"Im wunderschönen Monat Mai . . ."


Mai - Liebesgedichte


deutscher Dichter und Dichterinnen
 

(Autoren I/J - O)

 



 






Ludwig Jacobowski
(1868-1900)


Maienblüten

Duld es still, wenn von den Zweigen,
Von den überfüllten Zweigen,
Blüten weh'n ins fromme Haar,
Und sich sacht herüberneigen,
So im Durst herüberneigen,
Lippen sich auf Lippenpaar.

Sieh, ein Beben süß und wunderlich,
Rinnt durch übersonnte Blätterreihen.
Alle Blüten, die sie niederstreuen,
Segen streuen sie auf dich und mich.

Aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 26)
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Gustav Wilhelm Jahn
(1818-1888)


Maiglöckchen

1.
Als ich an einem Maientag
Im grünen Waldesschatten lag
Und an Dich dachte unverwandt,
Kam mir ein Blümchen in die Hand,
Das neben mir vom schlanken Stiel
Ich abbrach im Gedankenspiel.
Das Blümchen war so lieb und traut,
Ich hab es sinnend lang beschaut;
Und als ich mehr mich umgesehn,
Fand ich viel seiner Schwestern stehn;
Ich suchte bald die schönsten aus
Und pflückte sie für Dich zum Strauß.

Wie nun der Vöglein lautes Schmettern
Uns auslegt, was mit Blumenlettern
Von seines Herzens ewgem Lieben
Gott auf des Waldes Grund geschrieben:
So woll im kühlen Buchenschatten
Du Deinem Sänger auch gestatten,
Daß er in frischer Lieder Weisen
Maiglöckchens Deutung Dir darf preisen.

2.
Zwei Blätter halten sich umwoben
Und schlingen sich zu einem Stamm;
Sie streben beide still nach oben:
Ein Bild von Braut und Bräutigam!

Denn wie bei völligster Vereinung
Ein Wille in zwei Herzen lebt,
Das tritt so lieblich in Erscheinung,
Wenn sich der Blüthenschaft erhebt.

Die Blüth ist eigen jedem Blatte
Und steiget doch aus keines Schooß;
Du siehst nicht, wo sie Ursprung hatte,
Sie stammt von beiden, siehst Du bloß.

Zwei Seelen, die in keuscher Liebe
Vereinigt sind als Weib und Mann,
Die richten auch in einem Triebe
Des Geistes Blüthen himmelan.

3.
Ist jedem Blatt die Blüthe eigen,
Obgleich aus keines Schooß sie steigt:
So laß mich Dir im Bilde zeigen,
Worin sie meinem Herzen gleicht.

Sieh, all die Glöcklein haben Zungen,
Nur ward der Ton zu süßem Duft,
Und ist erst ihr Geläut erklungen
Füllt unablässig es die Luft.

Und alle diese Glöcklein richten
Nach einem Ziel sich für und für:
So muß ich täglich Lieder dichten,
Und kann doch singen nur von Dir.

Ich möchte, jedes meiner Lieder
Wär solch ein Glöcklein silberweiß,
Und möchte, jedes hallte wieder
Mit süßem Klang von Deinem Preis.

4.
Ist eigen jedem Blatt die Blüthe,
Ob keines Schooße sie entquillt:
So schaut mein Herz, das lieberglühte,
In ihr auch Deines Herzens Bild!

Weiß ist der Glöcklein Außenseite,
Zart gelb erglänzt des Kelches Kern:
Dein Schmuck ist Unschuld! Dein Geleite
Im Herzen tief des Glaubens Stern!

Grad auf hebt sich das Blüthenstöcklein,
Es strebt empor zum Himmelslicht;
Doch halten all die zarten Glöcklein
Erdwärts gekehrt ihr Angesicht.

Zum Himmel auf geht all Dein Streben,
Empor zu Gott steht Sinn und Herz;
Doch Demuth will sich nicht erheben
Und senkt die Blicke niederwärts.

Aus: Neuer Frühling. Brautlieder von Gustav Jahn
Zweite Auflage
Magdeburg Heinrichshofen'sche
Buchhandlung 1868 (S. 103-107)

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Wilhelm Jensen
(1837-1911)


Marie

XVII.
Lobsinget der Sonne und preiset den Mai,
Jauchzt auf mit klirrenden Gläsern dabei,
Ich singe euch doch mein Weib nur allein,
Das schön wie die Sonne, der Mai und der Wein.

