Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Oswald von Wolkenstein
(um 1377 – 1445)
 

Das Sklävelein

Mein Trost ist eine edle Maid,
Die ist fürwahr
Gar
Klar,
Und läßt die Frucht
Der Tugendzucht
Nicht schwanken.
So weit
Ist ihrer Keuschheit Kleid,
Daß sie verdeckt
Und schreckt
Strafwürdige Gedanken
Mit ihrer Würde Schranken.
Sie hat den Preis
In meinem Herzen Tag und Nacht
Vor allen, die ich sah und sprach!
Ihr Wandel weiß,
Mit kluger Macht
Bedacht
Zu wenden alles Ungemach
In süßes Weh, in süßes Ach!

Freu dich, liebwertes Mägdelein,
Daß dir im Tun
Nun
Ruhn
Als schönste Frucht
Stets Ehr und Zucht
Und Güte!
Daß rein
In deines Wesens Sein,
Und löblich zart
Und gut
Von Art
Dir im Gemüte
Dies ohne Übermut
Liegt hold-verwahrt!
Gleichmäßig zuerteilt
Ist jede Schönheit deinem Leib:
Rund, eng, schmal, klein,
Wie es soll sein,
Hat dich geformt des Schöpfers Fleiß.
Der Blick verweilt
Mit Lust, o Weib,
Auf deiner Wangen Rot und Weiß,
Du aller Mädchen Preis!

Jungfrau, bei deiner keuschen Ehr,
Könnt ich vor Gott,
Es ist kein Spott,
Des würdig sein,
So wollt ich doch nicht wünschen mehr,
Als jederzeit
Bereit
Zu harren dein
Als ein
Klein Sklävelein!
Wie wollt ich doch vergeuden
Dein Lob mit Worten;
Dich allerorten
Im Lied zur Laute hell und gut
Als meine Herrin loben,
Die mir mit Freuden
Herz, Leib und Mut
Erhoben,
Und die beseligt mein Geschick
Mit Wort und Miene, Werk und Blick!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 283-285)

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