Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Friedrich Rückert)


86 Ghaselen


1.

1. Erleucht', o Schenk, den Becher mit dem Licht des Weines mir!
Sing, Sänger: Auf der Welt nach Wunsch geh' Groß und Kleines mir.

2. Ich hab' im Glas den Widerschein von jener Wang' erblickt;
O der du fragst, von wannen kommt die Lust des Weines mir!

3. So lange zeigen ihren Reiz die Schlanken auf der Flur,
Bis hier erscheinst Zypresse du des Schönheitshaines mir.

4. Der wird nicht sterben, dessen Herz in Liebe lebend ist;
Versichert ewig ist im Buch des Lebens meines mir.

6. O Morgenwind, wenn du vorbeikommst jenem Rosenbeet,
Sollst du beim Herrn des Rosenbeets anbringen eines mir:

7. Warum mit Fleiß verbannest du mein Angedenken, ach!
Von selber kommt die Zeit, wo hier wird bleiben keines mir.

9. Hafis streue Tränenkörner aus den Augen, ob vielleicht
Dadurch der Vogel kommt ins Netz des Lustvereines mir.
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2.

1. Komm, Saubermann! Gesäubert ist der Spiegel dem Pokal:
Betrachte säuberlich des Weins rubinglanzreinen Strahl:

2. Den Vogel Anka fängt so leicht kein Mensch; das Netz zieh ein!
Geblieben in dem Netze hier Wind nur allemal.

3. Genusses bare Münze nur nimm an! Selbst Adam kam
Vom Paradies, weil dort die Lust ausging, zum Erdental.

4. Beim Wanderfest des Lebens leer' ein Glas und zwei, und geh!
Das ist: Begehre nicht Genuß beständig allzumal!

5. O Herz, die Jugend ging, du hast die Rose nicht gepflückt;
Mit gutem Namen schmücke nun den Scheitel alterskahl.

6. Ums Weltgeheimnis frage du bei Zechern in der Schenk',
Es ist nicht zu ertragen in der Frommen Betesaal.

7. An deiner Schwelle haben wir ein altes Dienstesrecht,
O Herr, wirf einen Gnadenblick auf deiner Diener Zahl!

8. Ein Diener des Pokales ist Hafis; geh, Morgenwind,
Bring meinen Gruß der Dienstbarkeit dem Scheiche vom Pokal!
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3.

1. Der Glanz der Jugend wurde dem Garten wiederum,
Wenn lacht die Rose, bleibet die Nachtigall nicht stumm.

2. Ei, Ostwind, zu den Schönen des Gartens wenn du kommst,
Bring meinen Gruß an Veilchen, Ros' und Basilikum.

3. Wenn so der Schenke schmeichelt, brauch' er im Schenkesaal
Als Besen meine Wimpern, ich kümmre mich nicht drum.

4. Wenn du gleich einer Keule die Seitenlocke drehst,
So dreht gleich einem Kreisel mein Haupt im Kreis sich um.

5. Ich fürchte, dieses Völkchen, das über Trinker lacht,
Sieht selbst sich nach der Schenke mit frommen Blicken um.

6. Sei du nur ein Mann Gottes wie Noah! Diese Flut
Wiegt nicht ein Tröpfchen gegen der Arche Heiligtum.

7. Ihm, dessen letzes Pfühl sein wird eine Handvoll Staub,
Sag' ihm: "Warum zum Himmel hebst du dein Königtum?"

8. Mag Himmel Geizhals schließen vor Hungrigen die Tür;
Geh du dem Haus vorüber und bettl' um keine Krum'.

9. Mond Kana'ns, der Thronsitz Ägyptens fiel dir zu;
O komm aus deinem Kerker, und ernte deinen Ruhm!

10. Trink deinen Wein, o Hafis, sei froh, und mache nur
Zum Fallstrick nicht wie andre das Evangelium!
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4.

1. Sag, Ostwind, leise jener liebreizenden Gazelle:
Dein Blick trieb in die Wüste mich von der Heimat Schwelle.

2. Warum kommt nicht der Zucker-Verkäufer (leb' er lange!)
Zu seines Papageien, des Zuckerfreundes, Zelle?

3. Wenn du bei Freunden sitzest und trinkest Wein mit ihnen,
Gedenke, daß im Winde irrt draußen ein Geselle.

4. Der Schönheit Stolz, o Rose, wird dir wohl nicht erlauben,
Zu blicken nach dem Sprosser, der singt am Tränenquelle!

5. Man fängt mit feinen Sitten den Mann von feinem Blicke,
Man fängt erfahrne Vögel im Netze nicht so schnelle.

6. Ich weiß nicht, aus was Ursach' so wenig Farbe halten
Gestalten wie Zypressen, Gesichter mondenhelle.

7. An deiner Schönheit wüßt' ich zu finden keine Flecken,
Als daß ich drin entdecken nicht kann der Treue Stelle.

8. Was Wunder, daß im Himmel bei unsres Hafis Sange
Mit Anahid zum Tanze sich der Messias stelle!

Anahid: d. i. Venus, die Göttin des Tanzes, Gesanges und der Liebe
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5.
Eine Begrüßung des Schah's

1. Als zuerst sich deine Schönheit um nach den Verliebten sah,
Fielen in den Strick der Locken alle Seelen fern und nah.

2. Was die Seele der Verliebten durch die Hand der Trennung litt,
Das litt niemand außer den Erschlagenen von Kerbela.

3. Wo Befehl mein Türk' erläßt zu Rausch und Ausgelassenheit,
Liebes Herz, Gelassenheit mußt du vor allen lassen da.

4. Stunde des Genusses, Frist der Freude, Zeit des Weingelags!
Nimm die wen'gen Tage, die dir sind vergönnt, in Obacht ja!

5. Hafis, ah! wenn zu des Schahes Fußkuß deine Hand gelangt,
So hast du erklommen beider Welten höchste Gloria.

Mit den Erschlagenen von Kerbela, einem Orte am Euphrat, ist Hussein,
der berühmte Enkel des Propheten gemeint, der mit 70 Gefährten
dort umkam im Kampfe um das Chalifat.
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6.

1. Das Heil, wohin ist's gekommen, und wir, die Kranken, wohin?
Dort wandelt hin die Genesung, und wir hier wanken wohin?

2. Was hat der nüchterne Fromme mit trunkner Liebe gemein?
Wohin dort locket die Predigt, und hier die Schlanken wohin?

3. Mein Herz war müde des Klosters, zur Schenke kommt es und staunt,
Wohin der Wein ist gekommen, und die ihn tranken, wohin?

4. Dahin ist (bleibe gesegnet ihr Angedenken!) die Lust;
Wohin das zärtliche Kosen? Das holde Zanken wohin?

5. Da sich mein Auge zur Schminke den Staub der Schwelle gewählt,
Wohin, sprich, sollt' ich mich wenden aus diesen Schranken, wohin?

7. Du siehst den Apfel des Kinnes, und nicht die Grube dabei;
Den Wald der Locken, und siehst nicht, aus diesen Ranken wohin?

8. Von Hafis, dürft ihr, o Freunde, nicht fordern Ruh' und Geduld;
Wo, wo ist Ruhe? Geduld wo? Sinn und Gedanken wohin?
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7.

1. Das Herz ist deiner Liebe Königszelt,
Das Auge dir zum Spiegel aufgestellt.

2. Der Bürde deiner Gnaden beuget sich
Dies Haupt, das sich nicht beugt vor aller Welt.

3. Der Paradiesbaum jenem, mir dein Wuchs!
Da jeder Sinn sein eignes Maß enthält.

4. Doch was soll ich in diesem Heiligtum,
Wo nur mit Scheu der Ost den Vorhang hält!

5. Was ist's auch, wenn ich der Befleckte bin?
Denn deine Reinheit strahlt vor aller Welt.

6. Einst war Medschnun, nun bin ich an der Reih',
Und jeder steht hier seinen Tag im Feld.

7. Der Liebe Königsmacht, der Freuden Schatz,
Durch deine Huld ist all dies mir bestellt.

8. Heil dir, und meinen Zweck hab' ich erreicht,
Wenn Herz und Leben dir zum Opfer fällt.

9. Nie sei von deinem Bild mein Auge leer!
Nur ihm zum Wohngemach ist es erhellt.

10. Die junge Ros' im Garten duftet nur,
Weil ihrem Odem war dein Haupt gesellt.

11. Sieh nicht Hafisens äußre Armut an!
Sein Innres birgt der Liebe gutes Geld.
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8.

1. Der Bräunliche, die Schönheit teilt all ihr Ding mit ihm:
Herz froh, Aug' hell, Mund lachend, ist ihr Geding mit ihm.

2. Wenn alle Schönen Schahe der Zeit sind, aber er
Ist Salomon der Zeiten, es ist der Ring mit ihm.

3. Auf weizenfarbner Wange ein Moschusmal, es ist
Das Körnchen der Verführung, das Adam fing, mit ihm.

4. Nun will mein Herzensträger verreisen, Freunde, Gott!
Krank bin ich, und mein Balsam der Heilung ging mit ihm.

6. Wem sag' ich dieses Rätsel! Dies Steinherz tötet mich,
Doch ist der Hauch Isa's, den Marjam empfing, mit ihm.

7. Ein Gläubiger ist Hafis, in Ehren haltet ihn!
Denn der Verkehr von Geistern ist nicht gering mit ihm.
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9.

1. Der Bote mit dem Briefe, der kommt vom Gau des Freundes,
Bringt ein Herzamulett mir voll Moschustau des Freundes.

2. Er gibt mir gute Zeichen von Heil und Huld des Liebsten,
Macht lieblichen Bericht mir vom Wonnebau des Freundes.

3. Zum Lohn gab ich mein Herz ihm, und schämte mich der Münze,
Der falschen, daß ich hätte gedacht so lau des Freundes.

4. Ich danke Gott, daß endlich mit Hilfe guten Glückes
Mir so nach Wunsch bestellt ist die Herzensau des Freundes.

5. Was kann des Himmels Kreisen des Mondes Lauf verlangen?
Sie drehn sich auf Verlangen und Wunsch genau des Freundes.

6. Und werfen Aufruhrwinde zwei Welten durcheinander,
Hier bin ich und mein Auge bereit zur Schau des Freundes.

9. Und ob auf Hafis ziele der Feind, was darf ich fürchten,
Da Gott sei Dank der Großmut ich mich vertrau' des Freundes!
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10.

1. Komm, weil der Hoffnung Schlösser so leicht und luftig sind,
Bring Wein! Denn das Gebäude des Lebens ruht auf Wind.

2. Dem Hochgesinnten dien' ich, der unterm blauen Dom
Frei hält sein Herz von jedem verstrickenden Gebind.

3. Sag' ich dir, was im Weinhaus mir Trunknem gestern nachts
Für Gruß gebracht ein Bote vom himmlischen Gesind?

4. O Königsfalk, hochblickend von Edens Zedern einst!
Dein Nisteplatz ist hier nicht im Kummertalgewind.

5. Von Paradieses Zinnen sie rufen laut dir zu:
An diesem Ort der Netze was taumelst du so blind?

7. O mahn' an festen Bund nicht die ungebundne Welt!
Die alte Braut, sie wechselt die Freier gar geschwind.

9. Ergib dich ins Gegebne und runzle nicht die Stirn!
Verschlossen mir und dir ist die Tür der Wahl, o Kind.

10. Kein Glaub' ist bei dem Lächeln der Rose, kein Verlaß;
Klag, Nachtigall! Stoff hast du zu klagen ungelind.

11. Warum, o schlechter Reimer, beneidest du Hafis?
Wohllaut und Sinnes Anmut ist Himmels Eingebind.
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11.

Morgenwind, wenn du vorüberkommst dem Land des Freundes,
Bring ein Düftchen mir vom Lockendüftebrand des Freundes!

Ja, bei seiner Seele, dankbar opfr' ich meine Seele,
Wenn du einen Gruß mir bringest von der Hand des Freundes!

Und wofern so Hohes dir versagt ist, o so bringe
Meinem Aug' ein Stäubchen von dem Füßestand des Freundes!

Ich ein Bettler, und der Wunsch, ihn zu besitzen! heia!
Mög' ich nur im Traume sehn das Lichtgewand des Freundes!

Meines Herzens Pinienapfel zittert wie die Weide
Nach dem schlanken Pinienwuchs, dem Unbestand des Freundes!

Wenn der Freund gleich mich um das geringste nicht will kaufen,
Um die Welt verkauf' ich nicht den Härchenrand des Freundes!

Warum sollte nicht von Kummerfesseln frei dies Herz sein?
Trägt Hafis, der arme, doch das Sklavenband des Freundes!
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12.

1. Zur Schenke kam der Freund, mit Spende vom Geschick,
Berauscht von Wein, und wir berauscht von seinem Blick.

2. Des Himmels neuer Mond ist seines Rosses Huf;
Vor seinem Wuchse beugt die Zeder ihr Genick.

3. Was sag' ich: Mein bewußt bin ich? Wenn ich's nicht bin!
Was sag' ich: "Ich bin frei?" Ich bin in seinem Strick.

4. Des Herzens Lamp' erlischt, wenn ihr entgeht dein Hauch;
Der Seele Springquell stockt, wenn du entziehst den Blick.

5. O komm! so kommt zurück das Leben mir, wenn auch
Kein abgeschossner Pfeil zum Bogen kommt zurück.
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13.