Und kommen die Rosen und athmet der Duft
Berauschender Blüthen durch dämmernde Luft,
Mit süßerem Hauch umfängt mich mein Weib,
Und ich leg' ihr den Arm um den blühenden Leib.

Komm, liebliche Nacht, komm du prangender Tag -
Du Stern meines Glückes, allimmer mir wach,
Du stehst mir zu Häupten in Dunkel und Licht,
Und ich singe nur dich, du mein lieblich Gedicht.

Aus: Gedichte von Wilhelm Jensen
Stuttgart Verlag von A. Kröner 1869 (S. 176)

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Friederike Jerusalem
(1759-1836)


Mailied

Bereite dich, Erde, zu festlicher Feier!
Der Freudenerwecker eilt wieder herbei!
Er schwebt in den Wolken, im rosigen Schleier,
Der Blumenerschaffer, der liebliche Mai!
Aus himmlischem Glanze
Erhob er, beim Tanze
Der Horen, sein Haupt,
Die wallenden Locken
Von duftenden Glocken
Und Mirten umlaubt.

Er athmet: und neues allmächtiges Leben
Durchlodert die Pulse der ganzen Natur!
Er lächelt: und siehe! die Saaten erheben
Sich grüner und schneller aus bräunlicher Flur!
Nun gaukeln die Weste
Um Reiser und Aeste
Im grünenden Hain,
Und laden zu Zweigen,
Die dämmernd sich neigen,
Die Nachtigall ein.

Da kommt sie, die Wonne der Schöpfung, und flötet
Ihr schmelzendes Mailied dem horchenden Baum;
Vom Strale des scheidenden Tages geröthet,
Bewegen die Blätter und Blüthen sich kaum.
So schwiegen die Wälder,
So lauschten die Felder,
Als, klagend und bang,
Der König der Lieder:
"Noch einmal komm wieder,
Eurydice!" sang.

Aus: Lyrische Anthologie
Herausgegeben von Friedrich Matthisson
Vierzehnter Theil Zürich 1805 (S. 169-170)
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Max Kalbeck
(1850-1921)


Im Mai, im grünen Maien

Im Mai, im grünen Maien,
Da dufteten die Bäume,
Da träumt' ich unter Blüten
Die duftigsten der Träume.

Die Träume wurden Lieder,
Sie klangen, dich zu grüßen,
Ich legte liebestrunken
Sie nieder dir zu Füßen.

O, selig, wen die Liebe
Zum ersten Mal durchdrungen!
O, selig, wer zum ersten
Ein eignes Lied gesungen!

Gott sei's geklagt: die Blätter
Nun wieder sich entfärben,
Sie hängen welk am Baume,
Und mögen doch nicht sterben!

Vom Mai, vom grünen Maien,
Von meinem jungen Lieben,
Bist du mein armes Lied mir
Als letzter Trost geblieben!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 59)

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Max Kalbeck
(1850-1921)


Beim Maitrank

Der Lärm der Stadt rauscht ferne mir zu Füßen, -
Wie gerne hab' ich sie zurückgelassen
Die Promenaden und die Backsteinmassen!
Ein Haus nur will ich froh von hier begrüßen.

Herüber scheint es auch zu mir zu sehen,
Die Fenster blitzen goldig aus dem Grünen,
Vom letzten Abendsonnenglanz beschienen,
Als ob sie könnten meinen Gruß verstehen.

Wie hier sich Blatt an Blatt drängt, Blüt' an Blüte,
Und drüber hin die bunten Falter schillern,
Wie rings die Nachtigallen freudig trillern,
So blüht und glänzt und singt mir's im Gemüte.

Der junge Frühling brachte frischen Maitrank, -
Dem Frühling gilt der erste volle Becher!
Zwei andre trinkt noch der verliebte Zecher
Den goldnen Fenstern zu als einen Weihtrank.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 71)

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Therese Keiter (Ps. M. Herbert)
(1859-1925)


O Liebe!

Dich grüßte ich einstmals im weißen Kleid
Mit Kirschenblüten zur Maienzeit,
Ein süßes Lächeln auf roten Wangen
Bist du an mir vorübergegangen!
Vorübergegangen!

O Liebe!
Dich grüßte ich wieder, ein wissendes Weib,
Aufglühte in Flammen das Herz mir im Leib!
Ein schmerzlich Lächeln auf bleichen Wangen
Bist du bei mir vorübergegangen!
Vorübergegangen!

