Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Nihadi, d. i. der Gesetzte
 

Diese Nacht bis an den Morgen
Klagte Nachtigall!
Uns're innigste Vertraute
Ward die Nachtigall!

Schmetterling kam zu der Kerze,
Fing zu tanzen an,
Als sie dieses sah, da klagte
Zürnend Nachtigall:

Plage länger nicht den Freund,
Ist denn Sitte dieß?
Kenne deine Schranken, sagte
Klagend Nachtigall,

Mit dem Kopfe in der Kutte
Eines Bissens nur,
O Nihadi! ist zufrieden,
Sieh, die Nachtigall!
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Es kam zu uns'rem Ohre wieder
Mit Hai und Hui das Glas,
Erbarme unser dich, o Schenke,
Und reiche uns das Glas!

Es ist das Herz gebroch'nen Flügels,
Von Schmerzen und von Gram,
Bis daß zu dem Geruche dringet
Ein Düftchen von dem Glas.

Was ist es, wenn auch uns're Zunge
Erfreuet dieß und das?
Die Stadt ist voll von dem Gerede
Wie von dem Wein das Glas.

Kein Schade ist es, wenn zerstört ist
Das Haus von Gram und Haß,
Wenn nur zerbrochen nicht der Becher,
Die Kanne und das Glas.

Nihadi! sey vernünftig, schweife
Nicht ab auf dieß und das,
Es soll dein Herz nichts weiter kümmern
Als reiner Fluß im Glas.
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Des Liebchens Kinn ist zuckersüß,
Die Lippe mehr als Kandel süß,

Und schimpft sie über das und dieß,
Ist Mandelspeise nicht so süß!

Was ist's, was Liebender genieß'?
Sie zürnt, da däucht der Spott mir süß,

Zur Seele dringt ihr Duft gewiß,
Es duftet Moschus nicht so süß,

Nihadi, bitt'res Wort gewiß,
Ist Liebendem vom Liebchen süß!
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G
ekommen ist die frische Zeit,
Es ist, o Herz, Newrus!
Es singet wieder Nachtigall:
Willkommen sei Newrus!

Die Flüsse gehen durch's Gefild,
Die Lüfte wehen mild,
Es zeiget euch manch' schönes Bild
Nun hie und da Newrus!

Nimm in die Hand das Glas mit Wein,
Wollst Alexander sein?
Wo wird der Weltenspiegel sein?
Es zeigt dir ihn Newrus!

Wer mit dem Liebchen Rosenwein
Nun trinkt im Rosenhain,
Der nimmt die Welt erobernd ein
In Lüften des Newrus!

So nimm zur Hand das Glas mit Wein,
Stell' dich beim Feste ein!
Es stellt das Glück bei dir sich ein,
Sei fröhlich im Newrus!

Umsonst zeigt Liebchen sein Gesicht
Dem Liebenden, der sieht,
Die Herzensräuber kränken nicht
Am Feste von Newrus.

Nihadi, diese frohe Zeit
Sei einzig nur der Lust geweiht,
Versäum' nicht die Gelegenheit
Am Feste von Newrus.

Newrus – Frühling bzw. Frühlingsanfang
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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Zweiter Band (von der Regierung Sultan Suleiman's des Gesetzgebers
bis zu der Sultan Murad's III. 1521-1574)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 549-550)