Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)


Seidi Nesimi

Es fiel der Locken Schatten
Auf seiner Wangen Matten,
Gott! welch' ein Hyacinthenschatten,
Und welche Sonnenmatten!
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Mit Liebchen würde sich die Seele mischen,
Wenn nicht des Körpers Schleyer wär' dazwischen.

Der Schah, den weder Zeit noch Raum beenget,
Hat sein Gezelt in Wüsten aufgehänget.
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Wer ernstlich Eineswerdung sucht,
Muß And'res aus dem Sinn sich schlagen,
Muß in der Welt der Einheit nur
Auf Einen Odem Alles wagen,

Aus Farb' und Duft der Wahrheit dir,
Mußt Rosen gleich dein Zelt aufschlagen,
O Nesimi, verlier' nicht Zeit
Mit denen, die die Nachahmung wagen.*

* Mukallidi sirri hakk, d.i. der Nachahmer der Geheimnisse Gottes
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Koran ist dein Gesicht, o Weltenlicht,
Gepriesen sey der Herr! Allah Ekber!

Die Brauen, Wimpern und das Haar so dicht,
Sie stellen die acht Thore Eden's vor,

Dein Haar ist dunkler Vers*, die Wange Sonnenlicht**,
Dein Wuchs ist Eden's Lebensbaum, der Mund Kewßer,

Die Schönheit ist der Welt Verklärungslicht,
Sie wird durch dich erleuchtet mehr und mehr,

Die Engel blendet deiner Schönheit Licht,
Was für ein Schacht bist du, was für ein Meer!

Es ist dein Leib das absolute Licht,
Und deine Wesenheit begreift sich schwer,

Es sammelt sich am Mund das Wasser dicht,
In das die Welt sich stürzet als ein Meer.

Aus deinem Thon erschuf der Heer das Licht,
Wie rein ist es! Gepriesen sey der Herr!

Es bethen an das Haar der Wangen Licht,
Der Mond, die Sonnen und der Sterne Heer.

Wer dich nicht kennt, dem sind nur ein Gedicht
Der Hochaltar, des Predigers Minber***,

Die Wahrheit durch den Mund Nesimi's spricht,
Die Wahrheit ist nur Gott, der Ew'ge, Er!

* E lem neschrih, der erste Vers der XCIV Sure
** Esch-schems, die Sonne, die XCI Sure
*** Die Rednerkanzel
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Seid Amameddin aus Nesim, einem Dorfe bey Bagdad, gebürtig, erhielt von demselben seinen Beynahmen, ein mystischer Scheich, welcher der Erste die kleinen türkischen Lieder in Schwung brachte, welche, wenn sie an irdische Geliebte gerichtet sind, insgemein Türki, d.i. die türkischen, wenn sie aber von göttlicher Liebe eingegeben sind, Ilahi, d.i. die göttlichen, genennet werden. Er bekannte sich als Mystiker anfangs zur Lehre des Scheich Schubla, dann zu der Faslullah Hurufi's, welcher die zwey und dreyßig Buchstaben des Alphabetes in den Gliedmaßen wiederfand, diese als Symbole von jenen ansah, und auf diese Weise den Koran durch Sinengenuß auslegte und commentirte. Der Verfasser des Buches: Die Lobreden auf die zur Vollkommenheit Gelangenden, vertheidiget den Nesimi wider die Beschuldigung, daß er dieser Secte der sinnlichen Buchstabirer angehört, indem er nur unter Allegorien den Sinn der tiefsten göttlichen Begeisterung verborgen habe. Indessen kostete ihm seine Lehre, daß sich die von der Liebe Gottes durchdrungene Seele mit demselben wie Regen mit dem Meere vermische, das Leben. Einige von den Versen, welche das Todesurtheil des Mufti von Halebi begründeten, sind die folgenden:

Manßur* der sagte, ich sag', Gott sprach wahr,
Wiewohl derselbe fremder Bruder war.

Ungäubiger sah so Wang' als Haar,
Und sprach: Ich glaub' erst jetzt, fürwahr!
An Ihn, der schuf den Tag, die Nacht,
Und so die Wahrheit klar gemacht.

* Ali Manßur, Halladschi's Lehre, der sich selbst vergötterte, und deßhalb unter den grausamsten Foltern hingerichtet ward.

O hätte doch, ruft der Geschichtsschreiber Aali aus, Nesimi diese [obere] zum Lobe des Propheten gedichteten Verse vor dem Gerichte, das ihn zum Tode verdammte, als Beweis seiner Reinheit und Unschuld beygebracht. Er wurde verurtheilt, lebendig geschunden zu werden, und das Urtheil vollstreckt. Der fanatische Mufti, welcher das Todesurtheil gesprochen, und der Vollziehung desselben beywohnte, wickelte sich die Hände ein, damit ihn ja kein Tropfen Blut anspritzte, weil, sagte er, jedes von dem Blute solch eines Freygeistes bespritzte Glied nothwendig abgeschnitten werden müßte. Trotz der Vorsicht des Mufti, ward sein nicht genug eingewickelter Mittelfinger mit einem Bluttropfen seines Schlachtopfers bespritzt, den er sich abzuwischen begnügte. Einer der gegenwärtigen Ssofi sagte ihm: "Nach euerem Fetwa müßt ihr euch den Finger abschneiden haben lassen". "Das war nur sinnbildlich gesprochen," sagte der Mufti, "nach dem Gesetze ist dieß nicht erforderlich." Der unglückliche Nesimi hatte noch Geist und Kraft genug, mit halbgeschundener Haut aus dem Stegreife den Vers herzusagen:

Einen Finger soll Strenggläub'ger geben,
Sieh, er kehrt das Wort um, das er spricht,
Schaut den Liebenden, den Armen,
Der geschunden, weinet nicht.

 

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Seleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 125-126)