Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)

 

Weibes- und Mannsglück

Er

Mir hat ein Wahn gar wonnevoll
Und frohe Hoffnung auch dabei
Nun bitt'res Liebesleid gebracht.
Wenn das in Lust sich wandeln soll,
Werd' ich nicht anders von ihm frei,
Als bis ich das, was ich gedacht,
Erfüllt von meinem Lieb kann schau'n,
Das mir entfremdet alle Frau'n,
Die ich nur seinetwegen ehr',
Von denen ich nicht höhern Lohn
als einen Gruß allein begehr'.


Sie

In ungefälschter Güte lebt
Ein Mann, der mir wohl alles kann
Gebieten, was nur ehrenvoll.
Sein treuer Sinn mich hoch erhebt,
Denn ich auch bin ihm zugethan.
Das kommt von großer Liebe wohl.
Mir ist durch ihn, kann ich gesteh'n,
Das höchste Weibesglück gescheh'n,
Und Seligkeit blüht uns hinfort:
Erwarb in meinem Herzen doch
die Tugend ihm den schönsten Ort.

Er

Ein Weib ist's, das viel Freude mir,
Solange nur mein Leben währt,
Beständig, ohne Ende lieh.
Erhörung suche ich bei ihr,
Und wenn sie Hoffnung mir beschert,
Acht' ich für Freundesgabe sie.
Ja, hohes Mannesglück ich fand,
Als sie voll Wahrheit mir gestand,
Es liebe mich ihr Herz gar sehr.
Wenn meins nun ohne Sorge lebt,
so darf es niemand wundern mehr.

Nachgedichtet von Bruno Obermann

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 38-39)

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Erhörung

Ritter

Mich hat ein wunniglicher Wahn
Und einer lieben Hoffnung Trost
In sehnsuchtsvolle Not gebracht.
Soll mir noch jemals Freude nahn,
Wird Rettung mir nicht zugelost,
Als wenn geschieht, was ich gedacht,
Daß mein sie wird mit Seel und Leib,
Die mir verleiden ander Weib,
Das ich um sie doch ehren muß.
Denn ich begehre andern Lohn
Von keiner doch als holden Gruß.

Frau

In Güte und ohn Falschheit lebt
Ein Mann, der mir gebieten mag;
Zu folgen ihm wird mir nicht schwer. –
Daß er mir treu, mich froh erhebt,
Wenn ihm Ermuntrung auch gebrach:
Von großer Liebe schreibt sichs her.
An ihm ist mir, muß ich gestehn,
Ein schönes Weibesheil geschehn.
Uns beiden winkt nun Seligkeit,
Weshalb mein Herz den schönsten Ort
Für seine Tugend ihm verleiht.

Ritter

Ein Weib hat mich beständger Lust
Versichert und die Not gewandt,
Solange als ich Leben habe.
Ich bin mir ihrer Huld bewußt;
Wird süßer Trost mir zuerkannt,
Das mag wohl heißen Freundesgabe.
Ein Mannesheil hab ich erschaut,
Als sie in Treuen mir vertraut,
Ich müss in ihrem Herzen sein!
Drum darf es niemand wundernehmen,
Fühl ich mich ledig aller Pein.

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 27-28)

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Weibes und Mannes Heil

Ritter

"Ein wonniglicher Wahn hat mich
Und eine liebe Zuversicht
In sehnsuchtsvolles Leid gebracht.
Soll das in Freude wenden sich,
Werd' anders ich erlöset nicht,
Als wenn es kommt, wie ich gedacht
Mit ihrem wonniglichen Leib,
Die mir entfremdet jedes Weib:
Um sie ich die nur ehren muß;
Ja, ich begehre andern Lohn
von keiner, als nur ihren Gruß."

Frau

"Ohn' Falsch, in reiner Güte lebt
Ein Mann, der mir wol immer mag
Gebieten, was er gerne will.
Die Treue sein mich froh erhebt,
Weil sein auch ich getreulich pflag.
Das kommt von großer Liebe viel.
Mir ist in ihm, ich muß gestehn,
Ein schönes Weibesheil geschehn.
Uns gehet auf des Glückes Schein:
Die beste Stätte sich erwarb
die Tugend sein im Herzen mein."

Ritter

"Der Freude mein, der hat sein Weib
Mit gutem Grund Beständigkeit
Verliehn, so lang' ich Leben habe.
Ich bitt' um Gnad' bei ihrem Leib:
Wenn sie mir schönen Trost verleiht,
Das mag wol heißen Freundes Gabe.
Ein Mannesheil ist mir geschehn,
Als sie getreulich thät gestehn,
Ich müsse stets ihr nahe sein:
Nun darf es Niemand Wunder nehmen,
wenn ohne Sorg' das Herze mein."

Nachgedichtet von
Karl Pannier

Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 30-31)

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