Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Heinrich der Schreiber (der Tugendhafte)
(um 1208 - 1228)

 

Tödliches Leid

Wohl dem, der Liebe vom Liebchen erfährt!
Mir hat Herzliebe Herzleide gebracht;
Herzliebchen, die Freude den Augen gewährt,
Hat immer mein Herz nur mit Leiden bedacht.
Liebe und Leiden,
Diesen beiden
Dank ich den Schaden,
Dieser beider
Bin ich leider
Ganz überladen.
Wer da um Liebe recht werben kann,
Warum wird Liebe ihm nicht beschert?
Unbilde geschieht dem armen Mann,
Seit er Herzliebchens Schönheit verehrt.
Soll so verderben
Würdiges Werben?
Unwürde bestehen?
Weh, wo Minne
Im Frauensinne
Dies läßt geschehen!
Daß Minne die Sinne verblenden kann,
Das seh ich, weil selber die Sinne mir blind;
Was tat die Liebliche mir denn an,
Daß ich durch Liebe ein törichtes Kind?
Sie will nicht enden,
Sie will nicht wenden
Die sehnenden Sorgen.
Heil muß ich werben,
Oder sterben
Muß ich schon morgen.
Die beste Freude erstirbt mir in Pein,
Wenn sie nicht bald vom Herzleid mich trennt;
Sonst wird die Not mir ein Sterben sein,
Wie schlimmeres Sterben der Tod nicht kennt.
Darum behüte
Mich ihre Güte
Vor solchem Verderben,
Die mir so Not bringt,
Dann auch den Tod bringt,
Bittrer als Sterben.
Die mir so lieb ist, o welche Not,
Sie hasset fürwahr mich seit einiger Zeit;
Und wird sie noch kälter, so ist es mein Tod -
Ich Törichter ließ ich den törichten Streit!
Nein doch, nimmer:
Flehn will ich immer
Um ihre Hulden.
Ob sie mit Kälte
Mir vergälte,
Will ichs erdulden!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 59-60)

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