Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Christian von Hamle
(um 1225)


Lob der Geliebten

Wonnevoll ist jetzt zu schauen
Maienglanz ob allem Land,
Vöglein singen in den Auen,
Die man sonst so traurig fand.
Wo sonst lag
Tot die Heide,
Sieht man schönste Augenweide;
Nun lacht heller Maientag!

Seh die Frau ich, die ich meine,
Wonnig sich mir nahn – fürwahr!
Gleicht sie ganz dem goldnen Scheine
Goldner Sonne, rein und klar.
Wie ihr Glanz
Durch die Reiche
Strahlt, hat auch die Sonnengleiche
Mir das Herz durchleuchtet ganz.

Heil ihr! die in reiner Ehre
Weiblich-hold in Züchten lebt,
Wie der helle Mond im Heere
Lichter Sterne milde schwebt.
Ihm ist gleich
Wohl die Reine:
Niemand sieht auch sie alleine,
Alle Tugend schmückt sie reich!

Lacht mein Lieb, so möcht ich meinen.
Daß ihr süßer holder Mund
Auch in Nächten könnte scheinen.
Könnt ich lauernd eine Stund
Bei ihr sein
In der Nähe,
Ach wie gern ich leuchtend sähe
Aufgehn seinen roten Schein.

Könnt ich tun der holden Kleinen
Dienst von tausend Mannen gar,
Alles sollte nichts mir scheinen,
Böt sie kleinsten Dank mir dar.
Doch ich kann
Meiner Guten
Weder Gunst noch Lohn zumuten,
Denn ich bin ihr Untertan!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 86-87)

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Voller wonne soll man schauen
Maienschein ob allem land,
Vögel singen in den auen,
Die man jüngstens traurig fand.
Wo sonst lag     so welk die heide,
Sieht man schöne augenweide,
Ist mein lichter maientag.

Immer, wenn ich sehe meine
Herrin lieblich vor mir stehn,
Ist sie gleich dem lichten scheine,
Den wir von der sonne sehn,
Deren licht     bescheint die reiche:
Und ganz so die minnegleiche
Mir das offne herz durchbricht.

Wohl ihr, wie sie falschesohne
In weiblichen züchten lebt!
Wie des mondes lichte krone
In den sternen leuchtend schwebt:
Ihm steht wohl     ganz gleich die reine,
Niemand findet sie alleine,
Sie ist aller tugend voll.

Wenn die liebe und die beste
Lacht, ich wähn, ihr roter mund
Nächtens aus dem dunkel gläste!
Ei, sollt ich in langer stund
Heimlich spähn     in rechter nähe,
Herzlich gern ich bei mir sähe
Sich die lichte röte blähn.

Könnt ich um sie, die ich meine,
Tausend männerdienste pflegen,
Alle deuchten sie mir kleine
Ihres reichen lohnes wegen.
Ich will an     der reinen haben
Weder lohn noch gnadengaben,
Wenn nicht als ihr eigner mann.

Nachgedichtet von Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 114-116)

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