Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942) - Liebesgedichte

Selma Meerbaum-Eisinger



Selma Meerbaum-Eisinger
(1924-1942)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 


Lied

Heute tatest du mir weh.
Rings um uns war Schweigen nur,
Schweigen nur und Schnee.
Himmel war, nicht wie Azur,
blau jedoch und voll mit Sternen.
Windeslied erklang aus fernsten Fernen.

Heute warst du mir ein Schmerz.
Häuser waren da, so weiß verschneit,
alle in des Winters Kleid.
Ein Akkord in tiefer Terz
war in unsrer Schritte Klang.
Bahnsirenen heulten lang...

Heute war es wunderschön.
Schön wie tiefverschneite Höh'n,
eingetaucht im Abendglutenring.

Heute tatest du mir weh.
Heute sagtest du mir: geh!
Und ich - ging.
25.12.1939
(S. 37)
_____


Sehnsuchtslied

Leise schlägst in deinem Lied du einen Ton an -
und dir ist, als fehlte noch etwas.
Und du suchst verwirrt bei allen Tönen,
ob sie dir nicht sagen können,
wo's zu finden, wo und wie und wann...
Doch der eine ist zu blaß
und zu lüstern ist der zweite
und der dritte ist so voll mit Weite -
viel zu voll.

Du suchst lange - Moll und Dur und Moll
werden lebend unter deinen Händen.
Und dann schlägst du plötzlich eine Taste an,
und - es kommt kein Ton.
Und das Schweigen ist dir wie ein dumpfer Hohn,
denn du weißt es plötzlich ganz genau:
Dieser fehlt dir. Wenn ihn deine Hände fänden,
fiele ab von deinem Lied der Bann,
war' das Ende nicht mehr leer und grau.

Und du rührst und rührst die Taste -
fragst dich, wo hier wohl die Hemmung liegt,
suchst, ob nicht doch deiner Hände Weiche siegt,
deine Augen betteln voll Verlangen.
Kein Ton kommt. Einsamkeit bleibt nun zu Gaste
in dem Lied, das dir so schwer und süß gereift.

Um den ungespielten Ton wirst du nun ewig bangen,
bangen um das Glück, das dich nur leicht gestreift
in den leisen Nächten, wenn der Mond dich wiegt
und die Stille deine Tränen nicht begreift.
9.1.1941
(S. 55-56)
_____



 
Ja

Du bist so weit.
So weit wie ein Stern, den ich zu fassen geglaubt.
Und doch bist du nah -
nur ein wenig verstaubt
wie vergangene Zeit.
Ja.

Du bist so groß.
So groß wie der Schatten von jenem Baum.
Und doch bist du da -
nur blaß wie ein Traum
in meinem Schoß.
Ja.
6.7.1941
(S. 62)
_____



 
Poem

Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen,
im Winde zitternd glitzert jedes Blatt.
Der Himmel, seidig-blau und glatt,
ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen.
Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen
und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.
Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind,
das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.

Im Winde sind die Büsche wunderbar:
bald sind sie Silber und bald leuchtend grün
und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar
und dann, als würden sie aufs neue blühn.

Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir, daß das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.

Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein!
Nein.
Das Leben ist rot,
Das Leben ist mein.
Mein und dein.
Mein.

Warum brüllen die Kanonen?
Warum stirbt das Leben
für glitzernde Kronen?

Dort ist der Mond.
Er ist da.
Nah.
Ganz nah.
Ich muß warten.
Worauf?
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie und nie.
Ich will leben.
Bruder, du auch.
Atemhauch
geht von meinem und deinem Mund.
Das Leben ist bunt.
Du willst mich töten.
Weshalb?
Aus tausend Flöten
weint Wald.

Der Mond ist lichtes Silber im Blau.
Die Pappeln sind grau.
Und Wind braust mich an.
Die Straße ist hell.
Dann...
Sie kommen dann
und würgen mich.
Mich und dich
tot.
Das Leben ist rot,
braust und lacht.
Über Nacht
bin ich
tot.

