Das Liebes-Poetische Manuskript N° 6

Amor persönlich
Gedichte über Amor

Denis-Antoine Chaudet (1763-1810) - Cupido

 

Georg Rudolf Weckherlin
(1584-1653)

Amor betrogen.

Cupido einmahl sehr verdrossen,
Das Er hat sovil pfeil umbsunst
Auf meine Myrta loß-geschossen,
Welche verachtet seine kunst,
Erwöhlet ihre zarte schoß,
Zu wunden ein scharpfes geschoß.

Also flog Er bald in den garten,
Da Er dieselb zu sein gedacht,
Und nemend-wahr von fern der zarten,
Die Ihn in dise welt gebracht,
Wolan, sprach er, Myrta dein blut
Soll ietzt büssen deinen hochmuht.

Er spannet (unweiß) seinen bogen,
Zihlet nach dem hertzen ohn gnad,
Und schoß ihn plötzlich loß (betrogen)
In seiner muter brust gerad;
Also das ein grewlicher schmertz
Vergifftet ihr götliches hertz.

Ach weh! was magst du wol gedencken,
Sprach Sie, du undanckbarer knab,
Wie kanst du so tödlich bekräncken
Die, welche dir das leben gab?
Und sparest gleichwol deine macht
Gegen deren die dich verlacht?

Solches das kind so sehr erschröckte,
Das es bald seine wängelein
Mit haissen zehern überdöckte,
Und schryh, Ach! liebes müterlein,
Ach! verzeihet mir, ich nam Euch
Für Myrta, deren Ihr gar gleich.


 

Gedicht aus: Georg Rudolf Weckherlins Gedichte
Herausgegeben von Hermann Fischer, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1968
Mit Genehmigung des Verlages Anton Hiersemann, Stuttgart, herausgegebene Sonderausgabe.
Reprografischer Nachdruck der 1. Auflage,
Tübingen 1895 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Band CC)

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