Minnesang

Nachdichtungen deutscher Minnesänger
 

 

 


Walther von der Vogelweide
(um 1170 - 1230)

 


Ein Kuß von rotem Munde

Könnt' ich's noch erleben, daß ich Rosen
Läse mit dem süßen Mägdelein!
Ei, ich wollt' so herzlich mit ihr kosen,
Daß wir immer lieb uns müßten sein.
Würde mir von ihrem roten Munde
Nur ein Kuß - zur Stunde
Wäre dann genug von Freuden mein.

Nachgedichtet von Bruno Obermann

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann
Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 31)

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Ein Kuß von rothem Munde

Könnt' ich doch erleben, daß ich Rosen
Mit der Minniglichen sollte lesen,
Wollt' ich mit ihr scherzen und so kosen,
Als ob Freunde wir schon längst gewesen.
Würde mir ein Kuß zu einer Stunde
Von dem rothen Munde,
Wär' von meinen Leiden ich genesen.

Nachgedichtet von
Karl Pannier

Aus: Walthers von der Vogelweide
Sämtliche Gedichte
Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Karl Pannier
Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 25)

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Rosenlesen

Möcht ichs noch erleben, daß ich Rosen
Läse mit dem holden Mägdelein;
Wollt ich doch mich so mit ihr erkosen,
Daß wir ewig Freunde müßten sein.
Würde mir ein Kuß zur guten Stunde
Von dem rothen Munde,
So genäs ich aller Noth und Pein.

Nachgedichtet von
Karl Simrock (1802-1876)

Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide
übersetzt von Karl Simrock
und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel
In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 6)

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Rosenlese

Möcht ichs doch erleben, daß ich Rosen
Mit der Minniglichen könnte lesen;
Wollt ich doch sie herzen so und kosen,
Als ob längst wir Freunde schon gewesen.
Würde mir ein Kuß zur rechten Stunde
Von dem roten Munde,
Wär ich gleich von allem Leid genesen.

Was nützt weise Rede, was soll Singen?
Was hilft Weibesschöne, was soll Gut?
Seit man Keinen sieht nach Freuden ringen,
Seit man ohne Scheu nur unrecht tut,
Daß es Milde, Treue, Zucht und Sitte
Nicht mehr bei uns litte,
Ist verzagt an Liebeslust der Mut.

Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)

Aus: Walther von der Vogelweide
aus dem Mittelhochdeutschen übertragen
eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von
Richard Zoozmann
Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss
Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 18-19)

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Könnte ich noch erleben, dass ich die rosen
Mit der minnelichen sollte lesen,
So wollt ich dabei so mit ihr kosen,
Als ob immer freunde wir gewesen.
Würde mir ein kuss noch eine stunde
Von dem roten munde,
So wär ich in freuden wohl genesen.

Was soll lieblich sprechen, was soll singen,
Was soll weibes schöne, was soll gut?
Seit man niemand sieht nach freude ringen,
Seit man übel ohne fürchte tut,
Seit man treue, milde, zucht und ehre
Trifft mit solcher sehre,
So verzagt an freuden mancher mut.

Nachgedichtet von
Friedrich Wolters (1876-1930)

Aus: Minnelieder und Sprüche
Übertragungen aus deutschen Minnesängern
des XII. bis XIV. Jahrhunderts von
Friedrich Wolters. Zweite Ausgabe Berlin 1922 Bei Georg Bondi (S. 92)

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