1. Zu der Zeit ein Gefährte ohn' Hinterlist und Trug,
Das ist ein Büchlein Lieder und reinen Weins ein Krug.

2. Geh einfach! denn zum Heile der Weg ist schmal und eng.
Das Glas nimm mit! das Leben verstattet nicht Verzug.

3. Werklosigkeit im Leben verdrießt nicht mich allein,
Ihr Wissen ohne Werke verdrießt auch Weise gnug.

4. Dem Auge des Verstandes erscheint hier im Gedräng
Die Welt und all ihr Treiben als wie im Traum ein Flug.

5. Das Herz war voll von Hoffnung auf den Verein mit dir,
Bis ihm ein Hauch des Windes die Hoffnungen zerschlug.

6. Was schiebst du Glück und Unglück auf Venus und Saturn,
Wie Toren? fass' am Schopfe dein Liebchen und sei klug!

7. Ihr werdet's nicht erleben, daß Hafis nüchtern wird,
Weil Trunkenheit seit ewig sein Acker ist und Pflug.
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14.

1. Schilt nicht weinbefleckte Zecher, du mit Reinheit angetan!
Denn es werden fremde Sünden dir ja nicht geschrieben an.

2. Ob ich fromm sei oder gottlos, geh und sorge für dich selbst.
Weil am Ende jeder nur, was er gesät hat, ernten kann.

3. Schneide du die Hoffnung auf ew'ge Gnade mir nicht ab!
Weißt du denn, wer hinterm Vorhang häßlich oder schön, o Mann?

5. Nicht zuerst bin ich gefallen aus der Heiligkeit Gemach,
Denn aus seinen Händen ließ das Paradies bereits mein Ahn.

4. Jeder sucht den Freund hier, ob er nüchtern oder trunken sei,
Und der Liebe sind Moscheen wie Christenkirchen aufgetan.

7. Reizend ist der Garten Edens, aber mach', ich bitte dich,
Dir zu Nutz' der Weide Schatten und den grünen Wiesenplan!

9. Hafis, wenn am Sterbetage du zur Hand den Becher nimmst,
Tragen sie vom Gau der Schenke graden Wegs dich himmelan.
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15.

1. Gesegnet sei, o Schenke, des Festes Ankunft dir,
Und was du hast versprochen, gedenke dessen mir.

2. Bring an das Kind der Rebe den Gruß: komm aus der Haft!
Erlöst nun hat dich unsrer Gebete Zauberkraft!

3. Darüber muß ich staunen, wie lange Tage du
Dein Herz uns hast entzogen; wie gab dein Herz es zu?

5. Der böse Blick sei ferne! nun bringt dich uns zurück
Ein glänzender Geburtsstern und angebornes Glück.

6. Die Freude der Gesellen weckt deines Nahens Fuß,
Und wer sich dein nicht freuet, dem bleibe der Verdruß!

7. Hafis, gib aus den Händen dies Noah-Schifflein nicht!
Sonst geht in dieser Sündflut dein Lebensbau zunicht'.

Mit dem Noah-Schifflein ist das Weinglas gemeint.
Noah gilt als Erfinder des Weines.
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16.

1. Hudhud, nach Saba hab' ich dich als Liebespost gesandt;
Bedenk', von wannen und wohin ich dich getrost gesandt.

2. Ein Vogel deinesgleichen ist nicht hier am Platz; zum Nest
Der Herzenswärmer hab' ich dich aus diesem Frost gesandt.

3. Was ist der Liebe fern und nah? Vor Augen stehst du mir,
Doch hab' ich tausend Bitten dir, seitdem du flohst, gesandt.

4. Gebetes Karawanen dir bei jedes Abends Hauch
Und morgens hab' ich durch den West und durch den Ost gesandt.

6. Daß vor der Trennung Kummerheer ich möge fristen mich,
Hab' ich die eigne Seel' an dich um Freundeskost gesandt.

7. Daß er mein Herzverlangen dir ansage, hab' ich hier
Mit Sang und Klang den Sängerchor berauscht von Most gesandt.

9. Daß du in deinem Angesicht beschaust des Schöpfers Kunst,
Hab' ich den Gottesspiegel hier dir rein von Rost gesandt.

8. O Schenke, komm! ein Himmelsbot' hat mir den Gruß gebracht:
Geduld' in deinem Schmerze dich! Dir wird ein Trost gesandt.

10. Hafis, bei unserm Feste wird in Gutem dein gedacht;
Gib acht, dir wird ein Ehrenkleid und Ehrenroß gesandt.

Hudhud: der Wiedehopf, Salomons Bote an die Königin von Saba.
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17.

1. O wehe, daß der Freund mich ließ in Weh und Gram, und floh, -
Mit einem Abschiedsblick mein Herz gefangennahm, und floh!

2. Ich dürstete nach Labetrunk, als er mir reichte Gift
Der Trennung, mir das Glas der Lust vom Munde nahm, und floh.

3. Als ich die Beute seiner Jagd geworden, spornet' er
Den stolzen Hengst, ließ mich zurück krank, wund und lahm, und floh.

4. Ich sprach: "Vielleicht mit guter Kunst fang' ich ihn ein und mach'
Ihn zahm." Der Künste spottet' er, er ward nicht zahm, und floh.

5. Im engen Herzen hatte das erregte Blut nicht Platz,
Daß es als rote Träne durch das Auge kam, und floh.

6. Die Herrschaft zu begrüßen, ward der Eintritt nicht vergönnt
Dem Sklaven, und die Schwelle nur küßt' er mit Scham, und floh.

7. Verschleiert war die Rose noch, als früh die Nachtigall
In Hafis' Garten kam und sang ein Lied von Gram, und floh.
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18.
Auf den Tod seines Sohnes
Der erotische Dichter faßt auch seine Vatergefühle
in erotische Bilder


1. Die Nachtigall hatt' eine Rose sich holdgesinnt gemacht;
Doch bald ward der Besitz ihr streitig vom neid'schen Wind gemacht.

2. Dem Papagei war süß das Leben durch einen Zuckermund,
Doch sein Geschick vom Strom des Unglücks ward ungelind gemacht.

3. Mein Augentrost war dieses Herzblatt, o unvergessen sei's,
Wie es mich trostlos ließ und selbst sich davon geschwind gemacht.

4. Zur Hülfe, Karawanenführer! Gefallen ist mein Pack.
Auf Gnadenhoffnung hatt' ich hier mich zum Fahrtgesind gemacht.

5. Erdfarbig meine Wang' und Flut ist mein Auge; schilt es nicht!
Aus Erd' und Flut ward ja das Lusthaus dem Menschenkind gemacht.

6. Ach, ach und wehe, daß am Himmel des Mondes blasser Neid
Ein Grab zur Rast hat meinem Monde, hat meinem Kind gemacht!

7. Du hast, Hafis, auf diesem Schachbrett den rechten Zug versäumt.
Was soll ich tun? Das Spiel der Tage hat mich so blind gemacht.
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19.

Mein Herz hat lange Jahre
Verlangt nach Dschemschids Glas,
Es hat gesucht bei andern,
Was es bei sich besaß.

Die Perle, die der Muschel
Der Raumwelt sich entwand,
Sucht' es bei den verloren
Gegangenen am Strand.

Ich legte mein Anliegen
Dem alten Wirte vor,
Des klarer Blick die Rätsel
Mir oft gelöst zuvor.

Ich sah ihn froh und lachend,
Den Becher in der Hand,
In dessen Spiegel vieles
Er zu betrachten stand.

Ich sprach: "Wann hat ein Weiser
Dir dieses Glas vertraut?"
Er sprach: "Des Tags, an dem er
Den blauen Dom gebaut."

Er sprach: "Der Mann, durch welchen
Der Galgen heilig ward,
Er mußt' es büßen, daß er
Geheimnis offenbart.

Stets hatte der Verliebte
Gott bei sich selbst im Haus;
Er sah ihn nicht und rückte
Gott fern von sich hinaus.

Dieselben Gaukelspiele,
Die jetzt treibt der Verstand,
Hat Samiri getrieben
Einst gegen Mosis Hand.

Die Gunst des heil'gen Geistes,
Wenn sie zum Beistand naht,
Tut auch ein andrer Wunder,
Wie der Messias tat."

Ich sprach: "Wozu die Kette
Von schönen Locken soll?"
Er sprach: "Oft hat Hafis ja
Geklagt, sein Herz sei toll."

Dschemschids Glas: in dem Pokal des berühmten altpersischen
Weltherrschers spiegelten sich alle Geheimnisse der Welt.
Der Mann, durch welchen der Galgen heilig ward, ist der Mystiker Hussein Mansur Halladsch,
der zuerst den kühnen und gefährlichen Ausspruch: "Ich bin die Wahrheit" getan haben soll,
dafür wegen Ketzerei zum Tode verurteilt und nach fürchterlichen Martern im Jahre 921 n. Chr.
gehängt wurde.
Samiri oder Samir, ein berühmter ägyptischer Zauberer,
der mit Moses in Wundertaten wetteiferte.
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20.

1. Deine Locken und des Glückes sind so leicht zu fassen nicht;
Auf den Wind und deine Stetheit ist sich zu verlassen nicht.

2. Hab' ich doch, dich zu erlangen, all mein mögliches getan,
Nur kann sein Geschick zu ändern sich der Mensch anmaßen nicht.

3. Den geliebten Saum bekam ich in die Hand mit soviel Blut,
Daß ich scheeler Feinde wegen ihn will fahren lassen nicht.

4. Nicht vergleichen darf ich deine Schönheit mit des Himmels Mond,
Denn das helle Feuer paßt zu etwas kaltem Blassen nicht.

5. Meine wandelnde Zypresse, wenn sie auf zum Tanze tritt,
Werfen Seelen die Gewänder ab, die Trunknen passen nicht.

6. Was soll ich am Ende sagen? Bist von Art so fein und zart,
Ernst ist nicht mit dir zu reden, doch mit dir zu spaßen nicht.

8. Eifersüchtig werd' ich, wenn ich sehe, wie die Welt dich liebt,
Und doch ist der Liebe wegen diese Welt zu hassen nicht.

7. Nur mit reinem Auge kannst du an des Geliebten Wange schaun;
Vor dem klaren Seelenspiegel darf die Selbstsucht prassen nicht.

9. Liebe, deine Rätsel gehen über unsre Fassungskraft,
Solche Schwierigkeiten lösen dieser Schule Klassen nicht.

10. Hafis' Andacht kennt nur deiner Augenbrauen Hochaltar,
Und sein Herzenswallfahrtsort ist außer deinen Gassen nicht.
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21.

1. Bedürftig teurer Ärzte sei dein teures Leben nie!
Dein zartes Dasein sei vom Weh der Welt umgeben nie!

2. In deinem Wohlsein findet sich das Wohlsein aller Welt,
Und dein Gemach dem Ungemach sei preisgegeben nie!

3. Vollkommenheit von Sinn und Bild ist deiner Nähe Glück;
Von Wang' und Sinn die Heiterkeit soll dir entschweben nie!

4. Zypresse, wenn zur Plünderung der Herbst dem Garten naht,
Zu deines Wuchses Höhe soll er sich erheben nie!

5. Dahin, wo deine Schönheit sich in ihrem Glanze zeigt,
Dahin soll böse Zunge nie, bös Auge streben nie!

6. Wer auf dein Antlitz wie den Mond mit bösem Auge blickt,
Des Herz, wie Korn der Raut' im Brand, sei ohne Beben nie!

7. Die Heilung suche du, Hafis, von jenem Zuckermund,
Und du bedarfst der Süßigkeit von Ros' und Reben nie.
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22.

Ihre Düfte haben die Violen
Von dem Moschus deines Haars gestohlen.
Die Zypresse geht, von deinem Gange
Anmut der Bewegungen zu holen.

Und dein klares Lächeln nachzuahmen,
Wird vom Ostwind dem Jasmin empfohlen.
In der Rosenknosp' ist deines Mundes
Halberschlossne Heimlichkeit verhohlen.

Aus dem Auge trunkener Narzissen
Sieht von dir ein Blick mich an verstohlen.
Du bist meiner Wünsche Blumengarten,
Blühend von dem Scheitel zu den Sohlen.

Eifersüchtig über deine Reize
Wach' ich, wie es mir ist anbefohlen.
Feuer bist du, ewiges, der Liebe,
Und die Herzen brennen dir wie Kohlen.

Hafis, seit du sein Idol geworden,
Darf nicht knien mehr vor der Welt Idolen.
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23.

1. Komm ich ihr nachgegangen,
So wird sie schelten eben;
Und legt sich mein Verlangen,
Wird sich ihr Zorn erheben.

2. Und wenn ich voll Verlangen
Einmal auf ihrem Wege
Wie Staub zu Fuß ihr falle,
Wird sie wie Wind entschweben.

3. Und wenn Kuß einen halben
Ich von ihr bitte, wird sie,
Vom Schächtelchen des Mundes
Mir Spott statt Zucker geben.

4. Im Auf und Ab des Weges
Der Liebe liegen Netze;
Wo sind die Löwenkühnen,
Die vor Gefahr nicht beben?

5. Ich sagte, da ich deiner
Narzissen falschen Blick sah:
Mit Augenwasser wird er
Noch füllen manche Gräben.

7. Nur um Geduld, um Leben
Mußt du den Himmel bitten,
So kannst du manches Wunder
Noch mit der Zeit erleben.

8. Leg hin dein Haupt, o Hafis,
Auf der Ergebung Schwelle;
Denn widerstrebst du, wird dir
Der Himmel widerstreben.
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24.
Zum Gedächtnis von Abul Ishak,
dem letzten Ilchaniden und Scheich der Sufi's


1. O gedenke, daß dein Gau einst meine Heimat war,
Und vom Staube deines Tores ward mein Auge klar.

2. Wahrhaft als wie Ros' und Lilie in der Reinheit Bund
War auf meiner Zunge, was in deinem Herzen war.

4. Mir im Herzen war es, niemals ohne Freund zu sein;
Herz, was tun wir? unser Streben war vergebens gar.

5. Der Genossen denkend, ging ich in die Schenk', ein Faß
Stand voll roten Weines, und mein Herz voll Blut fürwahr.

6. Rings mit Fragen wandt' ich mich: warum muß Trennung sein?
Doch der Mufti des Verstands war hier Verstandes bar.

7. In der Tat, des Abdul Ishak Türkissiegelring
War voll Glanz, doch seiner Herrschaft Glück zu wandelbar.

8. Ach um all die Qual in dieser netzumstellten Welt!
Ach um all die Lust in jener wonnereichen Schar!

9. Sahst du stolz das Rebhuhn wandeln, Hafis, hellen Schalls,
Das vom Falken des Geschicks nicht ahnete Gefahr?
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25.