O Liebe!
Dich sah ich wieder am offenen Grab,
Die Schollen fielen rauh polternd hinab.
Die Seele bebte in angstvollem Lauschen,
Sie hörte dein schwindendes Flügelrauschen!
Dein schwindendes Rauschen!

O Liebe!
Dein Geist ist noch bei mir in seligem Glanz,
Noch wanderst du mit mir im dornigen Kranz.
Mit bebenden Lippen hör ich dich sagen:
Für andere mußt du das Leben ertragen,
Das Leben ertragen.


Aus: Einkehr Neue Gedichte von M. Herbert [Therese Keiter]
Dritte Auflage Regensburg
Druck und Verlag von J. Habbel 1930 (S. 17)

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Gottfried Kinkel
(1815-1882)


Als mein Lieb Todesgedanken hatte

Es kommt aus West am Maientag
Schmelzend ein Hauch gezogen;
Von frischem Laub ist grün der Hag,
Der Grabesstaub verflogen.
Wir brauchen der Blumen nicht länger zu warten:
Die Mutterlieb' in Lilienpracht
Und die Rose der Sinne ist glühend entfacht;
All Leben erwacht
In der Liebe sonnigem Garten.

Der Sommer nah, der Winter fern,
Stark ist des Lebens Walten;
Und jede Blume will auch gern
Zur Frucht sich noch entfalten.
Wir ahnen der künftigen Lenze Schimmer,
Wir schaun, wie rings ein jegliches Beet
Voll lebender strebender Keimchen steht -
Der Lenzhauch weht,
Und an's Sterben denken wir nimmer!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel Zweite Sammlung
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1868 (S. 75)
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Ludwig Gotthard Kosegarten
(1758-1818)


Sie und Mai und Nachtigall

Wie leuchtet milde, blaß und schön,
Die Abendsonne! Sieh, wie wehn
Die Blüthen, röthlich, weiß und bunt,
Und überschnei'n den Gartengrund!

Wie schwimmt die kühl'ge Abendluft
In Mai- und Nachtviolenduft!
Wie wölkt sich die Laube blätterschwer
So dunkel freundlich um uns her.

Und, horch! durch Garten, Busch und Thal,
Schlägt ihren Schlag die Nachtigall!
Dein Schlag schlägt mir durch Mark und Bein -
O Nachtigall, Nachtigall, schone mein!

Und, ach! in ihrer Lieblichkeit,
In ihrer Schönheit Feierkleid,
Wallt neben mir das Mädchen mein!
O Mädchen, Mädchen, schone mein!

O schone mein, du bist so hold,
Viel holder als der Sonne Gold,
Viel schöner als die Blüthen all',
Viel süßer als die Nachtigall.

Dein Aug' ist blau und freundlich gut,
Dein Mund in seiner Rosengluth!
Dein Blick so lieb! dein Busen rein!
O Herzensmädchen, schone mein!

In meiner Seele lebt's und webt's.
In meinem Herzen strebt's und bebt's.
Es wogt und wirbelt Fluth auf Fluth.
Es blitzt und lodert Gluth auf Gluth.

Und, horch! durch Busch und Blüthen all'
Schlägt noch einmal die Nachtigall.
Dein Schlag schlägt mir durch Leben und Sein.
O Nachtigall, Nachtigall, schone mein!

Mir wird so heiß! Mir wird so weh,
Um dich, du innig Innige!
Wer ist, wie ich, so stark, so held!
Ich schlüge für dich mit der ganzen Welt.

Ich stürbe für dich den heißesten Tod!
Zehntausendfachen grimmigen Tod!
Wol grimmig, düster, wild ist er!
Doch ist die Liebe noch grimmiger!

 Wer will mir rauben das Mädchen mein?
Zu Staub soll stieben sein Gebein!
Wer hadert um meine erwählte Braut?
Das Verhängniß hat mir sie angetrau't.

O Mädchen, Mädchen, bleib nur mein!
So ist mir Welt und Schicksal klein!
So reißt mich von dir nicht Gewalt noch Noth,
Selbst nicht der eiserne grimmige Tod.