Ein Schatten von einem Baum
geistert über den Mond.
Man sieht ihn kaum.
Ein Baum.
Ein
Baum.
Ein Leben
kann Schatten werfen
über den
Mond.
Ein
Leben.
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie
und
nie.
7.7.1941
(S. 63-66)
_____


 
Lied

Nimm hin mein Lied -
Es ist nicht froh,
Der Regen weint und weint.
Und wer ihn sieht
Weiß sowieso,
Wie es das Glück gemeint.

Es ist vorbei
Die helle Zeit,
Die Lachen uns gelehrt.
Sie ging entzwei,
Zwiespalt gedeiht -
Wenn auch die Welt sich wehrt.

Kehrt sie zurück?
Ich weiß es nicht.
Vielleicht weiß es der Wind.
Er kennt das Glück,
Wenn's nicht zerbricht,
So sagt er's uns geschwind.

Doch sieh, der Wind
Verbirgt sich doch -
Er ist ja gar nicht da.
Ganz wie ein Kind,
So glaubt er noch:
Nur er weiß, was geschah.

Nimm hin mein Lied.
Vielleicht bringt es
das Lachen einst zurück.
Und wer es liest,
Der sagt: Ich seh's,
und meint damit das Glück.
30.6.1941
(S. 70-71)
_____

 

Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.

Mein Geliebter ist der lange Weg.
Wir sind vermählt auf immerdar.
Ich liebe ihn, und ihn bedeckt
mein seidenweiches, schwarzes Haar.

Mein Kuß ist süß wie Fliederduft -
der Wanderer weiß es genau...
Wenn er in meine Arme sinkt,
vergißt er jede heiße Frau.

Meine Hände sind so schmal und weiß,
daß sie ein jedes Fieber kühlen,
und jede Stirn, die sie berührt,
muß leise lächeln, wider Willen.

Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.
6.5.1941
(S. 76)
_____

Rote Nelken

Ich habe Angst. Es drückt auf mich das Dunkel
jeder schwülen Nacht.
Es ist so still, und mich erstickt des großen
Schweigens schwere Pracht.
Warum, warum bist du nicht da? Ich hab'
gespielt, ich weiß - verzeih.
Ich hab' mit meinem Glück gespielt - es ging
entzwei - verzeih.
Es tut so weh, allein zu sein. Drum komm, ich
warte ja.
Wir lachen uns ein neues Glück, so glaub es doch
und komm zurück - es ist ja so viel Lachen da.
Schau mich doch an. Ist wohl mein Bild noch da
in deinem fernen Blick?
Ich will dich, wie die Traube will, daß man sie,
wenn sie reif ist, pflückt.
Mein Haar, es wartet. Und mein Mund will, daß
du wieder mit ihm spielst.
Sieh - meine Hände bitten dich, daß du sie in die
deinen hüllst.
Sie sehnen sich nach deinem Haar und sehnen
sich nach deiner Haut,
wie nach dem Traum sich sehnt ein Kind, das ihn
auch nur einmal geschaut.
Schau, es ist Frühling. Doch ist er blind, er weint
ja immerfort.
Solange wir nicht beisammen sind, so lange
weint er wie der Wind, dem der liebste Wald verdorrt.
Sieh, alles wartet nur auf uns: es warten alle
Wege, alle Bänke.
Es warten alle Blumen nur, daß ich sie pflücke
und dir schenke.
Du hältst die Sterne, die auf unsrer Schnur noch
fehlen, in der Hand.
Du hast sie keiner anderen umgehangen.
Und findest du für sie nicht bald ein neues Band,
so hast du mit den vollen Händen nicht was anzufangen.
Sieh - unsre Schnur, sie wartet noch. Ich hab' sie
zärtlich aufgehoben.
Es fehlt auch nicht ein einz'ger Stern und's ist
kein fremder mit verwoben.
Wir müssen nicht um neue Schnüre fragen. Die
alte ist noch schön und lang.
Und hast du auch noch tausend Sterne in der
Hand - sie kann noch zehnmal tausend tragen.
Du bist so stark. Ich möchte mich so gern in
deine Arme lehnen. Wenn du mich führst, so geh ich schnell.
Entsinnst du dich noch jener Nacht, der Schnee
war weich und klingend hell,
in der dein Arm mich stark umfing und ich so
schnell und sicher ging, als wär' ich groß wie du?
O, komm und führe mich so gut von Hindernis zu
Hindernis. Ich will gewiß nicht müde sein,
ich bin dann sicher nicht mehr klein
und brauche keine Ruh'.
Und dann - in unsrem Liebeszelt, o dann, dann
werfen wir der Welt das hellste Lachen zu.
Nicht wahr, du kommst? Ich wein' nicht mehr. O
nein, ich bin ja nicht mehr leer,
du kommst gewiß, du kommst geschwind, o du
mein starker, schöner Wind
du wirst zum Sturm und reißt mich mit in deinem
heißen, wilden Ritt.
Ich bin noch hier. Der Traum ist aus. Ich bin
allein - wie roter Wein, so kocht mein heißes Blut.
Du bist nicht da - und warst so nah, und warst so
süße, wilde Glut.
Der Frühling weint. Er weint um uns. Wirst du
ihn ewig weinen lassen?
Du bist so gut. Drum komm zurück - du sollst
mich um die Schultern fassen,
wir wollen glühn so wie im Traum, wir wollen
blühn wie Baum nach Baum aufblühen werden
dicht bei uns.
Ich will dann lachen. Und dann klingt die ganze
Luft - die Sonne klingt. Das Wasser klingt, es
klingt die Nacht -
so hör, ich hab' für dich gelacht!
(S. 77-79)
_____
 