1. Vor Ewigkeit, als deine Schönheit
Sich zeigte schleierlos,
Entstand die Liebe, welche Feuer
Rings in die Schöpfung goß.

2. Den Glanz um ihre Wangen schaute
Der Engel und blieb kalt:
Im Zorne zu den Menschen wandte
Sich ihre Glutgewalt.

3. Anzünden an den Funken wollte
Sein Lämpchen der Verstand,
Ein Blitz der Eifersucht erglänzte,
Die Welt geriet in Brand.

4. Zu schauen das Geheimnis hatte
Der Widersacher Lust,
Doch eine Hand kam aus der Höhe
Und stieß ihn vor die Brust.

5. Im Schicksalslotto setzen andre
Auf Lebensfreude ein;
Ein Herz, das weherfahrne, setzte
Nur auf das Weh allein.

7. Den Freudenbundesbrief der Liebe
Schrieb Hafis an dem Tag,
Als mit des Griffels Strich er tilgte
Des Lebens Lustertrag.
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26.

1. Ich, und dem Wein entsagen! was soll das Sagen sein?
Sollt' ich so unverständig in alten Tagen sein?

2. Der ich mit Pauk' und Zimbel den Heilsweg brach bei Nacht,
Sollt' ich des Wegs nun kriechen? was soll das Sagen sein?

3. Ganz schlug ich noch zur Schenke nicht ein den rechten Weg;
Ganz muß erst in den Wind recht die Scheu geschlagen sein.

4. Fehlt dieser Weg dem Frommen, entschuldigt ihn! Der Weg
Wird ohne Gottes Leitung nicht einzuschlagen sein.

5. Ich bin der Knecht des Wirtes, der mich von Wahn befreit;
Was unser Herr uns auflegt, das wird zu tragen sein.

6. Der Frömmling und sein Beten, ich und mein Rausch, wer weiß,
Wem Gnade wird zu schenken, wem zu versagen sein!

7. Nachts ließ es mich nicht schlafen, daß ein Gelehrter sprach:
"Wenn Hafis wieder zechet, wird Grund zu klagen sein."
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27.
Der Dichter bittet um seine rückständige Besoldung

1. Das Grün der Fluren atmet, und Frühlingslüfte wehn;
Wenn die Besoldung eingeht, soll sie in Wein aufgehn.

2. Der Morgenvogel zwitschert: "Wo ist der Weinkrug, wo?"
Die Nachtigall ist trunken, die Rose läßt sich sehn.

3. Ins Feuer will ich werfen die Kutte, weil der Wirt
Sich weigert, für ein Restchen von Wein sie zu erstehn.

4. Pflück heute von den Wangen des Schenken Rosen dir,
Weil um des Gartens Wangen die krausen Veilchen stehn.

5. Zieh nach dem Gau der Liebe nicht ohne Führer aus:
Denn wer hier ungeleitet will gehn, wird irregehn.

6. Wer in des Kinnes Apfel des Schönen hier nicht biß,
Dem wird im Paradiese der Früchte Schmack entgehn.

7. Des Schenken Schmeicheleien, sie rissen so mich hin,
Daß ich von allen andern nichts hören mag noch sehn.

8. Des Liebesweges Wunder, Geselle, sind gar viel,
Hier kann der kühne Löwe dem Reh nicht widerstehn.

9. Beklage nicht den Kummer! denn in des Suchens Pfad
Wird nicht die Wonne kosten, wer nicht geschmeckt die Wehn.

10. Um Gottes willen, Hilfe! o Führer zum Haram!
Denn in der Liebe Wüst' ist ein Ende nicht zu sehn.

12. Gepflückt hat keine Rose Hafis vom Schönheitshag;
Es scheint kein Hauch der Großmut in diesem Hain zu wehn.

13. Der Frühling geht vorüber, o Helfer, komm und hilf!
Die Zeit verstreicht, und Hafis hat keinen Wein gesehn.
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28.

1. Noch ist das Geheimnisschatzhaus unerschlossen wie vorher,
Noch der Liebe Schrein versiegelt und verschlossen wie vorher.

2. Liebende sind noch ein Häufchen törichter Vertrauender,
Drum das Auge perlenregnend ist ergossen wie vorher.

3. Frage nur den Morgenwind, ob ich nicht habe jede Nacht
Deiner Locken Duft zu meinem Schlafgenossen wie vorher.

4. Niemand achtet nur Verdienste, doch es lassen Sonn' und Tau
Edelstein und Perl' in Schacht und Meere sprossen wie vorher.

5. Die mir heimlich abgenomm'ne, meines Herzbluts Röte, zeigt
Sich in deines Lippenpaars Korallensprossen wie vorher.

6. Komm zu dem von deiner Braue Todeswunden zum Besuch!
Denn er sieht sich um nach deinen Glutgeschossen wie vorher.

7. Deines Haares Mohren sagt' ich: Treib' nicht Straßenräuberei!
Doch er treibt sein altes Handwerk unverdrossen wie vorher.

8. Trag uns wieder die Geschichten von des Auges Quellflut vor,
Hafis! denn es fließt und ist noch unzerflossen wie vorher.
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29.

1. Nirgends kann ich Freunde sehen; ihnen allen, was geschah?
Allen, die genährt des Herzens Wohlgefallen, was geschah?

2. Trübe ward des Lebens Wasser, wo ist Chisers Segenstritt?
Rose bleicht, und keine Frühlingslüfte wallen, was geschah?

4. Auf der Reitbahn hingeworfen liegt der Huld und Ehre Ball;
Daß kein Reiter naht und schlagen will den Ballen, was geschah?

5. Hunderttausend Rosen blühen, und kein Vogelsang erwacht;
Was begegnete den Sprossern, Nachtigallen, was geschah?

6. Sohra's Laute schweigt am Himmel, ist sie wohl wie Holz verbrannt?
Niemand schmeckt den Rausch, den leeren Schenkwirthallen, was geschah?

7. Eine Stätte war der Freude, eine Stadt der Freude hier;
Wo ist hin der Freudenherrscher? den Vasallen, was geschah?

8. In der Großmut Schachte wächst seit manchem Jahre kein Rubin;
Will dazu nicht Sonne scheinen, Tau nicht fallen, was geschah?

9. Hafis, das Geheimnis Gottes kennt kein Mensch, o schweige nur!
Wen willst du darüber fragen, uns und allen, was geschah?

Chiser: der Zeitgenosse des Moses, Hüter des Lebensquells der ewigen Jugend.
Selber ewig jung durchwandert er die Welt.
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30.

1. Der Wein nahm mich wieder mir selbst aus der Hand,
Er hat mich mit mächtiger Hand angerannt.

2. Sei tausendmal Heilgruß dem rötlichen Wein,
Durch den mir die Blässe vom Antlitze schwand.

3. Ich segne die Hand, die den Weinstock gepflanzt:
Nie lahm sei der Fuß, der die Kelter bestand!

4. Zurück nicht zu weisen ist Himmels Geschenk,
Mir ward von dem Himmel die Liebe gesandt.

5. Was prahlst du mit Weisheit? Im Tod ist sich gleich
Ein Plato der Stadt und ein Kurde vom Land.

6. O lebe du so in der Spanne der Zeit,
Daß, wann du gestorben, nicht tot wirst genannt.

7. In Ewigkeit läßt nicht Hafis von dem Wein,
Von Ewigkeit ist ihm der Becher verwandt.
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31.
Nach dem Tod eines Freundes

1. Der Freund, durch den mein Haus ein Feenschloß war,
Der selbst von Kopf zu Fuß ein Feensproß war;

2. Verständ'ger Blicke Ziel war jener Mond, der
So sittig ein wie sinniger Genoß war.

3. Das Herz sprach: "Bei ihm kehr' ich ein"; nicht wußt' es,
Daß abgereist er auf dem dunklen Roß war.

4. Aus meiner Hand nahm ihn ein Stern des Neides;
Was konnt' ich tun, da so bestimmt mein Los war?

5. Nicht mir allein zerriß des Herzens Vorhang
Der Himmel, des Geschäft stets dieses bloß war.

6. Schön war's am Rand des Bachs am Rosenhag, ach!
Daß so vorübergehend der Genuß war.

7. Das war die schöne Zeit, die mit dem Freunde
Hinging, indes das übrige Verdruss war.

8. Aus Eifersucht will Nachtigall sich töten,
Daß Rose lüstern nach des Ostwinds Kuß war.

9. Entschuldige dich, Herz, du warst ein Bettler,
Da er der Schönheit Fürst von Kopf zu Fuß war.

10. Dem Hafis ward kein ander Glück beschieden,
Das nicht ein Nachtgebet und Morgengruß war.
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32.
Zur Rückkehr des Schah Mansur nach Schiras,
woraus ihn Feinde vertrieben hatten


1. Früh war das wache Glück zu meinem Bett herbeigekommen,
Sprach, aufstehn' sollt' ich, weil der Fürst der Anmut sei gekommen.

2. Steh auf, trink einen Becher Wein und geh berauscht, zu schauen
Den Pomp, mit dem der Hoheit Bild in Siegesweih gekommen.

3. Gib Botenlohn, Einsiedler, der gern Moschusblasen öffnet,
Weil nun das Moschusreh ist aus der Tatarei gekommen.

4. Der Wange, der verbrannten, gab die Träne Wasser wieder,
Zu Hilf' ist armen Liebenden ihr Hilfgeschrei gekommen.

5. Gib Wein, o Schenk, und kümmere nicht mehr um Freund und Feind dich!
Denn weggegangen ist der Feind, der Freund herbei gekommen.

6. Nach einem Bogenbrauigen verlangt des Herzens Vogel;
O Liebestaube, sieh, es ist der Königsweih gekommen.

7. Als von der Nachtigall der Ost Hafisens Wort vernommen,
Ist in den Würzegarten er mit Spezerei gekommen.
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33.

Meiner Freiheit mich berühmen mocht' ich gar sehr viel;
Aber wo die Liebe herrschte, ward ich gar servil.

Ziemlich baulich steht die Welt noch, die schon manchem scheint
Zu zerfallen, weil er selber mit der Welt zerfiel.

Niemals ist mir eingefallen in betrübter Zeit
Auch betrübt zu sein; nicht klug ist, wer darauf verfiel.

Mit dem Becher in der Hand verteidigte sich einst
Freimund tapfer, als der Kummer über ihn her fiel.

Neulich kam der Rausch zur Schenke, drehte sie im Kreis,
Stehen blieb, wer konnte stehen, und wer fiel, der fiel.
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34.

1. Frühlingswölkchen sind gekommen, und ein Neujahrslüftchen haucht;
Sänger, sag: ist eingegangen, was der Mensch zum Weine braucht?

2. Rings seh' ich die Schönen prunken, und des Beutels schäm' ich mich;
Himmel, soll mir keine Hilfe kommen, daß die Scham verraucht?

3. Großmuts-Mißjahr, dir verkauf' ich meiner Wange Wasser nicht;
Lieber sei um diese Kutte Wein und Rosen eingekauft.

4. Ohne Zweifel steht vom Glücke Gutes mir bevor, denn heut
Hat mich, als ich betete, der wahre Morgen angehaucht.

7. Wer zum Preise deiner Milde hat gesagt, was ich gesagt?
Aber wer von deiner Härte hat geschaut, was ich geschaut?

8. Wenn nicht bald der liebe Sultan Gnade läßt für Recht ergehn,
Bleibt der armen Winkelsitzer Freuenhoffnung ausgerauft.

9. Wer auf Hafis schoß, ich weiß nicht, den Liebhabertötepfeil;
So viel weiß ich, seine frischen Lieder sind in Blut getaucht.
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35.

1. Lang ist's, daß mein Herzbesitzer keinen Kuß gesandt hat,
Daß er mir kein Wort geschrieben, keinen Gruß gesandt hat.

2. Briefe hab' ich viel gesendet, weil der Fürst der Reiter
Keinen Anfang eines Briefchens, keinen Schluß gesandt hat.

3. Ach, daß er nach mir, dem scheuen, sinnverstörten Wilde,
Keines Spähers Fährte, keines Boten Fuß gesandt hat!

4. Wußt' er doch, daß mir des Herzens Vogel wollt' entrinnen;
Ach, daß er mir nur ein Härchen zum Verschluß gesandt hat.

5. Weh, der zuckerlipp'ge Schenke weiß, daß mir vom Rausche
Weh ist, ohne daß er einen Labeguß gesandt hat.

6. Wie ich Geistesreichtums auch mich rühmen mocht', ein Armer
Bin ich, dem er nichts von seinem Überfluß gesandt hat.

7. Hafis, sei bescheiden! Welchen Anspruch darfst du machen,
Wenn der Sultan einem Knechte keinen Gruß gesandt hat.
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36.

