Leuchte mild gespendet,
Sprach der Herr zu Aemmarik:

"Töchterchen, die Sonn' im Sinken
Trau' ich Deiner Sorgfalt an,
Lösche Du ihr goldnes Blinken
Und bewahr' ihr Feuer dann."

Und sie wacht die Nacht voll Sorgen,
Bis ihr trübes Dunkel floh,
Und als kam der andre Morgen,
Sprach der Herr zu Koit also:

"Laß Dein neues Amt Dir künden,
Söhnchen, sei geschäftig wach,
Um die Leuchte anzuzünden,
Vorzusteh'n dem jungen Tag."

Monde sind seitdem entflogen,
Beide harrten treu der Pflicht,
Und es fehlt am Himmelsbogen
Keinen Tag das Sonnenlicht.

Winter kam im Schneegewande,
Später flammt die Leuchte auf,
Wandelnd tief am Himmelsrand
Schließt sie früher ihren Lauf.

Doch da grünt und blüht es wieder
In der neuerwachten Welt,
Vögel singen Jubellieder
Unter Ilmarinens Zelt.

Aemmarik löscht später immer
Dann die Leuchte, luftbewegt,
Bis sie einst im letzten Schimmer
In die Hände Koits sie legt.

Und da sah'n sie tief und lange
In die braunen Augen* sich,
Und ein Kuß sprach selig – bange
Aus das Wort: "ich liebe Dich!"

Doch ein Auge, nie geschlossen,
Das Verborgnes überwacht,
Sah die glücklichen Genossen
In der stillen Mitternacht.

Beide hat der Herr beschieden
Gleich am andern Tage dann;
Sprach: - "ich bin mit euch zufrieden
Fahrt so fort als Weib und Mann."

Aber beid' aus einem Munde
Flehten nun mit holder Scheu:
"Laß die Lieb' in unserm Bunde
Immer bräutlich sein und neu!

Bräutlich hat uns ja umfangen
Alle Himmelsseligkeit."
Und zu segnen ihr Verlangen
War der Alte froh bereit.

Und er hält, was er versprochen; -
Einmal nur, wenn Frühling lacht,
Nah'n sie sich vier kurze Wochen
In der stillen Mitternacht.

Wenn die Sonn' im letzten Funkeln
Ihrem Koit giebt Aemmarik
In den Nächten, die nicht dunkeln,
Folgt ein stiller Liebesblick.

Folgt ein Kuß auf zarter Wange,
Die erröthend widerstrahlt,
Daß ihr Purpurschein noch lange
Rings den Abendhimmel malt.

Bis, geweckt durch theure Hände,
Schon die Leuchte neu erglüht,
Und der Sonne Rosenspende
Hell im goldnen Osten blüht.

Und Allvater schmückt noch immer
Lieblicher dann Hain und Flur
Mit dem schönsten Blüthenschimmer
Zu der Feier der Natur.

Und die Nachtigallen scherzen,
Weilt die Braut im Wonnedrang
Länger an des Trauten Herzen:
"Träge Maid, die Nacht wird lang!"**
(S. 182-187)
 

* Söstra karwa silmad (braune Augen wie die Rinde vom Johannisbeerstrauch) sind Haupterforderniß der Schönheit bei den Esthen.
** Esthnisch: laist tüdruk, laist tüdruk! ö pik! – Eine Nachahmung des Nachtigallengesanges; wörtlich: "Säumiges Mädchen, säumiges Mädchen, die Nacht wird zu lang!" – Oepik: die Nachtigall, eigentlich: die Nacht lang.

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Lieb' ist die Sonne

Lieb' ist die Sonne, das Herz ist die Rose,
Die noch umknospet von schützendem Moose
Schlief
Ruhig und tief,
Bis in das Leben ein Lichtstrahl sie rief.

Lieb' ist ein Stern und das Herz ist die Welle,
D'rin er sich spiegelt mit leuchtender Helle,
Trägt
Still und bewegt
Ewig ihr Abbild im Busen geprägt.

Lieb' ist der Mond und das Herz ist der Aether,
Den er erleuchtet, bald früher bald später,
Lacht
Hold in der Nacht
Mit der das Weltall verklärenden Macht.

Lieb' ist die Antwort, das Herz ist die Frage,
Sie nur kann lösen die zweifelnde Klage,
Stumm
Blieb es ringsum
Sonst auf das seufzende, bange "Warum?" –
(S. 59-60)
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Hafis

Nie sang wohl ein Dichter im Leben
Wie du von der Lieb' und dem Wein!
Bekannt sind uns Allen die Reben,
Wer mag deine Liebe doch sein?