 

Das Glück

Schlafen möcht' ich,
Der Wind wiegt mich ein,
Und die Sehnsucht singt mich zur Ruh'.
Weinen möcht' ich.
Schon die Blumen allein
Flüstern Tränen mir zu.

Sieh die Blätter:
Sie blinken im Wind
Und gaukeln Träume mir vor.
Ja und später -
Lacht wo ein Kind,
Und irgendwo hofft ein Tor.

Sehnsucht hab' ich
Wohl nach dem Glück?
Nach dem Glück.
Fragen möcht' ich:
Kommt es zurück?
Nie zurück.
18.8.1941
(S. 99)
_____
 

 

Tränenhalsband

Die Tage lasten schwül und schwer, voll wildem,
bangem Weh. Es ist in mir so kalt und leer, daß
ich vor Angst vergeh'.
Die Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon
lange fort. Schon seh' ich keine Aster blühn,
und auch die letzten Falter fliehn, die Berge
sind mit Herbst umflort.
Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich
nach dir. Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt
die Welt und mich mit ihr.
Der Regen, der eintönig rauscht, begleitet
meinen Sang. Und wer dem Regenliede lauscht und
wer sich an dem Weh berauscht, der hört auch
meines Liedes Klang.
Nur du allein, du hörst es nicht - ach, weiß ich
denn, warum? Und wenn mein Lied einst gell,
zerbricht, du bleibst auch kalt und stumm.
Dir macht es nichts, wenn jeder Baum mitleidig
fleht: so hör! Du gehst vorbei und siehst mich
kaum, als wüßtest du nicht meinen Traum,
und 's fällt dir nicht mal schwer.
Und doch bist du so bleich bedrückt, wie einer
der versteht, der seine Seufzer schwer erstickt
und schwer beladen geht.
Und doch ist Weh in deinem Blick, um deine
Lippen Leid. Verloren hast du wohl das Glück,
es kommt wohl nimmermehr zurück, und du -
du bist »befreit«.
Nun ja, das Glück war dir zu schwer, du hast es
hastig-wild verstreut, und nun sind deine
Hände leer, es füllt sie nur noch Einsamkeit.
So stehst du da und wirfst den Kopf mit starrem
Trotz zurück, und sagst, was du ja selbst nicht
glaubst - »Ich pfeife auf das Glück!«
Und dann, wenn es schon längst vorbei, stehst du
noch da und starrst ihm nach, dann sehnst du
es so heiß herbei, es ist dir nicht mehr einerlei
- dann bist du plötzlich wach.
Zurück jedoch kommt es nie mehr - denn rufen
willst du nicht, und wäre die Leere so unendlich
schwer, daß dein Rücken darunter bricht.
So tragen wir beide dasselbe Leid, ein jeder für
sich allein. Mich krönt aus Tränen ein schweres
Geschmeid' und dich ein Sehnsuchtsedelstein.
Und der Wind singt uns beiden den ewigen Sang
von Sehnen und Verzicht, doch auch wenn es
dir zum Sterben bang - du rufst mich trotzdem nicht.
6.11.1941
(S. 102-103)
_____
 