1. Aus dem Sinn will eines, was mir liegt darin, nicht gehn,
Eine wandelnde Zypresse aus dem Sinn nicht gehn.

2. Aus dem Hirn des wirresn Hauptes wird dein Wangenbild
Mir trotz Himmels Ungunst, Weltlaufs Ungewinn nicht gehn.

3. Mit dir schloß ich im Beginn der Welt den Bund, und will
Bis zum Weltend' aus dem Bund vom Anbeginn nicht gehn.

4. Alles, was im Herzen außer deiner Liebe wohnt,
Soll aus meinem Herzen, sie nur soll dahin nicht gehn.

5. Also wohnt der Liebe Schmerz in meinem Sinn, daß er,
Wenn die Sinne mir vergehn, wird aus dem Sinn nicht gehn.

6. Wenn mein Herz den Schönen nachgeht, so entschuldigt es;
Wo das kranke Heilung hofft, sollt' es dahin nicht gehn?

7. Wer nicht will, daß ihm wie Hafis schwindeln soll das Haupt,
Soll den Liebesweg, den ich gegangen bin, nicht gehn.
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37.

1. Dich zu lieben, o Baum der Ekstase!
Dich zu haben, o Traum der Ekstase!

2. Mancher, der durch ein Meer von Genuß schwamm,
Kam am Ende zum Saum der Ekstase.

3. Der Genießer und der Genuß muß
Untergehen im Schaum der Ekstase.

4. Überall, wo ich hinhör', hör' ich
Trunknen Ruf nach dem Schaum der Ekstase.

5. Wo sind Herzen, auf deren Antlitz
Du nicht hauchest den Flaum der Ekstase?

6. Wagt sich irgendein Stolz zu bäumen,
Zäumen soll ihn ein Zaum der Ekstase.

7. Hafis' Dasein von Kopf bis zu Fuße
Ward durch Liebe zum Baum der Ekstase.
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38.

1. Auf dem Markt der Liebeshändler diese Kunde rufet aus:
"Höret alle, höret all ihr Kunden dieses lockren Gau's!

2. Tage sind es, seit abhanden uns das Kind der Rebe kam,
Eigensinnig fortgelaufen ist es; kommt, o kommt heraus!

3. Den Verstand berücken kann es, nehmet euch vor ihm in acht!
Ein Rubinkleid trägt's und auf dem Haupt von Schaum ein Krönchen kraus.

4. Wer mir bringt das Bittersüße, meine Seele geb' ich drum;
Schaffet es zur Stelle, holt es, und sei's aus der Hölle Graus!

5. Das nachtirre, bittersüße, rosenfarbne, trunkne Kind,
Wenn ihr es habt aufgefunden, bringt es in Hafisens Haus!"
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39.

1. O Zeit des Heiles, wann den Freund ich einst erfrage wieder,
Wann einst der Klagbeschwichter kommt der Herzensklage wieder.

2. Dem königlichen Traumgebild zäum' ich des Auges Rappen,
Daß er mir her den Reiterherrn der Schönheit trage wieder.

3. In der Erwartung seines Pfeils das Herz vor Freuden hüpfet,
Und hoffet, daß der Jäger komm' und gern es jage wieder.

4. An seinem Wege hab' ich mich gelagert gleich dem Staube,
Um aufzustehn, sobald als er den Weg einschlage wieder.

7. In meinem Busen wird nicht mehr die Träne Wellen schlagen,
Wenn erst ich um den schlanken Wuchs die Arme schlage wieder.

8. O, was die kleinen Vögelein vom Winter Unfuhr litten,
In Hoffnung, daß einst kehreten des Frühlings Tage wieder!

9. O Hafis, meine Hoffnung ist, daß bald durch Himmelsschickung
Zum Hage die Zypresse kommt mir zum Behage wieder.
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40.

1. Die Lieb' ist nicht ein Kopfweh, das könnt' aus dem Kopf nie gehn,
Ist nicht ein Zufall, der wie hier könnt' anders auch geschehn.

2. In meiner Seel' ist deine Lieb', im Herzen nahm sie Platz,
Kam mit der Muttermilch zu mir, wird mit dem Leben gehn.

3. Das Liebesweh ist solch ein Weh, daß jeder Heilversuch
Es schlimmer macht, ob auch ihn mach' Hippokrat und Galen.

4. Ich bin der ein' in dieser Stadt, der erste jede Nacht,
Der Liebesklagruf steigen läßt empor zu Himmelshöhn.

5. Und wenn ich meiner Tränen Flut göss' in den Sinderud,
Würd' in ganz Irak alle Saat neugrün auf einmal stehn.

6. Inmitten ihrer Locken sah ich jüngst ihr Angesicht,
In solcher Art, wie um den Mond die krausen Wölkchen wehn.

7. Ich sprach: "Mit einem Kuß will ich den Anfang machen nun."
"Halt!" sprach sie, "und laß den Mond erst aus dem Skorpione gehn."

8. Hafis, wenn ihrem Mundrubin du zutrinkst roten Wein,
So hüte dich nur, daß es nicht die Widersacher sehn!
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41.

1. Der Verbannung Schmerzen klag' ich, klag' ich tief und hoh;
Ach, wenn nicht der Morgenwind dir bringt mein Ach und Oh!

2. Ach und Oh, was anders kann ich tun als klagen, da
Durch die Trennung mir geschah – dem Feind geschah es so!

3. Tag und Nacht bin ich in Kummer; sollt' ich es nicht sein?
Da ich fern von deinem Anblick bin, wie wär' ich froh?

4. Seit du mein, des Herzverbrannten, Augen bist entrückt,
O wie manche blut'ge Träne diesem Aug' entfloh!

5. Jede Wimpernspitze träufelt hundert Tropfen Blut,
Wenn mein Herz in der Verbannung ruft sein Ach und Oh.

6. Hafis deinem Angedenken weiht sich Tag und Nacht;
Und du fragst nach deinem Sklaven niemals wie und wo?
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42.
Auf den Sieg des Schah Schudscha

1. Komm, denn die Siegerfahne des Schah's ist angelangt;
Zu Sonn' und Mond die Kunde des Siegs hinan gelangt.

2. Das Glück hob von den Wangen des Siegs den Schleier auf,
Und wo wir Hilfe riefen, die Hilf' ist angelangt.

3. Der Himmel dreht sich freudig, weil angelangt der Mond,
Die Welt nach Herzenslust, weil der Schah ist angelangt.

4. Vorm Wegelagrer sicher ist nun der Reisetrupp
Von Sinn und Geist, denn an ist des Weges Mann gelangt.

5. Der Treue von Ägypten trotz Brüder-Eifersucht
Ist aus dem Schacht gestiegen, zum Sternenplan gelangt.

6. Wo ist der falsche Sufi, des Heilands Luggestalt,
Nun wir sind durch den Leiter zur rechten Bahn gelangt?

7. O Ostwind, du kannst sagen, wohin mein liebend Herz
War in Gedankentrübnis und Kummerwahn gelangt!

8. O Schah, von deinem Anblick getrennt, ging's mir hier so,
Wie's dort geht, wo beim Feuer ist an der Spahn gelangt.

9. Nur nicht geschlafen! Hafis durch waches Nachtgebet
Und Frühandacht ist glücklich zum Huldaltan gelangt.
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43.

1. Der verlorne Joseph wird nach Kanaan kehren: zage nicht:
Kummerbette wird sich zum Rosenbeet verklären: zage nicht.

2. Des betrübten Herzens Zustand wird sich bessern: sei nicht bang.
Ordnen wird sich des verwirrten Hauptes Gären: zage nicht.

3. Wenn des Lebens Frühling blühn wird, wird im Garten deinem Haupt,
Nachtigall, die Ros' ein Schattendach gewähren: zage nicht.

5. Kreist zwei Tage lang der Lauf des Himmels nicht nach unserm Wunsch,
Immer wird auf gleiche Art der Lauf nicht währen: zage nicht.

4. Nicht verzweifle, wenn du des Geschicks Geheimnis nicht erkennst:
Ein verborgnes Spiel ist hinter jenen Flören: zage nicht.

7. Wühlt der Gießbach der Vernichtung deine Vesten auf, o Herz,
Noah ist dein Fährmann aus der Flut des Zähren: zage nicht.

8. Wenn gefahrvoll sind die Stationen, und das Ziel ist fern,
Doch kein Weg ist, dem gesteckt nicht Grenzen wären: zage nicht.

6. In der Wüste hebt Verlangen nach der Kaaba deinen Schritt;
Wenn der Dorn Moghilan auch dich wird versehren: zage nicht.

9. Unser Zustand und der Liebsten Abschied und des Feindes Drang -
Alles weiß Gott, der es wird zum Besten kehren: zage nicht.

10. Hafis, in der Armut Winkel, in der Einsamkeit der Nacht,
Weil du sprichst Gebet und übst des Koran Lehren, zage nicht.

Moghilan: ein Dornenbaum, der an der Pilgerstraße
von Damaskus nach Mekka wächst.
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44.

1. Ich bin's, in dessen Auge des Freundes Schönheit floß:
Wie dank' ich es dem Schöpfer, daß er's zum Sehn erschloß.

2. Sag' dem Bedürftigen: "Wasche die Wange nicht von Staub:
Nur dem Bedürfnisstaube entkeimt des Glückes Sproß."

5. Nicht vor des Weges Mühsal die Zügel wend', o Herz:
An Auf und Nieder denket kein Liebesweggenoß.

4. Wenn sich im Blut des Herzens der Liebende nicht wäscht,
Ist sein Gebet nicht gültig nach unsres Mufti's Schluß.

8. Der Liebe unbedürftig ist deine Schönheit wohl,
Doch ich darum nicht sag' ich vom Liebesspiel mich los.

10. Ein Schmeichelblick der Schönheit, das ist der Zweck: denn sonst
Nicht braucht Ejasens Locken Mahmudens Königsschloß.

3. Und um zwei Tropfen, die du, o Aug', hast hingestreut,
Wie oft dafür dein Spiel schon des Glückes Wang' umfloß!

9. Was soll ich viel dir sagen, was ich im Brand erfuhr?
Es schweigt das Herz: du frage der Tränen Plaudertroß.

7. An diesem Ort des Scheines, o fasse nur das Glas:
In diesem Haus des Spieles, o spiele Liebe bloß.

6. Vom Zwischenträger Ostwind, was hätt' ich wohl von dem?
Ein grader Freund im Garten bist du, Zypressenschoß.

11. Das Lautenspiel Anahids macht kein Geschäfte da,
Wo dein Ghasel, o Hafis, den Ton der Lieb' ergoß.

Anahid: Göttin des Lautenspiels und Gesanges, Venus.
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45.

1. Laß Freudennaß in goldne Schal' uns wohlbeflissen werfen,
Eh' auf des Hirnes Schale man wird staub'ges Kissen werfen.

2. Die letzte Einkehr ist für uns das Tal des dumpfen Schweigens:
An's Himmelsdach jetzt einen Schrei der Lust wir müssen werfen.

3. Getrübtes Aug' ist weit entfernt von des Geliebten Wange:
Laß einen Blick auf ihn uns frei von Finsternissen werfen.

6. Du weißt, daß dieses Saatgefilds Besitz uns nicht Bestand hält;
Komm auf die Welt, laß Feuer uns in Bechergüssen werfen.

7. In Blut gewaschen hab' ich mich, weil unsre Weisen sagen:
"Sei rein erst, wenn dem Reinen zu du willst ein Grüßen werfen."

4. Beim grünen Haupt beschwör' ich dich, Zypresse, wenn ich Staub bin,
Sollst ohne Stolz du Schatten mir aufs staub'ge Kissen werfen.

5. Dem Herzen, das verwundet ist von deiner Locken Schlangen,
Sollst du aus deinem Munde zu den Theriakbissen werfen.

8. Gott! dem selbstsücht'gen Frömmling, der nichts als Gebrechen siehet,
Du mögest unsrer Seufzer Rauch ihm ins Gewissen werfen.

9. Zerreiß dein Kleid, wie Rosen tun, im Duft des Freunds, o Hafis,
Und zu des Schlanken Füßen hin laß uns zerrissen werfen.

Freudennaß: Wein.
Theriakbissen: Mastix, eine Art Harz, im Orient von den Schönen
als Kaumittel benutzt, um den Atem wohlriechend zu machen.
Den gekauten Theriak einem andern in den Mund zu stecken,
gilt als Zeichen höchster Gunst.
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46.

1. Mich bestrickt ein Schelmenaug', ein Herz voll Truggewebe,
Störenfried und Herzensmörder, dem ich mich ergebe.

2. Dem geschlitzten Hemd der Mondantlitz'gen sind geopfert
Tausend Kleider strenger Zucht und Frömmigkeitsgewebe.

3. Engel wissen nicht, was Lieb' ist – lasse du die Märe!
Nimm das Glas, und geuß auf Adams Staub das Blut der Rebe.

5. Ein Verehrer bin ich solchen Worts, das Feuer schüre,
Nicht mit kalter Flut das Feuer dämpfe statt belebe.

7. Sei nicht stolz auf deinen Arm, mein Sultan, denn geheim sind
Tausend Schicksalsstreiche, die zertrümmern Herrscherstäbe.

4. Ein zerbrochner Bettler nah' ich deinem Thron: Erbarmung!
Denn nicht hab' ich außer deiner Huld, woran ich schwebe.

6. Komm, der Schenke Himmelsherold hat gesagt mir gestern:
"In Ergebung leb', und gegen Gottes Macht nicht strebe."

8. Bindet mir ans Leichenhemd den Becher, daß ich trinke
Wein am Auferstehungstag, und vorm Gericht nicht bebe.

9. Zwischen Liebenden und Liebsten keine Scheidewand ist:
Du bist selbst dein Schleier, Hafis: komm, hinweg dich hebe.
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47.

