Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Heinrich von Morungen
(um 1225)
 


Späte Rache

Wäre Tugend nicht an ihr so viel mir kund
Und von ihrer Schönheit nicht so viel,
Läge dann so tief sie mir im Herzensgrund?
Stets erscheint an mir das gleiche Spiel
Wie am Monde, dessen Schein
von der Sonne Schein ergeht;
Also senkt sich immer
Ihrer Augen lichter Schimmer
Mir in's Herz, so oft sie vor mir steht.

Senkt sich mir in's Herz der Augen lichter Schein,
Treibt zur Klage mich mein trübes Loos;
Sollte Jemand selbst sich schaffen Qual und Pein,
Gab ich selbst mir selbst den Todesstoß,
Da ich sie in's Herz mir nahm
und so gern sie dort empfing,
Gerner als ich sollte,
Und ihr Lob erhöhen wollte,
Wo ihr Lob aus Andrer Mund erging.

Meinem Kind vererben will ich diese Noth
Und das Leid, das ich von ihr erlost;
Wähnt sie dann sich frei dereinst nach meinem Tod,
Lass' ich hinter mir doch einen Trost,
Daß noch schön gedeiht mein Sohn
und ein Wunder gar beschickt,
So daß ich gerochen
Werd' und ihr das Herz zerbrochen,
Wenn sie ihn so schön und hold erblickt.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 46-47)

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Mond und Sonne

Hätt ich Tugend nicht so viel von ihr vernommen,
Ihrer Schönheit nicht so viel gesehn,
Wäre sie mir dann zu Herzen so gekommen?
Immer wieder muß ich nach ihr spähn:
Wie der Mond, der seinen Schein
von der Sonne Schein erhält,
Also kommt mir immer
Ihrer lichten Augen Schimmer
In mein Herz, wenn sie sich vor mich stellt.

Ihre Augen scheinen in mein Herz hinein:
Davon kommt die Noth und kommt mein Klagen;
Oder kann man an sich selber schuldig sein,
Selber hab ich selber mich erschlagen,
Daß ich in mein Herz sie nahm
und so gerne sah nach ihr,
Viel gerner als ich sollte,
Da ichs nie vermeiden wollte,
Ihr Lob zu mehren, sprach es Wer vor mir.

Meinem Kind vererben will ich diese Noth
Und dieß Leid, das mir geschah von ihr:
Wähnt sie ledig dann zu sein nach meinem Tod,
Einen Trost noch laß ich hinter mir:
Daß mein Sohn so schön erwächst,
daß er einst ihr thu Gewalt,
So daß Er mich räche
Und das Herz ihr gar zerbreche,
Sieht sie ihn so wohlgestalt.

Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 93-94)

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Hätt ich tugend nicht soviel von ihr vernommen
Und ihre schöne nicht so oft gesehen,
Wie wäre sie mir dann so tief zum herzen kommen?
Ich muss immer gleicherweise spähen,
Wie der mond, der seinen schein
Von der sonne schein empfaht:
Also kommen immer
Ihrer augen lichte schimmer
In mein herze, wenn sie vor mir trat.

Kommen ihre lichten augen in das herz hinein,
So kommt mir die not, und ich muss klagen.
Könnte aber jemand an sich selber schuldig sein,
So hätt ich mich selber selbst geschlagen,
Als ich in mein herz sie nahm
Und so gern sie sehen mocht,
Viel lieber als ich sollte,
Und ich das nicht lassen wollte:
Ich höhte noch ihr lob, wo man's vor mir verfocht.

Meinem kinde will ich erben diese not
Und das klagend leid, das kommt von ihr.
Wähnet sie dann, frei zu sein, wenn ich bin tot,
Lass ich einen trost doch hinter mir:
Dass noch schön einst wird mein sohn
Und ein wunder vor sie zieht,
So dass er mich räche
Und das herz ihr gar zerbreche,
Wenn sie dann so herrlich schön ihn sieht.

Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 42-43)

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