Aus: Dichtungen von Ludwig Gotthard Kosegarten
Sechster und siebenter Band
Lyrische Gedichte erste Sammlung Erstes bis viertes Buch
Fünfte Ausgabe Greifswald
In der Universitäts-Buchhandlung 1824 (Band 6 S. 123-125)
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Julie Kruse
(1883-1944)


Wie kalt bist du, Mai meines Lebens,
Auf Kirsch- und Mandelblüten liegt der Schnee -
Du bist so kalt und sturmwild
Und mich friert so -
Die jungen, grünen Blättchen der Kastanien,
Die hängen so gefaltet traurig nieder.
Ob all das junge Grün erfrieren muß,
Das mir ein Sonnenlächeln schenkte?
Ein frühes Sonnenlächeln, dem der Winter folgte?
Wie kalt bist du, Mai meines Lebens. -

Aus: Julie Kruse Frühwinter Gedichte 1912
Druck bei Robert Schumann Hoflieferant Cöthen-Anh. (S. 66)

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Karl Lappe
(1773-1843)


Lenzliebe

Willst du in Wonne schweben
Im Philomelenmai:
Flicht dir ein I ins Leben,
Daß Leben Liebe sei.
In Sonnengluth und Glänzen
Glüht Sinn und Seele neu.
Wir glänzen mit im Lenzen.
Wie selig ist der Mai!

Aus: Karl Lappe's sämmtliche poetische Werke
Neue wohlfeile Ausgabe
Rostock Verlag von J. M. Oeberg 1840 (Band 1 S. 189)

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Else Lasker-Schüler
(1869-1945)


Maienregen

Du hast Deine warme Seele
Um mein verwittertes Herz geschlungen,
Und all seine dunklen Töne
Sind wie ferne Donner verklungen.

Aber es kann nicht mehr jauchzen
Mit seiner wilden Wunde,
Und wunschlos in Deinem Arme
Liegt mein Mund auf deinem Munde.

Und ich höre Dich leise weinen,
Und es ist - die Nacht bewegt sich kaum -
Als fiele ein Maienregen
Auf meinen greisen Traum.

Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe
Band 1: Gedichte Kritische Ausgabe Erste Auflage 1996
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996 (S. 94)

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Detlev von Liliencron
(1844-1909)


Der Maibaum

Wir liebten uns. Ich saß an deinem Bette
Und sah auf deinen todesmatten Mund.
Dein Auge suchte mich an irrer Stätte:
Hörst du den Sensenschnitt im Wiesengrund?

Und Pfingsten rings. Die Stadt war ausgeflogen
In hellen Kleidern und im Frühlingshut.
Wir waren um den schönsten Tag betrogen;
Tag, sei gnädig ihrer Fieberglut.

Zu deinem Haupte bog, zu deinen Füßen
Bog sich ein grünes Birkenbäumchen vor;
Sie sollten dich vom heiligen Leben grüßen,
Ein letzter Gruß dir sein am schwarzen Tor.

Ich hatte gestern sie für dich geschnitten,
An einer Stelle, die dir wohlbekannt,
Zu der wir ausgelassen oft geschritten,
An der wir oft gesessen Hand in Hand.

An jenem Ort steht eine alte Weide,
Vor Neid und Sonne unsre Schützerin;
Da ist es still, und überall die Haide,
Am Ginster zittert die Libelle hin.

Ein Wasser schwatzt sich selig durchs Gelände,
Ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd;
Da stützt Natur die Stirne in die Hände
Und ruht sich aus, von ihrer Arbeit müd.

Weißt du den Abend noch? Wir saßen lange,
Ein nahendes Gewitter hielt uns fest
An unserm Weidenbusch, du fragtest bange,
Es klang so zag: Und wenn du mich verläßt?

Sieh zu mir auf, beschirmt von Birkenzweigen:
Ich war dir treu, wir haben uns geglaubt.
Aus Wüsten zieht auf Wolken her das Schweigen,
Die Sense sirrt, und sterbend sinkt dein Haupt.

Aus: Detlev von Liliencron:
Gesammelte Werke. Band 2 und 3.
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart
Berlin Leipzig 1923 (Band 3 S. 31-32)
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Hermann Lingg
(1820-1905)


Mainacht

Gewitterschwüles Bangen
Umfängt den Erdenball,
Schwermüthig und gefangen
Wehklagt die Nachtigall.

Geliebte! komm, wir schauen
Vom Fenster, Hand in Hand,
Hinaus ins Wettergrauen,
Hinaus ins dunkle Land!

Ich halte dich umfangen,
O meines Herzens Braut,
Wie glühen deine Wangen,
Wie pocht dein Herz so laut!