1. O Herz, das günstige Glück ist dir Weggeselle genug,
Der Hauch der Gärten von Schiras dir Lebensquelle genug,

2. Vom Gau der Liebsten, o Derwisch, verweise dich nicht mehr:
Gedankenreise für dich ist und Klosterzelle genug.

3. Gewohnte Lüfte der Heimat und alter Bund mit dem Freund
Beim Wandersmann dich entschuldigt auf alle Fälle genug.

5. Und wo des Herzens Gebiet Gram mit Überfalle bedroht,
Ist dir zum Orte der Zuflucht des Wirtes Schwelle genug.

4. Wenn in der Schenke den Vorsitz du führest und fassest das Glas,
Das auf der Welt ist Erwerb dir und Ehrenstelle genug:

6. Begehre mehr nicht und leicht nimm das Ding auf dich, dir ist
Die Flasche Weins und ein Abgott, der mondlichthelle, genug.

7. Des Wunsches Zügel allein gibt dem Unverstande das Glück:
Du bist verständig: das ist dir Verschuldung grelle genug.

8. Du brauchst kein anderes Tagwerk: dir, Hafis, ist das Gebet
Der Mitternacht und die Andacht der Morgenhelle genug.

9. O such nicht andre Verpflichtung; von beiden Welten ist dir
Des Himmels Gnad' und des Schahs Huld an deiner Stelle genug.
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48.

1. Es bracht' ein Bote des Himmels zu meinem Ohre den Gruß:
"Die Zeit des Schahes Schudscha ist, erlaubt ist Weines Genuß.

2. Vorbei ist's, daß die Verständ'gen das Ufer schlichen entlang
Mit tausend Worten im Munde und Lippen unter Verschluß."

3. Nun kund mit Lautengetöne will die Geschichten ich tun,
Die zu verbergen der Kessel des Herzens kochte Verdruß.

4. Ich, der ich heimlichen Hauswein und Furcht des Vogtes geschmeckt,
Ich zeche jetzt mit Getöne bei schöner Jünglinge Kuß.

5. Heut aus der Gasse des Schenkwirts hat man auf Schultern geschleppt
Den Herrn Imam, der auf Schultern den Teppich schleppen sonst muß.

6. Mein Herz, ich deute zum Guten dir an die Pfade des Heils:
Nicht brüste du dich mit Liebe, und auch nicht prunke mit Buß'!

9. Der Reichsgeschäfte Geheimnis verstehn die Fürsten allein:
Du winkelsitzender Bettler, schweig, Hafis, ohne Verdruß.

7. Des Schahs erleuchteter Sinn ist die Einkehr göttlichen Lichts:
Wenn seine Nähe du suchest, sei rein von Kopf bis zu Fuß.

8. Nichts mach' als seine Lobpreisung zum Tagwerk deines Gemüts:
Fürwahr, sein geistiges Ohr ist vertrauter englischem Gruß.
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49.

1. Aller Liebreiz, alle Anmut ist auf seiner Wang' entfacht,
Nur die Lieb' und Treue fehlt ihm: hätt' ihm Gott die zudedacht!

2. Mein Herzliebster ist ein Kind, er wird mich spielend eines Tags
Töten, ohne daß des Blutes das Gesetz ihn schuldig macht.

3. Es ist besser, daß mein Herz ich nehme gut in acht vor ihm,
Denn er kennt nicht Gut und Böses, und er nimmt es nicht in acht.

4. Einen Abgott, vierzehn Jahr alt, hold und zierlich, hab' ich, dem
Von dem Monde, vierzehn Tag' alt, Huldigung wird dargebracht.

5. Ein Geruch der Milch aus seiner Zuckerlippe atmet noch,
Aber Blut der Herzen träufelt, wo sein schwarzes Auge lacht.

7. Mein Herzliebster, wenn das Herz er also schlägt, so wird der Schah
Ihn zum Feldherrn wählen, daß er schlägt das Herz der Feindesmacht.

6. Auf der Spur der jungen Rose, lieber Gott, wo ist mein Herz
Hingelaufen, denn ich hab' es nicht gesehn seit Tag und Nacht?

8. Meine Seele geb' ich dankbar aus, wenn jene Perle zart,
Um zu ruhn, die Brust von Hafis einst zu ihrer Muschel macht.
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50.

1. Die junge Lächelros', o Gott, die du mir hast geschenket,
Erhalte sie vom Neiderblick des Gartens ungekränket.

2. Ob sie vom Gau der Treue fern lebt hundert Stationen,
Doch jede Unbill des Geschicks sei fern ihr abgelenket.

3. Ei, Ostwind! Wenn zur Einkehr du des Freundes kommst, ich hoffe,
Du bringest meinen Gruß ihm zu, eh' er sich weiter schwenket.

4. Fein sittig mach' ein Düftchen los aus jener dunkeln Locke:
Sie ist der Liebesgeister Zelt, und werde nicht verrenket.

5. Sag': "Einen Treubund hat mein Herz mit deinem Bart und Male,
Drum in des Haares Ambranetz verwahr' es wohl verschränket.

6. Am Orte, wo man trinkt aufs Angedenken deiner Lippe,
Schlecht ist der Zecher, der, berauscht von dir, an sich noch denket."

7. Zur Tür der Schenke kommt man nicht, um Ehr' und Gut zu sammeln:
Wer dieses Wasser trinkt, ins Meer sein Bündel sei versenket.

8. Verdruß wer scheut, dem ist verpönt der Liebe Sorge, unser
Haupt und dein Fußtritt, oder unser Mund, den deiner tränket.

9. Hafisens Lied ist ganz und gar der Gottesweisheit Grundreim:
Heil seines Wortes süßem Hauch, des Anmut Herzen lenket.
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51.

1. Mein Körperstaub ist der Schleier, der Seelenantlitz umwebt:
O Augenblick, da vom Antlitz mir einst der Schleier sich hebt!

2. Nicht solch ein Käfig ist würdig solch eines Sängers wie ich:
Ich will zum Garten von Ridhwan, wo ich als Vogel geschwebt.

3. Mir ward, warum ich gekommen und wie ich gegangen, nicht klar:
O schad' und wehe, wie achtlos ich meines Standes gelebt!

4. Wie soll ich feiernd umkreisen den Tempel heiliger Welt,
Wenn im Gebäude des Stoffes ich an den Leib bin geklebt?

5. Mir, dem die Bühne der Huris zur Stätt' und Wohnung gebührt,
Wie ward im Gau der Berauschten der Aufenthalt mir erstrebt?

6. Vom Liebesdufte mein Herzblut verhaucht, o wundre dich nicht!
Vom Schmerz der Blase Chotens hat das Mitgefühl mich durchbebt.

7. Mein Hemde, golden gestickt gleich der Kerz', o sieh nicht darauf,
Weil unterm glänzenden Hemd sich der Brand des Innern begräbt.

8. O komm, sein eigenes Dasein, o nimm's von Hafis hinweg,
Daß niemand möge, wo Du lebst, erfahren, daß Ich gelebt.

Ridhwan (Riswan): der Gärtner und Wächter des Paradieses.
Huris: die schwarzäugigen ewig jungfräulichen Mädchen des Paradieses.
Choten: der Name des Landes, aus dem der beste Moschus kommt.
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52.

1. Auf! daß die Weisheitskutte wir zur Liebesschenke bringen,
Ja Ordenskleid und Regel auf den Markt der Schwänke bringen,

3. Daß alle Klausner in die Hand den Frühlingsbecher nehmen,
Weil wir die Morgenlaute hin zum Herrn der Tränke bringen,

5. Und, wenn uns in den Weg den Dorn des Tadels legt ein Frommer,
Wir ihn vom Rosenbeet zur Haft in Strafgeschränke bringen.

6. O welche Schmach vor unserm Kleid, dem weinbefleckten, wenn wir
Bei soviel Heil noch Heiligkeit in Angedenken bringen.

7. Wenn nicht erkennt den Wert der Zeit das Herz und ein Geschäft macht,
Wird der Ertrag der Zeit die Scham ihm zum Geschenke bringen.

9. Wie lange gehen wir irre noch in Wüsten des Verlangens?
Und fragen nicht, wie unsern Weg wir ins Gelenke bringen?

8. Anfechtung regnet es herab vom Himmelsdach: geschwind laßt
Im Weinhaus uns in Sicherheit vor aller Kränke bringen,

11. Daß wir die Pauke deines Ruhms an Gottes Throne schlagen
Und deine Liebeswissenschaft auf Himmelsbänke bringen,

12. Den Liebesstaub aus deinem Gau ins Feld der Auferstehung
Auf unsrer Häupter Scheitel all das Schmuckgepränge bringen.

13. Nicht geuß vor jeder niedern Tür dein Wangennaß, o Hafis:
Laß uns vor Richter höh'ren Rangs nur unsre Ränke bringen.
___________
 


53.

1. Gib nicht dem Winde dein Gelock, daß ich in Wind nicht gehe:
Nicht führe aus des Hochmuts Bau, daß nicht mein Bau verwehe.

2. Erleuchte deine Wange, daß ich Rosenblatts entbehre:
Erhöhe deinen Wuchs, daß von Zypress' ich frei mich sehe.

4. O trinke Wein mit andern nicht, daß ich nicht Herzblut trinke:
O steige nicht so stolz, daß nicht zum Himmel steigt mein Wehe.

3. O werde mir nicht stadtberühmt, daß ich nicht flieh' in Berge:
Zeig mir nicht Schirins Groll, daß nicht wie Ferhad mir's ergehe.

7. Sei Kerz' in jedem Kreise nicht, daß du mich nicht verbrennest:
Nicht wende dich zu jedem, daß ich mich von dir nicht drehe.

9. Sei nicht wie Himmel ungerecht, daß du nicht Hafis tötest:
Sei kirre, daß durch mein Gestirn des Glücks mir Recht geschehe.
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54.

1. Ich sag' es laut und öffentlich und freue mich dabei:
Ich bin der Liebe Sklav', und drum von beiden Welten frei.

2. Ich Vogel Edens, ach, wie tu' ich meine Trennung kund,
In diesen Garnort des Geschicks wie ich gefallen sei?

3. Ein Engel war ich, und mein Ort das höchste Paradies:
Herabgebracht hat Adam mich in diese Wüstenei.

4. Der Schatten Tubas, Quellenrand und Huris Lieblichkeit,
Entschwunden sind sie meinem Sinn durch deine Zauberei.

5. Die Sterne meines Schicksals hat kein Astrolog erkannt:
O Gott, zu welchem Lose gab mir Mutter Welt die Weih'?

6. Seit ich geworden, ohrgeringt, der Liebesschenke Knecht,
Bringt jeder Hauch mir neuen Schmerz, der mir gesegnet sei.

7. Der Mann in meinem Auge trinkt des Herzens Blut – mit Recht:
Warum auch gab mein Herz ich hin der Liebe Schmeichelei?

8. Nur einen Strich – des Freundes Wuchs – zeigt meiner Seele Blatt:
Was soll ich tun? Nichts brachte mir als das der Lehrer bei.

* Mein Vater, meine Mutter – nicht leibeigen waren sie:
Leibeigen aber ward ich dir, wiewohl von Abkunft frei.

9. O trockn' Hafisens Antlitz ab mit Spitzen deines Haars:
Wo nicht, so bricht der Tränenstrom des Lebens Bau entzwei.

Tuba: der Baum des Paradieses.
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55.

1. Dein Schönheitsbild vor die Werkstatt des Auges hab' ich getragen:
Dir Gleiches kenn' ich von Seh'n nicht und auch nicht Gleiches von Sagen.

2. Nach Sultanswürde verlangt' ich, bei dir drum sucht' ich die Knechtschaft:
Auf Herrscherherrlichkeit hofft' ich, drum wollt' ich Dienste dir tragen.

3. Wiewohl ich Schritt mit dem Nordwind im Suchen halte, doch konnt' ich
Den Staub vom Wandelzypressbaum von deinem Wuchs nicht erjagen.

4. Ich band am Tage des Bundes an deine Locken die Hoffnung:
Vor deinem Munde doch mußt' ich des Herzens Wünschen entsagen.

5. Die Schuld des Auges, des schwarzen, und seine Feindlichkeit war es,
Daß menschenscheu wie ein Reh ich bin in die Wüsten verschlagen.

6. Nach jenem Quelle der Labung, wie goß ich Tropfen der Sehnsucht:
Vom Weinverkäufer Rubinmund, wie kauft' ich reizende Plagen.

7. Aufs wunde Herz, o wie schossest du von den Wimpern die Pfeile:
In deinem Gau, o wie trug ich nicht Lasten Grams mit Behagen.

8. Vom Gau des Freundes, o Lufthauch des Morgens, bring mir ein Stäubchen:
Ein Duft von Blut und vom Herzbrand ist nur von dort zu erfragen.

9. Mein Haupt bestrich wie die Knospe vom Gau ein Hauch, und es sprengte
Sein Duft den Schleier der Sehnsucht ums Herz voll blutiger Klagen.

10. Beim Staub dir unter dem Fußtritt, beim Licht des Auges von Hafis,
Ich schwör' es, ohne dein Antlitz kann Auges Lampe nicht tagen.
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56.

1. Komm, Liebesgruß, daß ich aus mir zur Huldigung mag aufstehn,
Ich Vogel Edens aus der Welt mit Flügelschwung mag aufstehn.

2. Bei deiner Huld! ich schwör's, wenn du mich deinen Sklaven nennest,
Daß ich vom Thron der Welt zur Selbstentäußerung mag aufstehn.

4. O komm und sitz auf meinem Grab mit Wein und Flötenspieler,
Daß ich vom Staub an deinem Duft zu Tanz und Sprung mag aufstehn.

