Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Heinrich von Tetingen
(um 1260)



Unabgeschreckt

Weil die schöne Zeit kommt wieder,
Sieht man ringsumher die Heide
Reichbeblümt und grün den Wald.
Dazu schallen süße Lieder
Kleiner Vögel, die der leide
Winter schreckte rauh und kalt.
Ach, wenn mir doch deren Güte,
Die sich freut der Maienblüte,
Hoffnung gäb: in mein Gemüte
Zöge Freude auch alsbald.

Fröhlich wird mir gleich zumute,
Seh ich nur das Antlitz grüßen
Meiner Liebsten wohlgetan.
Und gewiß, mir kommts zugute,
Will sie meine Pein versüßen,
Daß betrübt mich alle sahn
Um des lieben Weibes Minne.
Königin meiner Seel und Sinne,
Mache, daß ich noch gewinne
Lieben Trost und süßen Wahn.

Daß die Frau mir wohl gefalle,
Kommt daher, weil kaum ihr fehle
Eine Tugend, die es giebt.
Nach ihr sind entbrannt mir alle
Sinne, wie auch Herz und Seele;
Doch mein Leid wär schnell zerstiebt,
Wär der Treue sie beflissen!
Allen meinen Kümmernissen
Säh ich mich im Nu entrissen.
Zeigte sie, daß sie mich liebt.

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 196)

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Unentmuthigt

Durch des Maien Reiz und Schöne
Sieht das Auge nun die Haide
Holdgeblümt und grün den Wald.
Dazu singen süße Töne
Kleine Vögel, die der leide
Winter traf, so schnöd' und kalt.
Die erfreut des Maien Blüthe;
Gäbe Hoffnung deren Güte,
Die mich zwingt: in mein Gemüthe
Käme mir auch Freude bald.

Fröhlich wird mir gleich zu Muthe,
Seh' ich nur der lieben Reinen
Angesicht, so wohlgethan.
Sicher kommt mir das zu Gute,
Will sie lindern meine Peinen,
Daß ich Kummer hab' empfah'n
Um des lieben Weibes Minne.
Kön'gin meiner Seel' und Sinne,
Füg' es, daß ich noch gewinne
Lieben Trost und süßen Wahn.

Daß die Frau mir wohlgefallen,
Das geschah, weil ohne Fehle
Sie der Tugend stets sich weiht.
Nach ihr brennen mir und wallen
Herz und Sinn und Leib und Seele;
Doch zerginge schier das Leid,
Dächte sie an Freundes Treue;
Alle Trauer, Noth und Reue
Schwänd' und käme nie auf's Neue,
Wär' ihr Lieben mir bereit.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 108-109)

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