Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Natik, d.i. der Sprechende
gest. i. J. 1129 (1716)


Wer seinen Gang gesehen, sprach: Der Gang ist dieß,
Cypresse, wandelnd Rosenhain entlang, ist dieß;

Ich sprach, als dieses Mondes Aufgang ich geseh'n:
Fürwahr! Fürwahr! der Weltensonn' Aufgang ist dieß.
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Des Abends sah ich einen schönen Tschelebi,
Im Herzen ging als Sonne auf der Halebi;*

Da dieser Schönheitsmond aufgehet jede Nacht,
Wird Nacht der Liebenden dadurch zum Tag gemacht;

Er steht so schön, er geht so sanft, er sieht so mild,
Allein die Wimper ist ein Henker, hart und wild;

Ein Zaub'rer ist das Aug', gespalten wie die Mandel,
Und Jesus Wunderhauch der Lippen Zuckerkandel;

Wer seinen Kuß begehrt, muß sich die Wangen gelben,**
Denn nur das Gold erkauft den Pfirsich*** bey demselben;

Die Wimper schreibt mit dem gezuckten Schwert, doch spricht
Der Mund zum Liebenden mit Huld: Du fürchte nicht;****

Die Brauen sind Fractur, Current des Flaumes Zeilen,*****
Als Hemistiche****** sich die beyden Lippen theilen;

Ich sprach: Wie soll ich dich beschreiben, Tschelebi?
Er sprach: Man nennt mich kurz den Sohn des Halebi!

* Die Liebe zu ihm
** Aus Schmerz
***Scheftalü heißt sowohl Pfirsich als ein Kuß
****Anspielung auf das den Türkenkriegen bekannte
russische Neboise
*****Das Wortspiel Chatti Jakuti leb läßt sich nur erklären,
nicht wiedergeben. Chatt heißt sowohl Schrift als auch
der junge Bart; Jakut ist der Nahme des Verschönerers
der Neschischrift, und heißt auch Rubin.
Chatti Jakuti leb heißt also sowohl:
die Schrift des Jakut der Lippen,
als: der junge Bart des Rubins der Lippen.
****** Mißraa heißt bekanntermaßen
sowohl Hemistich als Thürflügel.

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Mohammed-Tschelebi von Adrianopel, der durch des Janitscharenaga Toghandschi Mohammed Gunst in die Zahl der pensionierten Janitscharen aufgenommen, den Wechsler und Spezereyhändler machte.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Vierter Band (von der Regierung Suleiman's II. bis auf unsere Zeit 1687 - 1838)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 90-91)