Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Neidhart von Reuental
(um 1217 – 1230)


Treue lebt noch

Nie sah ich noch die Haide
Anmuth'ger blüh'n,
Zu licht'rer Augenweide
Des Waldes Grün:
An den beiden merken wir den Maien;
Ihr Mädchen, all zu Zweien
In dieser lichten Sommerzeit geht frohgemuth zu reihen!

Lob hat von manchen Zungen
Der junge Mai;
Die Blumen sind entsprungen
Dort mancherlei,
Wo man sonst nicht eine konnte finden;
Voll Laubes steh'n die Linden;
Ihr wißt, die hübschen Mädchen geh'n zu Tanz und Blumenwinden.

Die sind nun frei von Leide
Und reich an Lust;
Ihr wonniglichen Maide,
Macht Haupt und Brust
Schmuck und fein, daß euch's die Baiern danken,
Die Schwaben und die Franken,
Und nestelt euer weißes Hemd mit Seid' auf beiden Flanken.

"Wem trät' ich schmuck entgegen?"
Sprach eine Maid.
"Die Jungen sind erlegen;
Das thut mir leid.
Schiert die Welt, ob Ehr' und Lust sich zeige?
Die Treue ging zur Neige;
Kein Mann bewirbt sich um ein Weib, daß er in Ehren steige."

"Wie sprichst du unbesonnen?"
Sprach ihr Gespiel.
"Wir werden alt in Wonnen;
Noch dienen viel Männer guten Frauen mit Behagen;
Drum sollst du das nicht sagen,
Und Einer wirbt um meine Hand, der kann den Gram verjagen."

"Ob der mir wohl gefalle?
So zeig' ihn mir.
Den Gürtel mit der Schnalle,
Den schenk' ich dir.
Sag' auch seinen Namen, der dich minnen
Gewollt mit treuen Sinnen.
Mir kam zu Nacht von dir ein Traum: du wolltest schier von hinnen."

"Den allesammt sie nennen
Von Reuenthal,
Und dessen Sang sie kennen
In Flur und Saal,
Ist mir hold, so daß ich gern ihm lohne.
In seinem Herzen wohne
Und ihm zu Liebe trag' ich Schmuck. Nun auf! man läutet None."

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 201-203)

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