Das Liebes-Poetische Manuskript N° 1

Liebesgedichte von der Schönheit der Geliebten


 




Sonett 53

Aus welchem Stoffe schuf Dich die Natur,
Daß Millionen Schatten Dich umschweben?
Hat Jeder sonst doch einen Schatten nur,
Und Du allein kannst Allen Schatten geben.

Malt man Adonis, kann sein Bild noch lange
Mit Dir, dem Urbild, nicht vergleichen sich -
Haucht Kunst ihr Schönstes auf Helenens Wange,
Sieht man in griechischem Gewande Dich!

Rühmt man den Frühling und des Jahres Fülle:
Sie sind die Schatten Deiner Schönheit bald
Und bald zugleich ihr Kern und ihre Hülle:
Wir kennen Dich in jeder Wohlgestalt.

Dir ward ein Theil von jeder äußern Zier,
An Treu' nur gleichst Du Keinem – Keiner Dir!

William Shakespeare (1564-1616)

(
Übersetzung Friedrich Bodenstedt )


 


 

Bild: Sassoferrato (1609-1685)
Madonna mit Kind (Detail)

Gedicht aus: William Shakespeare's Sonette
in Deutscher Nachbildung von Friedrich Bodenstedt
Zweite, vielfach verbesserte Auflage der Volksausgabe
Berlin 1866

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