Ein bebendes Entzücken
Durchschauert meine Brust,
Ich möchte dich erdrücken
Vor selig banger Lust.

Als ob er zürnen müsse,
Schickt eines Blitzes Strahl,
So oft ich dich nur küsse
Der Himmel jedesmal.

Ich sehe dann erleuchtet
Das Dunkel meiner Schuld,
In Wimpern sanft befeuchtet
Von Thränen deiner Huld. -

O horch, es schlägt vom Thurme,
Und durch den Donnerhall
Und mitten in dem Sturme
Ertönt der helle Schall.

Und mir im Herzensgrunde
Klingt's nach, daß uns ein Tag
Vereint zum ew'gen Bunde
Bei diesem Glockenschlag.

Aus: Gedichte von Hermann Lingg
Zweiter Band Dritte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen
Buchhandlung 1874 (S. 122-123)
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Hermann Lingg
(1820-1905)


Maiglocke

Wenn vom Schnee die letzte Flocke,
Wenn zur Blume wird der Thau,
Wird er eine Maienglocke,
Die dein Bild ist, holde Frau!

Weht es nicht wie Waldeskühle,
Haucht es nicht aus ihrem Duft
Wie die Unschuld der Gefühle -
Wie die reine Morgenluft? -

Im Verborgnen blühst du gerne,
Wie die Maienglocke blüht,
Wer dir naht, fühlt schon von ferne
Dein holdseliges Gemüth.

Aus: Gedichte von Hermann Lingg
Zweiter Band Dritte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen
Buchhandlung 1874 (S. 158)
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Hermann Löns
(1866-1914)


Der späte Mai

Die roten Blätter rauschen,
Der Sommer ist lange vorbei,
Es leuchten unsere Augen,
Es blüht in uns der Mai.

Wir können die Liebe nicht bergen,
Wir sind uns viel zu gut,
Es brennen unsere Lippen,
In den Schläfen klopft unser Blut.

Wir reden schüchterne Worte,
Wir sehn aneinander vorbei,
Scheu wie die erste Liebe
Macht uns der späte Mai.

Was zögerst du, was zagst du,
Wer weiß, bald fällt der Schnee,
Die ungeküßten Küsse,
Das ist das bitterste Weh.

Aus: Hermann Löns Sämtliche Werke
in acht Bänden. Hrsg. von Friedrich Castelle 
Hesse & Becker Verlag Leipzig 1923
(Band 1 S. 185)
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Hermann Löns
(1866-1914)


Maifrost

Oft leuchtet im Frühling die Sonne so warm,
Doch rauh pfeift der Nachtwind von Norden,
So ist mir auch gestern in deinem Arm
Eisig zu Mute geworden.

Dein Mund war so süß, dein Busen so weich,
So warm deines Herzens Pochen –
Da kam aus dem kalten Gedankenreich
Ein kalter Gedanke gekrochen.

Du sprachest so schön und platonisch zu mir
Von Liebe gleichfühlender Seelen –
Doch mir schien alles das nur die Gier
Der Leiber, sich zu vermählen.

Das alles ist Lüge und Trug der Natur,
Schlaflieder, uns einzuwiegen,
Sie schmeichelt dem stolzen Geiste nur,
Daß die Leiber sich williger fügen.

Und dieser Gedanke, mein liebes Kind,
Muß die innigste Liebe ermorden –
Wie schade, daß wir keine Tiere mehr sind
Oder noch keine Engel geworden!

Aus: Hermann Löns Sämtliche Werke
in acht Bänden. Hrsg. von Friedrich Castelle 
Hesse & Becker Verlag Leipzig 1923
(Band 1 S. 118-119)
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Hermann Löns
(1866-1914)


Liebeszauber

Und willst und willst du mich nicht lieben,
O Maienzeit, o Süßigkeit,
Das soll und soll mich nicht betrüben,
O Maienzeit, o Bitterkeit;
Ich weiß das edle Kräutlein blühn,
Habmichlieb, das Kräutlein grün,
Kräutlein grün, Blümlein rot
Hilft bei Liebesnot.

Zur Liebe will ich dich bekehren,
O Maienzeit, o Süßigkeit,
Du kannst und kannst es mir nicht wehren,
O Maienzeit, o Bitterkeit;
Ich weiß das edle Kräutlein grün,
Habmichlieb, das Kräutlein grün,
Kräutlein grün, Blümlein rot
Hilft bei Liebesnot.

