Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Ssubuhi
gest. i. J. 1057 (1647)


Talisman der Lichterfahr'nen,
Weltmeer der Geheimnißvollen,
Zweck der Zeit und Ziel des Raums,
Resultat von allem Denken,
Bist der Welt Vollendungssiegel,
Bist des Freundes Wangenspiegel;
Komm zum innersten Gemach,
Geh' nicht unter Freundes Dach;
Dein Besitz ist Damm des Sinnes,
Der vernichtet und dann schafft;
Gib dem Daseyn Daseyn nicht,
Streue Staub auf Spiegel nicht,
Wahrheitsschauend' Aug' erwirb',
Jedes Aug' hat viele Schleyer;
Schau die Welt mit Einheitsaug'
Sieh' in Allem Eines nur,
Alles ist Ssubuhi eins,
Spiegel, Schein, Gesicht und Aug'.

Eins ist die Liebe, der Liebende, und der Geliebte, der Freund,
Er ist allein in dem Hause, worinnen kein And'rer erscheint.

Als die Liebe sich enthüllte,
War zu sehen Nichts als Gott,
Liebende zog er an sich,
Und die Straße war die Liebe,
Glanz des Auges ist die Liebe,
Reiz der Schönen ist nur Liebe,
Zu der Wahrheit Offenbarung
Wird ein jedes Blatt ein Buch;
Sonnenstäubchen wird zur Sonne
Und zum Ocean der Tropfen,
Von dem Stäubchen bis zur Sonne
Alles ist verborg'nes Wesen,
Schatz des Daseyns ist vollkommen,
Geist verband sich mit dem Staub;
Bläst von Gott der Einheitswind,
Wird der Greis sogleich zum Kind,
Wer Ssubuhi's Wein getrunken,
Ist in Ewigkeit betrunken.

Eins ist die Liebe, der Liebende, und der Geliebte, der Freund,
Er ist allein in dem Hause, worinnen kein And'rer erscheint.

Niederster und Höchster sind
Gegenstand des reinen Wesens,
Eigenschaften sind ein Schleyer,
Welchen Sehender durchdringt,
Schielender sieht nicht das Antlitz,
Wenn's auch klar ist wie der Tag,
Ein'ge sind darob erfreuet,
Ein'ge sind darob verbrannt,
Ein'ge strömen wie der Fluß,
Einer Tropfen, And're Meer,
Der geliebt, und jener liebend,
Der Medschnun und jener Leila;
Schöne sind der Schönheit Stoff,
Liebender der Schönheit Beute,
Daseyn ist nur Eines da,
Mehrheit täuschet nur die blinden,
Jeder leistet Ungemeines,
Doch Ssubuhi All' ist Eines.

Eins ist die Liebe, der Liebende, und der Geliebte, der Freund,
Er ist allein in dem Hause, worinnen kein And'rer erscheint.

Schah des Sinns pflanzt Fahnen auf,
Pferde und Gefolge lärmen;
Ich war ein verborg'ner Schatz,
Dieses Wort wird nun zum Licht,
Licht und Finsterniß gemischet
Bildeten den Spiegel Mensch;
Liebender kam zum Genuß,
Eingeweihte in's Harem,
Durch die Gnade des Genusses
Ward Liebkosung inn'ger Bettler,
Wer nur männlich sieht den Kuß,
Kommt zum Wunschesziel gewiß,
Hefe von dem Einheitsbecher
Ist den Liebenden ein Fest;
Dieß versteht zwar Läugner nicht,
Diw kennt nicht die Kraft des Rings,
Aber ich Ssubuhi sehe,
Wo ich hinschau, Ihn ich sehe.

Eins ist die Liebe, der Liebende, und der Geliebte, der Freund,
Er ist allein in dem Hause, worinnen kein And'rer erscheint.

Wandelst du den Weg der Einheit,
Halt' dich an den Saum der Liebe,
Wem gereicht wird Glas der Liebe,
Wird betrunken von der Schönheit,
Liebe ist ein Ocean,
Dessen Wogen Form und Bild;
Liebe ist ein einzig' Wesen,
Das sich tausendfach gestaltet;
Bald als Glaube, bald als Neigung,
Aser bald, bald Abraham,
Bald ein Derwisch und bald Sultan,
Bald Darius, bald Iskender,
Bald das Licht des Hochgelobten,
*
Bald Geheimnißschatz Ali's,
Bald ein wohlberedter Sprecher,
Bald nur stammelnd wie Ssubuhi,
Wo Ssubuhi ist ein Seher,
Der die Kleider alle schaut.

Eins ist die Liebe, der Liebende, und der Geliebte, der Freund,
Er ist allein in dem Hause, worinnen kein And'rer erscheint.

* Mohammed
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Geboren in der Nähe von Ejub; weihte sich dem Dienste Kasimbaba's; dann nach Konia gereist, im Dienste Hamsasade's. Nachdem Toghani Ahmeddede i. J. 1040 (1630) gestorben, erhielt Ssubuhidede die Stelle des Scheichs des Klosters der Mewlewi an dem neuen Thore.
Er hinterließ einen vollständigen Diwan, aus welchem Ghalib [Biograph] ein Terdschiibend, d.i. eine Reihe von Ghaselen, durch ein Ritornell verkettet, auswählte.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Dritter Band (von der Regierung Sultan Murad's III.
bis zu Ende der Regierung Sultan Mohammed's IV. 1574 - 1687)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 393-394)