Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Schenk Ulrich von Winterstetten
(um 1240)




Verlorene Töne

Sommer will uns wiederbringen
Grünen Wald und Vogelsingen,
Anger trägt ein Blumenkleid;
Berg und Thal in allen Landen
Sind erlöst aus Winters Banden,
Rosen blühen weit und breit.
Alles lacht im Sonnenscheine,
Niemand klagt, als ich alleine,
Seit die Süße mir, die Reine,
Schafft so manches Herzeleid.
Wer da dient viel ohne Lohn
Mit Gesange:
Thut er's lange,
So verliert er manchen Ton.

All den Leuten will ich künden,
Daß sie lebt in großen Sünden,
Der ich diente Tag und Nacht.
Viel hat sie an mir verschuldet,
Seit mein Herz den Kummer duldet,
Dem sie nie ein Ende macht.
Wie doch kann die Schuld sie büßen?
Nie erging ein lieblich Grüßen,
Darum hab' ich von der Süßen
Mich zu scheiden nun gedacht.
Wer da dient viel ohne Lohn
Mit Gesange:
Thut er's lange,
So verliert er manchen Ton.

Frau, die ehedem vor allen
Einzig mußte mir gefallen,
Hört noch dieses Lied allein:
Ihr seid schön - muß ich gestehen -
Aber Härt' und Schönheit gehen,
Wie bei euch, oft im Verein.
Nun will ich mein Singen kehren
Auf ein Weib, die Tugend lehren
Kann und alle Freude mehren;
Seht, ihr Diener will ich sein.
Wer da dient viel ohne Lohn
Mit Gesange:
Thut er's lange,
So verliert er manchen Ton.

Nachgedichtet von
Wilhelm Storck (1829-1905)

Aus: Buch der Lieder aus der Minnezeit
von Wilhelm Storck
Münster Adolph Russell's Verlag 1872 (S. 273-274)

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Dienen ohne Lohn

Sommer will uns wiederbringen
Grünen Wald und Vögelsingen,
Anger trägt ein Blumenkleid:
Berg und Thal in allen Landen
Sind erlöst aus Winters Banden,
Haide rothe Rosen beut.
Alle Welt ist im Vereine
Froh, ich traure ganz alleine,
Da die Süße mir, die reine
Schafft so manches Herzeleid.
Wer da dienet ohne Lohn
Mit Gesange,
Treibt ers lange,
So verliert er manchen Ton.

Allen Leuten will ich künden,
Daß sie sich vergeht in Sünden,
Der ich stäts war unterthan.
Viel hat sie an mir verschuldet,
Daß mein Herz den Kummer duldet;
Doch erkennt sie das nicht an.
Mag sie je die Sünde büßen?
Nie ward mir ein lieblich Grüßen.
Frau, wir werden scheiden müßen;
Laßt den Urlaub mich empfahn.
Wer da dienet ohne Lohn
Mit Gesange,
Treibt ers lange,
So verliert er manchen Ton.

Frau, die mir vor ihnen allen
Weiland muste wohlgefallen,
Noch vernehmt ein Liedelein:
Daß ihr schön seid, laß ich gelten,
Doch verdient oft Schönheit Schelten,
An euch selber trifft das ein.
Laßt mich nun mein Singen kehren
An ein Weib, die Tugend lehren
Kann, und alle Freude mehren:
Deren Diener will ich sein.
Wer da dienet ohne Lohn
Mit Gesange,
Treibt ers lange,
So verliert er manchen Ton.

Nachgedichtet von Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 192-193)

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