Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Reinmar der Alte (von Hagenau)
(um 1194 - 1207)

 

Das Minnewunder

Meine Augen wurden so von Liebe voll,
Als ich zuerst die Wonnereiche sah,
Daß es mir heut' und immermehr thut wohl.
Ein minnigliches Wunder da geschah:
Sie gieng so sanft durch meine Augen ein,
Daß sie sich nirgends in der Enge stieß
Und in mein tiefstes Herz sich niederließ:
Da trag' ich nun die Werthe heimlich drein.

Gemach, gemach! Was thust du, selig Weib,
Daß du mich heimesuchst an dieser Statt,
Die nimmer noch ein andrer Frauenleib
Mit solcher Minnekraft betreten hat?
Genade, Frau! der Platz wird nicht bestritten,
Mein armes Herz gehört dir mehr als mir:
Es sollte sein bei mir, nun ists bei dir:
Drum muß ich nur auf Gnade Lohn erbitten.

Nachgedichtet von
Wilhelm Müller (1794-1827)

Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 68-71)

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Mein auge wurde so der liebe voll,
Als ich zuerst die minnigliche sah,
Dass es mir immer freude mehren soll,
Ein minnigliches wunder da geschah:
Sie ging so sanft durch meine augen innen,
Dass sie sich in der enge nirgend stiess,
In meinem herzen sie sich niederliess:
Da trage ich noch die werte heimlich drinnen.

Lass ab! lass ab! was tust du, selig lieb,
Dass du mich heimsuchst an der statt,
Die nie so allgewaltige weibeslieb
Mit starker heimsuchung betreten hat?
O gnade, frau, ich kann nicht mit dir streiten,
Mein herz ist dir ja lieber feil als mir:
Es sollte sein bei mir, nun ist's bei dir:
Drum muss um gnadenlohn ich niedergleiten.

Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 62)

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