Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Ulrich von Lichtenstein
(um 1250)



Tag und Nacht

Verse will ich nicht vergeuden
An die Nacht, die giebt mir Wonne nicht,
Denn all meine Freuden
Hab ich nur an Tag und Tageslicht;
Gleicht ja doch sein Glanz
Meiner Herrin ganz,
Drum gebührt dem Tag des Liedes Kranz.

Jener mag die Nacht erheben,
Dem ein selig Lager ist bereit,
Aber ich muß leben
Stets in Sehnsucht, darum fühl ich Neid.
Nein, ich lob den Tag,
Wenn ich sehn sie mag,
Die mir heilt all meiner Sorgen Schlag.
Ja, mein Loblied klingt
Nur dem Tag: er bringt
Mir ihr Bild, das all mein Leid bezwingt!

Jenen Tag ich preis vor allen,
Da die Gute ich zuerst ersah;
Nacht muß mir mißfallen,
Weil von ihr nur Böses mir geschah.
Sie ist unhold mir
Und drum ich auch ihr -
Heiterer Tag, mein Lob erklinge dir!

Immer haben mich besessen
Sorgen über Nacht in großer Schar,
Doch sie sind vergessen,
Wenn der Tag mir anbricht hell und klar;
Und den Wunsch entstehn
Fühl ich gleich, zu gehn,
Heimlich irgendwo mein Lieb zu sehn.

Ach wie gern ein Lob ich gönnte
Auch der Nacht, erging mirs jemals so,
Daß ich bei ihr könnte
Selig ruhen, die mich nie macht froh.
Ach wie wär ich dann
Ein beglückter Mann -
Weh, daß ichs beim Liebchen nie gewann!

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 144-145)

_____
 

Tag und Nacht

Was soll ich singen
Von der Nacht? sie gönnt mir Freuden nicht.
Mir Liebes bringen
Kann der Tag allein, der ist so licht.
Auch mag sein Schein
Der Frauen mein
Gleichen, darum soll er hochgepriesen sein.

Die Nacht lobt billig,
Wem sie schöner betten will als mir;
Ich duld unwillig
Sehnlich Leid, drum trag ich Haß zu ihr
Und will den Tag
Loben, mag
Ich sie sehn, die heilen kann der Sorgen Schlag.

Heil sei dem Tage,
Da ich Sie zum Ersten hab erblickt:
Von da an trage
Ich groß Leid, das stäts die Nacht mir schickt.
Gram ist sie mir,
So bin ich Ihr:
Wohl dir Tag, gepriesen sei der Name dir!

Wenn mich umseßen
Hält des Nachts der Sorgen grimme Schar,
Das wird vergeßen
Alsobald, erscheint der Morgen klar.
So winkt sein Wehn
Mir, hinzugehn,
Meine Schöne heimlich anzusehn.

Sie loben wollte
Gern ich doch, gewährte mir die Nacht,
Daß ich ihr sollte
Nahe liegen, die mich unfroh macht.
Wer wär ich dann,
Ich selger Mann!
Weh, daß Sie es mir nicht gönnen kann.

Nachgedichtet von Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Lieder der Minnesinger von Karl Simrock
R. L. Friedrichs Elberfeld 1857 (S. 236-237)

_____
 

 


 

zurück

zurück zur Startseite