Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)


Jasidschioghli oder Ibn Katib
d.i. des Schreibers Sohn

Von den Huri;
Gott sprach: wir vermählten sie mit den Huri

Wahre Kenner, tiefe Wisser,
Forscher aller Seltenheiten,
Sagen, daß die höchste Wonne
Ganz bestehe in drey Dingen:

Wohnung, Speise, Trank und Schöne,
Sind der Gegenstand der Wünsche;
Wohnung ist der Seelen Eden,
Trank und Speise fehlet nimmer,

Und Huri's sind ihre Schönen.
Ja, Huri's aus Licht gebildet!
Können sie, aus Licht gestaltet,
Dennoch küssen und umarmen?

Antwort: Ja, sie sind vom Lichte,
Aber von verkörpertem,
Daß sie Jeder mag genießen,
Frey umarmen oder küssen.

Daß du's aber mögest wissen,
Höre, was Huri bedeutet:
Die Huri bedeuten Schöne,
Schwarz von Augen, weiß von Wangen,

Unbehaart am ganzen Leibe,
Außer Augenbraun' und Wimpern,
Jede eig'nen Lichtes glänzend,
Wie die Perle in der Muschel,

Jede Stunde spielen sie
Siebzig Farben, wie die Pfauen,
So an Schönheit als an Anmuth
Sind sie Paradiesesrosen,

Junger Tag und frischer Zucker
Schämen sich vor ihrer Weiße,
Von dem Kinne, von dem Munde,
Sind besieget Zucker, Rosen.

Perlen in Juwelen selber,
Von dem Moschusstaub der Füße,
Diese röther, jene blasser,
Wie zwey Gattungen Rubinen,

Jene Perlen, die Korallen,
Jene Marmor, die Krystallen;
Jene senden kurze Blicke,
Diese trinken lange Züge.

Würde eine hier sich zeigen,
Hüllte Licht den ganzen Erdkreis,
Öffnete sie halb die Lippen,
Würde man die Allmacht preisen.

Mehr als Welten hält ihr Schleyer,
Unter dem das Aug' sie schauet;
Aus dem Licht der Huld geformet,
Kennen sie nicht Mondeswechsel,

Rein, gebären sie nicht Kinder,
Kennen auch nicht was der Neid;
Kennen nicht den Eigennutz,
Keinen Mann, als nur den ihren.

Diesen haben sie beständig
In dem Angesicht, im Auge;
Jede Nacht von neuem Jungfrau,
Was unmöglich zu begreifen.

Jeder Mann wird drey und dreyßig
Jahre alt seyn für und für,
Jedem gibt der Herr der Welten
Und der Sultan der Propheten

Fünfmahlhundert solcher Mädchen,
Wie kein Auge sie gesehen,
Viermahltausend Dienerinnen,
Achtmahltausend Sclavinnen,

Zwölfmahltausend und fünfhundert
Stehen Jeglichem zu Dienst;
Diese mag er drücken, küssen,
Wie er's in der Welt gethan,

Und noch sollen jedem Gläub'gen
Bey dem Kopf und bey den Füßen
Singend sitzen zwey Huri's,
Aber ohne Instrumente.

Dieß Gemählde mag euch zeigen,
Was der Mensch dort wird genießen,
Nicht verführerische Töne,
Sondern Hymnen schallen dort.

 

Er und sein Bruder Bidschan, Söhne des Schreibers Ssalih, lebten zu Kallipolis, der Betrachtung göttlicher Dinge ergeben. Der erste schrieb das mystische Werk: Seltenheiten der Zeit, und seltsame Dinge für Aug' und Sinne, und sein Bruder Bidschan übersetzte dasselbe, unter dem Titel: Die Lichter der Liebenden, ins Türkische.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 133)