Das Liebes-Poetische Manuskript N° 6

Amor persönlich
Gedichte über Amor

Denis-Antoine Chaudet (1763-1810) - Cupido

 

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau
(1616-1679)

Scherz-gedancken.

Cupido faßte dich vergangen zu gesichte /
Er nahm den besten pfeil / und griff den bogen an /
Ich schaute / wie er ihn nach deinem herzen richte /
Ich sprach: es ist nunmehr um Flavien gethan.
Als aber dieser schalck genugsam angeschauet
Des angesichtes glanz / so heller ist als tag /
Das haar / wo ihm das gold ein bergwerck auffgebauet /
Und sonnen-strahlen selbst mit ehren trotzen mag;
Die schönen zauberin / die fleischichten rubinen /
Die augen / wo das pech sich in den schnee gesetzt /
Die wangen / welchen selbst Aurora wünscht zu dienen /
Der hals / der auch den schwan in seiner pracht verletzt /
Die brüste / so den witz in kurzem können blenden /
Die schultern / so den stuhl der schönheit angericht;
So fiel der bogen ihm aus den geschwinden händen /
Und sprach: dergleichen pracht führt auch die Venus nicht.
Er sanck ihr auff den hals mit mehr als tausend küssen /
Es konte nicht sein mund von ihren lippen gehn /
Er ließ das süßte gifft auf ihre zunge fliessen /
Und in der reinen flut die heisse glut entstehn.
Er bließ ihr in den mund was buhlschafft kan erregen /
Was amber in sich hält / und bisem mit sich führt /
Was Paphos geben will / und Cypern denckt zu hegen /
Was kalte geister regt / und schlaffe sehnen rührt.
Er schwur bey seinem pfeil und seiner mutter brüsten /
Der schönen Flavia zu gönnen ihre ruh;
Er sagte: Werd' ich mich mehr wider diese rüsten /
So schlage Jupiter mit blitz und donner zu!
So tadle mich nun nicht / weil ich dir stets gesaget /
Daß deine küsse sind mit anmuth angethan;
Das / was mir itzt an dir am meisten mißbehaget /
Ist dieses / daß dein geist mich nicht recht lieben kan.


 

Gedicht aus: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen
auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte:
Benjamin Neukirchs Anthologie
Tübingen : Niemeyer, 1961 (Neudrucke deutscher Literaturwerke)
 

 

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