Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Hudaji
gest. i. J. 1038 (1628)


Bis du nicht die Seele opferst auf,
Wird Geliebter dir zur Hand nicht kommen,

Bis du nicht zerbrichst den Maghengürtel,
Wird der Glaube dir zur Hand nicht kommen.

O du Prahler, unwerth Mann zu seyn,
Können wahre Seufzer dir wohl kommen?

Bis du nicht der Krankheit Sclave bist,
Wird dir in die Hand Arzney nicht kommen;

Wenn du nicht wie Wasser flüssig bist,
Wirst du aller Orten hin nicht kommen;

Bis du dich mit Steinen nicht befreundest,
Wird der Ocean in deine Hand nicht kommen;

Reiz und Anmuth sind den Schönen eigen,
Liebenden bleibt Kummer unbenommen.

Schwierig sind die Wege zum Erwünschten,
Leicht wird selbes dir zur Hand nicht kommen,

Bis du nicht den wahren Weg erkennet,
Und die rechte Sitte angenommen,

Bis du nicht aufricht'ger Sclave bist,
Wird die Herrschaft dir zur Hand nicht kommen.
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Rufer rufen zum Gebethe:
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!
Wer ihn höret, opfert Seele,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Statt der Welt begehre ihn,
Statt der Würden liebe ihn;
Strebe aufzufinden Gott,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Seufze aus dem Innersten,
Laß nicht unbenützt den Morgen,
Höre! hör' den Ruf zu Gott,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Trinke von dem Wein der Einheit,
Und verzicht' auf Ich und Du,
Hüth' dich nicht vor Feind und Freund,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Du sollst dich zuerst bestreben
Aufzufinden ew'ges Leben,
Dich als Sclaven hinzugeben,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Schwing' dich hohen Muths Verliebter!
Alles And're laß Verliebter;
Nur die Einheit schau' Verliebter,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!

Trinke aus der Liebe Becher,
Brülle wie das Meer der Zecher,
Hör' Hudaji als den Sprecher,
Komm zu Gott, komm zu Gott, komm zu Gott!
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Von ewig her sind wir mit Liebesfluth gekommen,
Wir sind zum Wahrheitslicht als Schmetterling gekommen,

Wir suchen in dem Einheitsstand das Unterkommen,
Wir sind vielfache Welt nur anzuschau'n gekommen;

Nachdem gehorsam wir viel Welten durchgeschwommen,
In diese Menschenwelt sind wir zuletzt gekommen;

Das zweyte Daseyn ward uns hierorts abgenommen,
Als Tropfe sind wir nur in's Weltenmeer gekommen.

Hudaji, dieser Welt Vielfältigkeit entnommen,
Ist in's Geheimniß des Einheitssultans gekommen;

O Gott, es bleibt, was dir gebühret, unbenommen,
Durch deine Gnaden nur sind wir dahin gekommen;

Auf deine Gegenwart wir hoffen noch vollkommen,
Wir sind in deine Näh', Erbarmender, gekommen.
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Herr mein Gott! die ganze Welt
Liebet und verehret dich,
Engel, Dschinnen und der Mensch
Lieben und verehren dich;

Erden sind dein Wegestaub,
Meere, deines Odems Raub,
Himmel, tanzend dir als Laub,
Lieben und verehren dich;

Rosen voll von Thaukorallen,
Morgentliche Nachtigallen,
Veilchen, die zu Boden fallen,
Lieben und verehren dich;

Sonne oder Stäubchen nur,
Meere oder Tropfen nur,
Tuba's oder Sidra's* Flur
Lieben und verehren dich;

Huri oder Ganymeden**,
Malik's*** oder Riswan's**** Reden,
Sieben Höllen und acht Erden
Lieben und verehren dich;

Ferne, Gegenwärtige,
Innere und Äußere,
Gläubiger, Ungläubiger,
Lieben und verehren dich;

Diamant und Chalcedon,
Hyacinth, Basilikon,
Und des Frühlings Legion
Lieben und verehren dich;

Ob sie wehen, ob sie fließen,
Deiner Füße Staub zu küssen,
Wind und Wogen, die sich grüßen,
Lieben und verehren dich;

Bethender, der sitzt, der steht,
Der, sich niederwerfend, fleht,
Rufer von dem Minaret
Liebet und verehret dich;

Alle suchen dich, den Einen,
Die ungläubig dich verneinen,
Wunderbar muß dieses scheinen,
Lieben und verehren dich;

Einem öffnet Thür sich nicht,
And're sehen selbe nicht,
Die es wissen oder nicht,
Lieben und verehren dich;

Herr! Hudaji, ganz entzündet,
Dem Genusse nah gerücket,
Alles Seyn, durch dich beglücket,
Liebet und verehret dich!

* Die zwey Bäume des Paradieses, der Baum des Lebens
und der Erkenntnis; das erste hat sich in der Thuja
und im Lebensbaume, das zweyte in der Ceder
und dem Lotosbaume fortgepflanzt.
** Ghileman (Plural von Ghulam, Kinder)
sind die Ganymeden des moslimischen Paradieses,
wie die Huri die Nymphen desselben.
*** Der Hüther der Hölle
**** Der Hüther des Paradieses.
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Ist der große Scheich Mahmud von Scutari, welcher in der osmanischen Geschichte unter der Regierung Sultan Ahmed I. eine so große Rolle spielte. Zu Siwrihißar in Anatoli geboren, trat er an der Medrese Sultan Selim's II. zu Adrianopel unter Nasirsade Efendi als Correpetitor und Rechtskandidat i. J. 978 (1570) ein, vertrat zu Kairo und Damaskus die Stelle seines Lehrers als Naib (Richter, Stellvertreter) und erhielt im Moharrem 981 (May 1573) die Muderrisstelle an der Ferhadije. Ein Traum, welcher ihn mit den Peinen der Hölle schreckte, bewog ihn, die Medrese aufzugeben, und sich unter der Leitung des großen Scheich Uftade dem beschaulichen Leben zu weihen. Er hatte Escheinungen und ein zweytes Gesicht; i. J. 1002 (1593) ließ er sich zu Scutari gegenüber Constantinopel nieder, und versah an der Moschee Sultan Mohammed's das dreyfache Amt eines Predigers, Überlieferungserzählers und Koranauslegers.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Dritter Band (von der Regierung Sultan Murad's III.
bis zu Ende der Regierung Sultan Mohammed's IV. 1574 - 1687)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 196-199)