Du hast sie so herrlich beschrieben,
Wir lernten aus deinem Gedicht
Ein reizendes Wesen zu lieben,
Doch finden das Urbild wir nicht.

Wo strahlen solch' himmlische Sonnen?
Wo lächelt solch' rosiger Mund?
Es geben nur Houri's am Bronnen
Des Lichtes die Antwort uns kund.

Der Dichter (antwortet)
Ich stand auf dem blühenden Hügel,
Und sah dort von Tulp' und Jasmin
Geschäftig mit summendem Flügel
Ein sammelndes Bienchen einst zieh'n.

Es küßte den Duft von der Rose,
Aus schimmernden Kelchen den Thau,
Und nahm, unter süßem Gekose,
Den Nectar von Blumen der Au'.

Und trug in die goldenen Zellen
Das Schönste von Allem hinein.
Ist's auch aus verschiedenen Quellen:
Doch ward es ein Tropfen, so rein.

Da sammelt' ich wieder und wieder,
Und bildete mein Ideal,
Und legt's in die Zellen der Lieder
Wie's thaten die Bienchen zumal.
(S. 163-164)
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Sternschnuppe*

Spinnend saß das holde Mädchen
An des Ufers grünem Rand,
Drehte rund das glatte Fädchen
In der kleinen, weißen Hand.

"Zarte Schwester, süße Blume,
Winde mir den bunten Kranz;
Singe mit zu Ligho's Ruhme
In dem frohen Ringeltanz."

Doch wie auf erregte Wogen
Ernst die blasse Lilie schaut,
Still in sich zurückgezogen
Blieb dem Jubel fern die Braut.

Und sie schnellt die Spindel wieder,
Zieht den Faden goldig lang.
Sendet zu dem Meere nieder
Einen Blick dann, sehnsuchtsbang.

Als noch kaum der Morgen graute,
Und die frühe Lerche sang,
Zog ja dort hinaus der Traute,
Sicher hoffend reichen Fang.

"Kommt er wieder froh beladen
In dem Kähnlein, das ihn trug,
Zeig' ich ihm den schlanken Faden,
Den ich spann zum Hochzeitstuch."

Und im süßen Traum versunken,
Achtet sie der Spindel nicht,
In das Gras ist sie gesunken,
Und das zarte Fädchen bricht.

"Mädchen, laß dein thöricht Sinnen."
Spricht die Alte zürnend d'rauf,
"Deutungsvoll ist ja das Spinnen,
Und des Fadens glatter Lauf.

Wo die Wolkenlämmer baden
Und die Sonnenkinder geh'n,
Muß der Menschen Lebensfaden
Auch Werpeja's Finger dreh'n.

Rastlos rührend ihre Hände
Schaut sie her aus blauer Fern',
Und an jedes Fadens Ende
Knüpft sie einen lichten Stern.

Reißt ein Faden, öffnet immer
Mütterchen ein kaltes Grab,
Und verglüht im letzten Schimmer
Sinkt zur Erd' ein Stern herab."

Und zur Spindel greift das Mädchen,
Spinnet bis die Sonne sinkt,
Dreht das runde glatte Fädchen,
Bis der Mond im Meere blinkt.

Sonnentöchter, Sonnensöhne
Leihen wohl ihr goldnes Licht,
Doch in seiner Jugendschöne
Kehret der Geliebte nicht.

Winde weh'n, die Fluthen schwellen,
Und die Woge fällt und steigt,
Und hinunter in die Wellen
Sinkt ein Sternlein und erbleicht.

"Eben riß sein Lebensfaden;
Das war meines Liebsten Stern!
Muß in kühler Fluth sich baden
Ewig bis zum Tag des Herrn."

Und sie harrt am Ufer lange
Durch die sturmerregte Nacht,
Harret athemlos und bange
Bis das Morgenroth erwacht.

Und als keiner war gekommen,
Als kein Nachen heim ihn trug:
Hat ihr Garn sie abgenommen,
Wob sich still ein Leichentuch.
(S. 243-246)
 

* Die kindlich einfache Poesie des lettischen Volkes ist ganz auf die sie umgebende Natur beschränkt, die sie auf das Mannigfachste beleben. So sind ihnen die Sterne "Sonnentöchter und Sonnensöhne", und bei der Geburt eines Menschen beginnt Werpeja, die Parze der Letten, einen Faden zu spinnen, dessen Ende ein Stern ist. Mit dem Tode reißt der Faden ab und der Stern fällt zur Erde. Dies ist die Grundlage des obigen Gedichtes, das zugleich noch andere Anklänge aus der lettischen Mythologie hat.
Ligho ist der Gott der Freude, und sein Name noch bis auf diese Stunde der Refrain bei lettischen Festgesängen, inbesondere am Johannistage.

