Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Seliki, d.i. der Genialische
gest. i. J. 997 (1588)


Es nisteten die Vögel auf dem Haupt Medschnun's,
Weil sie dort Reisig von dem Zelte Leila's fanden.
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Als heimlich gab der Freund die Lippen meinem Mund,
Entfloh die Seel' aus Furcht, es werde Andren kund.
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Zum Seelensiegel machte ich des Liebchens Spiegel,*
Des Liebchens mit dem dunklen Haar und trunk'nen Augen.

Was ist's, wenn deiner Schönheitskerze brennt das Haar?
Es brennt der Schmetterling am Feuer allerwärts;

Seitdem das Herz in deiner Locken Banden kam,
Weiß es, warum zerbroch'nen Herzens ist der Kamm.

Wer in der Welt sich freut, sey weißen Angesichts,
Sobald er brennt aus Lust des schwarzen Augenlichts,

Wer nicht, wie du Seliki, brennet warm und frey,
Weiß nicht, daß närrisch' Thun nicht in der Willkühr sey.

* Der Mund
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Als in der Welt man von Medschnun noch nichts gewußt,
Da deckten Unglücksvögel schon mein Haupt mit Wust,

Probiere hundert Ungerechtigkeiten mein,
Als ein verliebtes Herz auf deinem Probestein;

Es ward durch deiner Augenbrauen Pfeile
Der Seele Vogel aus der Brust geschreckt mit Eile;

Durch deiner Liebe Gluth ward flüssig ich geschmelzet,
So daß der Strom sich in das Land des Nichtseyns wälzet;

Seliki weiß, es folget Trennung auf Genuß,
Deßhalb die Nachtigall im Haine weinen muß.
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Als ob auf deinem Pfad' die Seel' ich würde opfern,
Hab' ich im Inneren ein Zeichen,
Daß ich ein Martyrer der Liebe fallen werde,
Ist Zeugenschaft in meinem Herzen.

So komm', o Schöner, und befrey' durch meinen Tod
Dich von der langen Leiden Qualen;
Denn Milde wird bey dir ja nimmermehr gefunden,
Zu tragen fehlt es mir an Kraft.

Der Augen Thränen sind umsonst vergossen worden,
Du siehst sie nicht, o Mondgesicht!
Aus freyer Luft ist ja der Wetterstrahl gefallen,
Es scheint das Glück mir günstig nicht.

Mein Herr! mein Padischah! an wen soll ich mich wenden,
Wem kann ich klagen meine Qual?
Du hast des Herzensleids gethan gar vieles mir,
Ich klage über dich bey dir.

Die Welt, sie wandelt Bettler in Sultanen um,
Und macht zu Bettlern die Sultane,
O Seliki, es lieget die Begeisterung
Im Wein der Liebe nur.
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Ein Richter und Dichter aus Badur in Hamid Ili.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Dritter Band (von der Regierung Sultan Murad's III.
bis zu Ende der Regierung Sultan Mohammed's IV. 1574 - 1687)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 60-61)