5. Alt bin ich zwar, doch fasse mich eng eine Nacht in Armen,
Daß morgens ich von deinem Schoß verwandelt jung mag aufstehn.

* O glaube nicht, daß jemals ich vom Staube deines Gaues
Durch Schicksalsdrang und durch der Zeit Bewältigung mag aufstehn.

6. Steh auf, und zeige deinen Wuchs, o schlankbewegter Abgott,
Daß ich wie Hafis aus mir selbst, zur Huldigung mag aufstehn.
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57.

1. Ei, dein Antlitz mondengleich ein Sonnenbrand der Schönheit,
Und das Mal auf deiner Wang' ein Unterpfand der Schönheit,

2. Heimlich dir im Aug' voll Rauschs ist die Kunst des Zaubers,
Klar im Haar voll Unbestands ist der Bestand der Schönheit.

3. Nie ein Mond hat wie dein Bild gestrahlt im Sternenkreise,
Nie Zypresse wie dein Wuchs gesproßt am Strand der Schönheit.

4. Glänzend ward durch deinen Reiz die Macht der Herzbefehdung,
Klar durch deine Lieblichkeit die Oberhand der Schönheit:

5. Vor der Schlinge deiner Lock' und deines Mundes Körnchen
Bleib kein Herzensvogel, der nicht fiel ins Band der Schönheit.

6. Darum sproßt die Veilchensaat so frisch um deine Lippe,
Weil sie Lebenswasser trinkt am Quellenrand der Schönheit.

8. Hafis gibt die Hoffnung auf, zu finden deinesgleichen;
Denn es ist kein Landsmann außer dir im Land der Schönheit.
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58.

1. Bin ich ihres Weges Staub, sie schüttelt ihr Gewand von mir:
Sag' ich: "Wende dein Gesicht", hat sie ihr Herz gewandt von mir.

2. Ihre farb'ge Wange zeigt sie wie die Rose jedermann:
Sage ich: "Verhülle dich", ist sie verhüllt entrannt von mir.

3. Sterb' ich vor ihr wie die Kerze, lacht sie wie das Morgenrot,
Und wie ich in Schmerz verbrenne, geht sie zornentbrannt von mir.

4. Meinem Auge sag' ich: "Siehe doch einmal dich satt an ihr."
"Willst du," sprach es, "daß ein Blutstrom werden soll der Kant von mir?"

5. Sie nach meinem Blut und ich nach ihrem Munde durst' ich, was
Wird es? wird mein Wunsch mir oder Rache ihrer Hand von mir?

7. Wenn die Seele mir wie Ferhad bitter ausgeht, zag' ich nicht:
Eine süße Schirinsage bleibet noch im Land von mir.

8. End', o Hafis: liesest du Collegien der Liebe so,
Raubt aus jeder Eck' ein Liebeszauber den Verstand von mir.
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59.

1. O weißt du, welch ein Glück ist, an Freundesblick sich weiden,
In seinem Gaue betteln und Kön'ge nicht beneiden?

2. Leicht ist es, mit der Hoffnung zu scheiden von der Seele,
Doch von dem Seelenfreunde schwer ist es sich zu scheiden.

3. Ich will gepreßten Herzens zum Garten wie die Knospe,
Und mich in Liebesnamen der engen Hüll' entkleiden,

4. Bald wie der Ost mit Rosen vom Herzgeheimnis kosen,
Bald von den Nachtigallen vernehmen Liebesleiden.

6. Benutz' die Zeit des Umgangs, denn im zweipfort'gen Gasthof
leicht kommen wir nicht wieder zusammen wie wir scheiden.

5. Wenn du des Freundes Lippe versäumest jetzt zu küssen,
Wird des Verdrusses Zahn einst dir in die Lippe schneiden.

7. Du sagst: "Es hat den Hafis der Schah Mansur vergessen."
Gott mahne ihn, dem Bettler die Nahrung zu bescheiden.
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60.


1. Von Moschushyazinthen gib dem Rosenbeete Flöre,
Das ist: mit Locken deck die Wang', und diese Welt verstöre;

2. Vergeuß den Schweiß vom Angesicht und rings des Gartens Räume
Wie unsrer Augen Becher all mit Frühlingstau durchröhre.

3. Tu die Narzisse schalkhaft auf, die schlummerschwere, trunkne,
Daß eiteler Narzissen Aug' der Neid wie Schlaf beschwere.

7. Wie deine Art und Sitt' es ist, die Liebenden zu morden,
So trinke Wein mit Feinden nur, und schilt der Freunde Chöre.

6. O laß vom Becher deinen Blick als wie die Blase aufgehn,
Und von des Weltbaus Festigkeit die Blase dich belehre!

4. Die Zeit der Rosen zeigt zu gehn, als wie das Leben, eile:
O Schenk, den rosenfarbnen Wein mit Eiligkeit beschere.

5. O riech den Duft der Veilchen, und das Haar der Schönen fasse,
O schau der Tulpe Farben, und den vollen Becher leere.

8. Hafis sucht Liebeseinigung im Wege des Gebetes:
Der Armen, Herzgebrochenen Gebet, o Herr, erhöre!
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61.

1. Ich bin's, der stadtberühmt ist durch Liebesknotenweben,
Ich bin's, an dessen Augen nicht böse Blicke kleben.

2. Wir üben Treu', und wagen den Tadel, und sind fröhlich;
Denn Todsünd' ist's nach unserm Gesetz, bekümmert leben.

3. Der Schenke Alten fragt' ich: "Was ist der Weg zum Heile?":
Er nahm das Glas und sagte: "Zu decken und vergeben."

4. Was beim Beschau'n des Gartens der Welt ist unsre Absicht?
Durchs Augenmännchen Rosen von deiner Wang' erheben.

5. Im Dienst des Weines hab' ich mein Bild auf Schaum gezeichnet,
Damit das Bild der Selbstsucht mir müss' im Schaum verschweben.

7. Vom Bart des Freundes lerne die Lieb' zu schönen Wangen,
Denn um ein holdes Antlitz ist's lieblich sich zu weben.

8. O laßt uns schnell ins Weinhaus aus dieser Predigt eilen,
Denn Worten ohne Werken ziemt's nicht Gehör zu geben.

6. Auf deiner Lockenspitze Erbarmung nur vertrau' ich,
Wenn du von dort nicht ziehest, was nützt von hier mein Streben?

9. Du küsse nichts als Lippen des Liebchens und des Bechers:
Den Gleißnerhänden, Hafis, ist's Sünde Kuß zu geben.
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62.

1. O bringe, Gott! das Moschusreh ins Moschusland zurück!
Die wandelnde Zypresse bring zum Gartenstand zurück!

4. Rubine wurden Sand und Kies durch meiner Träne Kraft:
Bring, Gott, den lichten Edelstein zu Jemens Strand zurück.

3. Da Sonn' und Mond auf dein Geheiß rückkehrt zu seinem Ort,
Bring auch mein Mondgesichtchen, das sich weggewandt, zurück.

2. Zu Hilfe meinem welken Glück mit einem Hauche komm,
Das ist: die Seele bringe mir, dem Leib entrannt, zurück!

6. Wer bringt der Kräh' und Raben Gruß zu Ankas Ohren hin?
Wer bringt dem Sinn des Liebsten mich, der ihm entschwand, zurück?

5. Die Sach' ist, daß ich ohne dich nicht leben will und kann:
Das sag' ihm, Bot', und bring' mir Gruß von seiner Hand zurück.

7. Er, dessen Heimat war das Aug' Hafisens, bring, o Gott,
Nach seinem Wunsch' ihm aus der Fremd' ins Heimatland zurück.
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63.

1. Die Veilchen setzt in Verwirrung ein Lockenwallen von dir,
Und Knospen sprenget ein Lächeln der Mundkorallen von dir.

2. O meine duftende Rose, warum verbrennst du das Herz
Der Nachtigall, die Gebet läßt die Nacht durchschallen von dir?

4. Der ich den Atem der Engel verdrießlich sonst nicht ertrug,
Der Welt Geschwätz nun ertrag' ich um Liebeslallen von dir.

5. Dich lieben ist mein Verhängnis, dir angehören mein Sein,
Dein Staub mein Eden, mein Frieden das Wohlgefallen von dir.

6. Das Klausnerkleid und das Weinglas vereint ein jeder nicht leicht,
Doch ich vereine mit Fleiß das ums Wohlgefallen von dir.

7. Der Taumel deiner Berauschung wird aus dem Haupte mir gehn,
Wenn dieses Haupt in den Staub ist des Tors gefallen von dir.

3. O schau die Herrschaft der Lieb' an! Es wallt aus Stolz auf dem Haupt
Die Sultanshaube gegipfelt den Bettlern allen von dir.

8. Mein Schah, in Hallen des Auges sind Sitze nur für dein Bild:
Mein Schah, o komm doch, und leer laß nicht deine Hallen von dir.

10. O Wang', ein reizender Garten, bist du, zumal wenn im Lenz
Der Lust die Lieder von Hafis sind Nachtigallen von dir.
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64.

1. Der du schon mit langen Locken wie mit Kett' und Strick gekommen,
Glücke dir's! du bist zu aller Sinnverwirrten Glück gekommen.

4. Glut und Flut von Wang' und Lippe gießest schön du durcheinander:
Fern sei böser Blick! du bist mit art'gem Zauberstück gekommen.

2. Nur ein Stündchen sei nicht stolz! verleugne deine Fürstensitte,
Denn du bist zu eines Bettlers kläglichem Geschick gekommen.

3. Deinem hohen Wuchs frohlock' ich, biet' er Frieden, biet' er Krieg,
Denn zu Übermut und Anmut ist er gleich mit Schick gekommen.

5. Heil sei deinem weichen Herzen! Du um guten Werkes willen
Bist zum Grabgebete derer, die erschlug dein Blick, gekommen.

6. Klausnerei, was gilt sie gegen dich? Das Herz mir abzufordern
Bist in meine Klause du mit trotzigem Genick gekommen.

7. "Hafis," sprach er, "wieder ist die Kutte dir mit Wein besudelt:
Ei, bist du zu dieser Leute Sekte wohl zurückgekommen?"
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65.

1. Beglückt der ambraduft'ge Hauch, der sehnend geht durchs Land,
Der aus Verlangen auf nach dir am frühen Morgen stand.

2. O werde, Glückbeflügelter, mein Bote du! mir ward
Das Auge Wasser aus Begier nach Türstaub jener Wand.

5. Ich bin es, der den Odem noch zieh' ohne dich: o Scham!
Vielleicht vergibst du, mir sonst ist Entschuld'gung nicht zur Hand.

6. Von deinen Freunden hat gelernt den Liebesbrauch vielleicht
Das Morgenrot, daß Sehnsucht so zerreißt der Nacht Gewand.

3. Gedenkend meines magern Leibs, getränkt im Herzensblut,
Späht man das schmale Streifchen Mond in Abendrotes Rand.

4. Aus Sehnsucht deines Angesichts, wenn aus der Welt ich ging,
Wird sprossen um mein Grab statt Gras ein roter Blumenbrand.

7. O kränk' um meinetwillen nicht dein zartes Herz, denn sieh:
Bismillah spricht dein Hafis selbst nun in des Opfrers Hand.

Bismillah: (arabisch): im Namen Gottes.
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66.

1. Zur Schenke gestern ging ich, ganz von Schläfrigkeit befleckt:
Der Kleidsaum feucht, der Teppich ganz von Weingeschmeid befleckt.

2. Heraus mit einem Weheruf der Schenkwirtsknabe kam
Und sprach: "Wach auf, o Wandersmann, von Schläfrigkeit befleckt!

3. Erst nimm nach Brauch die Waschung vor, dann tritt ins Schlemmerhaus,
Damit von dir nicht sei das Haus der Reinigkeit befleckt.

5. Wie lang durch holden Knabenmunds Begierde wird von dir
Der Edelstein des Geistes mit Goldflüssigkeit befleckt?

4. Verbring die Frist des Greisentums in Reinheit, und nicht mach'
Den Ehrenrock des Alters wie der Jugend Kleid befleckt.

6. Des Liebespfads Vertraute sind in diesem tiefen Meer
Versunken, ohne daß sie hat ein Tröpfchen Leid befleckt.

7. Sei rein und lauter, steig heraus vom Schöpfbrunn der Natur,
Denn Reinheit hat dies Wasser nicht, das Erdigkeit befleckt."

8. Ich sprach: "O Weltengeist, am Buch der Ros' ist's nicht ein Fehl,
Daß es vom Wein des Taues ist zur Frühlingszeit befleckt."

9. Er sprach: "O Hafis, biet uns nicht spitzfind'ge Rätsel an."
O schad' um diese Anmut, daß sie Sprödigkeit befleckt.
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67.

1. Den Saum nachziehend ging er, von Goldgestick umflogen,
Daß alle Mondgesichter die Schleier niederzogen.

2. Von Feuerglut des Weines ein Schweiß auf seiner Wange,
Daß blut'ge Tropfen Taues die Rosen niederbogen.

4. Sein Jakut, der Beseeler, gezeugt aus Anmutswasser,
Sein Buchs, der schlanke Wandler, vom Stolze groß gepflogen,

3. Ein Mund, so süß beredsam, ein Wuchs, so leicht erhaben,
Ein Antlitz herzbezaubernd, ein Auge, schön gezogen.

5. Sieh den Rubin, den Zaubrer – das Lächeln, den Verwirrer,
O sieh den Glanz, den holden – den Schritt, von Ruh gewogen.

6.Das schwarzgeaugte Reh ist aus unserm Netz entsprungen:
Wo Rat fürs Herz, ihr Freunde, dess' Hoffnungen betrogen?

