Das Liebes-Poetische Manuskript N° 5

Liebeshymnen von der Schönheit der Geliebten

 

HYMNE

Durchbrochen hab ich ihrer Wächter Schar
Und die Verwandten, welche alle wünschten,
Mich mit dem Dolche meuchlings umzubringen.

Am Firmamente standen die Plejaden
Und funkelten, so wie die Edelsteine
An den Gewändern schöner Frauen glühn.

Ich kam und sah: Bei einem Vorhang legte
Sie ihre Kleider ab, um dann zu schlafen;
Nur einen Schleier noch behielt sie an.

Sie sprach zu mir: Ich schwöre, daß du heute
Mich nicht umarmen sollst. Wirst du denn niemals
Den Weg zurück zur frommen Tugend finden?

Und dennoch schritt sie mit mir in die Nacht.
Wir ließen hinter uns ein Tuch hinschleifen,
Um auszulöschen unsrer Schritte Spur.

Als wir dem Dorf genügend ferne waren,
Wandte sie ihre Schritte einem Tale,
Das ganz mit weißem Sand erfüllt war, zu.

Da neigte meine Liebste sich zu mir
Und schmiegte ihren Kopf an meine Brust,
Und ihres Körpers Schlankheit fühlte ich.

Vollendet schön sind ihre jungen Schenkel,
Ihr Leib ist weiß und klein, und ihre Brust
Strahlt wie das blanke Glänzen eines Spiegels.

Sie wendet sich: und reizend starrt ihr Busen.
Ihr Blick ist scheu; so blickt wohl die Gazelle,
Die sorgenvoll ihr Junges überwacht.

Auch ihre Brust ist von Gazellenart,
Nur daß die sanfte Brust meiner Geliebten
Durch Edelsteine noch verschönert wird.

Nachtschwarz sind ihre Haare, und sie fluten
Auf ihren Rücken, üppig wie die Dolden.
Der Dattelfrüchte an den Palmenkronen.

Und dieses Haar ist lockig; in den Flechten,
Den aufgerollten und den wallenden,
Verschwinden ihre Kämme ganz und gar.

In sanfter Rundung prangen ihre Hüften,
Die zierlichen. Und ihre feinen Beine
Sind schlank wie Binsen, die im Wasser stehn.

Am späten Morgen steht sie auf. Ein Duft,
So wundervoll, als stamm er von Muskat,
Umweht ihr Lager. Sie erhebt sich spät,

Weil kein Geschäft sie, keine Arbeit zu
Besorgen hat. Die Finger ihrer Hände
Sind zart und rosig, kleinen Blüten gleich.

Ihr Teint besitzt die Farbe eines Eis,
Gelegt von einer jungen Straußin, die
Nur immer silberklares Wasser trank.

Ihr Teint ist ambrafarben. Er durchschimmert
Die Nacht wie eine Fackel, die ein frommer
Einsiedler in der Finsternis erhebt.

Der Weise auch muß ihr Bewundrung zollen,
Wenn sie daherkommt, zwei Begleiterinnen
Zu Seiten, die sie völlig überstrahlt.

Oft heilt die Zeit den Wahnsinn der Verliebten,
Doch niemals wird mein Herz die Leidenschaft
Preisgeben, die ihm Licht und Nahrung ist.

Wie oft schon haben Freunde mich bestürmt,
Ich solle sie verlassen, die ich liebe.
Taub bleib ich solchem Ratschlag immerdar.

Wie viele Nächte, die mir endlos schienen,
Gleich dem gedehnten Wogengang des Meeres,
Sind mir mit dunkeln Sorgen schon genaht.

Einst sprach ich zu der Nacht, von der ich meinte,
Daß sie zur Hälfte schon verflossen sei,
Die aber immer schrecklicher sich dehnte:

O Nacht, so sprach ich, lange Nacht, entflieh
Und mache endlich Platz dem jungen Tag,
Wenn ich auch weiß, daß aller Tagesglanz

Die Unruh meines Herzens nicht verscheucht,
Wenn ich auch ewig, ewig leiden muß,
So wie das Licht der Sterne ewig scheint.

So steht's mit mir, zu sehr Geliebte du!

AMR IL KAIS (etwa 500-540 n. Chr.)
Nachdichtung: Hans Bethge

Mit freundlicher Genehmigung
des
YinYang Media Verlages, Kelkheim



Gedicht aus: Hans Bethge Arabische Nächte.
Nachdichtungen arabischer Lyrik Leipzig Insel Verlag 1920
(Neuausgabe 2004  http://www.yinyang-verlag.de/)

 

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