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Ghaselen
Der persische Dichter spricht:

I.
Spanntest Du aus lichten Fäden Deines Haars die Kette nicht,
Die mit magischen Gewalten Deinen Sclaven fest umflicht?

Schöner ist's, von Dir gefangen, als, Dir ferne, frei zu sein,
Denn ich weil' im trüben Dunkel, fehlt mir Deiner Augen Licht.

Aber flüchtig wie Gazellen bist mein holdes Liebchen Du,
Und in Fesseln Dich zu halten, fühl' ich wie die Kraft gebricht. -

Schön will ich die Worte fügen, künstlich schlingen Reim in Reim,
Und vielleicht zum Zauberbande wird mein preisendes Gedicht.

O, wie würde doch Dein Dichter singen mit Begeisterung,
Könnt er hoffen, seine Lieder hätten dieses Vollgewicht!

Sie mit Deinem Namen zierend schickt' er stolz sie in die Welt,
Ihren Adel kennend scheuten sie nicht Krittlers Strafgericht.

Sei mir huldreich doch, mein Liebchen; horch, es singt die Nachtigall:
- "Alle Blüthen zu erwecken ist der Sonne schönste Pflicht." -

Wecke meines Geistes Blüthen, die noch still im Keime ruh'n,
Neige, freundlich mir gewährend, hold Dein Lilienangesicht;

Und ich lese voll Entzücken dort aus lichter Rosenschrift,
Daß für mich Dein liebes Herzchen noch ein gutes Wörtchen spricht.


II.
Durch die Fluren zog ich, durch die Gassen – doch vergebens!
Klagte: Holde, hast Du mich verlassen? – doch vergebens!

Echo hat allein mich nur verstanden, sie rief spottend:
"Wasser willst Du mit dem Siebe fassen – doch vergebens!"

Und voll Unmuth über meine Plagen wollt' ich endlich
Dich so recht von ganzer Seele hassen: - doch vergebens! -


III.
"Mußt auf deine Wege schauen,
Darfst dem Amor nimmer trauen,
Denn er trägt gespannt den Bogen." -
- Und ich blicke sonder Grauen
In den Himmel Deiner Augen,
Ueber welchem dunkle Brauen
Zwei gespannte Bogen bilden,
Du gefährlichste der Frauen!


IV.
Ich habe Dich so flüchtig, mein Leben, nur geseh'n,
Dein Blick hieß mich zu bleiben, Du sprachst, ich sollte geh'n.

Da stand ich unentschlossen und schaute stumm Dich an,
Mit meinen Augen fragend, was wohl mit Dir gescheh'n?

Im Kelch der Rose glänzten zwei lichte Tropfen Thau,
Auf Deinen Wangen Thränen – wie soll ich sie versteh'n?

Hat Schmerz vielleicht gefunden, viel glücklicher als ich,
Den Weg zu Deinem Herzen, verschlossen meinem Fleh'n?
(S. 253-256)
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Alle Gedichte aus: Gedichte von Minna von Mädler geb. Witte
Leipzig und Mitau
G. A. Reyher's Verlagsbuchhandlung 1848