Und hab’ und hab’ ich es gefunden,
O Maienzeit, o Süßigkeit,
So bleibst und bleibst du mir verbunden,
O Maienzeit, o Bitterkeit;
Ich weiß das edle Kräutlein blühn,
Habmichlieb, das Kräutlein grün,
Kräutlein grün, Blümlein rot
Hilft bei Liebesnot.

Aus: Hermann Löns Sämtliche Werke
in acht Bänden. Hrsg. von Friedrich Castelle 
Hesse & Becker Verlag Leipzig 1923
(Band 1 S. 338)
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Hermann Löns
(1866-1914)


Maiandacht

Von dem Dom acht Glockenschläge schallen,
Aus den Fenstern flimmert Kerzenglanz,
Tausend hübsche kleine Mädchen wallen
Nach dem Dom mit Buch und Rosenkranz.

Tausend hübsche stramme Burschen warten
An der Kirchtür und flüstern leis:
Schätzchen, um halb neun im städt’schen Garten!
Tausend Mündchen flüstern: Ja, ich weiß!

Drinnen senken sich die hübschen Köpfchen,
Und das Knie das Kirchenpflaster küßt,
Unter all den Löckchen und den Zöpfchen
Kein Gedanke bei der Predigt ist.

"Gott sei Dank! Die Predigt ist zu Ende,"
Schnell nach draußen strömt der bunte Hauf,
Und des Schloßparks breite Laubgelände
Nehmen die verliebten Pärchen auf.

Welch ein Küssen, Drücken, süße Sünden!
Selbst das frommste Herzchen wird gerührt –
Kalter Himmel, deine Schrecken schwinden,
Und die heiße Hölle triumphiert.

Aus: Hermann Löns Sämtliche Werke
in acht Bänden. Hrsg. von Friedrich Castelle 
Hesse & Becker Verlag Leipzig 1923
(Band 1 S. 148-149)
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Karl Mayer
(1786-1870)


Maienkummer

Lauer Maienlüfte Schwall
Will mich hier umscherzen!
Frühlingsglücklich überall
Geht es an ein Herzen.

Blümchen, wie ihr hold und frisch
Euch zusammen reihet!
Glänzend hüpfen Fisch und Fisch,
Auch das Wasser maiet.

Bunte Vögel freudig husch!
Fliegen hin und wieder,
Singen auf und ab im Busch
Innigliche Lieder;

Dreh'n die Köpfchen, wundern sich,
Daß ich so alleine. -
Süßer Mai, wo rett' ich mich
Einsam hin und weine?

Aus: Lieder von Karl Mayer
Stuttgart und Tübingen
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1833 (S. 55)

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Johann Martin Miller
(1750-1814)


Der Mai

Vögel schlagen
Im Gesträuch;
Fische jagen
Sich im Teich.

Schaafe blöcken
Durch den Klee;
Muthig löcken
Hirsch und Reh.

Flöten klagen
Durch den Hain;
Hirten schlingen
Sich im Reihn.

Was da lebet,
Liebt und lacht,
Und erhebet
Amors Macht.

Aber trübe
Schleicht der Mai,
Sonder Liebe,
Mir vorbey.

Bang und öde
Traurt die Flur;
Denn die Spröde
Denk' ich nur.

Nacht umziehet
Meinen Blick;
Fühllos fliehet
Sie zurück.

Und ich weine
Meine Qual,
Wie die kleine
Nachtigall.

Tief im Schatten,
Spät und früh,
Um den Gatten
Jammert sie.

Ach! gefangen
Folget er
Nicht dem bangen
Rufe mehr!

Aus: Johann Martin Millers Gedichte
Ulm bey Johann Konrad Wohler 1783 (S. 96-98)

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Johann Martin Miller
(1750-1814)


Die Liebe
Aus dem Siegwart 1775

Was ist Lieb'? Ein Tag des Maien,
Der in goldnem Glanz erwacht,
Hell auf froher Schäfer Reihen
Vom entwölkten Himmel lacht.

Flöten locken zu den Tänzen
Der vergnügten Mädchen Schaar;
Blumen sammeln sie zu Kränzen,
Schmücken ihrer Schäfer Haar.

Schnell verdüstert über ihnen
Sich der schwülen Sonne Blick;
Schrecken starrt aus ihren Mienen;
Schüchtern eilen sie zurück.

