Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Heinrich von Veldeke
(vor 1150 - 1190/1200)


Im April

Zur Zeit des Aprilen,
Wenn Blümlein entspringen.
Wenn Laub schmückt die Linden,
Neu grünen die Buchen,
Aufwachen die stillen
Kleinvöglein und singen,
Weil Minne sie finden
Da, wo sie zu suchen,
Beim Liebchen so traut.
Ihr Jubel schallt laut,
Der stets mich erbaut,
Weil lang er doch schwieg durch des Winters Willen.

Doch als sie am Reise
Die Blätter gesehn
Und Knospen entspringen,
Froh wurden sie alle
Auf mancherlei Weise,
Wie stets es geschehn.
Und hell klang ihr Singen
In schmetterndem Schalle
Von überallher,
Und ich auch begehr,
Zu freun mich noch mehr,
Denn recht ists, wenn ich nun mein Glück auch preise.

O könnt ich erwerben
Die Holde in Hulden,
Dürft ich sie erreichen
In Züchten und Ehren!
Schier muß ich verderben
Durch eignes Verschulden,
Sie schenkt mir kein Zeichen,
Und will mir bescheren
Nicht Buße, nicht Tod
Aus Gnade und Not,
Weil Gott nie gebot,
Daß jemals um Liebe ein Mensch soll sterben!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 30-31)

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In den aprilen,
So die blumen springen,
So lauben die linden
Und grünen die buchen,
So haben den willen
Die vögel und singen,
Wenn sie minne finden,
Allwo sie sie suchen
Bei ihrem genoss: ihre froheit ist gross,
Die mich nie verdross,
Wie ihr schweigen in den winterstillen.

Als sie an dem reise
Die blumen erblickten
Bei den blättern springen,
Da wurde vertrauter
Und reicher die weise,
Womit sie berückten,
Sie hoben ihr singen
Fröhlich und lauter,
Nieder und hoch: auch mein herz steht so,
Dass ich will bleiben froh,
Recht ist, dass ich nun mein glück mir preise.

Möcht ich erwerben,
Mit lust ihre hulden!
Und könnt ich sie suchen,
Dass nichts sie beschäme!
Ich muss verderben
In meinem verschulden,
Wird sie nicht versuchen,
Dass sie von mir nähme
Busse ohne tod, auf gnade und um not,
Weil es Gott nie gebot,
Dass ein mann je gerne sollte sterben.

Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 25-26

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Im April

Zur Zeit des Aprilen,
Wenn Blumen entspringen,
Laub kriegen die Linden
Und grünen die Buchen,
Da wird's auch zu Willen
Den Vöglein, sie singen,
Weil Minne sie finden
Da, wo sie sie suchen
Bei ihrem Genoß.     Ihre Lust ist dann groß,
Die nie mich verdroß,
Schwiegen sie den Winter lang doch stille.

Doch als sie am Reise
Die Blüten gesehen
Im Laube entspringen,
Reich wurden da alle
An mancherlei Weise,
Wie sonst auch geschehen.
Laut klang nun ihr Singen
In fröhlichem Schalle
Von überallher,     und darum begehr'
Ich zu freun mich auch sehr.
Recht ist's, wenn ich auch mein Glück nun preise.

O, möcht' ich erwerben
Der Meinigen Huld noch!
Könnt' ich sie erreichen,
Wie's selber sie ehret!
Doch muß ich verderben
Durch all meine Schuld noch,
Läßt sie nicht erweichen
Sich, daß sie gewähret
Mir Buß' ohne Tod     aus Gnad' und aus Not.
Da's Gott nie gebot,
Daß ein Mensch je gerne sollte sterben.


Nachgedichtet von Bruno Obermann


Aus: Deutscher Minnesang Lieder aus dem
zwölften bis vierzehnten Jahrhundert
Übertragen von Bruno Obermann
Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. o. J. (1890) (S. 46-47)

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