Biographie:
Mädler, Minna von, Tochter des 1841 als Hof- und Konsistorialrath verstorbenen Christian von Witte, wurde 1809 zu Hannover geboren. Schon in früher Jugend, im achten Lebensjahre, erwachte ihr dichterisches Talent, und ohne alle Kenntnis der Gesetze der Metrik verfaßte sie mit größter Leichtigkeit kleine Gedichte. In ihrem sechszehnten Jahre etwa machte sie die Bekanntschaft des genialen Historienmalers Ramberg, und eine Reihenfolge von Skizzen, das allegorische Spiel eines Knaben mit einem Schmetterlinge darstellend, das sie bei ihm sah, regte sie an zu ihrem ersten größeren Gedicht "Lilli". Ramberg drang in die Dichterin, das Ganze, mit seinen Bildern illustriert, im Druck erscheinen zu lassen. Eine verheerende Ueberschwemmung, die viele Gegenden Hannovers heimsuchte und große Noth verbreitete, kam Rambergs Aufforderung zu Hilfe: das Werk erschien in einer Auflage von 1000 Exemplaren, die in acht Tagen vergriffen waren und eine reine Einnahme von 800 Thlrn. für die Verunglückten gewährten. Der anfangs schwierige, durch einen solchen Erfolg umgestimmte Verleger wünschte unverzüglich eine neue Auflage zu veranstalten, allein die Eltern des jungen Mädchens, von gar zu frühem litterarischen Ruhme einen nachtheiligen Einfluß auf die Bildung ihres Charakters fürchtend, verweigerten dies. Als mehrere Jahre darauf die verwitwete Landgräfin Elisabeth von Hessen-Homburg, Tochter Georgs III. von England, Hannover besuchte und die Bekanntschaft der Dichterin machte, ward diese ihre tägliche Gesellschafterin und begleitete sie auch nach Hamburg, wo sie einen Sommer hindurch verweilte. Im Verein mit dieser geistreichen Fürstin gab Minna Witte "Genius, Phantasie, Imagination", eine Reihe von Sonetten - gleichfalls zu wohlthätigen Zwecken - heraus. Ende der dreißiger Jahre vermählte sich Minna Witte mit dem berühmten Astronomen Mädler, mit dem sie 1840 nach Dorpat übersiedelte, wohin er als Professor berufen war. Auch in Livland blieb die Dichterin unter mannigfachen Anregungen in gelehrten und geselligen Kreisen Dorpats literarisch thätig. Im Jahre 1853 weilte sie zur Herstellung ihrer Gesundheit lange Zeit in ihrer Vaterstadt. Als ihr Gatte 1865 in den Ruhestand trat, siedelte sie mit ihm erst nach Bonn, dann nach Hannover über, wo sie ihren Mann am 14. März 1874 durch den Tod verlor und nun als Witwe lebt.

D.: Lilli, in zehn Liedern von Minna, Hannover 1826. - Genius, Phantasie und Imagination. Ein Cyklus von 20 Bildern, entworfen von J.K.H. der Frau Landgräfin von Hessen-Homburg, geb. Prinzessin von Großbritannien, mit Sonetten von Minna Witte. Ebd. 1834. - Gedichte. Mitau und Leipzig 1848. - Stromesopfer. (Ein Gedicht) Dorpat 1850. - Anna (Gedicht). Hannover 1858.
Aus: Deutsches Dichter-Lexikon. Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten. Unter besonderer Berücksichtigung der Gegenwart
von Franz Brummer. Eichstätt & Stuttgart 1876


(...) Bedeutender ist Minna von Mädler (geb. 15. October 1804) zu Hannover, die Tochter des Konsistorialrates Ch. von Witte und der Astronomin Wilhelmine Witte, welche 1839 den ersten Mondglobus fertigte, vermählt mit dem berühmten Professor der Astronomie J.H. von Mädler in Dorpat (gest. 1874 in Hannover). Sie lebt gegenwärtig als Witwe in ihrer Vaterstadt. Schon mit 19 Jahren liess sie zum besten der Überschwemmten in Hannover anonym ein grösseres Gedicht "Lilli" erscheinen, das der geniale Historienmaler Ramberg illustrierte und das ungeheuern Absatz fand; gleichfalls zu wohltätigen Zwecken gab sie 1834 einen Kyklos von Sonetten "Genius, Phantasie und Imagination" mit 20 Zeichnungen der verwitweten Landgräfin Elisabeth von Hessen-Homburg, deren tägliche Begleiterin sie war, heraus. Ihre gedankenreichen "Gedichte" 1848 zeugen von ausgedehnten Sprachkenntnissen, da sie auch Übersetzungen aus dem altdeutschen, altfranzösischen, italienischen, englischen und dänischen enthalten. 1850 folgte das Gedicht "Stromesopfer", 1858 das sinnige livländische Idyll "Anna". Ihr verdanken wir auch eine geschickte Übertragung der beiden Epen von Th. Moore "das Paradies und die Peri" und "die Feueranbeter" 1837, die ihr das Lob und den Dank des Dichters eintrug, und eine rhytmische Umdichtung einer Auswahl von Psalmen 1838.
Aus: Deutschlands Dichterinen und Schriftstellerinen. Eine literarhistorische Skizze
zusammengestellt von Heinrich Gross. Zweite Ausgabe. Wien 1882


 

 


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