Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Der Schulmeister von Eßlingen
(1273 – 1289)

 

Liebesfessel

Der Wald hat seine Äste schön bekleidet
Und aufgesetzt sich manchen stolzen Kranz;
Hei! wie die Heide auch am Schmuck sich weidet,
Die eine Schleppe trägt von Blumenglanz,
Und lieblich hört man schon die Vögel singen
Wie Harfenklingen,
Und rings im Feld herrscht wieder Freudentanz.

Und ich kann nur von wilder Freude singen,
Denn wild muß ach! mir alle Freude sein;
Der Vogelsang kann mir nicht Freude bringen,
Mich freut nicht Laub, noch Gras, noch Blumenschein.
Kein Hase huschte scheuer durchs Gestäude,
Als meine Freude:
Weh dir, mein Lieb, die Schuld ist einzig dein.

Du Traute, koppelst alle meine Sinne,
Und deinen Banden weiß ich schlechten Dank;
O, binde mir die Freude durch die Minne,
Doch nicht mit Koppeln, nur mit Ärmlein blank:
O Traute, bessere Fesseln nicht noch Binden
Kannst du mir finden,
Als wenn dein Leib mich fesselt zart und schlank!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 221)

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Wild und wild

Herrlich steht der Wald im grünen Kleide,
Auf dem Haupte trägt er manchen stolzen Kranz;
Hei, wie dem entgegenlacht die Haide,
Schön geschmückt im Festgewand voll Prunk und Glanz.
Vogelsang erschallt aus dem Gezweige
Recht wie Harf' und Geige;
Auf dem Feld ist wilde Freude voll und ganz.

Ja, ich kann von wilder Freude singen;
Leider, wild will alle Freude stets mir sein.
Vogelsang kann Freude nie mir bringen,
Mich erfreut nicht Laub, noch Gras, noch Blumenschein.
Scheuer Hasen in den Au'n und Hainen
Sah so wild man keinen,
Gleichwie meine Freud'; ach, Lieb, die Schuld ist dein.

Traut, du bindest ja mir alle Sinne,
Lieb, und deine Bande trägt ja mein Verstand;
Freude mir zu binden nun beginne,
Bande braucht es nicht dazu, nur Arm und Hand.
Trautes Traut und liebes Lieb, ich finde
Für mich keine Binde
Ganzer Freud', als deiner Arme holdes Band.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 63)

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