Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)


Scheich Abderrahim

Aus dem Wahdetname

Aus reiner Seele hör' den Weisen,
Der aus dem Staub den Menschen schuf.

Gepriesen sey das reine Wesen,
Das zum Chalifen Staub erkohren.

Vernunft im Staub geformt zum Menschen,
Das offenbar im Theil und Ganzen.

Es schuf die Nacht, es schuf den Tag,
Die sieben, sechs, und fünf und vier*,

Der Herr, dess' Wesen Existenz,
Dem beyde Welten sind ein Buch,

Der nicht abquälet sich mit Planen,
Von Ewigkeit Sein ew'ges Reich,

Der ohne Anfang, ohne Ende,
Und ohne Zahlen Eins nur ist,

Der allen Welten Nahrung spendet,
Die Erden und die Himmel wendet,

Er gab dem Tag das Feyerkleid,
Den Himmeln ihre Majestät,

Anbethend werfen sich die Himmel
Danieder, steh'n anbethend auf,

Er schuf den Menschen durch das Werde,
Und aus dem W entstand die Welt**,

Es rollte sich das grüne Meer,
Es blühte als Narciss' der Lenz,

Den Adam bildet' Er aus Staub,
Aus einem Hauch den Sohn Maria's.

Er zieht den Zucker aus dem Rohr,
Aus Hirschen reinen Musk hervor,

Die Perlen zieht Er aus dem Regen,
Und aus dem Schacht Juwelensegen.

Er weiß den Theil und weiß das Ganze,
Vor Ihm ist Dorn und Rose gleich,

Er deckt mit seiner Huld die Fehler,
Theilt Unverdienten Gnaden aus,

Er schauet das Geheimniß klar,
Das was versteckt und offenbar;

Sein Thor ist Zufluchtsort Bedrängter,
Durch Ihn ist Alles voll und leer,

Er ist der Mahler alles Seyns,
Er bindet Stoff und Form in Eins,

Er gibt dem todten Körper Seele,
Beseelend todte Seel' mit Glauben,

Die Einen schafft er als Mobede***,
Die Anderen zur Liebesgluth,

Er lenket den, der Glauben sucht,
Erleichtert schweren Elends Wucht,

Er ist der Erste und der Letzte,
Der Innere und Äuß're Er,

Er siehet Alles ungeseh'n,
Durch eig'nes Aug' nur angeschauet.

* Die sieben Sphären, die sechs Weltgegenden (rechts, links,
oben, unten, vorn, hinten), die fünf Sinne, die vier Jahreszeiten.
** Aus dem Kief des Kun, werde
*** Mobede, die Parsenpriester, welche das Feuer anbethen.

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Seir - Lebenswandel des Propheten

Das reine Wesen, das zuerst schuf Gott,
War eine reine, glänzende Substanz,
Fünfhundert Jahre lang und breit und tief,
Auf die der Blick der Liebe Gottes fiel,
Da schmolz aus Scham die perlende Substanz,
Und wogt' als Meer von Fluthen und von Gluth,
Es wogte auf durch das Prophetenlicht,
Das in dasselbe wirkend eingeströmt.
Es stieg aus selbem auf so Schaum als Rauch,
Zur Erde ward der Schaum, der Rauch zum Himmel,
Das Lied Ahmed's nahm ein den höchsten Himmel,
Und breitete sich aus auf seinem Sitz',
Die Sonn' ist Sonnenstäubchen dieses Lichts,
Der Ocean ein Tropfen dieses Meeres.
An seiner Seite stehen die vier Lichter,
Die vier geliebten Freunde des Propheten.
Wie neben Sonnen der Planeten Lichter,
Wie Stern des Morgens und wie Jupiter.
Nun höre von dem Lichte des Propheten,
Das Gott zuerst als Meer des Lichts erschuf,
Das mit zwölftausend Schleyern er verschleyert,
In seinem Nahmen, seiner Eigenschaft.
Niemand vermag genau es zu erklären,
Niemand es auszulegen dir mit Klarheit,
Viel tausend Jahre lang ward es bereitet,
Und eine Welt sind seine Eigenschaften,
Es nährte sich mit jedem Augenblick,
Und jeder Schleyer flog mit Lobpreis auf.
Als die zwölftausend Schleyer aufgeflogen,
Eröffnete der Herr der Schöpfung Thor,
Sie wurde abgetheilt in Regionen,
Und jeder Schatz des Glückes ward eröffnet.
Sie ward zuerst getheilt in zehen Theile,
Und jeder Theil ward eine Welt für sich.
Erst Gottes Thron, alsdann der höchste Himmel,
Des Schicksals Tafel und des Looses Kiel,
Das Paradies und Himmel alle neun,
Die Erde und ihr Himmel, der ihr eigen,
Die Welt der Sonne und die Welt des Mond's,
Der Welten zehente, der Geist Ahmed's.
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Ihr Liebende, hört an der Lieb' Geheimniß,
Wahrhaftige, trinkt aus das Glas der Liebe!
In bin verankert in das Meer der Liebe,
Ich nahm für mein Vermögen hin die Liebe.
Als ich betrachtete die Stadt der Liebe,
Ward meiner Wünsche jeglicher erfüllt.
Als ich vom Tropfen zu dem Meere wallte,
Fand ich die Sonne, da den Mond ich suchte,
Ich fand zuletzt den tief verborg'nen Schah,
Ich fand in selbem königlichen Schatz,
Den himmlischen Gesichtern, die ich sah,
Ist zu vergleichen nimmer die Huri,
Vom Weinverkäufer trank ich volles Glas,
Und vom Gewürzverkäufer nahm ich Duft,
Ich ward ein Juwelier, mit Perlen handelnd,
Und wogte, wie das Meer, beständig auf.

 

Aus Karahißar, ein Jünger und Nachfolger des großen Scheich Akschemseddin, ist der Verfasser eines unter den osmanischen Mystikern berühmten Mesnewi, welches den Titel: Wahdetname, d.i. das Buch der Einheit, führt. Der Sinn und Geist desselben ist der aus dem Mesnewi Dschelaleddin Rumi's und den doppelgereimnten Gedichten Aaschikpascha's und Jasidschioghli's bekannte moslimische Einheitslehre. Das Werk vollendet im Jahre 867 (1462).

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 119-121)