Das Liebes-Poetische Manuskript N° 29

Russische Dichterinnen des 19. Jh.s - Bilder von Teodor Axentowicz (1859-1938)

 


Teodor Axentowicz
(1859-1938)
Rothaarige
 


 

Katharina Andrejewna Beketowa
(1855-1892)

 

 

 

Die alte Liebe


Mach mir zum Vorwurf nicht, daß ich nicht kann vergessen
und vom Vergangenen kann lassen nimmerdar,
daß ich die Gegenwart muß nach dem Einst bemessen
und an der Liebe halt, der alten, immerdar.

Mich selbst trifft keine Schuld: nicht nähr ich meine Leiden
und heg die Wunden nicht in meiner wehen Brust;
nicht sehn ich mich zurück nach alten Liebesfreuden -
doch sehn ich mich auch nicht nach neuer Liebeslust.

Nein, keine Liebe mehr kann mich fortan verführen.
Vor einem neuen Pfeil trag ich mehr keine Scheu!
Es wird mein Herz von ihm nicht neue Wunden spüren -

Doch an den alten flieht er spurlos nicht vorbei:
die Flammen ihres Wehs wird er aufs neue schüren
und wildes Leben leihn der alten Lieb aufs neu.

 

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Der Tannenbaum


Es stand eine Tanne, der Kinderwelt Glück,
voll Goldglanz und Kerzengestrahle;
ihr Bild warfen gleißende Spiegel zurück
im mächtigen, prächtigen Saale.
Doch stumm stand voll Harm sie und welkte dahin -
der Wald lag, der traute, ihr einzig im Sinn.

Es sprachen die vornehmen Damen und Herrn,
es spielten die Kinder und lachten -
doch sah sich die Tanne im Waldesgrund fern,
wo frührots die Vöglein erwachten.
Nie wiederum wird sie sie hören und schaun,
wenn zwitschernd am Neste geschäftig sie baun!

Da, plötzlich, bemerkte am Fenster der Baum
ein Vöglein in schweigender Trauer,
das längst ihm bekannt, und sprach, halb schon im Traum:
"Wie kommst du hierher in das Bauer,
hierher in die Knechtschaft, voll Sehnsucht wie ich?
Du armes, gefangenes Vögelein, sprich!"

Da klagte das Vöglein und senkte das Haupt:
"Ich wurde im Sommer gefangen,
und quäl mich hier nun, der Freiheit beraubt;
nie seh ich die Sonne mehr prangen!
So eng ist es hier mir, so schwül und so schwer!
Die Lieder der Freiheit, ich sing sie nicht mehr!" -

"Ich aber verließ erst vor kurzem den Wald,
und muß ohne Wurzeln nun sterben.
Ich welke, ich dorre, und balde schon, bald
muß hier ich im Kerker verderben.
Gewalt hat entrissen dem Mutterland mich,
Gewalt mich hierher geschleppt. Traurig bin ich!

Du einzig, mein Vögelein, tröstest mich jetzt
in meinem verzehrenden Kummer.
O, sing mir das Lied, das so oft mich ergötzt,
wenn stumm noch der Wald lag im Schlummer.
Im Frührot des Lenzes ertönte der Klang -
der Tod wird mir leicht sein bei deinem Gesang!" …

Es herrschte im mächtigen, prächtigen Raum
die Nacht voller Dunkel und Schweigen.
Vom Hintergrund hob sich als Schemen der Baum,
und Düfte entströmten den Zweigen.
Und horch – durch die Stille ertönte ein Lied
vom blühenden Lenz in des Waldes Gebiet.

Stumm lauschte die Tanne. Sie fühlte den Duft
des Waldes im lenzigen Weben,
sie lauschte den Vöglein in sonniger Luft -
und welkte und schied aus dem Leben.
Tot fand man am Morgen den Baum an der Wand …
Er wurde zerhackt und im Ofen verbrannt.

 

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In der dunklen Wiege, auf des Meeres Grunde,
träumte eine Perle wonnehelle Träume,
fremd der Himmelshöhe in dem tiefen Schlunde,
unerweckt vom fernen blauen Flutgeschäume.

Doch da tauchte nieder ein verwegner Schwimmer
durch des Ozeanes  todesgrause Fluten,
sah in Nacht der Perle irisbunten Schimmer
und erhob mit ihr sich zu des Tages Gluten.

Nun, entrückt dem Dunkel, sah zum ersten Male
sie des Sonnenglanzes goldne Funkengarben -
um in einer Krone goldenem Gestrahle
streute eines Morgens selbst sie bunte Farben …

In des Busens Tiefe, voller keuschen Sehnens,
hielt verborgen schlummernd sich und stumm die Liebe;
sie versank im Meere eines süßes Wähnens
und nach Glück nicht jagte sie im Weltgetriebe.

Aber in dem tiefsten Busen ohne Fehle
drang einst ein verliebter Blick, unwehrlich mächtig -
und den Schatz der Liebe fand er in der Seele,
drin er lag verborgen unerspähbar nächtig.

Ihrer Haft entrissen, konnte lichten Blickes
in der Welt die Liebe frei ihr Haupt erheben.
Und, im Freudentaumel sonnenhellen Glückes
setzte sie die Krone auf dem jungen Leben.

 

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Lied


Nachtumhüllte Wolken schwärzen
rings des Himmels Grenzen -
ich jedoch im tiefsten Herzen
fühl das Frührot glänzen.

Durchs Geländ im Sturmgewühle
wirbeln kalte Flocken -
ich jedoch im Herzen fühle
sonniges Frohlocken.

In des Eises starren Banden
liegen tot die Wellen -
doch mein Herz fühlt, toderstanden,
Lebenskräfte quellen.

Wilde Winde wehn und ringen
heulen auf und nieder -
mir jedoch im Herzen singen
Wandervöglein Lieder.

Des Dezembers Frostesglühen
tötet alle Triebe -
doch im Herzen mir erblühen
Maienlust und Liebe!

 

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Biographie:
wurde als Tochter des namhaften Professors der Botanik und Rektors der Petersburger Universität Andrej Nikolajewitsch Beketow am 29. / 17. August 1855 in Petersburg geboren; ihre Mutter, die Tochter des Naturforschers und Reisenden G. S. Karelin, betätigte sich als Übersetzerin. – Nachdem Katharina Andrejewna eine häusliche Erziehung genossen, studierte sie an den Bestushewschen Frauenkursen (wo namentlich der Akademiker Alexander Nikolajewitsch Wesselowskij, Professor der germano-romanischen Philologie, ihren Bildungsgang förderte). 1891 heiratete sie den Dichter Platon Nikolajewitsch Krassnow und starb ein Jahr darauf, am 16. / 4. Mai 1892 in Petersburg. – Übersetzerin aus dem Deutschen, Französischen, Englischen, Spanischen und Italienischen. Bekannt als Jugendschriftstellerin.

 

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Gedichte und Biographie aus: Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen übertragen und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907
 

 

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