Regengüsse strömen nieder;
Hain und Wiese sind verheert;
Und der frommen Freude Lieder
Sind in Trauerton verkehrt. -

Doch, der Friedensboge stralet
In's erschrockne Thal herab;
Und der Hofnung Freude malet
Sich auf allen Wangen ab. -

Gieb, o Gott der frommen Liebe,
Mir ein ruhiges Gemüth,
Das durch Wolken, schwarz und trübe,
In's Gefild der Hofnung sieht!

Aus: Johann Martin Millers Gedichte
Ulm bey Johann Konrad Wohler 1783 (S. 363-365)

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Eduard Mörike
(1804-1875)


Zitronenfalter im April

Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!
Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muß ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.

Aus: Eduard Mörike Sämtliche Werke
in vier Bänden. Erster Band: Gedichte. Carl Hanser
Verlag München 1981
(Auf Grund der Originaldrucke
herausgegeben von Herbert G. Göpfert) (S. 205)
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Salomon Hermann Mosenthal
(1821-1877)


Maiennacht

Einsam saß ich mit dem Liebchen mein
In der stillen, klaren Maiennacht,
Und wir tauschten unsre Seelen ein
In der stillen, klaren Maiennacht.
Und die Engel sah'n mit stillem Neid
All' herab auf unsre Seligkeit.
Und wir tauschten nicht mit ihrer Pracht
In der stillen, klaren Maiennacht.

Und sie sprach: Wenn ich nun ferne bin
In der stillen, klaren Maiennacht,
Send' ich meine Seele zu Dir hin
In der stillen, klaren Maiennacht.
Schlägt die Tanne Dir an's Fensterlein,
Flieg' ich heimlich in Dein Kämmerlein,
Küß' das Haupt Dir und die Lippen sacht
In der stillen, klaren Maiennacht.

Siehst Du wie die Stern' am Himmel steh'n
In der stillen, klaren Maiennacht?
Wie sie liebend mit einander geh'n
In der stillen, klaren Maiennacht?
So zieh'n treue Seelen durch die Welt
Und sie halten, wenn der Leib zerfällt,
Als zwei Sternlein hoch am Himmel Wacht
In der stillen, klaren Maiennacht!


Aus: Gesammelte Gedichte von S. H. Mosenthal
Wien Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn 1866 (S. 31-32)

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Clara Müller-Jahnke
(1860-1905)


Stummes Glück

Das war zur schimmernden Maienzeit,
da sang ich Lieder voll Lust und Leid:
des Waldquells Rauschen, der Vögel Singen,
in tönende Reime tät ich's bringen.

Und wenn ich der kommenden Lust gedacht -
wie wollt ich erst singen zur Rosenpracht,
wie wollt ich in jubelnden Tageweisen
die Sommersonne, die goldene, preisen!

Der Frühling schwand, und die Sonne stieg,
der Fink und die Finkin fanden sich -:
in Waldes Dunkel, an Baches Borden,
die jubelnden Sänger sind still geworden.

Und mir auch erging es wundersam:
als meinem Leben der Sommer kam
und die Rosendüfte mein Haupt umfingen,
In Kuß und Seufzer verklang mein Singen . . .

Von der Lippe flutet das Lied zurück:
im namenlosen, im stummen Glück
nur kann ich vor dir die Seele neigen,
nur lieben und schweigen.

Aus: Clara Müller-Jahnke: Gedichte
herausgegeben und illustriert von Oskar Jahnke
Berlin: Buchhandlung Vorwärts (Hans Weber) [1910] (S. 124)
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Clara Müller-Jahnke
(1860-1905)


Maiensegen

Nun ruht in weißen Schleiern
die See, umspielt vom West,
und Himmel und Erde feiern
das große Liebesfest.
Da strömt in rinnendem Regen
hernieder Kuß auf Kuß,
der rings zu Frucht und Segen,
zur Blüte werden muß.

So ruht in weißen Schleiern
mein Herz in deiner Brust,
und unsere Seelen feiern
die ewige Hochzeitslust.
Da strömt wie rinnender Regen
dein Kuß auf meinen Leib,
daß er zum Maiensegen
werde deinem Weib . . .

Ein Duften reifer Tage
um unsere Stirnen weht,
da wieder die singende Sage
durch flimmernde Fluren geht:
- daß kein Leid mehr bliebe,
wenn über der grünen Welt
die junge Frühlingsliebe
die flatternde Fahne hält!

