Das Liebes-Poetische Manuskript N° 3

Kuß-Gedichte

Gustav Klimt Der Kuss


 

Paul Fleming (1609-1640)

Wie er wolle geküsset sein.

Nirgends hin als auf den Mund:
da sinkts in des Herzen Grund;
nicht zu frei, nicht zu gezwungen,
nicht mit gar zu fauler Zungen.
Nicht zu wenig, nicht zu viel:
beides wird sonst Kinderspiel.
Nicht zu laut und nicht zu leise:
bei der Maß' ist rechte Weise.
Nicht zu nahe, nicht zu weit:
diß macht Kummer, jenes Leid.
Nicht zu trucken, nicht zu feuchte,
wie Adonis Venus reichte.
Nicht zu harte, nicht zu weich,
bald zugleich, bald nicht zugleich.
Nicht zu langsam, nicht zu schnelle;
nicht ohn' Unterscheid der Stelle.
Halb gebissen, halb gehaucht,
halb die Lippen eingetaucht,
nicht ohn' Unterscheid der Zeiten,
mehr alleine denn bei Leuten.
Küsse nun ein Iederman,
wie er weiß, will, soll und kan!
Ich nur und die Liebste wissen,
wie wir uns recht sollen küssen.


 

Gedicht aus: Paul Fleming: Deutsche Gedichte (Erster Band)
Hrsg. von J.M. Lappenberg
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1965
(Unveränderter reprografischer Nachdruck
der Ausgabe Stuttgart 1865 Verlag Anton Hiersemann, Stuttgart)

 

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