7. Ach geh, soviel du kannst, mit Verliebten sanft um! Treulos
Ist diese Welt: o Licht mir, ein Seelenhimmelsbogen!

8. Wie lang' trag' ich Verstoßung von deines Augs Erbosung?
Liebkose mir einmal, dess' Lieb' ich eingesogen.

9. Wenn deine edle Seel' ist erzürnt auf Hafis, komm nur!
Dich bitt' ich um Verzeihung, daß du mir hast gelogen.

10. Der Dienstbarkeit des Chodscha, wie kann ich ihr es danken,
Wenn diese reife Frucht sie für meinen Schoß gezogen?

Jakut: Onyx, Rubin, ein Edelstein von roter Farbe.
Chodscha: Führer, Herr, Meister.
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68.

1. Frühmorgens in der Nachtberauschung Feuer
Nahm ich den Wein, das Plektrum und die Leier:

2. Wegzehrung gab ich dem Verstand von Wein mit:
Vom Reich des Scheins gespornt mir aufwärts sei er.

3. Das schöne Schenkwirtsbild gab einen Gruß mir,
Daß ich vom Trug der Welt aufatme freier.

4. Vom Schenken mit dem Brauenbogen hört' ich:
"O du das Ziel des Tadels aller Schreier!

6. Geh, stell dein Netz für einen andern Vogel,
Denn gar hoch nistet dieser Königsgeier."

9. Wer wird des Schahs Liebeinigung genießen?
Der mit sich selbst spielt Lieb' in ew'ger Feier.

5. Als Gürtel wirst du jene Mitt' umschließen,
Wenn du nicht stehst inmitten als Entweiher.

7. Geselle, Sänger, Schenk' – er ist das alles:
Staub ist und Flut am Weg des Scheines Schleier.

* Das Heut ist leer von Fremden: Auf und trinke!
Du bist allein und nirgends ein Entweiher.

8. O gib des Weines Schiff mir, daß ich sänftlich
Durchfahre diesen uferlosen Weiher.

10. O Hafis, unser Dasein ist ein Rätsel,
Des Sinn ist Possenspiel und Abenteuer.
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69.

1. Hilf', o Padischah der Schönen, Hilfe gegen Einsamkeit!
Komm, ans Leben geht's dem Herzen ohne dich, komm, es ist Zeit.

2. Sehnverlangen, Trennungsbangen schuf entfernt von dir mich so,
Daß der Hand die letzte Stütz' entgeht, die Halt dem Fuß verleiht.

3. O du, dessen Schmerz mein Heil ist auf dem Bett des Ungemachs,
Dess' Erinnrung mein Vertrauter im Gemach der Einsamkeit:

4. In dem Kreise des Geschickes der Ergebung Punkt bin ich:
Was du denkest, ist mir Gnade, was du sagest, mein Bescheid.

5. In der Welt des Liebesrausches gibt es eignen Willen nicht:
Unglaub' ist in unsrer Sekte Eigenlust und Eigenheit.

6. Wem, o Himmel, soll ich sagen dieses Rätsel? in der Welt
Zeigte nirgends eine Wange dieses Lieb von weit und breit.

7. Gestern Nacht dem Winde trug ich Klag' ums Haar des Schönen vor:
"Du bist irre," sprach er, "fliehe diese schwarze Fährlichkeit."

8. Hundert Morgenwind' in Ketten halten ihren Tanz daselbst.
So, o Herz, ist dein Geliebter, suche nicht mit Winden Streit.

9. Schenke, komm, das Rosenbeet hat Schmelz nicht ohne dein Gesicht,
Mache deinen Buchsbaum wandeln, der dem Garten Zierde leiht.

11. Von dem Kreis, dem blauen, bin ich herzensblutig: gib mir Wein,
Daß ich dir im Glas, dem blauen, zeige Himmelsheimlichkeit.

10. Wasserfroh beständig bleibt die Ros' in diesem Garten nicht:
Helfet unserm Unvermögen, weil ihr selbst vermögend seid.

12. Hafis, um ist Nacht der Trennung, lieblich kommt des Freundes Duft.
Dir gesegnet sei die Lust, du Freund verliebter Trunkenheit.
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70.

1. Ob aus der Grube des Kinnes ohn' Unglücksfälle du kommest,
Doch, Herz, wird Reue dir folgen, zu welcher Stelle du kommest.

3. Sei klug und gib nicht dein Ohr hin der Flüsterung deines Verstandes,
Daß nicht wie Adam betrogen von Edens Schwelle du kommest.

2. Es ziemt sich, daß dir der Himmel mit keinem Tröpfchen die Hand reicht,
Wenn durst'ger Lippe vom Rande der Lebensquelle du kommest.

4. Den Geist verhauch' ich in Sehnsucht um deinen Blick wie der Morgen,
Daß aus dem Dufte der Dämm'rung wie Sonnenhelle du kommest.

5. Wie lang an dich wie der Ostwind den Liebesatem verschwend' ich,
Daß aus der Knospe mit Lächeln, o Rosenvölle, du kommest.

6. In dunklen Nächten der Trennung ist mir die Seel' auf der Lippe:
O Zeit ist's, daß mir, o Vollmond, als Nachtgeselle du kommest.

7. Zweihundert Bäch' aus den Augen hab' um dein Tor ich gewunden,
Ob etwa, Wandelzypresse, zum Rand der Welle du kommest.

9. O mach' dir, Hafis, nicht Sorgen: es wird der Chosro der Schönen
Zurück dir kommen, daß auch aus des Kummers Zelle du kommest.
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71.

1. Ei, Paradieseserzählung von deinem Gau die Geschicht'!
Und Hurisschönheitserklärung von deiner Wang' ein Bericht.

2. Der Atem Jesus vor deinen Rubinenlippen ein Scherz,
Und Chisers Bronn vor der Labe des Mundes ein Traum und Gedicht.

3. Ein jedes Stück mir vom Herzen ist auch von Schmerzen ein Buch,
Und jede Zeile des Sinns dir ein Vers voll Gnaden und Licht.

4. Den Kreis der geistigen Männer, wie dürfte würzen mit Duft
Die Rose, wenn sie ein Schützling nicht wäre von deinem Gesicht?

6. Im Feuer, wenn mich das Lichtbild von deinen Wangen umschwebt,
O Schenke, komm, ich beklage selbst in der Hölle mich nicht.

5. Den Staub der Schwelle des Freundes ersehnend bin ich verbrannt:
Bedenke, daß du mir, Ostwind, nicht tust als Gönner die Pflicht.

7. Der Duft des bratenden Herzens durchdrang die Räume der Welt:
Ansteckung zeuget der Brand noch, der aus dem Innern mir bricht.

8. O Herz, umsonst in den Wind ging dein Leben: da in der Hand
Ein Kapital dir war, tatest du auf die Nutzung Verzicht.

9. O weißt du wohl, was die Absicht von Hafis' Klag' ist und Schmerz?
Von dir ein schmeichelndes Lächeln, vom Schah ein gnädig Gesicht.
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72.

1. Mein Ordensgewand vom Leib versetzt in der Schenk' ist's baß:
Dies Buch, das vom Sinn leer ist, in Wein wenn ich's tränk', ist baß.

2. Da's Leben dahin ging mir, wie sehr es zu Sinn ging mir,
Wenn ich's aus dem Sinn mir schlag' und Schenken es schenk', ist's baß.

3. Inzwischen kein Richtmaß frommt, zu schlichten, was ziemt, was frommt:
Der Busen ein Feuerherd, das Aug' eine Tränk' ist's baß.

4. Einsiedelnden Herzens Lag' ich sagen dem Volk nicht mag:
Wenn ich die Geschicht' abtu mit Lyra und Tscheng, ist's baß.

5. Solange nicht Kopf und Fuß der tollende Weltlauf hat,
Das Schenkengelüst im Kopf, zur Hand das Getränk', ist's baß.

6. Ei Liebchen! wie du so fein entläss'st nicht mein Herz der Pein:
Und muß im Gedräng' ich sein, im Lockengedräng' ist's baß.

7. O Hafis, du bist nun alt, so geh aus dem Weinhaus nur:
Laß Taumel und Rauschunfug: im Jugendgepräng' ist's baß.

Tscheng: Harfe.

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73.

1. Verratet nichts dem Feinde vom Liebesrauschgewerbe,
Daß kundelos in Schmerzen der Eigensucht er sterbe.

4. O lerne dasein, daß nicht dein Dasein eines Tags
Gehaltlos und ertraglos dir in der Hand zerscherbe.

2. Mit Ohnmacht wie ein Lufthauch und Schwäche sei zufrieden:
Auf diesem Weg ist besser Krankheit und Leibesderbe.

5. An des Geliebten Schwelle gedenke nicht des Himmels,
Daß nicht, entstürzt der Lichthöh, dein Stolz im Staub verderbe.

6. Vom Dorn das Herz verletzet hat es die Ros' ersetzet,
Die Süßigkeit des Rausches kommt aus des Weines Herbe.

* Die ungeschlachte Roheit ist Sinn in unserm Orden!
Du Koch am Liebesfeuer, daß dich die Anmut färbe.

* So lang du suchst das Wissen, mußt du die Weisheit missen.
Ich sag' ein Wort dir: sieh dich nicht selbst, und Freiheit erbe.

lerne dasein: Rückert hat wohl schreiben wollen: lerne lieben,
denn im Original heißt es: 'asiq sou, "sei verliebt".
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74.

1. So hoch wie meine Liebe steig' deiner Schönheit Aar!
Sei fröhlich! nie am Himmel kann untergehn dies Paar.

2. Vorstellung kann's nicht fassen, daß Geistes Schöpfungskraft
Ein Bildnis kann entwerfen so himmlisch schön und klar.

4. Geschlossen ist die Rechnung des Lebens wenn einmal
Mir Ewigkeit ein Stündchen an deinem Busen war.

3. Wo ich vereint mit dir bin, ist mir das Jahr ein Tag:
Wo ich getrennt von dir bin, ist mir der Tag ein Jahr.

5. Wie kann ich sehn das Traumbild von deiner Wang' im Schlaf,
Da nur vom Schlaf mein Auge ein Traumbild sieht fürwahr.

6. Erbarme dich des Herzens! Zum dünnen Neumond ward
Vor deinem Sonnenanblick mein Leib gleich einem Haar.

7. Stell' ein die Klag', o Hafis! begehrst du Lieb'sgenuß,
So ziemet dir noch fürder Geduld in Todesgefahr.
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75.

1. Jüngst in der Sprache Pehlewi vom Ast im Rosenbeet
Las Nachtigall Kollegium und sprach das Herzgebet.

2. Wohlan, das Feuer Mosis ist entflammt im Rosenstrauch:
O kommt, und ausgelegt im Busch das Gottgeheimnis seht.

3. Des Gartens Vögel messen Reim und plaudern Scherz, obwohl
Mein Herr beim Pehlewighasel zu trinken Wein verschmäht.

7. Dein wildes Auge hat das Haus der Welt zerstört: Nie sei
Dein Kopf verstört, wie süßberauscht du hinschwebst hold und stet.

5. Nichts nahm Dschemschid mit aus der Welt als seines Bechers Ruhm:
Mein Herr, o binde nicht das Herz an eitles Weltgerät.

6. Der wohlbetagte Landmann sprach zu seinem Sohne schön:
"Mein Augenlicht, du erntest nichts, als was du hast gesät."

8. Wem klag' ich solch verkehrt Geschick? Getötet hat mich der,
Von dessen Lipp' ein Jesushauch der Toderweckung weht.

4. O Binsenmatte, Bettlerstand und Schlaf der Sicherheit!
Solch Lebensglück wird nicht zuteil dem Sohn der Majestät.

9. Der Schenke hat den Jahrgehalt des Hafis wohl vermehrt,
Daß an der Derwischmütze ihm so schief die Spitze steht?

Pehlewi: die parthische oder mittelpersische Sprache.

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76.

1. Zu zwei Maßen alten Weins zwei Freunde jugendlich
Und ein Buch, wo arbeitslos ich in den Garten schlich:

2. Diese Lage tausch' ich nicht um die und jene Welt,
Möchte mir zu Füßen fallen jeder Himmelsstrich.

3. Denn wer hier für Weltvergnügen Herzbegnügen gibt,
Gibt Ägyptens Joseph hin für Ware kümmerlich.

4. Komm, den Glanz von dieser Werkstatt hebt und trübt es kaum,
Ob ein Mann, wie du bist, fastet, einer schlemmt wie ich.

5. In des Bechers Spiegel schau Geschicks Gestaltenspuk:
Nie erlebt hat jemand eine Zeit so wunderlich.

7. In der Hand von Leuten muß ich sehn mein Herzensbild:
So in Ehren hält der Himmel einen Mann wie mich!

8. Sei geduldig, Herz! Gott wird nicht lassen in der Macht
Ahrimans das Siegel, das Suleimans Hand entwich.

9. Ob Jasmin und Rose da war, kann ich gar nicht sehn
Nach dem Sturm des Schicksals, der das Gartenbeet bestrich.

10. Wunder, daß nach diesem Glutwind, der die Flur durchzog,
Noch Jasminenduft und Rosenfarbe findet sich.

11. Hafis, ganz verdorben sind die Säfte dieser Zeit:
Ja, wo ist ein Arzt, ein Weiser, ein Brahmane? sprich.

Ahriman: die Personifikation des bösen Prinzips, der "oberste der Teufel".
Suleiman: Salomo.
Brahmane: Angehöriger der höchsten indischen Priesterkaste.
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77.

1. Durch jene Striche, die um die Ros' auf deiner Wange du ziehest,
O welchen Strich durchs Rosenbeet, wie stolz es prange, du ziehest!

