Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Scheich Ssadreddin aus Konia
gest. i. J. 671 (1273)
 

Als Adam's Staub mit Liebesthau geknetet ward,
Entquollen Übel d'raus von tausendfacher Art;
Des Weltgeist's Ader traf der Liebe bitt'rer Schmerz,
Es floß ein Tropfe Blut, der Tropfe war das Herz.


Dieser berühmte Scheich und Dichter, welcher vor Gründung des osmanischen Reiches lebte und starb, kann zwar nicht den osmanischen, aber türkischen Dichtern beygezählt werden, weil derselbe zu Malatia geboren, zu Konia lebte und dort begraben liegt. Sein Nahme (Ism) Mohammed, der Sohn Ishak's, sein Vornahme (Lakab) Ssadreddin, d.i. der Ehrensitz des Gesetzes, sein Beynahme (Künijet) Abul maali, d.i. der Vater der Höhen, ein Beynahme, welchen, so wie den Abul-maani, d.i. der Vater der Bedeutungen, mehrere große Scheiche und berühmte Dichter der Araber, Perser und Türken führen. Er war in gelehrte Streitigkeiten mit Naßireddin von Tus, dem großen persischen Metaphysiker und Astronomen, verflochten, und der Lehrer Kutbeddin's in der Überlieferungskunde, für den er zwey seiner Abhandlungen eigenhändig abschrieb. Mewlana Dschelaleddin, der bey dessen nur ein Jahr vor dem seinigen erfolgten Tode gegenwärtig, und dem er seine Bestattung empfohlen, verherrlichte das Andenken dieses großen Mystikers und Dichters durch den folgenden Viervers:

Ohne dich, wer gibt von ew'ger Wahrheit Kunde,
Von dem Kranken unterscheidend das Gesunde?
Woher kömmt der Schwierigkeiten Lösung,
Kömmt sie nicht aus deinem Wahrheitsmunde?

Aus einer der beyden obgenannten Abhandlungen Ssadreddin's ist der folgende [siehe oben] Viervers, welcher wohl einer der schönsten und geheimnißvollsten, welche die mystische Poesie der Morgenländer aufzuweisen hat.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 53)