Aus: Clara Müller-Jahnke: Gedichte
herausgegeben und illustriert von Oskar Jahnke
Berlin: Buchhandlung Vorwärts (Hans Weber) [1910] (S. 162-163)
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Wolfgang Müller von Königswinter
(1816-1873)


Nun ist die holde Maienzeit

Nun ist die holde Maienzeit,
Die Lerche singt, die Amsel ruft.
Nun komm heraus, du braune Maid,
Warm geht die Luft, süß weht der Duft.
Nun komm und mildre mein Geschick,
Den Gram und Kummer, löse sie
Mit einem Wort, mit einem Blick,
Du süße liebliche Marie!

Du thatest mir so hold Gewalt,
Daß ich für dich in Lieb' entglüht,
So wonnig bist du von Gestalt,
So voller Anmuth von Gemüth.
Was hoch und reich, wird arm vor dir,
Ein heller Wesen sah ich nie;
Du meines Lebens Lust und Zier,
Du süße liebliche Marie!

Das ist schon lange Jahre lang,
Nach dir nur stehet Herz und Sinn,
Zu Lust und Tanz und zu Gesang
Bin ich gefolgt dir immerhin.
Und fehltest du bei Fest und Spiel,
Dann ohne mich wol lachten sie:
Du warst der stillen Wünsche Ziel,
Du süße liebliche Marie!

O treib' mit ihm nicht länger Scherz,
Der gern sein Leben für dich gibt!
O quäle länger nicht mein Herz,
Es fehlt doch nicht, weil es dich liebt!
Ach, ohne deine Liebe, Maid,
Genest die wunde Seele nie:
Heil' mich in dieser Maienzeit,
Du süße liebliche Marie!


Aus: Dichtungen eines Rheinischen Poeten
von Wolfgang Müller von Königswinter
Erster Band Leipzig F. A. Brockhaus 1871 (S. 8-9)

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Wolfgang Müller von Königswinter
(1816-1873)


Am Lindenbaum

In den lauen Maiennächten
Steh' ich oft am Lindenbaume,
Und ich schaue nach dem Fenster,
Wo du ruhst in süßem Traume.

Durch den tiefen Himmel gleitet
Leis der Mond im Silberglanze,
Goldne Sterne glühn unzählig
Nah und fern in hellem Kranze.

Durch die Lüfte geht ein Wehen
Still auf unsichtbaren Schwingen,
Ruhig ziehn des Rheines Wellen,
Die im Traume heimlich klingen.

Aus der Stadt entfernten Gassen
Wehn Gesänge hin und wieder,
Gärten senden mit den Düften
Weiche Nachtigallenlieder.

All dies Leben ist Begleitung
Zu dem holden schönen Traume,
Den ich träum' vor deinem Hause,
Hingelehnt am Lindenbaume.

Und der holde Traum, er heißet:
Daß ich dein bin alle Zeiten,
So wie gestern und wie heute,
So in alle Ewigkeiten!

Aus: Dichtungen eines Rheinischen Poeten
von Wolfgang Müller von Königswinter
Erster Band Leipzig F. A. Brockhaus 1871 (S. 156)

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Johann Georg Obrist
(1843-1901)


Maiwanderung

Liebchen! Ei, wie geht es dir?
Bist du guter Dinge?
Rauscht vielleicht nun prächtiger
Deines Geistes Schwinge?
Schwellt ein frischer Frühlingshauch
Bald ihr Glanzgefieder?
Oder hängt die schimmernde
Schlaff dir noch darnieder?

Herrlich war die Wanderung!
Blütenschwere Bäume
Streuten würzereichen Duft
Ein in meine Träume.
Meiner Seele Himmel fing
Wieder an zu blauen
Und als gold'ne Sonne dran
War dein Bild zu schauen.

Solches Bild in treuer Brust
Läßt sich gut marschieren,
Läßt von Lust und Friedensglück
Schön sich phantasieren.
Kein Tyrann der Erde kann
Bild und Glück mir rauben
Und du selber, sprödes Kind,
Mußt es mir erlauben!


Aus: Georginen Poetische Proben,
ersonnen und gesungen am Inn und Pruth
von J. G. Obrist
Czernowitz (Bukowina) 1870
Druck und Verlag von Josef Buchowiecki & Comp. (S. 26)

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