3. Wie alle Männer von Blick, als wie der Ost im Dufte der Locken,
In jedem Augenblicke mit Kett' und Strick zu Zwange du ziehest!

2. Wie meines Auges haremsitzende, still haushütende Träne,
Ach, auf den Markt aus dem siebenfarb'gen Zeltvorhange du ziehest,

4. Und in Erinn'rung des trunknen Aug's, der weinblutfarb'gen Lippe,
Mich jede Stund' aus der Einsamkeit zum Wirtsausgange du ziehest.

6. Wo gegen Aug' und Augenbrau verschaff' ich Hilfe dem Herzen?
O weh des Bogens, den gegen mich so lang, so lange du ziehest.

7. O komm zurück, daß den Bösen Blick von deinem Antlitz ich wehre,
O frische Rose, die schön den Saum aus der Dörner Drange du ziehest.

8. O Hafis, sprich, was anders suchest du noch von Freuden der Erde,
Da so den Wein du schlürfest, des Liebsten Lockenschlange du ziehest?
___________
 


78.

1. O Schenke, Wolkenschatt' ist da, und Lenz und Saum des Flusses;
Nichts sag' ich, sage du's, wenn du ein Mann bist des Entschlusses.

2. Den Duft der Einfalt find' ich nicht in dieser Zeit, o wasche
Der Weisheitskutte Flecken aus mit Wein des Gottbeschlusses.

3. Die Welt ist niedriger Natur, bau nicht auf ihre Großmut:
O Welterfahrner, suche nicht beim Niedern Haft des Fußes.

4. Tu auf dein Ohr: Die Nachtigall mit Klagen sagt: "O meide
Versäumnis, aus der Seele reuch den Duft des Seelengrußes."

5. Ich gebe dir nur einen Rat, der trägt dir hundert Früchte:
Such des Genusses Tür und fleuch die Wege des Verdrusses.

6. Willst du des Liebsten Blick empfahn, den Spiegel halt empfänglich;
Sonst sprossen Ros' und Lilie nicht aus Fläche ehrnen Gusses.

9. Du sprichst: "Der Heuchelei Geruch spür' ich an unserm Hafis."
Wie trefflich ist dein Riechen nicht! Gepriesen werden muß es.
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79.

1. Die Stadt ist voll von Zarten: Wohin ich blick', es lacht:
Kommt, Freunde, Schönheitsmarkt ist, wenn ihr Geschäfte macht.

2. Nie sah der Zeiten Auge so frisches, junges Blut,
Nie fiel in eines Hände ein Bild so wohl gemacht.

3. Wer hat gesehn ein Auge, das Gott aus Geist geschaffen?
Kein Erdenstäubchen drücke den Saum dir, Himmelspracht!

4. Was scheuchst du von dir einen zerbrochnen Mann wie mich,
Der höchstens an ein Küssen und ein Umfahn gedacht?

5. Der Wein ist lauter, eil dich – die Zeit ist kostbar, heil dich:
Wer weiß, ob künft'ges Jahr ihm der Frühling neu erwacht.

6. Im Garten Tulp' und Rose stehn Trautgesellen gleich,
Die alle Becher halten für Liebchen ausgebracht.

7. Dies Rätsel, o wie lös' ich's, Geheimnis, wie entblöß' ich's -
O Wehen, schwere Wehen – o Schlachten, harte Schlacht!

8. Von Hafis jedes Härchen in Händen eines Liebchens:
Schwer ist es Posto halten auf solcher Lagerwacht!
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80.

1. Schmarotzer bei dem Mahle der Lieb' ist Mensch und Geist:
Zeig' eine Kraft, daß würdig du eines Glückes seist!

2. Such', wenn du unbereitet von Blick bist, nicht Genuß,
Weil Dschemschids Becher nutzlos dem Blinden sich erweist.

5. Bestreb dich, Freund, und bleibe nicht ganz von Lieb' entblößt,
Denn niemand weist den Knecht, der nicht ein'ges Gute weist.

4. Komm, kauf' von uns dir Herrschaft mit Schönheitskapital:
Versäume nicht den Handel, daß du es nicht bereust.

9. Gebet der Winkelsitzer bringt Segen; sprich, warum
Du uns vom Augenwinkel mit keinem Blick erfreust?

7. Ich staune, wie du nah mir und wie du fern mir bist:
Du bist mir nicht vor'm Auge, und nicht dem Blick entreist.

8. O tausend heil'ge Seelen hat Eifersucht verbrannt,
Daß du bist früh und abends von andern, Kerz', umkreist.

14. Von deiner Wange kommen, von deiner Locke gehn
Die Rosen scheu mit Farben, mit Duft die Lüfte dreist.

12. Der Herrschaft Turban sitze nie schief dir auf dem Haupt
Der Schönheit, weil der Krone, dem Thron du Schmuck verleihst.

13. Der Weg der Lieb', ein Weg ist, o Wunder, voll Gefahr:
Gott ist mein Zeuge, wenn du das Ziel nicht hast erreist.

3. In diesen Finsternissen zwei Führer bleiben mir:
Ein Aug', das morgens, ein Herz, das nachts lobpreist.

15. Dein Liebesmut, o Hafis, gibt Hoffnung mir, daß einst
Mit Anblick meines Mondes die Vollmondsnacht mich speist.
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81.

1. Dir, o Seel und Seelenfreund, kann Seel' als Opfer nicht entgehn:
Nur wer Staub an deiner Tür ward, der entging des Hauptes Drehn.

2. Taumelnd doch aus deiner Straße aufzustehn vermag ich nicht:
Schwere Dinge können nicht mit solcher Leichtigkeit geschehn.

3. Schwache fühlen nicht Bedürfnis des verbrannten Schmetterlings:
Weichlichen gelingt die Lust nicht, wie die Kerze zu vergehn.

4. Ohne dich die Ruh genießen, Unlust ist's und Ungeschmack:
Gegenüber frech dir sitzen ist Verblendung und Versehn.

5. Meines Herzens Heimlichkeiten machten deine Hüter kund:
Kann dann auch verborgen bleiben irgendein verborgnes Sehn?

6. Frisch und wasserfroh damit dir bliebe deines Wuchses Zweig,
Wär' es gut, daß du ihn ließest hier an meinem Auge stehn.

7. In der Windung deiner Locken sah ich eines Tags mein Herz,
Sprach: "Wie geht's, Gefangner, und wie trägst du diese Kerkerwehn?"

8. "Ei," sprach es, "was kannst du tun, als Neid empfinden auf mein Glück?
Nicht gelingt es jedem Bettler, Sultansrang sich zu erflehn.

9. Wahrlich dir, o Hafis, kommt hinfort mit uns nicht umgang zu:
Deine Sach' ist's, vor dem Hause wie der Hofhund Wache stehn."
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82.

1. Das Leben in vergeblicher Begier ertraglos schwand:
O Knabe, komm, du wirst ein Greis, gib mir das Glas zur Hand!

4. Im Schwarm der Diener seines Tors sah er mich gestern stehn,
Und sprach: "He, armer kranker Mann, wie bist du denn genannt?"

3. Wie soll man g'nug es danken, daß in dieser Stadt herab
Sich läßt zu schwachem Mückenfang der Falk von Königshand.

5. Um rauchfaßgleich zu streifen einst der Liebsten Kleidersaum,
Legt' ich des Wohldufts wegen hin mein Herz auf Kohlenrand.

6. Mit Blut gewordnem Herzen sei, der Moschusblase gleich,
Zufrieden, wer durch Moschusduft will werden weltbekannt.

2. Es flammt der Blitz vom Sinai, und ich hab' ihn erspäht:
Hin laß mich, ob ich etwa auch bring' einen Feuerbrand.

7. Die Karawane zieht, und du, am Ort des Überfalls
Schläfst – o wie manches Glöckleins Ruf, den nicht dein Ohr empfand!

8. Den Fittig schlag' und heb Getön vom Baume Tuba an:
Wie du ein Vogel, schad' ist's, daß ihn hält die Käfigwand.

9. Wie lange noch soll Hafis gehn dich suchen hier und dort?
Gott ebne dir den Pfad, der du mich suchst am Liebesstrand.
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83.

1. Ich schrieb die Märe meines Grams, und meine Träne schlich:
O komm, zum Rand gekommen ist mein Leben ohne dich.

2. Wie oft zu meinem Auge hab' aus Sehnsucht ich gesagt:
"O du, die Wohnstatt Solma's, wo ist deine Solma? Sprich!"

3. O Wunder über dich und mich, o seltsames Geschick!
Gemordet hab' ich Ruh nicht, und mein Mörder weint um mich.

6. Der Morgenwind streut Ambraduft: steh auf, o Schenk', und bringe
Die Sonne, die geboren hat ein Rebschoß jungfräulich.

7. O laß die Trägheit, nutz' die Zeit, das Sprichwort geht im Land:
Der Reisesack des Wandersmanns heißt Rüstig Rüstiglich.

4. Wem kommt es bei, die Reinigkeit zu schmähen deines Saums?
Rein bist du wie der Tropfen Tau, der über Rosen schlich.

5. Vom Staube deiner Straße gab der Ros' und Tulpe Glanz
Der Schöpfergriffel, als er zog auf Flut und Staub den Strich.

* Beim feuchten Glanz der Ros' und des Zypressenfußes Staub,
Nie ward geformt aus feuchtem Staub ein Bild so meisterlich.

8. Von meinem Leben ohne dich blieb nach mir keine Spur:
Ich weiß, o Schönheitsangesicht, ich lebe fort durch dich.

9. Wie könnte deine Schönheit wohl Hafis beschreiben, da
Die eine Gotteseigenschaft der Fassung Grenz' entwich?
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84.

1. Viel tausend Mühe mir gab ich, daß mein Verlangen du seiest,
Mir Herzenswunschesgewährung für Herzverlangen du seiest,

2. Ein Stündchen nur in die Zelle des Liebesgrames du kommest,
Ein Nächtchen nur, mich zu trösten, mein Herzumfangen du seiest,

3. Die Kerze liebenden Aug's in durchwachten Nächten du werdest,
Ein Hoffnungsmond des Gemütes mir aufgegangen du seiest:

5. Was vom Rubine, des Liebreiz mich herzensblutig gemacht hat,
Ich klage, daß mir da hilfreich zum Trostverlangen du seiest:

6. Da, wo die Fürsten der Anmut bei ihren Dienern sich brüsten,
Daß mein Gebieter da liebreich und unbefangen du seiest:

9. Im Gartenbeet, wo die Götzen die Händ' Anbetender fassen,
Wenn vor die Hand es dir käme, daß mein Lustprangen du seiest.

7. Den Hirsch des Himmels, die Sonne, gedenk' ich mager zu hetzen,
Wenn es mir glücket, daß einst mir, o Reh, gefangen du seiest.

8. Drei Küsse, die auf zwei Lippen du angewiesen mir hast, wenn
Du sie nicht zahlest, so wisse, daß schuldgefangen du seiest.

4. O soll ich jemals erleben den Wunsch, daß nächtlicher Weile
Anstatt der rinnenden Träne in meinen Wangen du seiest.

10. Ob ich der Hafis der Stadt bin, mir selber gelt' ich kein Körnlein,
Bis du geruhet aus Großmut, daß mein Verlangen du seiest.
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85.

1. O welch ein Wuchs! ein Seelchen bist du von Kopf zu Schuh!
O welch ein Bild! nicht gleichest den Menschenkindern du.

2. Kein Wuchs, du bist Zypresse des Gartens dieser Welt:
Kein Bild, du bist die Rose des Gartens ew'ger Ruh.

3. Ich habe tausend Sagen von dir gehört, o Herz,
Nun ich dich sehe, tausendmal mehr als sie bist du.

4. Mein Leib, er trägt das Zeichen des Schmachtens wie dein Aug',
Mein Sinn, wie deine Locke neigt der Verwirrung zu.

5. Nach dir das Suchen, niemals einstell' ich's, stellst du gleich
Mich zwischen Augenwasser und Herzblut jedes Nu.

6. Den Staub nicht deiner Füße verlass' ich früh noch spät,
Magst du mich auch verlassen im Staube spät und fruh.

7. Du bist wie eine Sphäre des Unheils, und mein Herz,
Es senkt wie unsre Zeiten sich der Zerstörung zu.

8. Warum aus Mild' und Schonung begnadigest du nicht,
Da de den Schmerz und Kummer des Hafis kennst, nur du!
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86.

1. Alt und herzenswund bin ich, schwach und matt genung;
Doch sooft ich dein gedacht, ward ich wieder jung.

2. Nütze deine Herrlichkeit, junger Rosenwall!
Ich in deinem Schatten ward Edens Nachtigall.

3. Gott sei Dank, was immer ich mir von Gott erfleht,
Meinem Wusch gewährt ist mein höchstes Herzgebet:

4. Auf der ewigen Herrschaft Bahn, hoch mit Kron' und Thron,
Spend' ich mit dem Becher Weins Freunden Lust und Lohn.

5. Seit auf mich das Ungemach deines Auges kam,
Macht kein Ungemach der Zeit mir in Zukunft Gram.

6. Von des Daseins Schrift und Laut wußt' ich nicht Bescheid,
In der Liebe Schule lernt' ich die Heimlichkeit.

7. Alt von Jahren bin ich nicht, du bist falsch und kalt
Wie das Leben flohest du, davon ward ich alt.

8. Gestern gab die Freudenpost mir des Himmels Huld:
Hafis, komm, ich bürge dir den Erlaß der Schuld.


Aus: Ghaselen des Hafis
Übertragen von Friedrich Rückert.
Gesammelt und herausgegeben von Herman Kreyenborg
Leipzig 1926 Hyperion Verlag



 

 

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