***

Es ist so viel buntes Geschehen
so viel lebendes Leben um mich -
ich könnte atmen und sehen
und könnte das Schönste verstehen,
wenn ich eines nicht hätte: dich.

So aber bist du mir das Leben,
und das andre ist stumpf und leer.
Und alle Wellen verebben
und können mir gar nichts geben,
das so fern wär' wie du und so schwer.
(S. 104)
_____
 

Schlaflied für dich

Komm zu mir, dann wieg' ich dich,
wiege dich zur Ruh'.
Komm zu mir und weine nicht,
mach die Augen zu.

Ich flechte dir aus meinem Haar
eine Wiege, sieh!
Schläfst drin aller Schmerzen bar,
träumst drin ohne Müh'.

Meine Augen sollen dir
blinkend Spielzeug sein.
Meine Lippen schenk' ich dir -
trink dich in sie ein.
(S. 105)
_____
 

Träume

Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die süß sind wie junger Wein.
Ich träume, es fallen die Blüten von Bäumen
und hüllen und decken mich ein.

Und alle diese Blüten,
sie werden zu Küssen,
die heiß sind wie roter Wein
und traurig wie Falter, die wissen: sie müssen
verlöschen im sterbenden Schein.

Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die schwer sind wie müder Sand.
Ich träume, es fallen von sterbenden Bäumen
die Blätter in meine Hand.

Und alle diese Blätter,
sie werden zu Händen,
die zärteln wie rollender Sand
und müd sind wie Falter, die wissen: sie enden
noch eh' sie ein Sonnenstrahl fand.

Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die blau sind wie Sehnsuchtsweh.
Ich träume, es fallen von allen Bäumen
Flocken von klingendem Schnee.

Und all diese Flocken
sie werden zu Tränen.
Ich weinte sie heiß und wirr -
begreif meine Träume, Geliebter, sie sehnen
sich alle nur ewig nach dir.
8.11.1941
(S. 106-107)
_____
 

Schlaflied für die Sehnsucht
(Zu singen nach der Melodie
"di zun iz fargangen" von M. Gebirtig)

O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' dir ein Lied.
Ich sing' dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' dir vom Glücke, das schied.

Komm, schließe die Augen,
ich will dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.

Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.

Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild-heißes Weh!
(S. 108-109)
_____

***

Spürst du es nicht, wenn ich um dich weine,
bist du wirklich so weit?
Und bist mir doch das Schönste, das Eine,
um das ich sie trage, die Einsamkeit.
23.12.1941
(S. 110)
_____
 

 Aus: Selma Meerbaum-Eisinger Ich bin in Sehnsucht eingehüllt.
Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund.
Hrsg. und eingeleitet von Jürgen Serke.
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1980
 

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Selma_Meerbaum-Eisinger


siehe auch:
Nadine Maria Schmidt "Ich bin der Regen"
https://youtu.be/zXEb3OvEgrw



 

 


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