Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Rudolf der Schreiber
(um 1220 – 1254)


Vokalspiel

Ein rotes Mündlein, das ich sah,
Hat mich verletzt, und das geschah
Mir grad im tiefsten Herzen da,
Allwo die Minne liegt ganz nah.
Bleibt ihre Huld mir aus etwa,
Spricht sie nicht bald ein freundlich Ja,
So sterb ich, bin schon tot beinah.

Ich glaube kaum, daß Einem je
Nach seinem Liebchen ward so weh;
Was soll mir Mai und bunter Klee?
Ich achte Blumen so wie Schnee
Und nichts den Vogelsang, und seh
Nach ihr nur, wo ich geh und steh.
Und Minne hetzt mich wie ein Reh.

Ich bin so traurig, weiß nicht wie,
Und müßte froh sein wie sonst nie,
Was mich so martert, ist nur sie.
Zum Unmut möcht ich sagen: flieh!
Wenn sie drei Tag lang mir verlieh,
Bei ihr zu sitzen Knie an Knie,
Wohl keine Lust war groß wie die!

Ob ich der Minne Schlingen floh,
Sie legten mich in Fesseln so,
Daß Freude mir blüht nirgendwo.
Doch wie das Leid mich auch bedroh,
Zween Arme nur und Hände zwo
Genügten mir, dann wär ich froh
Und würde brennen lichterloh.

Mich plagt die Sehnsucht immerzu
In tiefster Seele spat und fruh,
Sie drückt wie Blei des Herzens Truh.
Vielholde Minne, spende du
Mir deinen Trost, so hab ich Ruh
Vor aller Merker Zunft im Nu
Und tanze hin in leichtem Schuh!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 84)

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Vokalspiel

Ein rother Mund, den einst ich sah,
Hat mich verwundet; das geschah
Im tiefsten Herzen grade da,
Allwo die Minne liegt so nah.
Wenn ihre Huld ich nicht empfah'
Und bald mir wird ein lieblich 'Ja':
So geh' ich todt, ich bin's beinah.

Ich glaube nicht, daß Einem je
Nach seiner Liebsten war so weh;
Was soll der Mai mir und der Klee?
Mir gelten Blumen gleich wie Schnee
Und nichts der Vögel Lied; ich seh'
Nach ihr nur, wo ich steh' und geh',
Und Minn' umwogt mich wie ein See.

Ich bin so trüb und weiß nicht wie,
Und sollte froh sein, wie noch nie;
Was mich zergrämt, ist einzig Sie.
Zur Sorge dürft' ich sagen: "Flieh":
Wenn Tage drei sie mir's verlieh',
Mit ihr zu sitzen Knie an Knie;
Ach, keiner Lust verglich' ich die.

Wie sehr der Minne Strick' ich floh,
Sie legten mich in Fesseln so,
Daß Freud' ich finde nirgendwo;
Doch wie der Gram mich auch bedroh':
Zween Arme nur und Hände zwo
Genügten, und ich wäre froh,
Daß ich erglühte lichterloh.

Mich quält die Sehnsucht immerzu
Und liegt im Herzen spat und fruh
Verschlossen wie in einer Truh.
Vielliebe Minne, wolltest du
Mir geben Trost, so hätt' im Nu
Ich vor der Zunft der Merker Ruh'
Und hüpft' einher auf leichtem Schuh.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 216-217)

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